Titel:
Nutzungsuntersagung für grenzständige Nebengebäude
Normenkette:
BayBO Art. 6 Abs. 7 S. 1 Nr. 1, Art. 76 S. 2
Leitsatz:
Sind mit einer Baugenehmigung „unter einem Dach“ zwei voneinander getrennte „Nutzungseinheiten“ genehmigt worden, nämlich eine direkt an der Grundstücksgrenze liegende, nach dem Innenmaß 3 m breite Garage, die nur über das Kipptor auf der Gebäudenordseite zugänglich war, und eine als Lager/Büro/Abstellraum (mit WC) gekennzeichnete Nutzungseinheit, die mehr als 3 m von der Grundstücksgrenze entfernt lag und die ausschließlich über eine separate Außentür an der (von der Grundstücksgrenze abgewandten) Westseite des Gebäudes betreten werden konnte, sich aber die gegenwärtige Situation jedenfalls so darstellt, dass das Gesamtgebäude als eine einzige, unmittelbar an der Grundstücksgrenze situierte Nutzungseinheit erscheint, die für eine Büronutzung mit Nebenräumen (Flur, WC, Lagerraum) konzipiert ist, so weicht dies von der genehmigten Planung so stark ab, dass das Gebäude als „aliud“ erscheint und deshalb seine Nutzung insgesamt nicht von der Baugenehmigung gedeckt ist. (Rn. 52 – 53) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
für sofort vollziehbar erklärte Nutzungsuntersagung, besonderes öffentliches Interesse, Gebäude mit Aufenthaltsräumen an der Grundstücksgrenze, „aliud“, Nutzungsuntersagung, Baugenehmigung, aliud, Abstandsfläche, Garage
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 04.01.2023 – 1 CS 22.1971
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21994
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsteller begehren Eilrechtsschutz gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Nutzungsuntersagung.
2
Mit Bescheid vom 22. März 2004 erteilte das Landratsamt ... der damaligen Eigentümerin des Grundstücks Flurnummer … der Gemarkung … (Vorhabengrundstück) eine Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilienhauses mit Garage. Nach den genehmigten Plänen sollte das Garagengebäude als Grenzgebäude mit einer Länge von 8,0 m an der östlichen Grundstücksgrenze errichtet werden (Nachbargrundstück: Flurnummer …). Die 8,91 m breite Garage sollte zwei Räume beinhalten, unmittelbar an der Grundstücksgrenze einen 3,00 m (Innenmaß) breiten „Abstellraum“ und daneben einen 5,13 m (Innenmaß) breiten Garagenraum, der für zwei PKWs Platz bot. Für „die Grenzgarage mit mehr als 50 qm Nutzfläche und für den Bereich zwischen Wohnhaus und Garage“ wurde eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften erteilt.
3
Mit Schreiben vom 4. August 2004 teilte die Gemeinde … dem Landratsamt mit, die Nachbarn hätten festgestellt, dass bei der Grenzgarage das Garagentor zugemauert werde. Offensichtlich solle sie als Elektrotechnik-Büro mit Lager genutzt werden.
4
Die damalige Eigentümerin des Vorhabengrundstücks stellte daraufhin einen nur die Garage betreffenden Tekturantrag. Mit Telefax vom 13. August 2018 übersandte sie das Deckblatt des Tekturplans, das für das Grundstück Flurnummer … eine Nachbarunterschrift enthielt.
5
Das Landratsamt erteilte der damaligen Eigentümerin des Vorhabengrundstücks daraufhin mit Bescheid vom 25. August 2004 die Tekturgenehmigung. Diese sah unter Beibehaltung von Situierung und Kubatur des grenzständigen Gebäudes eine geänderte Raumaufteilung vor. Unmittelbar an der Grundstücksgrenze sollte eine 3,00 m (Innenmaß) breite Einzelgarage entstehen, daneben ein 5,00 m (Innenmaß) breiter Raum, der in den Plänen als „Lager/Büro/Abstellraum“ bezeichnet ist und zusätzlich ein kleines, räumlich abgetrenntes WC beinhaltete.
6
Nach einer am 30. April 2008 nachgereichten Erklärung der damaligen Eigentümerin erfolgte die Nutzungsaufnahme des Vorhabens im November 2004.
7
Im Jahr 2019 erwarben die Antragsteller das Eigentum am Vorhabengrundstück von der Voreigentümerin.
8
Aufgrund einer Nachbarbeschwerde, dass auf dem Vorhabengrundstück „seit 2004 gebaut“ werde, nahm das Landratsamt am 27. Februar 2020 eine Baukontrolle vor.
9
Mit Schreiben vom 30. Juni 2020 teilte das Landratsamt den Antragstellern mit, dass auf dem Vorhabengrundstück diverse bauliche Anlagen ohne Vorliegen einer baurechtlichen Genehmigung und abweichend von der ursprünglichen Baugenehmigung errichtet worden seien. Die Antragsteller wurden aufgefordert, bis spätestens zum 15. August 2020 einen entsprechenden Bauantrag über die Gemeinde einzureichen. Die Antragsteller wurden zusätzlich darauf hingewiesen, dass die Grenzbebauung auf ihrem Grundstück die maximal zulässige Länge von 15 m bei weitem übersteige. Eine nachträgliche Legalisierung der die Abstandsflächen gegenüber den Nachbargrundstücken nicht einhaltenden Nebengebäude werde somit nur mittels Abstandsflächenübernahme durch die Eigentümer der Nachbargrundstücke möglich sein. Sollte der Nachweis zur Übernahme der Abstandsflächen nicht beigebracht werden können, werde das Landratsamt die Antragsteller auffordern müssen, die Gebäude so zurückzubauen, dass sie dem Abstandsflächenrecht entsprächen.
10
Der Bevollmächtigte der Antragsteller nahm mit Schreiben vom 22. September 2020 Stellung. Er kündigte eine Abstandsflächenübernahmeerklärung durch den Eigentümer des Grundstücks Flurnummer … (westlich angrenzendes Nachbargrundstück) an und führte aus, dass ein Anlass auf bauaufsichtliches Einschreiten aufgrund des Antrags des östlichen Nachbarn nicht bestehe.
11
Mit Schreiben vom 27. Juli 2021 teilte das Landratsamt dem Bevollmächtigten der Antragsteller mit, die angekündigte Abstandsflächenübernahmeerklärung des Nachbarn auf Flurnummer … liege noch nicht vor. Das zu Flurnummer … grenzständige Nebengebäude werde abweichend von den genehmigten Plänen vollständig als Büro genutzt. Auch hierfür sei eine Abstandsflächenübernahmeerklärung der betroffenen Eigentümer des Nachbargrundstücks erforderlich. Als spätesten Termin für die Einreichung der erforderlichen Abstandsflächenübernahmeerklärungen habe man sich den 30. August 2021 vorgemerkt. Für die südliche Terrassenüberdachung mit einer Größe von mehr als 50 m² sei ein Bauantrag einzureichen, für den eine Frist bis zum 30. September 2021 gesetzt werde.
12
Mit Schreiben vom 7. Oktober 2021 führte der Bevollmächtigte der Antragsteller gegenüber dem Landratsamt aus: Die Antragsteller hätten mit den Eigentümern des Grundstücks Flurnummer … vereinbart, anstelle einer Abstandsflächenübernahmeerklärung eine Regelung durch die Bestellung einer Dienstbarkeit herbeizuführen. Die Schaffung der notariellen Urkunde stehe bevor. Das zur Flurnummer … grenzständige Nebengebäude sei als Bürogebäude mit Lagerraum/Garage genehmigt. In dem bestandskräftigen Bescheid vom 22. März 2004 in Verbindung mit dem ebenfalls bestandskräftigen Bescheid vom 25. August 2004 sei die Abweichung von Abstandsflächenvorschriften zum Nachbargrundstück sowie zwischen Wohnhaus und Nebengebäude genehmigt. Eine genehmigte Bebauung falle nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 und 2 BayBO a. F. bzw. Art. 6 Abs. 7 Satz 1 und 2 BayBO in der Fassung vom 25. Mai 2021. Deshalb bleibe die Beurteilung nach den Vorgaben für ein privilegiertes Gebäude und auch die Länge dieser Bebauung bei der Berechnung der Einhaltung der Längenbegrenzung von 15 m außer Betracht. Die Äußerung des Landratsamts im Schreiben vom 27. Juli 2021, das in Rede stehende Nebengebäude würde planabweichend ausschließlich als Büro genutzt, sei auch unzutreffend. Der an der Grundstücksgrenze liegende Gebäudeteil werde ausschließlich als Lagerbzw. Abstellraum genutzt und sei aufgrund seiner Belichtung zum ständigen Aufenthalt von Menschen ungeeignet. Der Bauantrag für die Terrassenüberdachung sei bei der Gemeinde eingereicht worden.
13
Am 18. Oktober 2021 befasste sich der Bauausschuss der Gemeinde … mit dem Bauantrag der Antragsteller zum „Neubau einer Pergola“. In der Sitzungsvorlage ist ausgeführt, dass auf dem 1000 m² großen Grundstück einschließlich Zufahrten eine Fläche von ca. 549,59 m² versiegelt sei. Das Grundstück sei nach § 34 BauGB zu beurteilen. Das Bauvorhaben füge sich aufgrund der Größe und Dichte nicht in die Umgebung ein. Das gemeindliche Einvernehmen zum Bauantrag wurde verweigert.
14
Am 28. Oktober 2021 nahm das Landratsamt eine weitere Baukontrolle vor, bei der die Innenräume des grenzständigen Garagengebäudes besichtigt wurden.
15
Mit Schreiben vom 25. November 2021 teilte das Landratsamt dem Bevollmächtigten der Antragsteller mit, dass nach dem bei der Baukontrolle gefertigten Bildmaterial das Nebengebäude an der östlichen Grundstücksgrenze vollständig als Büro genutzt werde. Die an der Grundstücksgrenze befindlichen Räume „Flur“ und „Lager“ seien nicht baulich abgetrennt und würden der Erschließung der Hauptnutzung dienen. Außerdem besitze der als „Lager“ bezeichnete Raum Aufenthaltsraumqualität. Da eine nachträgliche Legalisierung nicht möglich sei, würden die Antragsteller aufgefordert, die „Gebäudlichkeiten“ so zurückzubauen, dass sie den mit Bescheid vom 25. August 2004 genehmigten Plänen entsprächen. Als spätesten Termin für den Rückbau habe man sich den 15. Februar 2022 vorgemerkt. Sollte die Frist ungenutzt verstreichen, sei man gehalten, den Rückbau mittels zwangsgeldbewehrter Anordnung durchzusetzen.
16
Mit Bescheid vom 17. Februar 2022 erließ das Landratsamt gegenüber den Antragstellern folgende Regelung:
17
„1. Der Bauherrengemeinschaft wird auferlegt,
18
die Übernahme der Abstandsflächen - für die das gesetzliche Maß (vgl. Art. 6 Abs. 7 BayBO) überschreitenden, grenzständigen Gebäude - mittels Abstandsflächenübernahmeerklärung oder durch Grunddienstbarkeit innerhalb von 1 Monat ab Bestandskraft dieses Bescheides bei der unteren Bauaufsichtsbehörde des Landratsamtes ... einzureichen oder
19
die auf dem Grundstück vorhandene Grenzbebauung innerhalb von 2 Monaten ab Bestandskraft dieses Bescheides durch vollständigen Rückbau von Gebäudlichkeiten auf ein abstandsflächen-rechtlich konformes Maß - max. 9 m Grenzbebauung an einer Grundstücksgrenze sowie max. 15 m Grenzbebauung auf dem Gesamtgrundstück (vgl. Art. 6 Abs. 7 BayBO) - zu begrenzen.“
20
2. Bei Abstandsflächenübernahme mittels Grunddienstbarkeit ist der grundbuchamtliche Vollzug bis spätestens zwei Monate ab Bestandskraft dieses Bescheides nachzuweisen.
21
3. Falls die Verpflichteten der Anordnung unter Ziffer 1. nicht oder nicht vollständig innerhalb der festgesetzten Frist nachkommen, wird ein Zwangsgeld von EUR 5.000,00 zur Zahlung fällig.
22
4. Falls die Verpflichteten der Anordnung unter 3. [richtig: 2.] nicht oder nicht vollständig innerhalb der festgesetzten Frist nachkommen, wird ein Zwangsgeld von EUR 1.000,00 zur Zahlung fällig.
24
Zur Begründung führte das Landratsamt im Wesentlichen an, die Beseitigung des Vorhabens werde angeordnet, weil die Voraussetzungen nach Art. 76 Satz 1 BayBO gegeben seien. Die Grenzbebauung auf dem Grundstück übersteige die nach Abstandsflächenrecht maximal zulässige Länge von 15 m bei weitem. Aufgrund dessen werde es der Bauherrenschaft überlassen, das mildere Mittel der Beibringung einer Abstandsflächenübernahmeerklärung zu wählen. Sollte aus faktischen Gründen dies nicht möglich sein, sei die Beseitigung der Nebengebäude, wie unter Ziffer 1 Alternative 2 des Bescheids angeordnet, das einzig mögliche Mittel, um baurechtskonforme Zustände herzustellen.
25
Der Bescheid wurde dem Bevollmächtigten der Antragsteller am 22. Februar 2022 zugestellt.
26
Am 8. März 2022 führte das Landratsamt eine weitere Baukontrolle durch. Nach den Feststellungen des Baukontrolleurs war ein Rückbau nicht erfolgt.
27
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 22. März 2022, der am selben Tag bei Gericht einging, erhoben die Antragsteller gegen den Bescheid vom 17. Februar 2022 Klage, die bei der Kammer unter dem Aktenzeichen M 11 K 22.1752 anhängig ist. Eine Klagebegründung wurde angekündigt.
28
Mit Bescheid vom 25. April 2022 änderte das Landratsamt die Vorhabenbezeichnung des Bescheides vom 17. Februar 2022 („Errichtung mehrerer bauliche Anlagen ohne Baugenehmigung“) in „Errichtung dreier grenzständiger Nebengebäude (Schuppen Nordwestecke, Carport Nordost, Nebengebäude Südostecke) mit einer Länge von mehr als 15 m an der Grundstücksgrenze entgegen abstandsflächenrechtlicher Vorschriften“ ab.
29
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Erlass des Änderungsbescheids sei angezeigt gewesen, um die Vorhabenbezeichnung zu konkretisieren und den Gegenstand des Bescheides auf einen Blick sichtbar zu machen. Dies sei erfolgt, um unter anderem dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 37 BayVwVfG hinreichend Genüge zu tun und den Gegenstand des Bescheides eindeutig erkennbar zu machen.
30
Mit Bescheid vom 26. April 2022 wurde den Antragstellern auferlegt, das an der östlichen Grundstücksgrenze befindliche Nebengebäude - vollständig genutzt und ausgebaut zu Büroräumen - innerhalb von zwei Monaten ab Bestandskraft des Bescheides so zurückzubauen, dass es den mit Bescheid vom 25. August 2004 genehmigten Plänen (Garage mit Lagerraum/Büro) entspreche (Nummer 1). Den Antragstellern wurde ferner aufgegeben, die Büronutzung im vorgenannten Gebäude zu unterlassen, bis der plankonforme Umbau des Gebäudes - wie unter 1. gefordert - abgeschlossen sei (Nummer 2). Nummer 2 wurde für sofort vollziehbar erklärt (Nummer 3). Für den Fall, dass die Verpflichteten der Rückbauordnung unter Nummer 1 nicht oder nicht vollständig innerhalb der festgesetzten Frist nachkämen, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 6.000,- EUR angedroht (Nummer 4). Für den Fall eines Verstoßes gegen die unter Nummer 2 verfügte Nutzungsuntersagung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,- EUR angedroht (Nummer 5).
31
Zur Begründung führte das Landratsamt in Bezug auf die Beseitigungsanordnung aus: Rechtmäßige Zustände könnten nur durch den vollständigen Rückbau des Vorhabens auf das mit der Tekturgenehmigung vom 25. August 2004 genehmigte Maß hergestellt werden. Eine bauliche Anlage im Sinne des Art. 6 Abs. 7 BayBO, die in den Abstandsflächen sowie ohne eigene Abstandsflächen zulässig sei, sei offenkundig nicht gegeben. In Bezug auf die Nutzungsuntersagung wurde ausgeführt, das Vorhaben sei bereits formell illegal, weil die monierte Nutzung aufgenommen worden sei, ohne dass eine entsprechende Baugenehmigung vorliege. Im vorliegenden Fall komme hinzu, dass auch gegen materielles Baurecht verstoßen werde und eine nachträgliche Legalisierung ausscheide. Das Vorhaben verstoße gegen geltendes Abstandsflächenrecht. Die sofortige Vollziehung sei angeordnet worden, weil sie im überwiegenden privaten Interesse eines Beteiligten liege, das über das bloße, für jeden Verwaltungsakt erforderliche öffentliche Interesse an seinem Vollzug hinausgehe. Dem privaten Interesse der Verpflichteten komme ein vergleichsweise geringes Gewicht zu, weil mit dem Vollzug der Anordnung kein Substanzverlust verbunden sei, die damit verbundenen Kosten überschaubar seien und die untersagte Nutzung innerhalb kurzer Zeit und unter vertretbarem Aufwand wieder aufgenommen werden könne. Demgegenüber stehe das besondere private Interesse der Nachbarn an der baldigen Herstellung ordnungsgemäßer Zustände auf dem Anwesen. Das planabweichend errichtete Gebäude verstoße gegen geltendes Abstandsflächenrecht. Die Verpflichteten würden das Gebäude ausschließlich als Bürogebäude nutzen. Es stehe direkt auf der benachbarten Grundstücksgrenze und habe zudem Fensteröffnungen direkt an der den Grundstücksnachbarn zugewandten Seite, was beim Öffnen zudem zu einer Geräuschbelästigung derselben führe. Im Brandfall wäre ein Funkenüberschlag auf das nachbarliche Anwesen nicht auszuschließen. Im Übrigen müsse im öffentlichen Interesse verhindert werden, dass einzelne Personen bis zur rechtskräftigen Entscheidung aus einer ordnungswidrig genutzten Anlage Vorteile zögen, weil dadurch andere zur Nachahmung angespornt würden.
32
Die beiden Bescheide vom 25. April 2022 und vom 26. April 2022 wurden dem Bevollmächtigten der Antragsteller jeweils am 4. Mai 2022 zugestellt.
33
Mit Schreiben vom 12. Mai 2022 wandte sich der Bevollmächtigte der Antragsteller an das Landratsamt. Er kündigte eine Klage gegen den Bescheid von 26. April 2022 an und beantragte zur Vermeidung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO, die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nutzungsuntersagung sowie die Zwangsgeldandrohung bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung im Verwaltungsrechtsstreit auszusetzen. Zur Begründung führte er aus, die Nutzung der im westlichen Teil des Nebengebäudes befindlichen Räume als Büro könne nicht untersagt werden, weil diese Nutzung ausweislich der bestandskräftigen Baugenehmigung zulässig sei. Die im östlichen Teil des Nebengebäudes gelegene Räumlichkeit mit einer Nutzfläche von etwa 22 m² sei nie als Büro genutzt worden. Der Raum diene als Garage/Lager/Abstellfläche und sei insgesamt aufgrund seiner fehlenden Belichtung zum ständigen Aufenthalt von Menschen ungeeignet. Das Nebengebäude sei eine Nutzungseinheit mit einer Nutzungsmischung. Innerhalb dieses Gebäudes sei es genehmigungsfrei zulässig, eine Tür sowie die dazu bestimmte Öffnung herzustellen. Eine bauliche Trennung innerhalb der Nutzungseinheit, die es ausschließen würde, eine genehmigungsfreie Tür nebst Türöffnung herzustellen, finde in der BayBO keine Grundlage. Das Landratsamt verkenne zudem den Begriff der Garage, denn auch S-Pedelecs, Mopeds, Mofas, Motorroller etc. seien Kraftfahrzeuge, für deren Unterstellung der östliche Raum des Nebengebäudes geeignet und bestimmt sei. Die Außenwand des Nebengebäudes zum östlich gelegenen Grundstück sei nicht verändert worden. Auch eine abstandsflächenrechtlich relevante Nutzungsänderung sei nicht vorgenommen worden. Es sei nicht ein nach Art. 2 Abs. 7 Nr. 1 BayBO privilegiertes Nebengebäude einer Nutzungsänderung unterzogen worden, weil es sich bei dem in Rede stehenden Nebengebäude um ein solches handele, das nicht privilegiert, sondern genehmigungspflichtig gewesen und für das eine Genehmigung unter Abweichung von Abstandsflächenvorschriften erteilt worden sei. Dementsprechend sei unter keinem Gesichtspunkt ein durch das Abstandsflächenrecht geschützter Belang tangiert. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei schon deshalb rechtswidrig, weil die angeblich zu schützenden privaten Interessen nicht bestünden. Die Eigentümer des östlichen Grundstücks Flurnummer … hätten, die Grundstücksgrenze zu den Antragstellern um 0,14 m überbauend, auf einer Länge von 12 m ohne Baugenehmigung eine Garage mit Werkstatt errichtet. An derselben Grenze hätten die Eigentümer des Grundstücks Flurnummer … ferner einen Pavillon mit einer Wandlänge zur Grundstücksgrenze von 4 m errichtet. Insgesamt hätten die Nachbarn an der Grundstücksgrenze innerhalb der Abstandsflächentiefe Gebäude mit einer Gesamtlänge von 16 m errichtet. Derjenige, der selbst mit seinem Gebäude die erforderlichen Abstandsflächen nicht einhalte, könne billigerweise nicht verlangen, dass der Nachbar die Abstandsflächen freihalte. Der Schutzanspruch wäre schließlich auch materiell verwirkt, weil der in Rede stehende Baukörper seit Jahren die nun angegriffene Eigenschaft aufweise.
34
Mit Schriftsatz vom 31. Mai 2022 begründete der Bevollmächtigte der Antragsteller die Klage vom 22. März 2022: Das in der südöstlichen Ecke des Vorhabengrundstücks vorhanden gewesene Gebäude bestehe nicht mehr. Die Summe der Wandlängen der privilegierten Gebäude zum östlichen Nachbarn hin, der ein bauaufsichtliches Einschreiten beantrage, habe 7,09 m betragen und betrage aktuell 4,69 m. Die Summe der Länge der die Abstandsflächentiefe gegenüber den Grundstücksgrenzen nicht einhaltenden privilegierten Bebauung habe 19,18 m betragen und betrage aktuell 14,79 m. Das Grundstück des östlichen Nachbarn auf Flurnummer … sei an der Grundstücksgrenze bzw. innerhalb der Abstandsflächentiefe mit einem Carport nebst angeschlossener Werkstatt bebaut, wobei das Grundstück der Antragsteller zudem um 14 cm überbaut sei. Außerdem befinde sich im Abstand von 0,5 m zur Grundstücksgrenze noch ein Pavillon mit einer Wandlänge von 4,50 m. Die Summe der Wandlängen in der Abstandsflächentiefe betrage 16,50 m und überschreite die Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9 m um 7,50 m. Die Grenzbebauung nebst Überbau sei dem Landratsamt bekannt. Das bauaufsichtliche Einschreiten des Landratsamts auf Antrag des östlichen Nachbarn sei rechtswidrig. Derjenige, der selbst mit seinem Gebäude die erforderlichen Abstandsflächen nicht einhalte, könne billigerweise nicht verlangen, dass der Nachbar die Abstandsflächen freihalte. Überdies sei eine Verletzung nachbarschützender Normen regelmäßig nur anzunehmen, wenn die von der rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehende Beeinträchtigung einen erheblichen Grad erreiche und die Abwägung ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergebe. Davon sei hier nicht auszugehen. Der angegriffene Bescheid sei zu unbestimmt. Er lasse für die Alternative der Abstandsflächenübernahme offen, wo eine Abstandsflächenübernahme in welcher Größenordnung herbeizuführen sei. In der anderen Alternative lasse der Bescheid offen, welcher vollständige Rückbau von bestimmten Gebäuden oder bestimmten Gebäudeteilen auf ein abstandsflächenkonformes Maß spezifisch gefordert werde. Die Zwangsgeldandrohung sei rechtswidrig, weil mangels hinreichender inhaltlicher Bestimmtheit kein vollstreckungsfähiger Verwaltungsakt vorliege. Die aktuelle Grenzbebauung halte die Vorgaben des Art. 6 Abs. 7 BayBO ein, sodass, auch wenn ein Rückbau aus den oben dargelegten Gründen nicht habe gefordert werden dürfen, insoweit Erledigung eingetreten sein dürfte. Wegen der Unbestimmtheit gingen die Antragsteller allerdings nicht von einer Erledigung aus. Hilfsweise werde die Feststellung beantragt, dass der Bescheid vom 17. Februar 2022 rechtswidrig gewesen sei. Die Antragsteller hätten ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, weil die streitgegenständliche Anordnung das Eigentum tangiere und die nachbarrechtlichen Ausgleichs- und Rücksichtnahmepflichten im Interesse zukünftigen Rechtsfriedens klärungsbedürftig seien.
35
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 3. Juni 2022, der am 4. Juni 2022 bei Gericht einging, erhoben die Antragsteller gegen den Bescheid des Landratsamts vom 26. April 2022 Klage, die bei der Kammer unter dem Aktenzeichen M 11 K 22.2963 anhängig ist.
36
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Im Innenraum des Nebengebäudes habe die Rechtsvorgängerin der Antragsteller den Büroraum durch eine Leichtbauwand mit Türöffnung geteilt und zum Garagentrakt eine Tür sowie die dazu bestimmte Öffnung hergestellt. Das Kipptor der Garage sei vor etwa neun Jahren durch eine Tür ersetzt worden, die die Fortsetzung der Garagennutzung mit Krafträdern ermöglicht habe. Die ursprüngliche Grundaufteilung des Nebengebäudes sei unberührt geblieben. Der Bevollmächtigte der Antragsteller vertiefte sein früheres Vorbringen (Schriftsatz an das Landratsamt vom 12. Mai 2022 und Klage vom 31. Mai 2022, s.o.), mit welchen Anlagen das östliche Nachbargrundstück Flurnummer … an der Grundstücksgrenze bebaut sei und dass derjenige, der selbst die erforderlichen Abstandsflächen nicht einhalte, billigerweise nicht verlangen könne, dass dies der Nachbar tue. Im konkreten Fall gingen von dem streitgegenständlichen Nebengebäude überhaupt keine Beeinträchtigungen aus. Die im westlichen Teil des Nebengebäudes liegenden Büroräume würden ausschließlich als Privatbüro und nicht unternehmerisch genutzt. Es gebe keinen Publikumsverkehr, keinen Lärm, keine sonstigen Immissionen, keine Verschattung, keine Einblicksmöglichkeiten und dementsprechend keinen Anhaltspunkt für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots. Der Bevollmächtigte der Antragsteller vertiefte außerdem seine Auffassung, dass keine abstandsflächenrelevanten Merkmale betroffen seien, das Landratsamt den Begriff der Garage verkenne und ein etwaiger Schutzanspruch des Nachbarn materiell verwirkt wäre. Der östliche Grundstücksnachbar verfolge Intentionen, die aus persönlicher Abneigung entstanden und als rechtsmissbräuchlich zu bewerten seien.
37
Mit weiterem Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 3. Juni 2022, der am 7. Juni 2022 bei Gericht einging, beantragten die Antragsteller zusätzlich,
38
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamts vom 26. April 2022, „Ziffern 2, 3“ wiederherzustellen.
39
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen: Die Anordnung des Landratsamts sei auf Antrag der Eigentümer des östlichen Grundstücks Flurnummer … erfolgt. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nutzungsuntersagung erweise sich bei summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtswidrig. Erst recht fehle es an einem besonderen Vollzugsinteresse. Ausweislich des Wortlauts des angegriffenen Bescheids sei die sofortige Vollziehung angeordnet worden, weil sie im überwiegenden Interesse eines Beteiligten liege. Das Landratsamt habe das überwiegende Interesse des Nachbarn herangezogen, der einen ungenehmigten, in der Abstandsfläche zum Grundstück der Antragsteller liegenden Schwarzbau errichtet habe, um die Nutzung des unter Abweichung von Abstandsflächen genehmigten Gebäudes der Antragsteller in einer ebenfalls genehmigten und seit Jahren zulässig ausgeübten Nutzungsart als Büro mit sofortiger Wirkung zu untersagen. Bereits auf den ersten Blick dränge sich die Obskurität, die Abwegigkeit der Entscheidung und die Abgewandtheit von den Grundsätzen der Rechtmäßigkeit der Verwaltung auf. Im Übrigen vertiefte der Bevollmächtigte der Antragsteller sein bisheriges Vorbringen.
40
Mit Schriftsatz vom 7. Juni 2022 bezog der Bevollmächtigte der Antragsteller den Änderungsbescheid vom 25. April 2022 in das Klageverfahren M 11 K 22.1752 ein.
41
Am 20. Juni 2022 führte das Landratsamt eine weitere Baukontrolle durch. Der Baukontrolleur stellte unter anderem fest, dass ein in der Südostecke vorhanden gewesenes Nebengebäude zurück gebaut worden sei. Im Garagengebäude sei keine Veränderung erkennbar.
42
Mit Schriftsatz vom 18. Juli 2022 beantragte das Landratsamt,
43
den Antrag abzulehnen.
44
Zur Begründung führte das Landratsamt im Wesentlichen aus, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Nutzungsuntersagung in der Regel gerechtfertigt sei, wenn die Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO vorlägen, wofür bereits die formelle Illegalität der baulichen Anlage ausreiche. Die Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO seien hier unstrittig erfüllt. Die sofortige Aufgabe der baurechtlich illegalen Nutzung sei für die Antragsteller mit keinem Substanzverlust verbunden. Die vom Bevollmächtigten der Antragsteller angeführten Gründe, weshalb seiner Ansicht nach keine von den genehmigten Plänen abweichende Nutzung vorläge, würden durch Einsichtnahme in die Akten widerlegt. Es sei offenkundig, dass das streitgegenständliche Gebäude abweichend von den genehmigten Plänen errichtet worden sei und genutzt werde. Es seien bis dato keine Gesichtspunkte vorgetragen worden, die das Landratsamt veranlassen würden, von seiner bisherigen Rechtsauffassung abzurücken.
45
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
46
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Nummer 2 des Bescheids vom 26. April 2022 verfügte und in Nummer 3 dieses Bescheids für sofort vollziehbar erklärte Nutzungsuntersagung wiederherzustellen, ist unbegründet.
47
1. Die vom Landratsamt im Bescheid angeführte Begründung der Vollzugsanordnung genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die auf den Seiten 5 (unten) und 6 des Bescheids eigenständig angeführten Erwägungen sind nicht lediglich formelhaft, sondern auf den konkreten Einzelfall bezogen. Sie lassen erkennen, welche Überlegungen die Behörde zur Anordnung des Sofortvollzugs veranlasst haben.
48
Soweit die Antragsteller vorbringen, dass die vom Landratsamt angegebene Begründung der Vollzugsanordnung inhaltlich unzutreffend sei, insbesondere, weil die Behörde das private Interesse der Grundstücksnachbarn unzutreffend gewichtet habe, ist daraus ein Verstoß gegen die in § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO normierte Begründungspflicht nicht abzuleiten. Die in dieser Vorschrift geforderte besondere schriftliche Begründung ist eine formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Vollzugsanordnung, auf deren inhaltliche Richtigkeit und Tragfähigkeit es für die Frage, ob der Begründungspflicht Genüge getan wurde, nicht ankommt (SchochKoVwGO/Schoch, 41. EL Juli 2021, VwGO § 80 Rn. 245 f.; Eyermann/Hoppe, 16. Aufl. 2022, VwGO § 80 Rn. 54 f.; Wysk/Buchheister, 3. Aufl. 2020, VwGO § 80 Rn. 25). Das Gericht trifft im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene Interessenabwägung, bei der es an die von der Behörde angestellten Erwägungen nicht gebunden ist (Wysk/Buchheister a. a. O.).
49
2. Im vorliegenden Fall überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Nutzungsuntersagung das private Interesse der Antragsteller an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
50
a) Die Nutzungsuntersagung ist voraussichtlich rechtmäßig.
51
aa) Nach Art. 76 Satz 2 BayBO setzt eine Nutzungsuntersagung tatbestandlich voraus, dass Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden. Hierfür genügt nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bereits die formelle Illegalität dieser Nutzung, d. h. das Fehlen einer erforderlichen Baugenehmigung (z. B. BayVGH, Beschluss vom 27. Juli 2021 - 1 CS 21.153 - juris Rn. 10).
52
Im vorliegenden Fall ist die ausgeübte Nutzung des Nebengebäudes formell rechtswidrig, weil sie genehmigungspflichtig ist, aber von der vorliegenden Tekturgenehmigung für das Nebengebäude vom 25. August 2004 nicht getragen wird. Mit dieser Tekturgenehmigung wurden dem mit Genehmigungsvermerk versehenen Plan zufolge „unter einem Dach“ zwei voneinander getrennte „Nutzungseinheiten“ genehmigt, nämlich eine direkt an der Grundstücksgrenze liegende, nach dem Innenmaß 3 m breite Garage, die nur über das Kipptor auf der Gebäudenordseite zugänglich war, und eine als Lager/Büro/Abstellraum (mit WC) gekennzeichnete Nutzungseinheit, die mehr als 3 m von der Grundstücksgrenze entfernt lag und die ausschließlich über eine separate Außentür an der (von der Grundstücksgrenze abgewandten) Westseite des Gebäudes betreten werden konnte. Eine Verbindungstür im Inneren des Gebäudes zwischen der Garage und dem als Lager/Büro/Abstellraum (mit WC) bezeichneten Raum bestand nicht. Das damals geltende Abstandsflächenrecht sah - wie auch das heutige - für die Errichtung von Gebäuden mit Aufenthaltsräumen eine grundsätzliche Mindestabstandsflächentiefe von 3 m vor. Privilegiert waren unter bestimmten weiteren Voraussetzungen u. a. „Garagen einschließlich deren Nebenräume mit einer Gesamtnutzfläche bis zu 50 m²“ - von dieser Flächenbegrenzung wurde eine Abweichung erteilt - und „Nebengebäude ohne Feuerstätte mit bis zu 20 m²“ (Art. 7 Abs. 4 Satz 1 BayBO damalige Fassung), nicht aber Gebäude mit Aufenthaltsräumen. Es liegt auf der Hand, dass mit der gewählten Aufteilung des Gebäudes in zwei separate Nutzungseinheiten sichergestellt werden sollte, dass die Nutzungseinheit „Lager/Büro/Abstellraum“, die Aufenthaltsraumqualität aufwies, den Mindestabstand von 3 m zur Grenze wahrte.
53
Die gegenwärtig vorhandene Raumaufteilung des Gebäudes weicht von dieser genehmigten Planung so stark ab, dass sich das Gebäude insgesamt als „aliud“ darstellt, das von der vorliegenden Genehmigung nicht mehr getragen wird. Aus dem bei oder nach der Baukontrolle vom 28. Oktober 2021 gefertigten Grundrissplan (Bl. 52 d. A.) ist zum einen ersichtlich, dass es keine Garage mehr gibt, in der ein PKW untergebracht werden könnte. Soweit die Antragsteller vorbringen, dass man in dem in diesem Plan als „Lager“ bezeichneten Raum motorisierte Zweiräder unterstellen könnte, ist darauf hinzuweisen, dass sehr fraglich ist, ob dieser Raum aufgrund der Anforderungen des § 8 GaStellV überhaupt als Garage genutzt werden dürfte. Jedenfalls ist offensichtlich, dass dieser Raum, der nur über einen Flur zugänglich ist, nicht annähernd die Funktionalität des im genehmigten Tekturplan als „Garage“ bezeichneten Raumes besitzt. Vor allem aber kommt hinzu, dass die tatsächliche Raumaufteilung im Gegensatz zur genehmigten keine Trennung zwischen dem als Garage und dem auch eine Aufenthaltsnutzung erlaubenden weiteren Gebäudeteil vorsieht. Es gibt nur einen Eingang in das Gebäude, der sich zudem unmittelbar an der Grundstücksgrenze befindet, mit der Folge, dass die beiden Aufenthaltsräume im westlichen Teil des Gebäudes - im Grundrissplan des Baukontrolleurs (Bl. 52 d. A.) als „Büro“ und „Büro mit Teeküche“ bezeichnet - nur über diesen Eingang zugänglich sind. Ob der Lagerraum ebenfalls Aufenthaltsraumqualität besitzt, ist unerheblich. Insgesamt stellt sich nach Aktenlage, auch unter Berücksichtigung der vorliegenden Fotos (Bl. 50, 51), die gegenwärtige Situation jedenfalls so dar, dass das Gesamtgebäude als eine einzige, unmittelbar an der Grundstücksgrenze situierte Nutzungseinheit erscheint, die für eine Büronutzung mit Nebenräumen (Flur, WC, Lagerraum) konzipiert ist. Dies weicht von der genehmigten Planung so stark ab, dass das Gebäude als „aliud“ erscheint und deshalb die Nutzung des Gebäudes insgesamt nicht von der Baugenehmigung aus dem Jahr 2004 gedeckt ist.
54
Die Nutzung ist deshalb insgesamt formell rechtswidrig, weil sie gegenwärtig genehmigungspflichtig ist und auch in dem hier maßgeblichen Zeitraum seit 2004 immer genehmigungspflichtig war. Die BayBO sah in allen Fassungen seit 2004 zu keinem Zeitpunkt vor, dass im unbeplanten Innenbereich Gebäude mit einem Rauminhalt von mehr als 75 m³, die Aufenthaltsräume enthielten, verfahrensfrei errichtet werden durften (vgl. Art. 63 BayBO 1998, Art. 57 BayBO 2008).
55
bb) Das Landratsamt hat das ihm in Art. 76 Satz 2 BayBO eingeräumte Ermessen voraussichtlich in nicht zu beanstandender Weise betätigt. Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen (z. B. BayVGH, Beschluss vom 27. Juli 2021 - 1 CS 21.153 - juris Rn. 10) sind insoweit nur geringe Anforderungen zu stellen. Insbesondere muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben materiell genehmigungsfähig ist (BayVGH a. a. O.). Nur in besonderen Fällen, etwa bei einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens, kann sich die Ermessensbetätigung als unverhältnismäßig darstellen. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die gegenwärtige Nutzung ist mit dem Abstandsflächenrecht zumindest nicht ohne weiteres vereinbar, weil das unmittelbar an der Grundstücksgrenze situierte Gebäude mit seiner gegenwärtigen Raumaufteilung und mindestens zwei Aufenthaltsräumen (Räume „Büro“ und „Büro mit Teeküche“, Bl. 52 d. A.) eindeutig weder als „Garage“ noch als „Gebäude ohne Aufenthaltsräume“ im Sinne des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 und 2 BayBO qualifiziert werden kann. Soweit die Antragsteller näher vorbringen, dass die Bebauung auf dem Nachbargrundstück Flurnummer … ebenfalls Abstandsflächenrecht verletze, mag zwar nach Aktenlage nicht gänzlich auszuschließen sein, dass eine Befreiung von der Einhaltung der Abstandsflächen in Betracht kommt. Letztlich hängt dies jedoch von weiteren Umständen ab. Zum einen wird es darauf ankommen, ob eine etwaige dem Abstandsflächenrecht widersprechende Grenzbebauung auf dem Nachbargrundstück bestandsgeschützt ist. Ist sie es nicht, könnte das Landratsamt grundsätzlich dagegen vorgehen. Daneben kommt es auch darauf an, ob die etwaigen abstandsflächenrechtlichen Verstöße des Nachbarn gleichgewichtig sind. Insgesamt ist jedenfalls keine Situation gegeben, bei der sich ein Befreiungsanspruch geradezu aufdrängt und somit von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit auszugehen wäre.
56
Die ausgesprochene Nutzungsuntersagung dürfte deshalb rechtmäßig sein.
57
b) Angesichts dessen überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit das private Interesse der Antragsteller an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Nutzungsuntersagung in der Regel gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO vorliegen (vgl. z. B. BayVGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 1 CS 10.1793 - juris Rn. 21; vom 2. November 2011 - 2 CS 11.1558 - juris Rn. 3; vom 17. Oktober.2012 - 2 CS 12.1835 - juris Rn. 4).
58
Im vorliegenden Fall ist nach Ansicht der Kammer keine Ausnahmesituation gegeben, die es rechtfertigt, zu einer anderen Einschätzung zu gelangen. Das Interesse der Antragsteller, das Gebäude vorläufig weiter als Büro nutzen zu dürfen, ist nur gering zu gewichten. Die Antragsteller haben selbst vorgetragen, dass das Büro nur „privat“ genutzt werde und insbesondere auch kein Publikumsverkehr stattfinde. Angesichts dessen ist es den Antragstellern ohne weiteres zuzumuten, das grenzständige Gebäude vorläufig nicht mehr zu Bürozwecken zu nutzen, zumal nicht ersichtlich ist, dass die Antragsteller nicht auch im Wohnhaus eine entsprechende private Büronutzung ausüben können. Soweit die Antragsteller vorbringen, dass die Bebauung auf dem Nachbargrundstück Flurnummer … ebenfalls Abstandsflächenrecht verletze, bestehen zwar Zweifel daran, ob das Landratsamt zurecht angenommen hat, dass der Sofortvollzug im überwiegenden Interesse der Grundstücksnachbarn liegt. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, dass das Landratsamt nach Aktenlage zu diesem behaupteten Umstand des wechselseitigen Verstoßes bisher keine Stellung bezogen hat, obwohl der Bevollmächtigte der Antragsteller diese Problematik in mehreren Schriftsätzen explizit angesprochen hat. Letztlich kommt es aber auf die Gewichtung der privaten Interessen der Grundstücksnachbarn nicht an, weil unabhängig davon ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit besteht, das auch das Landratsamt im Rahmen seiner Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit bejaht hat. Auch dann, wenn die Grenzbebauung auf Flurnummer … nicht dem Abstandsflächenrecht entspräche, wäre das öffentliche Interesse, der negativen Vorbildwirkung einer zumindest formell rechtswidrigen Nutzung und der Verfestigung baurechtswidriger Zustände entgegenzuwirken, höher zu gewichten als das Interesse der Antragsteller, die Büronutzung vorläufig weiter ausüben zu können.
59
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. den Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs.