Titel:
Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle im Außenbereich
Normenkette:
BauGB § 34 Abs. 1, § 35 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 7, Abs. 4 S. 1 Nr. 2
Leitsatz:
Ein „vorhandenes Gebäude“ iSd § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BauGB ist ein solches, das zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Bauantrag in bestandsgeschützter Weise tatsächlich noch vorhanden ist. Es überzeugt nicht, bei „fehlgeschlagenen Umbaumaßnahmen“ den maßgeblichen Zeitpunkt für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen auf den Beginn der Arbeiten vorzuverlagern - dies auch nicht unter der Einschränkung, dass Abriss und Neuerrichtung in einem zeitlichen Zusammenhang stehen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abgrenzung Innen- und Außenbereich, Teilprivilegierung für Ersatzgebäude (verneint), Auslegung des Begriffs „vorhandenes Gebäude“ im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB, Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorhandensein des Gebäudes im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB, Zur Frage der nachträglichen Legalisierungsmöglichkeiten bei Anwendung des Begünstigungstatbestands des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB, Übertragbarkeit der Grundsätze der nachprägenden Wirkung auf § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB (verneint), Erweiterung einer Splittersiedlung, vorhandenes Gebäude, Bestandsschutz, maßgeblicher Zeitpunkt, nachprägende Wirkung, Außenbereich, Innenbereich, Splittersiedlung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21993
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt eine Baugenehmigung für den Ersatzneubau eines Wohnhauses mit Garage auf den Grundstücken Fl.Nrn. … und … der Gemarkung … (Vorhabengrundstück).
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Der Kläger ist seit 2008 Eigentümer des Vorhabengrundstücks, welches bislang mit einem Wohnhaus und einer Garage bebaut gewesen ist.
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Am 5. Mai 2014 beantragte der Kläger die Sanierung besagten Wohnhauses. Dieser Antrag wurde vom Landratsamt … (Landratsamt), gestützt auf § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB, mit Bescheid vom 15. Juni 2015 genehmigt. Der Kläger ließ in der Folge mehrere Arbeiten am Haus ausführen. Dabei wurden große Teile der Kellerwände, die Bodenplatte des Erdgeschosses und die den Erdgeschossfußboden aussteifenden Stahlträger erneuert. Ferner wurde die Bodenplatte des Kellergeschosses bis zur tragfähigen Kiesschicht tiefergelegt. Das Gebäude wurde hierfür ab der Erdgeschossebene temporär mit einer stählernen Hilfskonstruktion höher gelagert.
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Nachdem das Landratsamt bei einer Baukontrolle festgestellt hatte, dass über die genehmigten Sanierungsarbeiten hinausgehende Arbeiten am Bestandsgebäude ausgeführt worden seien, verfügte es aufgrund erheblicher Planabweichungen eine mündliche Baueinstellung und beschied diese am 16. November 2017. Hiergegen ist der Kläger zunächst mit Klage vom 18. Dezember 2017 vorgegangen, die er jedoch am 19. Februar 2019 zurückgenommen hat.
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Am 1. Oktober 2018 beantragte der Kläger für das Vorhabengrundstück eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohnhauses mit Garage mit der Begründung, dass die ursprünglich am 15. Juni 2015 genehmigte Erweiterung des Bestandsgebäudes wegen der erst bei Ausführung der Arbeiten zu Tage getretenen desolaten Bausubstanz fehlgeschlagen sei. Das gemeindliche Einvernehmen hierzu wurde erteilt.
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Nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 9. Januar 2019 lehnte das Landratsamt diesen Antrag mit Bescheid vom 4. Juli 2019 ab. Das Vorhaben beeinträchtige als nicht privilegiertes Vorhaben im Außenbereich öffentliche Belange. Auch die Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB seien nicht vollumfänglich gegeben. Aufgrund der erfolgten Arbeiten am Wohngebäude, die einen umfangreichen Eingriff in die Gebäudestatik darstellen würden, sei von einem Erlöschen des durch die Norm verwirklichten aktiven Bestandsschutzes auszugehen. Es fehle am vorhandenen Gebäude im Sinne der Norm. Zudem fehle es an weiteren Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB, was näher begründet wurde.
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Der Kläger hat am 22. Juli 2019 - gerichtet auf Erteilung der Baugenehmigung gemäß dem Bauantrag vom 12. September 2018 - Klage erhoben.
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Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Die Entscheidung über die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens richte sich nach § 34 BauGB. Nach Osten komme der … Straße trennende Wirkung für den Bebauungszusammenhang zu. Sowohl nördlich als auch westlich des streitgegenständlichen Grundstücks finde sich zum Teil massive Bebauung. Damit könne angenommen werde, dass das Grundstück von drei Seiten bebaut sei. Die Eigenart der näheren Umgebung sei durch eine aufgelockerte Bebauung geprägt, bei der auch eine Freifläche von ca. 90 m bis 130 Metern den Bebauungszusammenhang nicht unterbreche. Das beantragte Vorhaben füge sich als Ersatzbau in die nähere Umgebung ein.
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Hilfsweise trägt er vor, dass das Grundstück auch nach § 35 BauGB genehmigungsfähig sei, da es dem Begünstigungstatbestand des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB unterfalle. Es sei noch ein Gebäude im Sinne der Norm vorhanden, weil auf den Zeitpunkt des Beginns der Bauarbeiten und nicht auf den der Entscheidung über den Bauantrag abzustellen sei. Daher sei unschädlich, dass wesentliche Teile des Kellers und der Decke des Erdgeschosses aufgrund der nicht mehr gegebenen Standfestigkeit neu errichtet worden seien und dies ohne die erforderliche Genehmigung geschehen sei. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen habe in einem spiegelbildlichen Fall, in welchem nur noch ein Keller im Bestand vorhanden und der Rest des Gebäudes ohne Genehmigung abgebrochen worden sei, entschieden, dass ein vorhandenes Gebäude im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB vorliege, wenn es bei „fehlgeschlagenen Umbaumaßnahmen“ zwischen Abbruch und Neuerrichtung keine zeitliche Zäsur gebe (OVG NRW, U.v. 6.2.2015 - 2 A 1395/13). Gleiches müsse hier gelten. Dafür spreche auch, dass das Merkmal eines „beabsichtigten“ Ersatzbaus mit dem Baugesetzbuch 1987 weggefallen sei. § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BauGB entfalle nicht schon durch Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen, auch wenn sie den Charakter einer Neuerrichtung trügen. Wenn man forderte, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Bauantrag der genehmigte Bestand noch vorhanden sein müsse, würden in Fällen von „fehlgeschlagenen Umbau- bzw. Erweiterungsmaßnahmen“, bei denen es zu abweichenden Bauausführungen komme, die Fälle der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit gleichbehandelt. Dies widerspräche der Systematik des Baugesetzbuchs. So bestehe nach sämtlichen Genehmigungstatbeständen des Baugesetzbuchs die Möglichkeit, ein ohne Genehmigung errichtetes Gebäude nachträglich genehmigen zu lassen. Aus der Gesetzessystematik und der Gesetzesbegründung würden sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass dies gerade im Falle des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB anders sein solle mit der Folge, dass jede formell rechtswidrig begonnene Neubaumaßnahme zugleich materiell rechtswidrig würde. Die Eigentumsrechte würden andernfalls allein durch den formellen Rechtsverstoß unwiederbringlich eingeschränkt. Dies sei grob unverhältnismäßig und nicht Sinn und Zweck des Begünstigungstatbestands. Schließlich komme dem Bestandsgebäude eine nachprägende Wirkung zu. Es könne damit gerechnet werden, dass das Wohnhaus alsbald wieder errichtet werde. Auch die übrigen Voraussetzungen des Begünstigungstatbestands lägen vor, was näher begründet wurde.
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Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts … vom 4. Juli 2019 verurteilt, dem Kläger die Baugenehmigung gemäß dem Bauantrag vom 12. September 2018 zu erteilen.
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Der Beklagte beantragt,
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Die Klage wird abgewiesen.
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Das Grundstück befinde sich im Außenbereich, weil es nicht an einem Bebauungszusammenhang teilnehme. Aufgrund der eigenmächtig ausgeführten, weitgehend planabweichenden Arbeiten nach Erhalt der Baugenehmigung vom 15. Juni 2015 läge kein „vorhandenes“ Gebäude im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB mehr vor. Die Gebäudestatik sei durch das Anheben des Gebäudes und den Neubau des Kellergeschosses komplett beseitigt worden. Technisch liege eine Neugründung vor. Auch dem übrigen Vorbringen des Klägers wurde entgegengetreten.
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Die Kammer hat am 12. Mai 2022 durch Einnahme eines Augenscheins Beweis erhoben und anschließend die mündliche Verhandlung durchgeführt. Wegen der beim Augenschein getroffenen Feststellungen und des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Augenscheins- und Sitzungsniederschrift verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erteilung einer Baugenehmigung. Dem beantragten Bauvorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Maßgeblich im hier durchzuführenden vereinfachten Genehmigungsverfahren sind die Vorschriften des Art. 59 BayBO. Das Vorhaben widerspricht Bauplanungsrecht (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 lit. a BayBO i.V.m. §§ 29 ff. BauGB), weil es im Außenbereich liegt (nachfolgend 1.), nicht nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB begünstigt ist (nachfolgend 2.) und als sonstiges Vorhaben öffentliche Belange beeinträchtigt, weil es die Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt (§ 35 Abs. 2, 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB, nachfolgend 3.).
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1. Die Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich nach § 35 BauGB, da sich das Grundstück nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils befindet. Das Vorhabengrundstück liegt auch nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans.
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a) Die Anwendung des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB setzt einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil voraus. Die Tatbestandsmerkmale „im Zusammenhang bebaut“ und „Ortsteil“ gehen dabei nicht ineinander auf, sondern sind kumulativer Natur (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.2015 - 4 C 5.14 - juris Rn. 11).
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Ein „Bebauungszusammenhang“ ist gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden. Zu berücksichtigen sind dabei nur äußerlich erkennbare Umstände, d.h. mit dem Auge wahrnehmbare Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse (BVerwG, U.v. 6.12.1967 - IV C 94.66 - juris Rn. 26; U.v. 12.10.1990 - 4 C 40/87 - juris Rn. 22; U.v. 19. 4.2012 − 4 C 10/11 - juris Rn. 11; U.v. 30.6.2015 - 4 C 5/14 - BVerwGE 152, 275 = juris Rn. 16; B.v. 8.10.2015 - 4 B 28.15 - juris Rn. 5, m.w.N.). Eine unbebaute Fläche ist - als Baulücke - Teil des Bebauungszusammenhangs, wenn sie von der angrenzenden zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt wird, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung erscheint.
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„Ortsteil“ im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Bebauung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist nicht jede beliebige Anlage. Den Bebauungszusammenhang selbst herstellen oder zu seiner Entwicklung beitragen können nur Bauwerke, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden oder in einem weiteren Sinn „Nebenanlagen“ zu einer landwirtschaftlichen, (klein-) gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen (vgl. BVerwG, B.v. 16.7.2018 - 4 B 51.17 - juris Rn. 6; B.v. 5.4.2017 - 4 B 46.16 - juris Rn. 6 f.; BayVGH, B.v. 17.5.2022 - 15 ZB 22.832 - juris Rn. 9).
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b) Dies zugrunde gelegt befindet sich das Vorhabengrundstück nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils. Selbst wenn man der B. Straße trennende Wirkung beimessen wollte, wäre weder die zur Bebauung vorgesehene Fläche von drei Seiten bebaut, noch hätte die westlich der B. Straße im Bereich des Vorhabengrundstücks gelegene Bebauung das erforderliche Gewicht, einen Ortsteil zu bilden. Nach Westen hin befindet sich allein das Wohnhaus des Klägers (Grundstück Fl.Nr. ...). Nördlich hiervon schließt auf dem Grundstück Fl.Nr. … ein augenscheinlich nicht zum dauerhaften Aufenthalt dienendes Ferienhaus an. Weitere Bebauung, welche nach dem Augenschein optisch wahrnehmbar war, geschweige denn die örtliche Situation prägen würde, befindet sich nördlich bzw. nordwestlich des Vorhabengrundstücks nicht. In südlicher Richtung liegt ein größerer Bebauungskomplex (Landschulheim ...), an welchen sich südlich und südöstlich weitere Bebauung anschließt. Diese Bebauung prägt die Situation auf dem Vorhabengrundstück indes nicht in einer Weise, die in der Lage wäre, die Planersatzfunktion von § 34 Abs. 1 und 2 BauGB zu erfüllen. Insbesondere ist die Umgebung der zu bebauenden Fläche gerade nicht von aufgelockerter Bebauung geprägt. Vielmehr ist die westlich der … Straße und südlich des Vorhabengrundstücks befindliche Bebauung eher kleinteilig und eng aneinander liegend. Ebenso verhält es sich mit der nördlich in etwa 285 m Entfernung beginnenden Bebauung. Die auf den Grundstücken Fl.Nr. …, … und … vereinzelt vorhandene Bebauung prägt die Umgebung nicht. Daher besteht entgegen der Auffassung der Klageseite kein Zusammenhang zwischen der Bebauung entlang des S. …wegs bis hin zum Landschulheim. Mit etwa 118 m Entfernung zum Vorhabengrundstück ist das Landschulheim zu weit entfernt, als dass die dazwischen liegende Fläche noch als Baulücke angesehen werden könnte. Die Bebauung auf den Grundstücken Fl.Nr. …, … und … liegt etwa 230 m vom Vorhabengrundstück entfernt und ist jedenfalls nicht in prägender Weise wahrnehmbar. Die Baulichkeiten auf den klägerischen Grundstücken selbst (Fl.Nr. … und ...) haben schließlich, auch wenn man das augenscheinlich zum dauerhaften Aufenthalt dienende Gebäude auf dem Grundstück Fl.Nr. … mit in die Betrachtung einstellte, nicht das notwendige Gewicht, um einen Ortsteil zu bilden.
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2. Der Begünstigungstatbestand des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB findet vorliegend keine Anwendung, weil zum für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung kein Gebäude mehr im Sinne der Norm „vorhanden“ war.
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2.1 Weder gesetzlich definiert, noch höchstrichterlich entschieden ist, was unter dem Begriff „vorhandenes Gebäude“ zu verstehen ist und zu welchem Zeitpunkt das Bestandsgebäude im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB (noch) vorhanden gewesen sein muss.
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Grundsätzlich kann aufgrund von § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB den dort im Einzelnen bezeichneten Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB unter bestimmten Voraussetzungen nicht entgegengehalten werden, dass sie Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB sind.
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§ 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB begünstigt die Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle, wenn das vorhandene Gebäude zulässigerweise errichtet wurde (lit. a), das vorhandene Gebäude Missstände oder Mängel aufweist (lit. b), das vorhandene Gebäude seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst genutzt wird (lit. c) und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird (lit. d).
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Die Vorschrift begünstigt damit die Neuerrichtung eines in bestimmter Weise „abgängigen“ Wohngebäudes und dient der Verbesserung der Wohnverhältnisse (BVerwG, B.v. 25.6.2001 - 4 B 42.01 - juris Rn. 9; B.v. 10.10.2005 - 4 B 60.05 - juris Rn. 5; Söfker, in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 144. EL Oktober 2021, § 35 Rn. 147).
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Weniger offensichtlich ist, ob maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für das Vorhandensein der Baubeginn oder der Entscheidungszeitpunkt über einen gegebenenfalls erst später gestellten Bauantrag sein soll.
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Das Bundesverwaltungsgericht hat zu § 35 Abs. 4 1979 BBauG zunächst entschieden, dass eine Nutzungsänderung nur dann als „beabsichtigt“ erleichtert wird, wenn die neue Nutzung im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht aufgenommen worden ist (BVerwG, U.v. 24.10.1980 - IV C 81.77 - BVerwGE 61, 112 = juris Rn. 18 ff.). Wiederholt hat das Bundesverwaltungsgericht diese Ansicht für die Begünstigungstatbestände des § 35 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BBauG 1979 (Ersatzbau bzw. Wiederaufbau eines zerstörten Gebäudes). Diese Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht allerdings in einer späteren Entscheidung zu § 35 Abs. 4 BBauG 1979 (Nutzungsänderung) aufgegeben (BVerwG, U.v. 7.2.1986 - 4 C 28/84 - BVerwGE 74, 15 = juris Rn. 18). Der Gesetzgeber habe in § 35 Abs. 4 BBauG 1979 den Grundsatz der Trennung von materieller und formeller Baurechtmäßigkeit nicht durchbrechen wollen. Das Wort „beabsichtigt“ in § 35 Abs. 4 BBauG 1979 sei nur eine sprachliche Verdeutlichung dafür, dass das Baurecht Anforderungen an „Vorhaben“, nämlich an beabsichtigte Maßnahmen stellt, ohne allerdings damit sagen zu wollen, dass eben diesen Anforderungen entsprechende, aber bereits ausgeführte Maßnahmen nur deshalb materiell rechtswidrig seien, weil versäumt worden ist, einen Genehmigungsantrag zu stellen (BVerwG, a.a.O.). Die Voraussetzung eines „beabsichtigten“ Vorhabens ist in der heutigen Fassung der Tatbestände des § 35 Abs. 4 BauGB allerdings nicht mehr vorhanden.
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Nach dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen genügt es für das Vorhandensein des Gebäudes im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB bereits, wenn das Gebäude zu Beginn der (formell illegalen) Bauarbeiten vorhanden war mit der Maßgabe, dass Abriss und Neuerrichtung einen einheitlichen Lebenssachverhalt bilden (OVG NRW, U.v. 6.2.2015 - 2 A 1395/13 - juris Rn. 52 ff.)
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2.2 Diesen Erwägungen schließt sich die Kammer nicht an. Nach der hier vertretenen Auffassung ist ein „vorhandenes Gebäude“ im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB ein solches, das zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Bauantrag in bestandsgeschützter Weise tatsächlich noch vorhanden ist. Maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage ist im Falle einer Verpflichtungsklage grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Es überzeugt nicht, bei „fehlgeschlagenen Umbaumaßnahmen“ den maßgeblichen Zeitpunkt für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen auf den Beginn der Arbeiten vorzuverlagern - dies auch nicht unter der Einschränkung, dass Abriss und Neuerrichtung in einem zeitlichen Zusammenhang stehen.
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Weder der Wortlaut (nachfolgend a) noch Sinn und Zweck sowie Systematik (nachfolgend b) noch die Entstehungsgeschichte des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB (nachfolgend c) gebieten es, von dem grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über den Bauantrag abzuweichen und dadurch einen extensiveren Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung zu schaffen.
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a) Der Wortlaut der Norm ist aufgrund ihres Ausnahmecharakters eng auszulegen (BVerwG, B.v. 29.9.1987 - 4 B 191/87 - juris Rn. 3; BVerwG, B.v. 31.5.1988 - 4 B 88/88 - juris Rn. 3). Dem natürlichen Sprachgebrauch nach streitet bereits die Formulierung „vorhanden“ selbst für ein Abstellen auf den grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über den Bauantrag. Dass hiervon in Anwendung der Begünstigungsregelung auch insofern abgewichen werden kann, dass das Gebäude zumindest früher einmal vorhanden gewesen ist, ist dem Wortlaut gerade nicht zu entnehmen. Auch muss ein nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB begünstigtes Gebäude Missstände oder Mängel aufweisen. Die Formulierung im Präsens spricht dafür, dass das Gebäude zum Entscheidungszeitpunkt über den Bauantrag noch im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB mangelbehaftet sein muss. Es ist nach dem Wortlaut gerade nicht ausreichend, dass das Gebäude Missstände oder Mängel aufgewiesen hat.
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b) Auch eine Auslegung der Voraussetzung des „vorhandenen“ Gebäudes nach Sinn und Zweck der Norm im Zusammenhang mit ihrer Systematik führt zu keinem anderen Ergebnis.
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aa) Es überzeugt nicht, auf den Zeitpunkt des Beginns der Arbeiten abzustellen, um eine nachträgliche Legalisierungsmöglichkeit bei „fehlgeschlagenen Umbaumaßnahmen“ im Außenbereich herzustellen. Zwar besteht grundsätzlich nach der Systematik des Baugesetzbuchs und der landesrechtlichen Vorschriften bei im Außenbereich liegenden (isolierten) Neueerrichtungen sowie innerhalb der Gebiete nach §§ 30 und 34 BauGB die Möglichkeit, ein formell illegal errichtetes Gebäude nachträglich zu legalisieren. Dass diese Möglichkeit in Fällen des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB wegen des Anknüpfens an vorhandene Bestandsgebäude ausscheidet und es insofern bei dem Grundsatz verbleibt, dass maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt die Entscheidung über den Bauantrag ist, gebietet aber gerade Sinn und Zweck sowie die Systematik des § 35 Abs. 4 BauGB aufgrund seiner materiellen Voraussetzungen.
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(1) Telos der Begünstigungstatbestände in § 35 Abs. 4 BauGB ist die Gewährleistung von Bestandsschutz im Außenbereich, um eine „Wegsanierung“ bestehender Gebäude zu vermeiden und vertretbare oder erwünschte Vorhaben im Zusammenhang mit vorhandenen baulichen Anlagen im Außenbereich genehmigen zu können (Söfker, in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 144. EL Oktober 2021, § 35 Rn. 131).
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Den Begünstigungsvorschriften des § 35 Abs. 4 BauGB liegt der Gedanke des erweiterten Bestandsschutzes zu Grunde (Stüer, in: Stüer, Bau- und Fachplanungsrecht, 5. Aufl. 2015, Rn. 3107). Eine Begünstigung der in § 35 Abs. 4 BauGB bezeichneten Vorhaben rechtfertigt sich aus dem Umstand, dass sie bereits bestehende Gebäude und bauliche Anlagen betreffen. Die Regelungen des § 35 Abs. 4 BauGB konkretisieren mithin für den Außenbereich das allgemeine Rechtsinstitut des Bestandsschutzes und setzen an bestehende Bausubstanz an (Bienek, in: PdK Bund F-1, BauGB, Stand September 2021, § 35 Ziff. 5.1, beck-online).
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Bestandsschutz im Sinne der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG rechtfertigt grundsätzlich nur die Wahrung des baulichen Bestandes und der bisherigen Nutzung in einer gewissen Variationsbreite, nicht jedoch eine solche Änderung, bei der sich die planungsrechtliche Frage neu stellt. Außerhalb des Anwendungsbereichs von § 35 Abs. 4 BauGB erlaubt der Bestandsschutz damit nur Arbeiten, die nicht zu den Vorhaben im Sinne von § 29 Abs. 1 BauGB gehören, insbesondere Reparaturarbeiten, auch Modernisierungsarbeiten, die aber keinesfalls so umfangreich sein dürfen, dass sie eine statische Neuberechnung erfordern (vgl. zur Abgrenzung BayVGH, B.v. 28.6.2021 - 1 ZB 19.2067 - juris Rn. 5, m.w.N.). Vom Bestandsschutz sind dagegen solche Maßnahmen nicht mehr gedeckt, durch die das Bauwerk seiner ursprünglichen Identität beraubt wird (BVerwG, B.v. 10.10.2005 - 4 B 60.05 - juris Rn. 4). Ein solcher Identitätsverlust tritt ein, wenn der Eingriff in den vorhandenen Bestand so intensiv ist, dass er die Standfestigkeit des gesamten Bauwerks berührt und eine statische Nachberechnung erforderlich macht, oder wenn die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen oder gar übersteigen, oder wenn die Bausubstanz ausgetauscht oder das Bauvolumen wesentlich erweitert wird oder die Baumaßnahmen sonst praktisch einer Neuerrichtung gleichkommen (stRspr BVerwG, vgl. B.v. 10.10.2005 - 4 B 60.05 - juris Rn. 4, m.w.N; BayVGH, B.v. 11.11.2019 - 1 ZB 19.1449 - juris Rn. 10).
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Insgesamt bedeutet die Ausgestaltung des § 35 Abs. 4 BauGB daher eine Erweiterung dessen, was nach den Grundsätzen des Bestandsschutzes möglich ist und § 35 Abs. 2 und 3 BauGB sonst nicht zulassen würde.
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Der Unterschied zu den übrigen bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvorschriften (§§ 30, 33 - 35 Abs. 1, 2 BauGB) liegt darin, dass die Begünstigungsregelungen des § 35 Abs. 4 BauGB an das Vorhandensein eines Bestandsgebäudes anknüpfen. Die Erweiterung des Bestandsschutzes rechtfertigt sich gerade aufgrund des Vorhandenseins eines Gebäudes im Außenbereich und knüpft konsequenterweise in allen Tatbeständen des § 35 Abs. 4 BauGB an den Bestand an. So fordert § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB eine erhaltenswerte Bausubstanz, Nr. 2 Missstände oder Mängel am Bestandsgebäude, Nr. 3 einen (in bestimmter Weise) zerstörten Bestand, Nr. 4 ein erhaltenswertes, das Bild der Kulturlandschaft prägendes Gebäude, die Nrn. 5 und 6 knüpfen hinsichtlich der Angemessenheit der Erweiterung an den vorhandenen Bestand an und § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB verlangt ein vom äußeren Erscheinungsbild zur Wahrung der Kulturlandschaft erhaltenswertes Gebäude. In den Nrn. 2, 3, 5 und 6 wird zusätzlich gefordert, dass das Gebäude zulässigerweise errichtet worden ist, mithin Bestandsschutz genießt.
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Als einfachgesetzliche Ausprägung des aktiven Bestandsschutzes ermöglicht § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB folglich - in Erweiterung des von Art. 14 GG gewährten Bestandsschutzes - einen Ersatzbau für ein zulässigerweise errichtetes und damit bestandsgeschütztes Gebäude.
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(2) Vor diesem Hintergrund meint „vorhandenes Gebäude“ im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Bauantrag ein Gebäude in bestandsgeschützter Weise vorhanden ist. Eine Auslegung, die das Vorhandensein zu Beginn der Arbeiten ausreichen ließe, unterliefe die vom Gesetzgeber gewählte Anknüpfung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB an ein vorhandenes, zulässigerweise errichtetes, also bestandsgeschütztes Gebäude. Dadurch würden Vorhaben erfasst, die an sich keine Anwendung der Begünstigungstatbestände erfahren sollten. Auch die Einschränkung, dass Abriss und Neuerrichtung in einem zeitlichen Zusammenhang stehen müssten, erscheint nicht als taugliche Einschränkung. Denn naturgemäß ist im Falle eines Ersatzbaus das Bestandsgebäude für kurze Zeit nicht mehr tatsächlich vorhanden; vor diesem Hintergrund ist grundsätzlich zu fordern, dass Abriss und Neuerrichtung einen einheitlichen Vorgang bilden (Söfker, in: Ernst/Zinkhahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 144. EL Oktober 2021, § 35 Rn. 147).
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Zudem ist es den in § 35 Abs. 4 BauGB enthaltenen Regelungen des aktiven Bestandsschutzes nicht fremd, dass eine nachträgliche Legalisierung aus rein tatsächlichen Gründen scheitern kann. Ist das Bestandsgebäude nach Durchführung der Arbeiten so nicht mehr vorhanden, ist eine nachträgliche Legalisierung unter Anwendung der Begünstigungstatbestände des § 35 Abs. 4 BauGB grundsätzlich problematisch. Da es dem Bauherrn aber möglich ist, vor Durchführung formell illegaler Arbeiten, eine Baugenehmigung einzuholen, erscheint der Gleichlauf der formellen und materiellen Legalität auch unter Berücksichtigung der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) nicht unverhältnismäßig. Den Interessen des Bauherrn an der sinnvollen Nutzung seines geschützten Bestands auch im Außenbereich wurde mit den Begünstigungstatbeständen in § 35 Abs. 4 BauGB gerade Rechnung getragen.
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Nach alldem ist die - allen Tatbeständen des § 35 Abs. 4 BauGB - immanente Anknüpfung an einen vorhandenen Bestand nicht zu unterlaufen, indem der maßgebliche Zeitpunkt für das Vorhandensein dieses Bestands in Abkehr von dem Grundsatz, dass es auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Bauantrag ankommt, auf den Beginn der Arbeiten vorverlagert wird. Eine nachträgliche Legalisierungsmöglichkeit nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB tritt dem gegenüber zurück.
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bb) Auch überzeugt es nicht, die Grundsätze der nachprägenden Wirkung innerhalb der ausdifferenzierten Regelungssystematik der Begünstigungstatbestände des § 35 Abs. 4 BauGB anzuwenden.
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Entwickelt wurden die Grundsätze der nachprägenden Wirkung zu der Frage, ob ein Altbestand, der vernichtet, oder eine Nutzung, die aufgegebenen worden ist, automatisch an prägender Kraft im Rahmen des Bezugsrahmens des § 34 BauGB verliert. Nach gefestigter Rechtsprechung dauert die Prägung fort, solange mit einer Wiederbebauung oder einer Wiederaufnahme der Nutzung zu rechnen ist (vgl. etwa BVerwG, B.v. 2.10.2007 - 4 B 39/07 - juris, m.w.N.).
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Auf § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB können diese Grundsätze nicht angewendet werden, was aus dem Umkehrschluss zu § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB folgt. Nach dieser Norm ist die alsbaldige Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle begünstigt. Hier wird also gerade einem nicht mehr vorhandenen Altgebäude positiv-rechtlich nachprägende Wirkung zugesprochen, falls dieses alsbald neu errichtet werden soll (vgl. BVerwG, U.v. 8.6.1979 - 4 C 23/77 - juris Rn. 22). Nur für die in der Nr. 3 aufgelisteten Fälle - Zerstörung durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse - erschien es dem Gesetzgeber angezeigt, an einen tatsächlich nicht mehr vorhandenen Bestand für eine begünstigte Neuerrichtung anzuknüpfen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine nachprägende Wirkung in von der Nr. 3 nicht erfassten Fällen nicht besteht, etwa wenn das Gebäude aufgrund von in die Gebäudestatik eingreifender Baumaßnahmen an Bestandsschutz verliert. Die Tatbestände des § 35 Abs. 4 BauGB stellen ein in sich geschlossenes Regelungssystem dar. Könnte man die Grundsätze der nachprägenden Wirkung innerhalb der Begünstigungstatbestände des § 35 Abs. 4 BauGB anwenden, hätte es der Regelung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB nicht bedurft. Die gesetzgeberische Entscheidung, eine nachprägende Wirkung nur in den Fällen des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB anzunehmen und nur unter dessen Voraussetzungen auch bei rechtlich und tatsächlich nicht mehr vorhandenen Gebäuden aktiven Bestandsschutz zu gewähren, darf nicht unterlaufen werden.
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c) Schließlich gelangt man auch unter Betrachtung der Entstehungsgeschichte des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB nicht zu einem anderen Ergebnis. Das Erfordernis des „vorhandenen“ Gebäudes fand mit der Neufassung des § 35 Abs. 4 BauGB vom 8. Dezember 1986, gültig ab 1. Juli 1987, Eingang in das Gesetz. Die Vorgängerregelung (§ 35 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 BBauG 1979) setzte dagegen einen „beabsichtigten“ Ersatzbau voraus. Mit der Neufassung der § 35 Abs. 4 und 5 BauGB sollte nach den Gesetzesmaterialien keine Abkehr von dem Grundsatz erfolgen, dass sich die Begünstigungstatbestände an dem tatsächlich vorhandenen Bestand orientieren. So wird in den Gesetzesmaterialien zu § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB 1987 ausdrücklich klargestellt, dass die Änderung des Gesetzes mit den Außenbereichsbelangen vereinbar sei, weil auch die Neufassung an den vorhandenen baulichen Bestand anknüpfe (BT-Drs. 10/4630 S. 90). Eine Abkehr von der oben dargelegten, eng an vorhandene Bestandsgebäude anknüpfenden Regelungssystematik sollte also nicht erfolgen.
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d) Eine solche Auslegung ist auch bei „fehlgeschlagenen Umbaumaßnahmen“ nicht unverhältnismäßig. Die Norm lässt bereits eine sehr weitgehende, vollständige Neueerrichtung zu; zugleich kann das Vorliegen der Mängel nachträglich häufig kaum noch überprüft werden, wenn der Bestand einmal weitgehend beseitigt ist. Zudem handelt es sich bei „fehlgeschlagenen Umbaumaßnahmen“ tatsächlich um zumindest formell rechtswidrige Arbeiten. Der Bauherr kann einen Verlust des Bestandsschutzes daher leicht vermeiden, indem er von vornherein Baumaßnahmen auf § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB stützt oder, falls sich die bestehende Bausubstanz erst während der Arbeiten als nicht tragfähig erweist, bei der Bauaufsichtsbehörde rechtzeitig ein Baugenehmigungsverfahren anstrengt. Damit ist der Bauherr nicht derart schutzlos gestellt, dass eine erweiternde Auslegung des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB erforderlich wäre.
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2.3 Dies zugrunde gelegt ist vorliegend zum Zeitpunkt der maßgeblichen Entscheidung der letzten mündlichen Verhandlung kein Gebäude mehr im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB vorhanden. Das ursprünglich bestandsgeschützte Gebäude ist nicht mehr vorhanden, weil es an der Identität des aktuellen Zustands mit dem ursprünglichen Gebäude fehlt und die vorgenommenen Arbeiten nicht von der Genehmigung vom 15. Juni 2015 gedeckt waren.
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Vorliegend wurden - nach klägerischem Vortrag wegen der statisch nicht mehr einwandfreien Bausubstanz des Bestandsgebäudes - große Teile der Kellerwände, die Bodenplatte des Erdgeschosses und die Stahlträger, mit denen der Boden des Erdgeschosses ausgesteift war, erneuert. Zu diesem Zweck wurde das Gebäude ab der Erdgeschossebene mit einer stählernen Hilfskonstruktion temporär höher gelagert. Diese Baumaßnahmen waren jedenfalls nicht mehr von der Baugenehmigung für die Erweiterung des Wohnhauses vom 15. Juni 2015 gedeckt. Auch stellen diese Arbeiten zweifelsfrei einen Eingriff in die Gebäudesubstanz dar, der eine statische Neuberechnung erfordert.
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Damit ist kein bestandsgeschütztes Gebäude mehr im Sinne der Norm „vorhanden“ und eine Anwendbarkeit des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB scheidet aus.
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3. Das Vorhaben ist auch nicht nach § 35 Abs. 2 BauGB zulässig, weil es öffentliche Belange beeinträchtigt, indem es die Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB). Aufgrund des einheitlichen Regelungssystems zwischen den Absätzen 2, 3 und 4 des § 35 BauGB ist eine verloren gegangene Bausubstanz in allen Absätzen gleich zu werten; andernfalls wäre der Ausnahmetatbestand des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB insoweit überflüssig (BayVGH, U.v. 22.5.2014 - 1 B 14.196 - juris Rn. 26). Liegen die Voraussetzungen der Vorschrift nicht vor, muss sich der Bauherr so behandeln lassen, als wenn er an der vorgesehenen Stelle erstmalig ein Wohngebäude errichten will (BVerwG, U.v. 19.2.2004 - 4 C 4/03 - juris Rn. 7).
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Bei dem streitgegenständlichen Vorhaben handelt es sich im Hinblick auf die damit einhergehende - wegen Fehlens eines vorhandenen Gebäudes - zusätzliche räumliche Beanspruchung des Außenbereichs um die Erweiterung einer Splittersiedlung im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB. Der Vorgang der Zersiedelung des Außenbereichs ist jedenfalls dann unerwünscht, wenn das Vorhaben eine nicht genau übersehbare Vorbildwirkung besitzt. Hierfür reicht es aus, dass bei einer Zulassung des Vorhabens weitere ähnliche Vorhaben in der Splittersiedlung nicht verhindert werden könnten und dadurch der Außenbereich weiter zersiedelt würde (BVerwG, U.v. 27.8.1998 - 4 C 13/97 - juris Rn. 12; B.v. 7.6.2016 - 4 B 47.14 - juris Rn. 17). Vorliegend hätte das Vorhaben im Falle seiner Zulassung ersichtlich eine negative Vorbildwirkung für zahlreiche unbebaute Flächen in der näheren Umgebung. Sowohl nördlich als auch südlich des Vorhabengrundstücks schließen sich weitläufige, unbebaute Freiflächen an. Auch westlich des Vorhabengrundstücks schließt sich eine noch unbebaute Fläche auf dem Grundstück Fl.Nr. … an. Insoweit genügt für die Annahme einer Vorbildwirkung, dass die Gründe, die weiteren Vorhaben entgegengehalten werden könnten, an Überzeugungskraft einbüßen würden, wenn mit der Genehmigung des beantragten Vorhabens ein Bezugsfall geschaffen würde (BVerwG, U.v. 19.4.2012 - 4 C 10.11 - juris Rn. 21 f. m.w.N.)
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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III. Die Berufung war zuzulassen, weil die Rechtssache hinsichtlich der Frage der Auslegung des Tatbestandsmerkmals des „vorhandenen Gebäudes“ im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).