Titel:
Keine Haftung von Audi für den entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motor (hier: Audi Q5 3.0 V6 TDI)
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 148, § 286
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2021, 41003; BeckRS 2022, 21374; BeckRS 2022, 19714; OLG Bamberg BeckRS 2022, 33515; OLG Karlsruhe BeckRS 2021, 43408; OLG München BeckRS 2021, 54385; BeckRS 2022, 18804; BeckRS 2022, 18875; BeckRS 2022, 24486; BeckRS 2022, 28198; BeckRS 2022, 34469; BeckRS 2021, 52024; BeckRS 2022, 21228; BeckRS 2022, 23106; BeckRS 2022, 18807; BeckRS 2023, 2581; OLG Nürnberg BeckRS 2022, 21211; LG Bamberg BeckRS 2022, 29502; LG Kempten BeckRS 2022, 28679; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2022, 30355; OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Umsetzung der Richtlinie RL 2007746/EG in das deutsche Recht erfolgte im Rahmen des Fahrzeuggenehmigungsrechts und sollte nach der Systematik und dem Regelungswillen des Gesetzgebers keine Haftungsvorschrift zugunsten eines einzelnen Erwerbers enthalten. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Teilt das KBA in einer Reihe von amtlichen Auskünften mit, dass unzulässige Abschalteinrichtungen auch nach umfangreichen Untersuchungen nicht festgestellt worden seien, ist ein fahrlässiges Handeln der Verantwortlichen der Herstellerin in Bezug auf die Einhaltung der europarechtlichen Vorschriften im Zeitpunkt der Beantragung und Erlangung der Typgehmigung nicht ersichtlich. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) lässt sich nicht mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware vergleichen, die bei der Konzeption des Motors EA 189 eingesetzt wurde. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0-Liter-Motor, Audi, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, (kein) Rückruf, KBA, Prüfstandserkennungssoftware, (keine) Haftungsvorschrift, Schlussanträge des Generalanwalts
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 12.04.2019 – 3 O 9569/18
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21953
Tenor
1. Der Antrag der Klägerin auf Aussetzung des Verfahrens wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 12.04.2019, Az. 3 O 9569/18, wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Kauf eines Diesel-Pkws geltend. Sie erwarb am 17.04.2013 ein Fahrzeug der Marke Audi Q5 3.0 V6 TDI, 180 kW, Schadstoffklasse EU5 zum Preis von 61.677,38 €. Die Motorsteuerungssoftware des Fahrzeugs weist ein sog. Thermofenster auf. Die Beklagte ist die Herstellerin des Wagens und des Motors.
2
Die Klägerin begehrt in der Hauptsache Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen PKW. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche bestünden gegen die Beklagte, die nicht Verkäuferin des Fahrzeugs sei, nicht. Deliktische Ansprüche seien ebenfalls nicht gegeben. Die Klägerin habe nicht dargelegt und bewiesen, dass das Fahrzeug über eine Abschalteinrichtung verfüge, die ähnlich wie die in dem Motor EA 189 funktioniere. Die Behauptung, im Fahrzeug sei eine unzulässige Software verbaut, habe die Klägerin nicht ausreichend substantiiert. Ein Sachverständigengutachten sei daher nicht zu erholen gewesen. Das von der Klägerin gerügte Thermofenster begründe keinen Anspruch aus § 826 BGB, da es durch die Ausnahmetatbestände der VO (EG) 715/2007 gedeckt sein könne.
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Gegen dieses Urteil, das am 18.04.2019 zugestellt worden ist, wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, die sie am 17.05.2019 eingelegt und mit am 18.06.2019 eingegangenem Schriftsatz begründet hat. Sie rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts und führt aus, das Landgericht habe Unrecht ihren Vortrag zu Abschalteinrichtungen für nicht ausreichend substantiiert erachtet. Rechtsfehlerhaft habe das Landgericht den Obersatz aufgestellt, dass ein verbautes Thermofenster schon ganz grundsätzlich nicht sittenwidrig sein könne. Diesbezüglich habe das Landgericht die Darlegung- und Beweislast verkannt. Nach dem Regel-Ausnahme-Verhältnis hätte die Beklagte darzulegen gehabt, weshalb das Thermofenster ausnahmsweise zulässig sein solle. Von den rechtswidrigen Manipulationen habe der verfassungsmäßig berufene Vertreter der Beklagten Kenntnis gehabt. Auch dies habe das Landgericht verkannt. Der Anspruch der Klägerin sei auch gemäß § 823 Abs. 2 BGB. i.V.m.§§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV begründet. Jedenfalls hätte das Landgericht ein Sachverständigengutachten erholen müssen.
4
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des am 12.04.2019 verkündeten Urteils
I. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei Euro 52.106,00 nebst Zinsen hier
aus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zugum-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Audi Q 5 FIN: .
II. Die Beklagte zu verurteilen, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von Euro 2.251,48 freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
7
Der Senat hat zunächst mit Beschluss vom 02.12.2019 auf seine Absicht hingewiesen, die offensichtlich unbegründete Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Gemäß Beweisbeschlüssen vom 18.05.2020 und 10.02.2022 hat der Senat Beweis erhoben durch schriftliche Sachverständigengutachten vom 07.12.2021 und 25.02.2022. Der Sachverständige hat im Termin vom 19.07.2022 seine Gutachten mündlich erläutert. Der Senat hat ferner Hinweise erteilt durch Verfügungen vom 11.12.2020, 11.01.2021 und 28.01.2021 sowie im Termin vom 19.07.2022. Hierauf wird Bezug genommen.
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Zur Ergänzung wird außerdem auf das Ersturteil, die zitierten Beschlüsse und Verfügungen des Senats, die Sitzungsniederschrift vom 19.07.2022 sowie die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
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Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg, weil das Landgericht zutreffend erkannt hat,, dass der Klägerin ein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte nicht zusteht.
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1. Die Klägerin hat wegen des unstreitig verbauten Thermofensters keinen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. i.V.m. Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007, der den Klageantrag stützt.
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a) Es kann dahinstehen, ob den europarechtlichen Vorschriften drittschützende (individualhaftungsbegründende) Funktionen zukommen, was der BGH in gefestigter Rechtsprechung verneint (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 - Rn. 72 ff, juris; kürzlich BGH, Beschluss vom 10. 02.2022 - III ZR 87/21 - Rn. 8ff, juris; BGH, Beschluss vom 04.05.2022 - VII ZR 656/21 - Rn. 3, juris) und was den Senat (weiterhin) überzeugt.
12
Soweit sich die Klägerin demgegenüber auf das Votum des Generalanwalts Rantos in seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 in der Rechtssache EuGH C 100/21 bezieht, wonach die bezeichneten Normen auch die Haftungsinteressen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist (Rn. 50), kommt diesem Votum keine Außenwirkung zu. Der EuGH ist an dieses Votum nicht gebunden. Diese Stellungnahme übergeht argumentativ die systematische Einordnung der Bestimmungen in das europäische Produktrecht und sein Verhältnis zum Haftungsrecht (dazu Röhl DV 2020, 151). Auch geht dieses Gutachten nicht darauf ein, in welchem rechtlichen Gefüge, auf welcher Rechtsgrundlage und mit welchem Ziel die nach Ansicht des Generalanwalts entscheidende Ziffer „0“ des Anhangs IX zur RL 2007746/EG durch die VO der Kommission KOM-VO 385/2009 eingefügt wurde.
13
Die Voraussetzung für die Annahme eines Schutzgesetzes im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist zudem, dass die Schaffung eines individuellen deliktischen Anspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheint. Dabei muss in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, geprüft werden, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen (BGH, Urteil vom 14. Juni 2022 - VI ZR 110/21 -, Rn. 10, juris m.w.N.). Nach diesen nationalen Haftungsbestimmungen fehlt es vorliegend an einem Schutzgesetz, unabhängig davon, welches Ziel die o.g. Richtlinie verfolgt. Die Richtlinie selbst kann schon kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB enthalten, da sie nicht an die Bürger, sondern an die Mitgliedstaaten gerichtet ist. Ihre Umsetzung in das deutsche Recht erfolgte wiederum im Rahmen des Fahrzeuggenehmigungsrechts und sollte nach der Systematik und dem Regelungswillen des Gesetzgebers gerade keine Haftungsvorschrift zugunsten eines einzelnen Erwerbers enthalten. Eine rückwirkende Uminterpretation dieser nationalen Vorschriften in eine zusätzliche Anspruchsgrundlage verschiebt unzulässigerweise die Grenzen der Gewaltenteilung des GG, wonach der Gesetzgeber eine derart weitreichende Ausdehnung der zivilrechtlichen Haftung für Konformitätszeichen, die jede schuldhafte Verkennung der materiellen Produktzulassungsvoraussetzungen umfasst, einführen müsste. Eine auf eine (inhaltlich in einem einzelnen Punkt unrichtige) Konformitätserklärung begründete individuelle deliktische Haftung fügt sich nicht in das haftungsrechtliche Gesamtsystem ein, so dass eine Haftung auch nicht im Wege der Auslegung des § 823 Abs. 2 BGB erfolgt.
14
Vielmehr stellt das deutsche Recht auf andere Weise sicher, dass notwendige technische Anpassungen des Fahrzeugs an die gebotenen (europa-)rechtlichen Standards auch über verwaltungsrechtliche Maßnahmen (z.B. in Form von verbindlich angeordneten Nachrüstungen und Änderungen) erfolgen können, die auf Kosten der Hersteller durchgeführt werden. Damit ist gewährleistet, dass der jeweils aktuelle Eigentümer des Fahrzeugs wegen dieser Maßnahmen keine spürbare wirtschaftliche Belastung erfährt, anderseits den Zielen des europäischen Rechts insgesamt genügt ist.
15
b) Aber auch bei einer unterstellten drittschützenden Wirkung der genannten (Umsetzungs-)Normen und einer sich aus § 823 Abs. 2 BGB gestützten Haftung der Beklagten, wäre ein danach notwendiger mindestens fahrlässiger Verstoß der Beklagten nicht feststellbar. Das KBA hat in einer Reihe von amtlichen Auskünften (vgl. Anlagen B 5, B 7, B 8) für den streitgegenständlichen Motortyp mitgeteilt, dass unzulässige Abschalteinrichtungen auch nach umfangreichen Untersuchungen nicht festgestellt worden seien. Gerade vor diesem Hintergrund ist ein fahrlässiges Handeln der Verantwortlichen der Beklagten in Bezug auf die Einhaltung der bezeichneten europarechtlichen Vorschriften im Zeitpunkt der Beantragung und Erlangung der Typgehmigung nicht ersichtlich. Denn wie die Beklagte ausführt (Schriftsatz vom 08.01.2021, S. 4-7) und die Klägerin nicht bestreitet, hatte das KBA im fraglichen Zeitraum bereits Kenntnis von der verbauten temperaturgesteuerten Abgasregelung und hielt diese - wie auch die Beklagte selbst - ohne weiteres für zulässig. Mehr als im Typgenehmigungsverfahren dies gegenüber der zuständigen Behörde offenzulegen, konnte von der Beklagten nicht verlangt werden; jedenfalls treffen sie keine strengeren Sorgfaltsanforderungen als die für die Beurteilung der Zulässigkeit berufene Fachbehörde. Ein fahrlässiges Verhalten der Beklagten scheidet damit aus. Eine viele Jahre später erfolgte gerichtliche Auslegung der einschlägigen Vorschrift, die den Einsatz und die Grenzen eines „Thermofensters“ möglicherweise enger beschreibt (vgl. Urteil des EuGH vom 17.12.2020 - Rechtssache C-693/18 - NJW 2021, 1216) vermag an einer zum damaligen Zeitpunkt (Jahr 2013) vertretbaren Einschätzung der Beklagten nichts zu ändern.
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c) Darüberhinaus ist die Frage des Drittschutzes getrennt von der Frage zu beurteilen, ob im Fall eines gegebenen Drittschutzes und des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung dem Käufer (auch) ein gegen den Hersteller gerichteter Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags zustehen sollte (vgl. BGH, Beschluss vom 04.05.20211, a.a.O., Rn.4). Dies deckt sich mit der in den Schlussanträgen des Generalanwalts Rantos formulierten Rechtsauffassung, wonach in diesem Fall im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu entscheiden sei, wie ein ggfs. entstandener Schaden zu ersetzen sei und die Regeln hierfür zu bestimmen (Rn. 61). Allein entscheidend sei, dass der Ersatz angemessen sei. Daraus folgt gerade nicht, dass der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf Rückabwicklung des mit einem dritten Autohaus geschlossenen Kaufvertrags auch im Fall des zu bejahenden Drittschutzes der die EG-Typengenehmigung und Übereinstimmungsbescheinigung betreffenden Normen und eines Verschuldens der Beklagten zusteht. Einen etwaigen Minderwert des Fahrzeugs wegen des verbauten Thermofensters behauptet die Klägerin nicht; er ist auch nicht Gegenstand ihres Rechtsschutzbegehrens. Abgesehen davon ist ein entsprechender Minderwert schlechterdings kaum vorstellbar, da - wie die Klägerin nicht bestritten hat - ein Thermofenster im maßgeblichen Zeitraum der Typgenehmigung der Serie und der Herstellung des konkreten Fahrzeugs Stand der Technik war und von zahlreichen, wenn nicht sämtlichen Herstellern von Dieselfahrzeugen eingesetzt wurde (vgl. dazu auch Auskunft des KBA, Anl. B 14, S. 1). Ein Schaden wegen einer „Nichtzulassung“ des Fahrzeugs liegt wegen dessen erfolgter und fortbestehender Zulassung nicht vor; ein Schaden wegen eines Weiterveräußerungsverbots ist - wie sich aus den obigen Ausführungen entnehmen lässt - nicht erkennbar.
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Das deutsche Recht stellt, wie bereits ausgeführt, auf anderem Weg sicher, dass notwendige technische Anpassungen des Fahrzeugs an die gebotenen (europa-)rechtlichen Standards auch über verwaltungsrechtliche Maßnahmen (z.B. in Form von verbindlich angeordneten Nachrüstungen und Änderungen) nachträglich erfolgen können, die auf Kosten der Hersteller durchgeführt werden. Damit ist gewährleistet, dass der jeweils aktuelle Eigentümer des Fahrzeugs wegen dieser Maßnahmen keine spürbare wirtschaftliche Belastung erfährt, anderseits den Zielen und Vorgaben des europäischen Rechts insgesamt genügt ist.
18
Nach alledem war auch der beantragten Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO nicht nachzukommen.
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2. Eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB wegen der Verwendung des Thermofensters kommt ebenfalls nicht in Betracht.
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Insoweit fehlt konkreter und nachvollziehbarer Vortrag der Klägerin, aus dem sich das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verknüpft mit einem sittenwidrigen Verhalten der für die Beklagten handelnden Personen, insbesondere einer arglistigen Täuschung oder eines bewussten Gesetzesverstoßes ergeben könnte.
21
a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der in einer Gesamtschau durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (st. Rspr. vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 - Rn. 15, juris; BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20 - Rn. 12, juris).
22
Im Grundsatzurteil vom 25.05.2020 (Az. VI ZR 252/19), ergangen zum Motor EA 189 der Volkswagen AG, hat der Bundesgerichtshof die Sittenwidrigkeit damit begründet, dass der Fahrzeughersteller bei der Motorenentwicklung die strategische Entscheidung getroffen habe, die Typgenehmigung durch arglistige Täuschung des KBA zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge sodann in den Verkehr zu bringen und dabei die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt auszunutzen. Entscheidend war, dass die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm nur im Abgasrückführungsmodus 1 auf dem Prüfstand unter Einsatz der Manipulationssoftware eingehalten wurden.
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b) Die temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) lässt sich jedoch nicht mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware vergleichen, die bei der Konzeption des Motors EA 189 eingesetzt wurde. Während Letztere unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielte und einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleichsteht, ist der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht von vornherein durch Arglist geprägt. Sie führt nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert wird, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Für die Qualifizierung des Verhaltens der Beklagten müssten daher weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20 - Rn. 26-28, juris). Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers unstreitig durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei geringeren Außentemperaturen reduziert (und möglicherweise ganz abgeschaltet) wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben (vgl. BGH, Beschluss vom 25.11.2021 - III ZR 202/20 - Rn. 14, juris m.w.N.).
24
Die Klägerin behauptet, dass die unstreitig vorhandene temperaturgesteuerte Abgasrückführung (Thermofenster) - die ihrem Vortrag zufolge eine Reduzierung bzw. Abschaltung der Abgasrückführung in Abhängigkeit von der Außentemperatur (unter 20 °C und über 30 °C) bewirke -, eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Es fehlt jedoch an Vortrag hinsichtlich der erforderlichen objektiven Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten bzw. der für sie handelnden Personen. Auch bei Wahrunterstellung der klägerischen Behauptung wäre die Funktion nicht mit dem Einsatz der sog. Umschaltlogik bei dem Motortyp EA 189 gleichzusetzen, die zwischen dem erkannten Prüfstand und dem Straßenbetrieb unterscheidet und dazu führt, dass ausschließlich auf dem Prüfstand die Grenzwerte eingehalten werden. Während bei der reinen „Umschaltlogik“ deren Unzulässigkeit offenbar ist, so dass von einer arglistigen Täuschung des KBA durch Verschweigen derselben ausgegangen werden kann, ist selbst bei einem relativ eng definierten Thermofenster nicht auszuschließen, dass die Verantwortlichen der Beklagten unter Abwägung der mit der Abgasrückführung bekannten Probleme gemeint haben könnten, die konkret implementierte Temperatursteuerung sei (noch) zulässig.
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Es kommt daher auch nicht entscheidend darauf an, ob die Beurteilung des Thermofensters durch das KBA als zulässig zutreffend ist, sondern darauf, dass die Möglichkeit einer entsprechenden Vorstellung bei den verantwortlichen Personen der Beklagten nicht ausgeschlossen werden kann, wenn auch die zuständige Bundesbehörde dieselbe Rechtsansicht vertritt. Gegen ein besonders verwerfliches Verhalten der Beklagten spricht daher, dass die Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des von vielen Herstellern eingesetzten Thermofensters angesichts der Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a VO (EG) Nr. 715/2007 als unsicher anzusehen ist. Dies findet seinen Ausdruck im Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur von April 2016 (Anlage B 11), wonach der Wortlaut der Ausnahmebestimmung des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a der VO Nr.715/2007 (“Einrichtungen zum Schutz des Motors vor Beschädigungen“) eine „Unschärfe“ aufweise, „die auch weite Interpretationen zulasse“ (vgl. S. 123 des Berichts, vorgelegt als Anlage B 11). Im Hinblick auf diese nicht eindeutige Rechtslage können allein aus dem Einsatz eines Thermofensters keine Anhaltspunkte dafür hergeleitet werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen dies als illegal angesehen und gebilligt haben. Eine möglicherweise fahrlässige Verkennung der Rechtslage durch die Beklagte genügt jedenfalls für die Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit ihres Verhaltens nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 25.11.2021 - III ZR 202/20 -, Rn. 15, juris). Die nunmehr vom EuGH vorgenommene Auslegung der genannten Vorschrift (Urteil vom 17.12.2020 - Rechtssache C-693/18 - NJW 2021, 1216) vermag an einer zum damaligen Zeitpunkt vertretbaren Einschätzung der Beklagten nichts zu ändern.
26
3. Den Einbau anderer unzulässiger Abschalteinrichtungen und einen damit verbundenen Schädigungsvorsatz hat die Klägerin nicht nachgewiesen (§ 286 ZPO).
27
a) Detaillierten Vortrag zur Funktionsweise der von ihr behaupteten Prüfstandserkennung und Abschalteinrichtung hat die Klägerin nicht gehalten. Die Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 30.12.2020, S. 4 ff. befassen sich mit Fahrzeugen, über einen SCR-Katalysator verfügen. Im streitgegenständlichen Fahrzeug der Abgasnorm EU5 ist unstreitig ein SCR-Katalysator nicht eingebaut. Abgesehen davon hat die Klägerin in erster Instanz nur pauschal behauptet, „in das streitgegenständliche Fahrzeug [sei] ähnlich wie beim EA189 eine Software eingebaut, die erkenn[e], wenn sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befind[e].“ (Schriftsatz vom 30.11.2018, S. 6; vgl. auch ibd., S. 17, dort werden neben der Temperatur die wenig ergiebigen Begriffe des „Fahrmusters“ und des „Rollwiderstands“ genannt). In der Berufungsinstanz hat die Klägerin auf diesen Vortrag lediglich Bezug genommen (Berufungsbegründung vom 18.06.2019, S. 3 ff.; Schriftsatz vom 23.12.2019, S. 2 ff.). Die durchgeführte Beweisaufnahme hat diesen Vortrag der Klägerin nicht bestätigt (§ 286 ZPO).
28
b) Umfangreiche Untersuchungen des KBA des streitgegenständlichen Motors und Fahrzeugtyps mehrfach, u.a. auch im Rahmen eines Anhörungsverfahrens im Jahr 2019 auf unzulässige Abschalteinrichtungen haben ebenfalls keine Anhaltspunkte für unzulässige Prüfstandserkennungsoder Abschalteinrichtungen ergeben. Ausweislich der Auskunft des KBA gegenüber dem OLG Stuttgart (Anlage BE 14) wurde keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt und dementsprechend auch kein amtlicher Rückruf angeordnet.
29
Unstreitig führten die Untersuchungen des KBA nicht zu einem Rückrufbescheid betreffend den streitgegenständlichen Motor. Es besteht lediglich ein freiwilliges Software-Update für das streitgegenständliche Fahrzeug. Gerichtsbekannt setzt das freiwillige Software-Update voraus, dass das Fahrzeug und seine Software eingehend geprüft und keine unzulässige Abschalteinrichtung durch das KBA festgestellt worden ist, wie sich auch der Website des KBA unter „Fragen und Antworten zu Software-Nachrüstungen“ entnehmen lässt.
30
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung schließt die Auskunft des KBA, unzulässige Abschalteinrichtungen ließen sich bei dem streitgegenständlichen Motortyp nicht feststellen, zwar die Möglichkeit einer solchen nicht aus, begründet aber auch kein Indiz dafür (vgl. BGH, Beschluss vom 15.09.2021 - VII ZR 2/21 -, Rn. 30, juris).
31
Von einer - von der Klägerin nachzuweisenden - vorsätzlichen Täuschung mit dem Ziel der Erschleichung einer ansonsten nicht zu erreichenden Typgenehmigung und einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten kann nicht ausgegangen werden, wenn das KBA als zuständige Behörde nach gezielten eigenen Untersuchungen in Kenntnis der verwendeten Funktionen keine Veranlassung sieht, die Typgenehmigung zu widerrufen oder deren Fortbestand von verpflichtenden Software-Updates abhängig zu machen. In den Fällen, in denen - wie vorliegend - der betreffende Motor verschiedentlich überprüft und von dem KBA unter keinem Gesichtspunkt beanstandet worden ist, kommt eine Haftung der Motorenherstellerin nach § 826 BGB nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 09.05.2022 - VIa ZR 303/21 -, juris, m.w.N.).
32
c) Im Rahmen der Beweisaufnahme hat der Sachverständige bei seiner Untersuchung des streitgegenständlichen Fahrzeugs abgesehen von einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung (sog. Thermofenster, s.o.) keine Anhaltspunkte dafür finden können, dass das Fahrzeug eine Prüfstandssituation erkennt und dementsprechend die Abgasreinigung steuert; hiervon geht auch der Senat aus (§ 286 ZPO).
33
Im Termin vom 19.07.2022 erläuterte er sein Gutachten und seine Vorgehensweise und führte aus, das streitgegenständliche Fahrzeug unterfalle der Abgasnorm EU5. Es sei daher nur mit einer Abgasrückführung ausgerüstet. Entsprechend einfach sei - im Gegensatz zu Fahrzeugen der Norm EU6, die zusätzlich über eine Abgasnachbehandlung verfügten - die Motorsteuerung des Fahrzeugs. Da die temperaturgesteuerte Abgasrückführung unstreitig und nach Weisung des damaligen Senatsvorsitzenden nicht zu untersuchen gewesen sei, habe keine Veranlassung bestanden, die Steuerungssoftware auszulesen. Er habe daher messtechnisch Parameter untersucht, die bei dem Motor EA 189 der VW AG eine höhere Abgasrückführungsrate triggerten, insbesondere eine nur langsame Beschleunigung von 0 auf 50 km/h in 26 Sekunden und fehlende Lenkbewegungen. Eine Abschalteinrichtung vergleichbar mit der Umschaltlogik des genannten Motors habe dabei nicht festgestellt werden können. Das Fahrzeug der Klägerin habe nur geringfügig erhöhte Messwerte aufgewiesen, die durch Verschleiß problemlos zu erklären seien. Bei unzulässigen Abschalteinrichtung fänden sich hingegen regelmäßig Werte, die die einschlägigen Grenzwerte um das zehn- bis zwanzigfache überstiegen.
34
Sowohl die schriftlichen Gutachten als auch die mündlichen Erläuterungen waren für den Senat ohne weiteres verständlich und ohne Schwierigkeiten nachzuvollziehen. Der Sachverständige hat die konkrete Fragestellung (die sich ohnehin hart am Rand einer Ausforschung bewegte, vgl. dazu die Schriftsätze Beklagtenvertreter vom 05.06.2020, 22.06.2020 und Beschlüsse des Senats vom 09.06.2020 und 24.06.2020) vollständig, erschöpfend und präzise abgearbeitet. Zweifel an der angewandten Methodik oder Hinweise auf unrichtige Annahmen oder Denkfehler haben sich für den Senat nicht ergeben.
35
Die stichpunktartige Zusammenfassung seiner mündlichen Ausführungen im Termin vom 19.07.2022, die er in diesem Termin dem Senat und den Parteien überreicht hat, hat der Senat bei der Urteilsfindung nicht berücksichtigt.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
37
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
38
Die Revision war nicht zuzulassen. Es handelt sich vorliegend um einen Einzelfall, der wie ausgeführt anhand der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden werden konnte.
39
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.