Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 20.05.2022 – W 8 K 20.31251
Titel:

Abschiebungsverbot für alleinstehende nigerianische Staatsangehörige mit psychischen Erkrankungen und Beeinträchtigungen 

Normenketten:
AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 4, § 3b Abs. 1 Nr. 4, § 4 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Nach Nigeria zurückkehrende Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und sich hiervon befreit haben, stellen eine soziale Gruppe iSd § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG dar. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine junge alleinstehende Frau ohne familiäre Bindungen mit mehreren psychischen Erkrankungen und einer Entwicklungsstörung wird nicht in der Lage sein, nach einer Rückkehr nach Nigeria ihre Therapie sicherzustellen und gleichzeitig ihren Lebensunterhalt zu sichern. Ihr steht daher ein Abschiebungsverbot zu. (Rn. 40 – 46) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Herkunftsland Nigeria, Zwangsprostitution, Psychische Erkrankung, Entwicklungsstörung, Jugendhilfemaßnahme, zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, soziale Gruppe, psychische Erkrankungen, medizinische Versorgung in Nigeria
Fundstelle:
BeckRS 2022, 22043

Tenor

I. Die Nummern 4 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. November 2020 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass für die Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Nigeria vorliegt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 2/3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens zu 1/3. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise des subsidiären Schutzes, hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Nigeria.
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1. Die Klägerin ist nach eigenen Angaben eine am 5. Oktober 2003 geborene nigerianische Staatsangehörige, dem Volk der Edo angehörig und christlichen Glaubens.
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Sie reiste am 16. Mai 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 16. Juli 2020 einen Asylantrag. Zur Begründung ihres Asylantrages gab sie bei der Anhörung im Wesentlichen an sie habe Nigeria verlassen, da sie eine Schule besuchen wolle. Sie sei in Benin-City bei einer Familie aufgewachsen mit der sie weder verwandt noch verschwägert gewesen sei. Ihre biologischen Eltern kenne sie nicht. Ihre Pflegeeltern hätten ihr erzählt ihr Vater sei verstorben und ihre Mutter sei unauffindbar. Ob sie andere Verwandte habe, wisse sie nicht. Als Baby sei sie beschnitten worden. Eine erneute Beschneidung fürchte sie nicht. Sie habe die Schule nur fünf Jahre besuchen dürfen und habe danach Wasser auf der Straße verkaufen müssen. Hierbei habe die eine Frau namens Evelyn getroffen, die ihr versprochen habe sie nach Europa zu bringen damit sie dort die Schule besuchen könne. Sie sei dann 2015 mit 12 Jahren, nach Ableistung eines Schwurs, zusammen mit mehreren anderen, unter anderem den Mädchen Joy und Blessing, zunächst nach Libyen gereist. Dies habe Evelyn organsiert. Bei der Ankunft habe es eine Schießerei gegeben und sie habe sich versteckt. In der Folge sei sie von einer Frau aufgegriffen worden, die ihr versprochen habe sie an einen besseren Ort zu bringen. Diese habe sie in ein „Connection House“ gebracht. Dort habe sie sich einige Zeit aufgehalten und habe der Prostitution nachgehen müssen. Ob die Frau mit Evelyn in Verbindung stand wisse sie nicht. Nach einiger Zeit habe die Frau ihr gesagt sie könne gehen und habe sie Schleusern vorgestellt. Sie sei anschließend von Libyen aus mit einem Schlauchboot nach Italien gefahren. Das Schlauboot sei von einem Rettungsschiff aufgegriffen worden. Dort habe sie Joy und Blessing wieder getroffen. Nach der Ankunft in Italien habe Blessing Evelyn angerufen. Nach einem Monat habe ein Mann die drei Mädchen aus dem Flüchtlingscamp in Italien abgeholt und sie an einen unbekannten Ort gebracht. In diesem Haus habe sie Evelyn wieder getroffen, die sie gezwungen habe dort der Prostitution nachzugehen. Evelyn habe ihr gesagt sie schulde ihr 35.000 EUR. Sie habe sich dort vier Jahre aufgehalten. Wenn sie Evelyn gefragt habe, ob sie die Forderung beglichen habe, habe diese geantwortet sie habe damit noch gar nicht begonnen. Bei einem ersten Fluchtversuch habe sie eine Schnittverletzung am Handgelenk davongetragen. Eines Tages habe Evelyn nach einem Anruf schnell das Haus verlassen ohne es abzuschließen. Daraufhin sei sie mit Joy und Blessing geflohen. Sie habe die beiden jedoch verloren und sei dann von einem fremden Autofahrer nach Deutschland mitgenommen worden. Seit der Flucht habe sie keinen Kontakt mehr zu Evelyn. Auch mit ihrer Pflegefamilie in Nigeria habe sie keinen Kontakt mehr. Wenn sie nach Nigeria zurückkehre wisse sie nicht wie sie ein Leben beginnen sollte. Sie wisse nicht, ob sie ihre Pflegefamilie dort noch antreffen würde.
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Mit Bescheid vom 5. November 2021 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle der Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen Staat wurde angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes lägen nicht vor. Die Klägerin sei kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG. Aus dem Sachvortrag der Klägerin seien weder eine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung in Nigeria, noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal ersichtlich. Insbesondere seien Anhaltspunkte für eine Reviktimisierung bzw. Stigmatisierung bei Rückkehr ins Heimatland nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Nach Angaben der Klägerin wisse in Nigeria niemand, dass sie als Prostituierte gearbeitet hätte. Die Klägerin stehe mit Evelyn nicht mehr in Kontakt. Es sei nicht davon auszugehen, dass diese sie ausfindig machen könnte, insbesondere da keine Hinweise vorlägen, dass die Madame einer größeren Organisation zugehöre und sie daher nicht die erforderlichen Ressourcen haben dürfte landesweit nach der Klägerin zu suchen. Da bei dem Volkstamm der Bini/Edo bei Erwachsenen keine Beschneidung durchgeführt werden würde, bestünde keine mit erheblicher Wahrscheinlichkeit eintretende Gefahr, dass die bereits beschnittene Klägerin erneut beschnitten werde. Damit lägen auch die engeren Voraussetzungen des Art. 16a GG nicht vor. Sie sei damit auch keine subsidiär Schutzberechtigte nach § 4 AsylG. Weiterhin lägen auch keine Abschiebungsverbote vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Nigeria führten auch nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung der Klägerin eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege, da die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Klägerin an den Gefahrenmaßstab nicht erfüllt seien. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergebe sich aus einer europarechtskonformen Anwendung des § 38 AsylG. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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2. Am 13. November 2020 ließ die Klägerin Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben. Zur Klagebegründung ließ die Klägerin mit Schriftsatz vom 4. August 2021 im Wesentlichen ausführen: Die Klägerin habe einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da sie Opfer organisierten Menschenhandels und Zwangsprostitution gewesen sei und ihr im Falle der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Reviktimisierung durch das die „Madame“ umspannende Menschenhändlernetzwerk zur Abbezahlung ihrer Schulden drohe. Hiervor könne sie keinen wirksamen Schutz durch den nigerianischen Staat erlangen. Eine inländische Fluchtalternative bestünde ebenfalls nicht. Darüber hinaus verfüge sie über kein unterstützungsfähiges soziales Netzwerk, auf das sie bei einer Rückkehr zurückgreifen könnte. Ohne ein solches sei es praktisch unmöglich Fuß zu fassen. Die meisten Bundesstaaten würden Zuwanderer aus anderen Gebieten von politischer und staatlicher Unterstützung ausschließen. Dementsprechend würde die Klägerin, die über keine nennenswerte Schulbildung verfüge, in einem anderen Landesteil ein Dasein unterhalb des Existenzminimums erwarten. Sie könne ihren Lebensunterhalt nicht sichern, ohne in die Gefahr zu kommen erneut Oper von Menschenhandel zu werden. Hinzu komme, dass die Klägerin unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, die bereits einen chronischen Verlauf genommen habe. Die Klägerin ließ hierzu eine fachärztliche Stellungnahme gem. § 60 AufenthG der Praxis Dr. O. und Klein vom 17. Juni 2021, eine Ergänzungsstellungnahme der selben Praxis vom 22. Oktober 2021, einen vorläufigen Bericht der Intensiveinheit Kinder- und Jugendpsychiatrie des … … vom 5. Oktober 2021 sowie eine Bestätigung über eine regelmäßige Terminwahrnehmung bei dem Verein … e.V. vorlegen. Auf den Inhalt wird Bezug genommen.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 23. November 2020,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wird auf den angefochten Bescheid Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 18. August 2021 trug die Beklagte vor, die vorgelegte fachärztliche Stellungnahme vom 17. Juni 2021 genüge nicht den Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an die erstmalige Diagnose einer PTBS. Es mangle insbesondere an einer Begründung, weshalb die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden sei.
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In der mündlichen Verhandlung am 13. Mai 2022 beantragte der Klägerbevollmächtigte, unter entsprechender Aufhebung des Bescheids vom 5. November 2020 die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise, subsidiären Schutz zuzusprechen,
weiterhin hilfsweise, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festzustellen.
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Das Gericht hörte die Klägerin sowie deren Wohngruppenbetreuerin informatorisch an.
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Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 13. November 2020 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung vom 13. Mai 2022, wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die gemäß § 102 Abs. 2 VwGO in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten entschieden werden konnte, ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang teilweise begründet.
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Die erhobene Anfechtungsklage (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 - BVerwGE 157, 18) betreffend die Nummern 1 und 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. November 2020 ist unbegründet. Denn der streitgegenständliche Bescheid ist insoweit rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klage ist jedoch soweit sie sich gegen die Nummern 4 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. November 2020 richtet begründet, da diese Nummern rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen. Der Klägerin steht zum hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der Fällung der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). In der Folge sind auch die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
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Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung ist § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG (BT-Drs. 16/5065, S. 213; vgl. auch § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG).
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Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen.
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Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Lands (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die §§ 3 ff. AsylG setzen die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie - QRL, Amtsblatt-Nr. L 337, S. 9) in deutsches Recht um.
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Dem Ausländer muss eine Verfolgungshandlung drohen, die mit einem anerkannten Verfolgungsgrund (§ 3b AsylG) eine Verknüpfung bildet, § 3a Abs. 3 AsylG. Als Verfolgungshandlungen gelten gemäß § 3a AsylG solche Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1) oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Die für eine Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsschutzes nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG relevanten Merkmale (Verfolgungsgründe) sind in § 3b Abs. 1 AsylG näher definiert. Nach § 3c AsylG kann eine Verfolgung sowohl von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten. Nach § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft allerdings nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2) (interner Schutz bzw. innerstaatliche Fluchtalternative).
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Maßgeblich für die Beurteilung, ob sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb des Heimatlands befindet, ist der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, der dem Maßstab des „real risk“, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bei der Prüfung des Art. 3 EMRK anwendet, entspricht (vgl. EGMR, U.v. 28.2.2008 - 37201/06, NVwZ 2008, 1330 Rn. 125 ff.; U.v. 23.2.2012 - 27765/09, NVwZ 2012, 809 Rn. 114). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ist die Furcht des Ausländers begründet, wenn bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 32; U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - juris Rn. 14; VGH BW, U.v. 3.11.2016 - A 9 S 303/15 - juris Rn. 32 ff.; NdsOVG, U.v. 21.9.2015 - 9 LB 20/14 - juris Rn. 30).
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Wurde der betroffene Ausländer bereits verfolgt oder hat er einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten bzw. war er von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht und weisen diese Handlungen und Bedrohungen eine Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund auf, greift zu dessen Gunsten die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL, wonach die Vorverfolgung bzw. Vorschädigung einen ernsthaften Hinweis darstellt, dass sich die Handlungen und Bedrohungen im Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 - juris Rn. 15). Die Vorschrift privilegiert den betroffenen Ausländer durch eine widerlegliche Vermutung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Eine Widerlegung der Vermutung ist möglich, wenn stichhaltige Gründe gegen eine Wiederholung sprechen. Durch Art. 4 Abs. 4 QRL wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte davon befreit, stichhaltige Gründe dafür vorzubringen, dass sich die Bedrohungen erneut realisieren, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt.
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Dem Ausländer obliegt gleichwohl die Pflicht, seine Gründe für die Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen, was bedeutet, dass ein in sich stimmiger Sachverhalt geschildert werden muss, aus dem sich bei Wahrunterstellung und verständiger Würdigung ergibt, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung droht. Dies beinhaltet auch, dass der Ausländer die in seine Sphäre fallenden Ereignisse und persönlichen Erlebnisse, die geeignet sind, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen, wiedergeben muss (vgl. § 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO; OVG NW, U.v. 2.7.2013 - 8 A 2632/06.A - juris Rn. 59 f. mit Verweis auf BVerwG, B.v. vom 21.7.1989 - 9 B 239.89 - juris Rn. 3 f.; B.v. 26.10.1989 - 9 B 405.89 - juris Rn. 8; B.v. 3.8.1990 - 9 B 45.90 - juris Rn. 2).
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Der Asylsuchende muss dem Gericht glaubhaft machen, weshalb ihm in seinem Herkunftsland die Verfolgung droht. An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es regelmäßig, wenn er im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheinen oder er sein Vorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere, wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgebend bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst spät in das Asylverfahren einführt. In der Regel kommt deshalb dem persönlichen Vorbringen des Asylbewerbers, seiner Persönlichkeit und Glaubwürdigkeit sowie der Art seiner Einlassung besondere Bedeutung zu (vgl. BayVGH, U.v. 26.1.2012 - 20 B 11.30468 - m.w.N.).
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Unter Berücksichtigung vorgenannter Voraussetzungen und Maßstäbe sind die Voraussetzungen des § 3 AsylG bereits deshalb nicht erfüllt, weil der Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag in Nigeria weder Re- noch Sekundär-Viktimisierung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, sodass auch stichhaltige Gründe im Sinne des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU gegen eine erneute Verfolgung sprechen.
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Der Handel von nigerianischen Frauen und Kindern zu sexuellen Zwecken ist in Nigeria ein weit verbreitetes Phänomen und ein Problem großen, jedoch schwer bezifferbaren Ausmaßes. Die meisten Opfer des Menschenhandels stammen aus dem Bundesstaat Edo, insbesondere aus Benin City, der Hauptstadt des Bundesstaats Edo, sowie nahegelegenen Dörfern. Es gibt Berichte, dass die Menschenhändler Edo wegen der besonders dort in den letzten Jahren durchgeführten Programme zur Bekämpfung des Menschenhandels verlassen und ihre Aktivitäten in anderen Bundesstaaten entfalten (vgl. EASO, Country of Origin Information Report: Nigeria, Trafficking in Human Beings vom 26.4.2021, S. 60; Bundesamt, Länderreport 27: Nigeria - Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung vom Juni 2020, S. 8; EASO, Bericht über Herkunftsländer - Informationen, Nigeria: Sexhandel mit Frauen vom Oktober 2015, S. 14 ff. m.w.N.). Bislang wurden die Opfer in der Rekrutierungsphase durch Täuschung oder falsche Versprechungen dazu bewegt, nach Europa (überwiegend nach Italien und Spanien) zu gehen, um dort als Prostituierte zu arbeiten. Häufig wurde den Frauen, die meist aus ärmlichen Verhältnissen stammen, in Aussicht gestellt, in Europa einen gut bezahlten Arbeitsplatz oder Bildungschancen zu erhalten. Die Verbesserung der Lebensverhältnisse ist nach wie vor ein Hauptgrund für die Ausreise aus Nigeria. Allerdings ist unter anderem aufgrund von Sensibilisierungskampagnen, die seit 10 bis 15 Jahren in Edo stattfinden, mittlerweile in Nigeria allgemein bekannt, dass sehr viele Nigerianerinnen, die nach Europa reisen, dort als Prostituierte tätig sind. Die genaueren Bedingungen, unter denen sie in Europa im Prostitutionsgewerbe tätig sein müssen, sind den Frauen jedoch nicht bekannt. Dies erfahren sie erst, wenn sie in Europa angekommen sind. Zentrale Figuren und Anführer der Menschenhandelsnetzwerke sind in der Regel die sogenannten „Madams“, die oft selbst frühere Opfer der Zwangsprostitution sind. In den letzten Jahren sind auch von sog. Studentenkulten kontrollierte Netzwerke entstanden. Die Madams rekrutieren die Opfer und überwachen den gesamten Prozess des Menschenhandels. Sie sind häufig auch die Personen, welche die Reise nach Europa finanzieren. Eine Aufklärung über die tatsächliche Schuldenhöhe erfolgt erst nach der Ankunft in Europa. Den zur Prostitution gezwungenen Frauen wird in der Regel ein Schuldenbetrag in Höhe von 30.000,00 bis 70.000,00 EUR in Rechnung gestellt, den sie bei der Madam abbezahlen müssen. Teilweise müssen die Frauen vor ihrer Weiterreise nach Europa bereits in Libyen als Prostituierte arbeiten (vgl. UK Home Office, Nigeria - trafficking of women, Version 6.0, 28.4.2022, S. 25 ff., S. 32f. m.w.N.; Bundesamt, Länderreport 27: Nigeria - Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung vom Juni 2020, S. 8 ff., 16 ff.; Bericht EASO über Sexhandel mit Frauen vom Oktober 2015, S. 26 m.w.N.). Um die Zwangslage der zur Prostitution gezwungenen Frauen zu verstärken, kommt Voodoo-Ritualen eine besondere Bedeutung zu. Der Glaube an Voodoo ist in Nigeria, insbesondere im Bundesstaat Edo, weit verbreitet. Bei Voodoo, zuweilen auch als „Juju“ bezeichnet, handelt es sich um eine traditionelle westafrikanische Glaubensrichtung, die durch schwarze Magie und rituelle Schwüre geprägt ist. Dies machen sich die Menschenhändler zunutze, um die Opfer aufgrund ihres Glaubens an die Madam und die Schleuser zu binden und psychischen Druck auf die Opfer auszuüben (vgl. UK HomeOffice, Nigeria - trafficking of women, Version 6.0, 28.4.2022, S. 30f. m.w.N.; EASO, Country of Origin Information Report; Nigeria: Trafficking in Human Beings vom 26.4.2021, S. 59). Die betroffenen Frauen müssen in einer rituellen Zeremonie einen sog. „Juju“-Schwur ablegen, durch welchen sie sich dazu verpflichten, das geschuldete Geld zurückzuzahlen, die Identität der Menschenhändler nicht preiszugeben und sich diesen bedingungslos zu untergeben. Es wird daran geglaubt, dass der Bruch des Schwurs Krankheit, Wahnsinn oder den Tod der Frauen und deren Familien zur Folge habe, egal wo sich die Opfer aufhalten. Am 9. März 2018 hob Oba (ein traditioneller Titel) Ewuare II, der traditionelle König und höchstes Oberhaupt des historischen Königreichs Benin alle Eide auf, die von „Juju“-Priestern den Menschenhandelsopfern auferlegt worden waren. Gleichzeitig verbot er jegliche Beteiligung an Ritualen, mit deren Hilfe die Auswanderung ins Ausland befördert werden soll. Da dies jedoch nur auf das Gebiet des Königreichs Benin beschränkt ist, sind die Menschenhändler auf andere Gebiete ausgewichen (vgl. UK HomeOffice, Nigeria - trafficking of women, Version 6.0, 28. April 2022, S. 32 m.w.N.; EASO, Country of Origin Information Report; Nigeria: Trafficking in Human Beings vom 26.04.2021, S. 59 f.; Bundesamt, Nigeria - Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung vom Juni 2020, S. 12 ff.; ACCORD, Nigeria - Traditionelle Religion, Okkultismus, Hexerei und Geheimgesellschaften, Bericht vom 17.6.2011, S. 7 f.; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Nigeria: Zwangsheirat, Innerstaatliche Fluchtalternative für alleinstehende Frau, Einfluss von Voodoo-Praktiken, 4.4.2014). Das Gericht folgt zudem grundsätzlich der Auffassung, dass nach Nigeria zurückkehrende Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und sich hiervon befreit haben, eine soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG darstellen (vgl. VG Würzburg, U.v. 17.11.2015 - W 2 K 14.30213 - juris Rn. 29 f. m.w.N.). Allein die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe genügt jedoch nicht, um einen Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG zu begründen.
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Auch wenn die erkennende Einzelrichterin aufgrund der detaillierten Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, welche auch glaubhaft das Randgeschehen wie ihr persönliches Verhältnis zu den anderen Mädchen im Haus der Madame umfassten, davon ausgeht, dass die Klägerin sich jedenfalls in Italien für mehrere Jahre für eine Madame prostituieren musste, ist nichts dafür ersichtlich, dass der Klägerin im Fall der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung nach § 3 AsylG droht, denn es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Re- oder Sekundär-Viktimisierung der Klägerin.
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Die Klägerin hat in ihrer Anhörung sowie in der mündlichen Verhandlung angegeben, sie habe sich durch ihre Flucht aus Italien nach Deutschland der Prostitution erfolgreich entzogen. Auch bestehe seit sie Italien verlassen habe kein Kontakt mehr zu Madame Evelyn. Sofern die Klägerin in der mündlichen Verhandlung angab, sie sei in diesem Jahr von einer fremden Frau angesprochen worden, die ihr viele Fragen, unteranderem wie sie nach Deutschland gekommen sei und was sie hier mache, gestellt habe, die sie an Madame Evelyn erinnert hätten und sie deshalb Angst habe von Madame Evelyn gefunden zu werden, ist weder ersichtlich wie Madame Evelyn die Klägerin obwohl seit zwei Jahren kein Kontakt mehr besteht hätte ausfindig machen sollen noch, dass die Frau, welche die Klägerin angesprochen hat, überhaupt in einer Beziehung zu Madame Evelyn steht. Dies hatte die Frau in dem Gespräch auch nicht behauptet, die Klägerin gab lediglich an, die Art der Fragestellung habe sie an die Madame erinnert. Es erscheint äußerst unwahrscheinlich, dass die Menschenhändler ein derartiges Interesse an der Klägerin haben sollten, dass sie über einen nicht unerheblichen Zeitraum erfolglos nach ihr suchen, auch wenn die Suche nach neuen Opfern in Nigeria tatsächlich schwieriger geworden sein sollte (vgl. EASO, Country of Origin Information Report; Nigeria: Trafficking in Human Beings vom 26.4.2021, S. 60). Auch die angeblichen Schulden in Höhe von ihr 35.000,00 EUR, die Madame Evelyn von der Klägerin forderte, bedingen angesichts dessen, dass sich die Klägerin ca. zweieinhalb Jahre lang in Italien prostituieren musste ohne hierfür bezahlt zu werden, keine gegenteilige Bewertung, es scheint vielmehr wahrscheinlich, dass die Klägerin trotz gegenteiliger Aussage der Madame ihre angeblichen Schulden jedenfalls insoweit abgearbeitet hat, als dass weiterhin ein derartiges finanzielles Interesse an ihr bestehe, dass noch nach Jahren nach ihr gesucht wird. Auch ist es nicht ersichtlich, wie die Menschenhändler selbst wenn noch ein Interesse bestehen sollte angesichts des Kontaktabbruchs und des nicht funktionsfähigen Meldesystems in Nigeria davon erfahren sollten, wenn die Klägerin nach Nigeria zurückkehren würde (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (im Folgenden: BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Nigeria vom 31.1.2022 (im Folgenden: Länderinformation der Staatendokumentation), S. 58). Insbesondere unter der Voraussetzung, dass eine betroffene Person die von ihr zu erwartende zumutbare und gebotene Zurückhaltung beim Gebrauch sozialer Medien und der Preisgabe persönlicher Daten übt, ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass potentielle Verfolger diese Person in der Anonymität einer Großstadt ohne Meldepflicht auffinden und bedrohen bzw. ihr Schaden zufügen können.
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Dass die Klägerin mangels unterstützungsfähigem sozialen Netzwerk in Nigeria im Gegensatz zu anderen nigerianischen Frauen besonders in Gefahr laufen würde abermals von Menschenhändlern zur Prostitution gezwungen zu werden, steht entgegen, dass die Klägerin gegenüber Annäherungsversuchen solcher Personen besonders sensibilisiert und misstrauisch ist, wie schon allein ihre Reaktion auf das Gespräch mit der fremden Frau, welche sie an Madame Evelyne erinnerte, zeigt.
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Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin durch die Gesellschaft eine Stigmatisierung drohen würde, da im Heimatland niemand über ihre Zwangsprostitution in Italien Bescheid weiß.
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Aufgrund vorgenannter Ausführungen sprechen stichhaltige Gründe im Sinne des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU gegen eine Verfolgung der Klägerin.
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Das Gericht verkennt dabei nicht das grundsätzliche Problem des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung von Frauen nach Europa, im vorliegenden Einzelfall hält es das Gericht jedoch unter Verweis auf vorgehende Ausführungen für nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin bei Rückkehr nach Nigeria erneut Opfer des Menschenhandels werden würde.
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2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
33
Der Klägerin droht in Nigeria weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe noch Folter bzw. unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG. Insoweit wird vollumfänglich auf die Ausführungen unter 1. verwiesen.
34
Überdies ist auch nicht ersichtlich, dass der Klägerin nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in ihrer Herkunftsregion, dem Bundesstaat Edo, eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts drohen würde. Hierzu lässt sich der Erkenntnismittellage nichts entnehmen. Ein Bürgerkrieg findet in Nigeria derzeit nicht statt; Bürgerkriegsparteien sind nicht vorhanden (vgl. etwa BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, S.4; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (in der Folge: Lagebericht Nigeria) vom 5.12.2020, S. 9, 17; EASO, Country Guidance: Nigeria, October 2021, S. 98 ff.,134 f., 138 f.). 3.
35
Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 HS. 1 AsylG) einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Nummer 4 des Bescheids der Beklagten vom 5. November 2020 ist daher rechtswidrig und verletzt die Klägerin ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insoweit ist der Bescheid aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen.
36
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
37
Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen (BVerwG, B.v. 13.2.2019 - 1 B 2/19 - juris Rn. 6). Nach der Rechtsprechung des EGMR reicht der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK annehmen zu können. Ausländer können auch kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Denn die EMRK zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Anderes gilt nur in besonderen Ausnahmefällen, in denen zielstaatsbezogene humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR [GK], U.v. 27.5.2008 - N./Vereinigtes Königreich, Nr. 26565/05 - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42; siehe auch BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 23, 25). Für den Geltungsbereich von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh), der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 GRCh die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, hat sich der EuGH dieser Bewertung angeschlossen und ausgeführt, diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre (erst) erreicht, wenn die Gleichgültigkeit von Behörden zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 - Jawo, C-163/17 - juris Rn. 92 unter Verweis auf EGMR, U.v. 21.11.2011 - M.S.S./ Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - juris Rn. 252 f.). Diese Schwelle ist selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind (EuGH, U.v. 19.3.2019 - Jawo, C-163/17 - juris Rn. 93; U.v. 19.3.2019 - Ibrahim, C-297/17 - juris Rn. 91; vgl. auch Bülow, ZAR 2020, 72 [73]).
38
Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 21. 4.2022 - 1 C 10/21 -, juris LS 1) ist Maßstab für die im Rahmen der Prüfung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK anzustellende Gefahrenprognose grundsätzlich, ob der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nach seiner Rückkehr, gegebenenfalls durch ihm gewährte Rückkehrhilfen, in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum eines Ausländers in dessen Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist. Kann der Rückkehrer Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, die eine Verelendung innerhalb eines absehbaren Zeitraums ausschließen, so kann Abschiebungsschutz ausnahmsweise nur dann gewährt werden, wenn bereits zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt davon auszugehen ist, dass dem Ausländer nach dem Verbrauch der Rückkehrhilfen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht.
39
Im Hinblick auf den Grad der Wahrscheinlichkeit stellt der EGMR darauf, ob es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein (BVerwG, B.v. 13.2.2019 - 1 B 2/19 - juris Rn. 6 m.w.N.). Dies entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Ein gewisser Grad an Mutmaßung ist dabei dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent und es kann daher nicht ein eindeutiger, über alle Zweifel erhabener Beweis verlangt werden, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre (EGMR, U.v. 9.1.2018 - X./Schweden, Nr. 26417/16 - BeckRS 2018, 52619 Rn. 50).
40
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben, der aktuellen wirtschaftlichen und humanitären Lage in Nigeria sowie der persönlichen Umstände der Klägerin steht ihr ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zu, da in ihrem Einzelfall humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen. Es steht zur Überzeugung der Einzelrichterin fest, dass bereits jetzt absehbar ist, dass die Klägerin bei einer Ausreise nach Nigeria mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem engen zeitlichen Zusammenhang nach dem Verbrauch von Rückkehrhilfen eine Verelendung drohen würde.
41
Das Leben der Menschen in Nigeria ist von problematischen wirtschaftlichen Verhältnissen, einer schwierigen Versorgungslage und hoher Arbeitslosigkeit geprägt. Etwa 40 Prozent der nigerianischen Bevölkerung lebt in extremer Armut (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, S. 61). Der größte Teil der Bevölkerung ist von informellem Handel und Subsistenzwirtschaft abhängig. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist ungleichmäßig zwischen einer kleinen Elite, die vom Ölreichtum des Lands profitiert, und der Masse der Bevölkerung verteilt. Viele Menschen haben keinen oder nur erschwerten Zugang zu Wasser und Strom. Ein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Mittellose existiert ebenso wenig wie kostenlose medizinische Versorgung, die allen nigerianischen Staatsangehörigen zugänglich ist. Mittellose Personen sind regelmäßig auf die Unterstützung der Familie angewiesen (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, S. 61f.). Darüber hinaus ist die nigerianische Wirtschaft seit 2020 aufgrund des erneuten Verfalls des Rohölpreise sowie der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie wieder geschwächt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden sein wird, ist bislang noch nicht abzuschätzen. Für 2020 wurde aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Nigeria und der drastisch gesunkenen Erdölpreise mit einer Schrumpfung des nigerianischen BIP um 4,4 Prozent gerechnet. In der zweiten Jahreshälfte 2020 hat die Wirtschaft jedoch wieder zu expandieren begonnen und sollte 2021 getragen von Ölpreisen um 60 US-Dollar pro Fass, um 1,5 bis 2,5 Prozent real wachsen (vgl. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: S.60). Gleichwohl liegt keine derart unzureichende Versorgungslage vor, die einen besonderen Ausnahmefall im genannten Sinne begründet, zumal die allgemeine Versorgungslage zwar deutlich hinter europäischen Standards zurückbleibt, sich insbesondere in den Großstädten aber tendenziell verbessert.
42
Die erkennende Einzelrichterin geht im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) davon aus, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Nigeria aufgrund ihrer psychischen Erkrankungen und ihrer Entwicklungsstörung nicht in der Lage wäre eine existenzsichernde Tätigkeit für sich aufzunehmen um so jedenfalls ihre elementaren Grundbedürfnisse zu befriedigen.
43
Laut den fachärztlichen Attesten vom 17. Juni und 8. Oktober 2021 leidet die Klägerin an einer mittelgradigen depressiven Episode (F32.1), einer PTBS (F43.1) sowie einer gemischten Angststörung (F41.3) aufgrund deren sie eine psychotherapeutische Behandlung benötigt. Auch wenn die Atteste in Bezug auf die PTBS nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG genügen mögen, da sie insbesondere nicht begründen, weshalb die PTBS, obwohl sie laut den Attesten vom 17. Juni und 8. Oktober 2021 auch durch die Behandlung durch die Pflegeeltern in Nigeria bedingt sei, nicht früher geltend gemacht wurde (vgl. BVerwG U.v. 11.9.2007 -10 C 8.07), weißen die fachärztlichen Atteste dennoch ausreichend das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen, mittelgradigen depressiven Episode und gemischten Angststörung nach. Die Ausführungen der behandelnden Ärzte zu den tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage die fachärztliche Beurteilung erfolgte, den Methoden der Tatsachenerhebung, der fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose) und dem Schweregrad der diagnostizierten Erkrankungen sowie den Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation, auch unter Berücksichtigung eines Abbruchs der aktuellen Therapie, voraussichtlich ergeben, sind nachvollziehbar, schlüssig und konsistent. Danach steht zur Überzeugung des Gerichts weiterhin fest, dass die Klägerin auf eine regelmäßigen Psycho- und Gesprächstherapie angewiesen ist um einer psychischen Dekompensation mit Suizid entgegenzuwirken. Zwar geht das erkennende Gericht mit Blick auf die einschlägigen Erkenntnismittel davon aus, dass psychische Erkrankungen in Nigeria zwar grundsätzlich behandelbar sind, es jedoch ein eklatanter Mangel an Fachpersonal (berichtet wird z.B. von weniger als 300 Psychiatern für etwa 200 Millionen Menschen) und an verfügbaren Plätzen in psychiatrischen Einrichtungen besteht. Auch im ambulanten Bereich sind qualifizierte Psychiater und Psychotherapeuten kaum vorhanden und verlangen für Termine hohe Summen. Staatliche finanzielle Unterstützung für die Behandlung psychischer Erkrankungen gibt es nicht. Behandlungen und Therapien müssen in der Regel selbst bezahlt werden (vgl. zum Ganzen: EUAA, Nigeria - medical country of origin information report, 21.4.2022, S. 74ff.; Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria vom 22.2.2022, S. 21; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Nigeria: Lage von Personen mit psychischen Erkrankungen, 30.4.2020, S. 2 f.; UK Home Office, Country Policy and Information Note Nigeria: Medical and healthcare issues, Januar 2020, S. 16 ff.; Schweizer Flüchtlingshilfe, Nigeria: Behandlung von psychischen Erkrankungen vom 10.11.2017, S. 8 ff.; Schweizer Flüchtlingshilfe, Nigeria: Psychiatrische Versorgung, Auskunft vom 22.1.2014, S. 3 ff.).
44
Doch selbst wenn die Klägerin Zugang zu einer psychiatrischen Grundversorgung hätte, wäre dies in ihrem Einzelfall allein noch nicht ausreichend, um sie in die Lage zu versetzen, einen ausreichenden Lebensunterhalt für sich sicherstellen zu können. Denn wie sich aus den Attesten vom 17. Juni und 8. Oktober 2021 und dem in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin gewonnenen Eindruck ergibt, ist die Klägerin darüber hinaus auch in ihrer Persönlichkeitsentwicklung erheblich beeinträchtigt. Es fehlt ihr ein existenzieller Entwicklungszeitraum. Ihr Entwicklungsalter entspricht ca. einem 13-jährigem Mädchen. Sie ist in ihrer Persönlichkeit noch sehr kindlich (vgl. S.3 Attest v. 8.10.2020). Sie ist aufgrund dessen aktuell nicht in der Lage selbständig zu leben. Aufgrund dessen wurde auch die Jugendhilfsmaßnahme verlängert und die Klägerin wohnt trotz ihrer Volljährigkeit weiterhin in der betreuten Jugendwohngruppe. In der mündlichen Verhandlung wirkte die Klägerin in ihrem Auftreten kindlich und war sichtlich auf die sie begleitende Wohngruppenbetreuerin bezogen. Die Klägerin benötigt wie sich aus den Attesten ergibt aufgrund ihrer psychischen Erkrankungen und der Entwicklungsstörung viel Halt und Konstanz zu festen Bezugspersonen, da es sonst schnell zu einer Dekompensation kommt. Eine entsprechende Bezugsperson wird der Klägerin jedoch zur Überzeugung des Gerichts in Nigeria nicht zur Verfügung stehen, vielmehr wäre sie auf sich alleine gestellt. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung sowie bei ihrer Befragung beim BAMF glaubhaft vorgetragen, sie sei in Nigeria bei einer Pflegefamilie aufgewachsen, welche sie sehr schlecht behandelt habe und zu der seit sie Nigeria verlassen hat kein Kontakt mehr bestehe, weshalb sie auch nicht wisse wo sich diese befände. Ihre leiblichen Eltern kenne sie nicht, noch wisse sie, ob sie andere Familienmitglieder habe. In Zusammenschau aller Einzelfallumstände (psychische Erkrankungen, Entwicklungsstörung, keine Familienangehörigen oder andere Bezugspersonen) kommt die erkennende Einzelrichterin, auch aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks, zu der Überzeugung, dass es der Klägerin in Nigeria nicht möglich wäre, ihren Alltag alleine so gestalten zu können, dass ihr die Sicherstellung ihrer Therapie und gleichzeitig des Lebensunterhalts möglich wäre.
45
Die Klägerin wäre daher darauf angewiesen, dass sie in Nigeria auf ein soziales Netzwerk zurückgreifen kann, welches ihr Überleben dort unabhängig von eigener Erwerbstätigkeit sicherstellen könnte. Wie erläutert verfügt die Klägerin jedoch nicht über ein solches soziales Netz.
46
Damit droht der Klägerin in Nigeria mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung gem. Art. 3 EMRK und ihr steht ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zu. Die Beklagte war dementsprechend unter Aufhebung der Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheides zu verpflichten, ein solches Abschiebungsverbot für die Klägerin festzustellen.
47
Da die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG einen einheitlichen, nicht weiter aufteilbaren Streitgegenstand darstellen (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 - 10 C 24/10 - juris Rn. 9), musste über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht gesondert entschieden werden.
48
4. Da die Klägerin Anspruch auf die Feststellung hat, dass ein nationales Abschiebungsverbot hinsichtlich Nigeria vorliegt, waren die Abschiebungsandrohung gemäß §§ 34, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG mit der Zielstaatsbezeichnung Nigeria sowie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG einschließlich der Befristung gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ebenfalls aufzuheben.
49
5. Die Kostenentscheidung des gerichtskostenfreien Verfahrens (vgl. § 83b AsylG) folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.
50
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.