Titel:
Erfolgloser Eilantrag mit dem Ziel der Untersagung aufenthaltsbeendender Maßnahmen bzw. der Abschiebung nach Pakistan
Normenketten:
AufenthG § 5 Abs. 2, § 10, § 28
AsylG § 71 Abs. 1, 5
VwGO § 123
Leitsatz:
Es fehlt bereits an einem Anordnungsgrund. Der Antragsteller hat sich nicht mit der Erwiderung des Antragsgegners auseinandergesetzt, dass derzeit aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht geplant seien. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltserlaubnis, Einstweilige Anordnung, Folgeantrag, Titelerteilungssperre, Visumverfahren
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21988
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit welcher dem Antragsgegner untersagt werden soll, aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu vollziehen.
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Der Antragsteller ist pakistanischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben am 27. November 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte am 4. Juli 2016 einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, der mit Bescheid vom 2. Dezember 2016 gem. § 30 Abs. 1, Abs. 2 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 21. Januar 2019 teilweise als offensichtlich unbegründet, im Übrigen schlicht unbegründet abgewiesen (VG München, U.v. 21.1.2019 - M 32 K 16.35424 - juris).
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Ein Abschiebeversuch nach Pakistan am 15. April 2021 scheiterte wegen Untertauchens des Antragstellers. Am 25. Oktober 2021 meldete sich der Antragsteller mit einem gefälschten spanischen Reisepass beim Bürgerbüro des Kreisverwaltungsreferats der Stadt München an. Am 18. Januar 2022 erließ das Amtsgericht München einen Haftbefehl wegen unerlaubten Aufenthalts und Urkundenfälschung. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft München I vom 26. März 2022 wurde das Verfahren wegen unerlaubten Aufenthalts gemäß § 154f Strafprozessordnung (StPO) vorläufig eingestellt.
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Mit am 2. Mai 2022 beim Verwaltungsgericht München eingegangenen Schriftsatz begehrt der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Er beantragt,
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dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, gegenüber dem Antragsteller aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu vollziehen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Antragsteller inzwischen mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet sei und einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt habe, über den noch nicht entschieden worden sei. Die Ehefrau des Antragstellers sei Hindi und der Antragsteller Moslem. Eine solche Heirat sei im Heimatland des Antragstellers untersagt und mit massiver Strafandrohung verbunden. Aus diesem Grund liege § 60 Abs. 5 bzw. § 60 Abs. 7 AufenthG vor. Aus diesem Grund sei beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Asylfolgeantrag verbunden mit einem isolierten Antrag auf Feststellung von Abschiebungshindernissen eingereicht worden, über den noch nicht entschieden worden sei. Es liege sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch vor.
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Mit Stellungnahme vom 2. Juni 2022 hat das Landratsamt Fürstenfeldbruck für den Antragsgegner auf den Antrag des Antragstellers erwidert, ohne einen Antrag zu stellen. Eine Abschiebung des Antragstellers nach Pakistan sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht geplant. Der Antragsteller habe zusammen mit einer deutschen Staatsangehörigen eine sog. Stellvertreterehe in Paraguay geschlossen. Eine Stellvertreterehe sei nach paraguayischem Recht grundsätzlich möglich. Ob die Eheschließung rechtswirksam sei, könne aber erst nach Vorlage der Original-Dokumente beurteilt werden. Dem Antragsteller würde zunächst bis zum Abschluss der Prüfung aller Unterlagen, auch zur Identität der Ehegatten, eine Duldung erteilt. Bezüglich der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 28 AufenthG müsse der Antragsteller dann ein Visumverfahren zum Familiennachzug von Pakistan aus durchführen.
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Am 7. Juni 2022 sprach der Antragsteller zusammen mit der deutschen Staatsangehörigen … … (mit der der Antragsteller nach eigenen Angaben nach paraguayischem Recht die Ehe geschlossen hat) bei der Ausländerbehörde Fürstenfeldbruck vor. Der Antragsgegner teilte dem Gericht im Hinblick auf den persönlichen Eindruck des Paares im Vorsprachetermin mit, dass nach vorläufiger Einschätzung nicht von einer Scheinehe ausgegangen werde. Im Hinblick auf den offenen Haftbefehl des Amtsgerichts München vom 18. Januar 2022 wurde der Antragsteller von vorab informierten Polizeibeamten vor Ort anschließend festgenommen und dem Ermittlungsrichter zur Prüfung der Haftfrage vorgeführt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
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Der Antrag bleibt ohne Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob die Antragsschrift ordnungsgemäß unterschrieben ist und insoweit der Form des § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügt (s. dazu etwa Hoppe in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2022, § 81 Rn. 4 ff.), denn der Antrag ist jedenfalls unbegründet.
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1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch, d.h. den zu sichernden oder regelnden materiell-rechtlichen Anspruch des Antragstellers im Hauptsacheverfahren, als auch den Anordnungsgrund, d.h. die besondere Dringlichkeit der Sache, ausreichend darlegt. Dies erfordert wiederum, dass der Antragsteller die insoweit maßgeblichen Tatsachen, die den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund stützen, im Sinne von § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2, § 294 ZPO gegenüber dem Gericht glaubhaft macht (s. zum Ganzen Happ in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 45 ff.).
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2. Gemessen hieran genügt das Vorbringen des Antragstellers in der Antragsschrift sowie im Schriftsatz vom 13. Mai 2022 nicht für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunds und eines Anordnungsanspruchs.
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a) Bereits das Vorliegen eines Anordnungsgrunds wurde vom Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat sich nicht mit der Erwiderung des Antragsgegners auseinandergesetzt, dass derzeit aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht geplant seien. Aus der Stellungnahme des Antragsgegners vom 2. Juni 2022 geht hervor, dass dieser dem Antragsteller eine Duldung erteilen wird, bis die Prüfung der Erteilungsvoraussetzungen des beantragten Aufenthaltstitels abgeschlossen ist. Die Vereitelung oder wesentliche Erschwerung einer - eventuell bestehenden - Rechtsposition des Antragstellers ist bei dieser Sachlage gerade nicht zu besorgen, da gerade nicht der Eintritt vollendeter bzw. unumkehrbarer Tatsachen im Raum steht. Der Vortrag des Bevollmächtigten, dass der Antragsteller bei Wiederauftauchen in Abschiebehaft genommen würde, ist im Hinblick auf die Stellungnahme des Antragsgegners nicht weiter mit Anknüpfungstatsachen substantiiert. Die vom Bevollmächtigten angesprochene Ausschreibung zur Personenfahndung erfolgte, wie der Antragsgegner angibt, zum Zwecke der Personenfahndung (vgl. S. 462 der Behördenakte). Auch der Haftbefehl des Amtsgerichts München vom 18. Januar 2022 dient gerade nicht der Inhaftnahme des Antragstellers wegen eines (angeblichen) weiteren Abschiebeversuchs, sondern der Strafverfolgung wegen unerlaubten Aufenthalts und Urkundenfälschung.
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b) Jedenfalls hat der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Vortrag des Antragstellers ist insoweit bereits nicht hinreichend substantiiert und rechtlich inkonsistent, um eine materiell-rechtliche Rechtsposition des Antragstellers darzulegen, die mit einer einstweiligen Anordnung gesichert oder geregelt werden könnte. So ist bereits der Vortrag des Bevollmächtigten, der Antragsteller habe beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Asylfolgeantrag gestellt (was er nach Aktenlage auch gegenüber dem Antragsgegner bekräftigt hat), während er zugleich die Erteilung eines Aufenthaltstitels begehrt, vor dem Hintergrund des § 10 Abs. 1 AufenthG rechtlich widersprüchlich. Hiernach kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ein Aufenthaltstitel außer in den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann erteilt werden, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es erfordern. Asylantrag im Sinne dieser Vorschrift ist unter anderem auch der Folgeantrag nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG (Beiderbeck in BeckOK MigR, Stand 15.4.2022, § 10 Rn. 1). Im Ergebnis ist damit bereits vom Antragsteller nicht eindeutig vorgetragen, ob das Stellen des Asylfolgeantrags über die Rechtswirkung des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG - diesbezüglich wäre aber der Antragsgegner nicht passivlegitimiert, sondern die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsträger des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (vgl. VG Würzburg, B.v. 6.4.2021 - W 6 E 21.30346 - juris Rn. 25) -, oder aber der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sein Rechtsschutzziel rechtlich tragen soll.
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Selbst wenn man im Hinblick auf die letzte Vorsprache des Antragstellers beim Landratsamt Fürstenfeldbruck davon ausginge, dass in erster Linie sein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis das Rechtsschutzziel im vorliegenden Verfahren tragen soll, ist eine entsprechende materiell-rechtliche Rechtsposition mit dem Antragsvorbringen nicht glaubhaft gemacht. So ist - unabhängig vom Problem der Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 1 AufenthG bei gleichzeitiger Stellung eines Asylfolgeantrags und Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis - im Zeitpunkt des Erlasses dieses Beschlusses vom Antragsteller nicht glaubhaft gemacht worden, dass er einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG hat. Selbst wenn man eine wirksame Eheschließung in Paraguay zwischen dem Antragsteller und einer deutschen Staatsangehörigen unterstellt - nach der Stellungnahme des Antragsgegners ist noch nicht abschließend geklärt, ob die Original-Dokumente zu den beglaubigten Übersetzungen (vgl. insoweit S. 321 ff. der Behördenakte) echt sind -, scheitert die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG jedenfalls an dem Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG.
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Der Antragsgegner hat, ohne dass dies nach Aktenlage rechtlichen Bedenken begegnen würde, darauf hingewiesen, dass die allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht vorliege und der Antragsteller das Visumverfahren von Pakistan aus nachholen müsse. Dass die Nachholung des Visumverfahrens für den Antragsteller auch unter Berücksichtigung der in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenen wertentscheidenden Grundsatznorm unzumutbar und daher nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vom Visumverfahren abgesehen werden müsse (vgl. zu den Maßstäben VG München, B.v. 11.10.2021 - M 25 E 21.4686 - juris Rn. 29 ff. m.w.N.), hat der Antragsteller in keiner Weise dargelegt und ist nach Aktenlage auch nicht ersichtlich.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit von 2013.