Titel:
Erfolglose Asylklage einer äthiopischen Staatsangehörigen
Normenketten:
AsylG § 3, § 4, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 2c
VwVfG § 47, § 51 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die politische Lage in Äthiopien hat sich für Regierungsgegner und Oppositionelle seit Anfang 2018 deutlich entspannt. (Rn. 40 – 49) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein landesweiter Konflikt ist trotz der Unruhen und Kampfhandlungen im Norden des Landes angesichts der Größe Äthiopiens derzeit nicht anzunehmen. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylfolgeantrag, Äthiopien, innerstaatlicher Konflikt, Versorgungslage, alleinstehende Frau, rechtliches Gehör, Verspätung des Prozessbevollmächtigten, (fehlender) Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, Asyl, Folgeantrag, unzulässig, exilpolitische Aktivitäten, humanitären Verhältnisse, bewaffneter Konflikt
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 12.08.2022 – 23 ZB 22.30780
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21932
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen den ihren Asylantrag ablehnenden Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 21. Juni 2017 und begehrt dessen Aufhebung sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung als Asylberechtigte, zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der subsidiären Schutzberechtigung sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
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Die Klägerin ist nach ihren eigenen Angaben eine am … 1983 geborene äthiopische Staatsangehörige, amharischer Volkszugehörigkeit und christlich-othodoxen Glaubens. Sie reiste am 14. August 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag.
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Zu ihrem Reiseweg befragt führte die Klägerin zunächst aus, sie habe am 27. März 2009 Äthiopien in Richtung Libanon verlassen. Sie habe sich bis 13. August 2011 in … aufgehalten, dann sei sie mit ihrem Arbeitgeber am 14. August 2011 in Deutschland angekommen. Ihr Arbeitgeber habe ihre Reise organisiert, sie habe ihm ihren Reisepass gegeben. Er sei mit ihr nach … mitgereist, er habe alles für sie bezahlt inklusive der Flugtickets. Am Flughafen habe es keine Probleme gegeben, die Ehefrau ihres Arbeitgebers habe die Papiere immer für sie vorgezeigt. Eine äthiopische Frau hätte sie mit dem Zug von … nach … gebracht. Dort habe sie sich dann als Asylsuchende gemeldet.
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Im Rahmen der Anhörung führte die Klägerin am 12. Oktober 2011 im Wesentlichen aus: In Äthiopien habe sie mit ihren Eltern und jüngeren Geschwistern in … zusammengelebt. Sie wisse nicht, wo sich ihre Eltern und ihre Geschwister heute aufhalten würden. Ihr Vater habe sie zu einem Freund gebracht und von dort aus sei es damals nach … gegangen. Ihr Vater sei des Öfteren verhaftet worden. Ihre Mutter habe sich sehr um sie gesorgt. Ihr Vater sei zu seinem Freund gegangen und habe diesen gefragt, ob er sie, die Klägerin, nicht ins Ausland schicken könnte. Dafür habe sie aber eine Arbeit gebraucht, so einfach habe sie nicht ins Ausland gehen können. Zur Flucht ihrer Geschwister hätten ihr ihre Eltern nicht viel erzählt. Zur Flucht ihrer Eltern könne sie selbst nicht viel sagen, weil der Freund des Vaters ihr nichts erzählt habe. Sie selbst habe ihren Eltern über ihre Arbeitgeberin Geld zukommen lassen wollen, was ihr aber nicht gelungen sei. Telefonisch habe sie ihre Eltern nicht erreichen können, weil diese kein Telefon hätten. Sie habe den Freund ihres Vaters nach der Adresse ihrer Eltern gefragt, aber der habe sie ihr nicht sagen können. Der Freund des Vaters habe von ihrer Arbeitgeberin ihren Arbeitslohn erhalten. Er habe aber angefangen, mehr Geld zu verlangen. Er habe ihre Arbeitgeberin angerufen und gesagt, dass er das Geld für die Vermittlung und dafür beanspruchen würde, dass er sie ins Ausland gebracht hätte. Auch ihr habe er Briefe geschrieben, seine Adresse wisse sie nicht mehr. Sie habe auch Probleme mit ihrer Arbeitgeberin in … gehabt. Sie sei wie eine Sklavin behandelt worden. Sie hätte sehr viel Arbeit zu verrichten gehabt. Sie habe im Haushalt ihrer Arbeitgeberin, deren Mutter und Schwester gearbeitet. Der Mann ihrer Arbeitgeberin habe ihr auch Probleme gemacht, er habe sie dauernd vergewaltigt. Sie habe viel Leid ertragen müssen und große Angst gehabt. Ihre Chefin habe sie auch geschlagen, sie habe sich gegen all dies nicht wehren können. Auf die Frage, warum sie nicht in ihre Heimat zurückgegangen sei, führte die Klägerin aus, wohin sie hätte gehen sollen. Ihre Eltern und sie seien dort wegen politischer Probleme gesucht worden. Sie habe dort auch niemanden mehr, an den sie sich wenden hätte können. Zu den politischen Problemen befragt führte die Klägerin aus, ihr Vater sei in der Wahlzeit 2005 politisch aktiv gewesen. Er habe sich als Wahlbeobachter und Agitator für die Kandidaten betätigt. Die Polizei hätte ihn und sie gesucht. Sie habe fliehen wollen, sie hätten sie gestoßen und sie sei hingefallen und habe sich im Gesicht verletzt. Außerdem habe sie studieren wollen, auch das sei ihr verboten worden, weil sie das Kind des Politikers gewesen sei. Sie habe für ihren Vater Aufgaben erledigt, z.B. habe sie Briefe in Umschläge gepackt und diese verschickt. Auf die Frage, was sie denn glaube, was die Feinde ihres Vaters von ihr gewollt hätten, führte die Klägerin aus, die Nachbarn hätten sie verraten, sie hätten auch verraten, dass sie für ihren Vater Aufgaben erledigt habe. Das wisse sie allerdings nicht, das vermute sie nur. Die Feinde ihres Vaters seien die Polizisten, Staatsmänner und Regierungsmitglieder gewesen. Die Leute in ihrer Gegend würden die jetzige Regierung nicht mögen, die jetzige Regierung möge ihren Vater nicht und ihr Vater die jetzige Regierung nicht. Ihr Vater sei Händler gewesen, davor sei er Soldat des vorherigen Regimes gewesen. Bei einer Rückkehr nach Äthiopien würde sie sterben, weil bekannt sei, dass sie ihren Vater unterstützt habe. Auf die Frage, wie ihr Vater gezeigt habe, dass er die Regierung nicht akzeptieren würde, führte die Klägerin aus, sie verstehe erst im Nachhinein alles, damals habe sie es nicht verstanden, sie sei noch zu jung gewesen. Er habe seinen Hass nicht so gezeigt. Er sei Gegner der Regierung gewesen, er habe aber das nicht näher gezeigt.
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Mit Bescheid vom 11. November 2011 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag der Klägerin auf Anerkennung als Asylberechtigte ab und stellte fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG vorliegen und forderte die Klägerin unter Fristsetzung und Abschiebungsandrohung nach Äthiopien zur Ausreise auf. Auf die Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.
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Gegen den Bescheid vom 11. November 2011 hat der Klägerin am 6. Dezember 2011 Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach erheben lassen (AN 3 K 11.30547), welche mit Urteil vom 14. März 2012 abgewiesen wurde.
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Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 14. November 2016 stellte die Klägerin einen Asylfolgeantrag.
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Zu Begründung ließ sie unter anderem anführen, dass sie weiterhin Mitglied der EPPF und für diese aktiv sei. Aufgeführt wurden zahlreiche Veranstaltungen der Organisation, an welchen teilweise auch die Klägerin teilgenommen habe. Es seien auch Artikel von ihr in Zeitschriften veröffentlicht worden. Die Entwicklung in Äthiopien habe sich seit November 2015 drastisch geändert. Die Eintrittsschwelle für eine Verfolgung mutmaßlicher Gegner des Regimes sei erheblich heruntergesetzt. Es reiche der bloße Verdacht von Sympathien für die Opposition. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz verwiesen.
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Mit am 22. Juni 2017 zur Post gegebenen Bescheid vom 21. Juni 2017 wurde der Antrag als unzulässig abgelehnt (Ziff. 1). Der Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 11. November 2011 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wurde abgelehnt (Ziff. 2). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 36 Monate ab dem Tag Ausreise befristet (Ziff. 3).
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Es handle sich um einen unzulässigen Folgeantrag, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Der Grund zum Wiederaufgreifen des Verfahrens in Form einer Sachlagenänderung liege nicht vor. Die Angaben der Klägerin bezögen sich auf die Darstellung der allgemeinen politischen Lage in Äthiopien. Individuelle Gründe, die auf eine neu entstandene Verfolgungsgefahr schließen ließen, seien nicht ansatzweise genannt worden. Im Übrigen wird auf den Bescheid verwiesen.
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Gegen den Bescheid hat die Klägerin am 10. Juli 2017 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach erheben lassen. Zugleich ließ sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Rechtsanwaltes beantragen.
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Mit Schriftsatz vom 23. Juli 2017 wurde die Klage näher begründet und unter Verweis auf die Folgeantragsbegründung vom 14. November 2016 weiter vertieft. Es würden mittlerweile auch neue Erkenntnismittel vorliegen, die der Klägerin erst im Juni 2017 bekannt geworden seien. Verwiesen werde auf die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes und dessen Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Gießen vom 9. Dezember 2016 sowie die Stellungnahme des Instituts für Afrikakunde vom 30. Januar 2017. Ebenfalls verwiesen werde auf die Stellungnahme des Herrn G. S. vom 23. Februar 2017 an das Verwaltungsgericht Gießen.
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Die Aussage der Beklagten im angefochtenen Bescheid, die Klägerin habe nichts angeführt, was nunmehr ihre Verfolgungsfurcht begründen könne, sei schlechterdings falsch. Es hätten sich die innenpolitischen Verhältnisse im Land geändert. Die Handlungsweisen der Klägerin im Rahmen ihrer exilpolitischen Aktivitäten seien unter Strafe gestellt. Als Mitglied der EPPF, die seitens des Regimes als terroristisch eingestuft werde, habe sich ihr Rückkehrrisiko erheblich und eindeutig geändert. Sie sei auch nicht einfache Angehörige der Partei gewesen, sondern über Jahre hinweg im Vorstand der Landesgruppe. Durch ihre kontinuierlichen Aktivitäten habe sie eine gewisse Nachhaltigkeit nachgewiesen. Als alleinstehende Frau habe die Klägerin zudem bei einer Rückkehr keine Chance, sich eine Existenz aufzubauen, die ein Überleben ermögliche. Über familiäre Bindungen verfüge die Klägerin nicht mehr. Die wirtschaftliche Lage sei ohnehin extrem schwierig in Äthiopien. Auch sei die Stellung von Frauen in der äthiopischen Gesellschaft extrem schwach. Aufgrund einer erneuten Dürre seien wiederum über zehn Millionen Äthiopier vom Hunger bedroht. Auch aufgrund der Inflation sei die Situation für Personen ohne Einkommen immer schwieriger.
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Für die Klägerin wird beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 21. Juni 2017 aufzuheben, und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen, ihr die Flüchtlingseigenschaft und die subsidiäre Schutzberechtigung zuzuerkennen sowie festzustellen, dass nationale Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Für die Beklagte beantragt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
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Zur Begründung nahm das Bundesamt auf den angegriffenen Bescheid Bezug.
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Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2018 beantragte die Klägerin die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO (AN 9 S 18.30917), da die Ausländerbehörde die Vollziehung der Abschiebungsandrohung betreibe.
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Mit Beschluss vom 10. August 2018 ordnete das Verwaltungsgericht Ansbach die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 21. Juni 2017 an.
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Mit Beschluss vom 24. März 2022 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Mit weiterem Beschluss vom 24. März 2022 wurde der Klägerin teilweise Prozesskostenhilfe gewährt. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt.
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Mit Schriftsatz vom 3. Juni 2022 ergänzte die Klägerin ihr Vorbringen dahingehend, dass es entgegen der Ansicht der Beklagten im Rahmen eines Folgeverfahrens auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Sachentscheidung auf die Rechtmäßigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung zum Zeitpunkt des Ergehens des Bescheides ankomme. Diese „verliere“ ihre Rechtswidrigkeit nicht durch Änderungen im Heimatland. Gegenstand sei nicht Entscheidung über die Begründetheit eines Asylbegehrens sondern über das jeweils einzuschlagende Verfahren. Bei einer anderen Ansicht vernichte man fraglos bestehende verfahrensrechtliche Position der jeweiligen Betroffenen. Abgesehen davon hätten die im Jahr 2018 durch Übernahme des Amtes des neuen Premierministers ausgelösten Änderungen der innenpolitischen Lage in Äthiopien einen durchaus wechselhaften Verlauf genommen. Die Klägerin habe sich in den Augen der äthiopischen Sicherheitsbehörden aufgrund ihres nachhaltigen Einsatzes für die EPPF als engagierte Vertreterin der amharischen Volksgruppe dargestellt. Diese Bewegung sei eine erhebliche Bedrohung für die Partei des Premierministers. Dies zeige sich auch im Vorgehen der äthiopischen Sicherheitskräfte. Darüber hinaus habe die Klägerin als alleinstehende Rückkehrerin in Äthiopien keine Chance auf ein Existenzminimum. Unterstützende Angehörige lebten nach ihrer Kenntnis nicht mehr dort. Aufgrund des faktischen Kriegszustandes könne sie auch nicht an ihren Heimatort zurückkehren. Es erfolgt eine allgemeine Darstellung der Lage in Äthiopien. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz verwiesen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und auf die Akten des Bundesamts, die dem Gericht in elektronischer Form vorgelegen haben, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 9. Juni 2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die nur teilweise zulässige, insbesondere fristgemäß erhobene (vgl. § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG) Klage ist im Übrigen nicht begründet. Die Beklagte hat die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) im Rahmen der Folgeantragsprüfung gemäß § 71 AsylG zu Recht als nicht gegeben angesehen und den Antrag als unzulässig i.S.d. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG abgelehnt, da sich die Sachlage nicht zu Gunsten der Klägerin geändert hat. Die Klägerin hat im Ergebnis jedenfalls keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzberechtigung. Auch die Feststellung von Abschiebungsverboten scheidet vorliegend aus.
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1. Gegen die vom Bundesamt getroffene Unzulässigkeitsentscheidung ist die Anfechtungsklage statthaft. Lehnt es das Bundesamt wie hier ab, eine sachliche Prüfung des Schutzbegehrens eines Antragstellers vorzunehmen, ist die Anfechtungsklage die richtige Klageart, um das Rechtsschutzbegehren eines Asylantragstellers zu verwirklichen. Eine derartige Unzulässigkeitsentscheidung ist nach der jüngeren Rechtsprechung mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Eine gerichtliche Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung hat zur Folge, dass das Bundesamt das Verfahren fortführen und eine Sachentscheidung treffen muss (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 - 1 C 4.16 - BVerwGE 157, 18, Rn. 15 ff.; B.v. 1.6.2017 - 1 C 9.17 - juris, Rn. 14 f. und B.v. 2.8.2017 - 1 C 37.16 - juris, Rn. 19; BVerwG, U.v. 21.11.2017 - 1 C 42.16 - juris). Die Anfechtungsklage ist auch nicht wegen des Vorrangs einer Verpflichtungsklage im Hinblick darauf unzulässig, dass für das von der Klägerin in erster Linie verfolgte Klageziel der Asylanerkennung die Verpflichtungsklage die richtige Klageart ist. In diesem Stadium des Verfahrens kann es nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts sein, anstelle des mit besonderer Sachkunde versehenen Bundesamtes, das mit der Sache noch gar nicht befasst war und demgemäß auch eine Entscheidung über das Asylbegehren noch gar nicht treffen konnte, über diesen Asylanspruch zu befinden. Für die Entscheidung über Asylanträge ist das Bundesamt vorrangig zuständig (§ 5 AsylG). Darüber hinaus ginge der Klägerin eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Das gilt sowohl für die Verpflichtung der Behörde zur persönlichen Anhörung (§ 24 Abs. 1 Satz 2 AsylG) als auch zur umfassenden Sachaufklärung sowie der Erhebung der erforderlichen Beweise von Amts wegen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG) ohne die einmonatige Präklusionsfrist, wie sie für das Gerichtsverfahren in § 74 Abs. 2 AsylG in Verbindung mit § 87b Abs. 3 VwGO vorgesehen ist. (BVerwG, U.v. 7.3.1995 - 9 C 264.94 - juris). Auch bei einer Entscheidung über einen Folgeantrag nach § 71 AsylG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allein die Anfechtungsklage die statthafte Klageart (BVerwG, U.v. 4.12.2016 - 1 C 4/16 - juris). Demzufolge ist das über die Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung hinausgehende Verpflichtungsbegehren auf Anerkennung als Asylberechtigte, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie Gewährung subsidiären Schutzes bereits unzulässig.
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Hinsichtlich des Bestehens nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG ist allerdings nur eine Verpflichtungsklage statthaft (BVerwG, U.v. 14.12.2016 - 1 C 4.16 - juris, Rn. 20). Seit der Neufassung des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG durch das Integrationsgesetz (G.v. 31.7.2016, BGBl. I S. 1939) ist das Bundesamt bei einem Folgeantrag verpflichtet zu prüfen, ob Abschiebungsverbote i.S.d. § 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG vorliegen (vgl. BVerwG, B.v. 3.4.2017 - 1 C 9.16 - juris, Rn. 9; BVerwG, U.v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 - juris, Rn. 20). § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG erfasst nun auch unzulässige Asylanträge und damit auch Folgeanträge gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Dies bedeutet, dass in Asylfolgeverfahren nach dem eindeutigen Wortlaut der genannten Regelung die Feststellung, ob die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots vorliegen, immer und unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 VwVfG zu treffen ist (vgl. VG Oldenburg, B.v. 16.3.2017 - 3 B 1322/17 - juris). In Bezug auf § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hat sich das Bundesamt somit anlässlich einer Entscheidung über einen Folge- oder Zweitantrag auch mit diesem Schutzbegehren sachlich zu befassen (vgl. u.a. VG München, B.v. 23.3.2017 - M 2 S 17.34212 - juris, Rn. 21; VG Ansbach, U.v. 31.8.2017 - AN 3 K 16.31180; VG Regensburg, B.v. 8.8.2018 - RN 14 S 18.31949; B.v. 5.7.2018 - RN 8 E 18.31811). Die vom Bundesamt in Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheids getroffene Entscheidung, die Abänderung des Bescheids vom 11. November 2011 bezüglich der Feststellung zu nationalen Abschiebungsverboten abzulehnen, ist allerdings formell fehlerhaft. Zwar ist nach der Begründung des Bescheids inhaltlich offensichtlich eine Prüfung des Bestehens von Abschiebeverboten im Zeitpunkt der Entscheidung über den Folgeantrag erfolgt, so dass die Ziff. 2 gemäß § 47 VwVfG umgedeutet werden kann in die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht bestehen. Der Antrag enthält daher zusätzlich zur Anfechtungsklage eine Verpflichtungsklage auf Feststellung des Bestehens von nationalen Abschiebungsverboten.
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2. Die Klage ist im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung unbegründet.
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Soweit der Klägervertreter meint, es komme hinsichtlich des Aufhebungsbegehrens bzgl. der Unzulässigkeitsentscheidung auf den Zeitpunkt des Erlasses der Behördenentscheidung an, kann dem - der weit überwiegenden Ansicht in Literatur und Rechtsprechung folgend - gerade nicht gefolgt werden (vgl. nur beispielhaft: Bergmann/Dienelt/Bergmann, 13. Aufl. 2020, AsylG § 71; Rn. 47; BeckOK MigR/Camerer, 11. Ed. 15.4.2022, AsylG § 71 Rn. 14 m.w.N.; NK-AuslR/Kerstin Müller, 2. Aufl. 2016, AsylVfG § 71 Rn. 26 m.w.N.; NK-AuslR/Stephan Hocks, 2. Aufl. 2016, AsylVfG § 77 Rn. 3 m.w.N.)
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Die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig gemäß §§ 71, 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist nicht zu beanstanden. Das Bundesamt hat in Ziff. 1 des streitgegenständlichen Bescheids den (Folge-)Antrag zu Recht als unzulässig abgelehnt. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Es ist zudem kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen. Der rechtmäßige Bescheid des Bundesamts war daher nicht aufzuheben und die Beklagte nicht zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes zu verpflichten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarem Abschluss eines früheren Asylverfahrens erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist nach § 71 Abs. 1 AsylG ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, d.h. wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- und Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Der Antrag ist gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen. Nach § 51 Abs. 3 VwVfG muss der Antrag binnen drei Monaten gestellt werden, wobei die Frist mit dem Tag beginnt, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.
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§ 71 AsylG geht von einer Zweistufigkeit der Prüfung von Asylfolgeanträgen aus (BVerfG, B.v. 3.3.2000 - 2 BvR 39/98 - juris, Rn. 30 ff. = DVBl 2000, 1048). Bei der Beachtlichkeits- oder Relevanzprüfung geht es zunächst - im ersten Prüfungsschritt - darum, festzustellen, ob das Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, also die erforderlichen Voraussetzungen für die Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheides erfüllt sind (BVerwG, U.v. 10.2.1998 - 9 C 28/97 - juris = BVerwGE 106, 171). Dafür genügt bereits ein schlüssiger Sachvortrag, der freilich nicht von vorneherein nach jeglicher vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung zu verhelfen; es genügt mithin schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (BVerfG, B.v. 13.3.1993 - 2 BvR 1988/92 - juris, Rn. 23 = InfAuslR 1993, 229).
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Liegen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens dagegen nicht vor, darf kein weiteres Asylverfahren durchgeführt werden und dem Folgekläger steht - weil § 71 Abs. 1 AsylG den § 51 Abs. 5 VwVfG nicht in Bezug nimmt - auch kein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung über die Eröffnung eines neuen Asylverfahrens nach den §§ 48, 49 VwVfG zu (BVerwG, U.v. 15.12.1987 - 9 C 285.86 - juris, Rn. 21 = BVerwGE 78, 332). In diesem Fall ist - wie vorliegend geschehen - der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abzulehnen.
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a) Hier hat das Bundesamt zu Recht kein weiteres Asylverfahren durchgeführt. Das Verfahren ist schon deshalb nicht erneut aufzugreifen, weil keine Sachlagenänderung vorgetragen wurde, die dem Grunde nach zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung tauglich zur Anerkennung als Asylberechtigte, zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiären Schutzberechtigung wäre. Die Klägerin hat ihre Folgeantragsbegründung im Wesentlichen auf eine geänderte politische Lage sowie auf ihre exilpolitischen Aktivitäten zum Zeitpunkt der Folgeantragstellung gestützt. Entsprechend ihrer Einlassungen in der mündlichen Verhandlung scheidet aber eine Verfolgungsgefahr aufgrund exilpolitischer Aktivitäten schon dem Grunde nach aus, da die Klägerin sämtliches Engagement mit dem Regierungswechsel hin zu dem Ministerpräsidenten Abiy Ahmed eingestellt hat.
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Die Klägerin hat auch ansonsten aufgrund ihres Vorbringens und der gerichtsbekannten Entwicklungen in Äthiopien keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Anerkennung als Asylberechtigte. Ihr droht bei einer Rückkehr nach Äthiopien keine Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift. Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr. 1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet (Nr. 2), dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Buchst. a)) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Buchst. b)). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Einzelne in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG ausgesetzt ist. Erforderlich ist insoweit, dass der Ausländer gezielte Rechtsverletzungen zu befürchten hat, die ihn wegen ihrer Intensität dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, B.v. 28.3.2014 - 13 A 1305/13.A - juris). Eine Verfolgung kann nach § 3c AsylG von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die soeben genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (vgl. dazu § 3d AsylG), und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es nach § 3b Abs. 2 AsylG auch unerheblich, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist, weil er tatsächlich die Merkmale besitzt, die zu seiner Verfolgung führen, sofern der Verfolger dem Betroffenen diese Merkmale tatsächlich zuschreibt.
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Die Flüchtlingseigenschaft kann allerdings nicht zuerkannt werden, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesem Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e AsylG).
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Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt unabhängig davon, ob bereits eine Vorverfolgung stattgefunden hat, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 - juris, Rn. 22). Eine Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt aber durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL - RL 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 ff.). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden sind danach ernsthafte Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass ein Kläger tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies gilt nur dann nicht, wenn stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. In der Vergangenheit liegenden Umständen ist damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beizumessen (vgl. auch OVG NRW, U.v. 21.2.2017 - 14 A 2316/16.A - juris, Rn. 24).
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Bezüglich der vom Ausländer im Asylverfahren geltend gemachten Umstände, die zu seiner Ausreise aus dem Heimatland geführt haben, genügt aufgrund der regelmäßig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings die Glaubhaftmachung. Die üblichen Beweismittel stehen ihm häufig nicht zur Verfügung. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Ausländers und dessen Würdigung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dies bedeutet anderseits jedoch nicht, dass der Tatrichter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist (BVerwG U.v. 16.4.1985 - 9 C 109.84 - juris, Rn. 16 und U.v. 11.11.1986 - 9 C 316.85 - juris, Rn. 11). Eine Glaubhaftmachung in diesem Sinne setzt voraus, dass die Geschehnisse im Heimatland schlüssig, substantiiert und widerspruchsfrei geschildert werden. Erforderlich ist somit eine anschauliche, konkrete und detailreiche Schilderung des Erlebten. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Ausländer nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst werden (BVerwG, U.v. 1.10.1985 - 9 C 19.85 - juris, Rn. 16 und B.v. 21.7.1989 - 9 B 239.89 - juris, Rn. 3).
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Der Klägerin drohen nach diesen Maßstäben keine politischen Verfolgungsmaßnahmen wegen der Umstände, die sie im Rahmen des Asylfolgeverfahrens vorgetragen hat.
38
Aufgrund des seit April 2018 vorherrschenden grundlegenden Wandels der politischen Verhältnisse in Äthiopien und der daraus folgenden Situation für Oppositionelle ist mit der Rechtsprechung des 8. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (vgl. U.v. 12.3.2019 - 8 B 18.30252; U.v. 12.3.2019 - 8 B 18.30274; U.v. 13.2.2019 - 8 B 18.30261; U.v. 13.2.2019 - 8 B 18.30257; U.v. 13.2.2019 - 8 B 18.31645 - alle juris) nämlich davon auszugehen, dass entsprechend der aktuellen Erkenntnisquellen von einer grundlegenden Veränderung der politischen Verhältnisse seit April 2018 ausgegangen werden kann mit der Folge, dass dem Kläger weder aufgrund der behaupteten früheren Ereignisse in Äthiopien (sog. „Vorfluchtgründe“) noch infolge denkbarer exilpolitischer Tätigkeit in Deutschland (sog. „Nachfluchtgründe“) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete, flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht.
39
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin Äthiopien bereits vorverfolgt verlassen hat und deshalb Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU mit der darin enthaltenen Vermutung zu ihren Gunsten anzuwenden wäre. Denn selbst wenn man dies zu ihren Gunsten annimmt, sprechen infolge der Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit April 2018 triftige Gründe gegen die Wiederholung einer solchen Verfolgung.
40
Die politische Lage in Äthiopien hat sich für Regierungsgegner und Oppositionelle seit Anfang 2018 deutlich entspannt:
41
Seit seinem Amtsantritt hat der dem Volk der Oromo angehörige Premierminister Abiy Ahmed eine Vielzahl tiefgreifender Reformen in Äthiopien umgesetzt. Mitte Mai 2018 wurden das Kabinett umgebildet und altgediente EPRDF-Funktionsträger abgesetzt; die Mehrheit des Kabinetts besteht nun aus Oromo.
42
Für Oppositionelle hat sich die Situation deutlich verbessert. Bereits unmittelbar nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed wurde im April 2018 das „Maekelawi-Gefängnis“ in Addis Abeba, in dem offenbar insbesondere auch aus politischen Gründen verhaftete Gefangene verhört worden waren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 24; Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht S. 17), und im August 2018 das „Jail Ogaden“ in der Region Somali geschlossen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 24 f.). In der ersten Jahreshälfte 2018 sind ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte Personen vorzeitig entlassen worden. Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 politische Gefangene freigelassen worden, darunter unter anderem führende Oppositionspolitiker (Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht S. 9 f.). Am 20. Juli 2018 wurde ein allgemeines Amnestiegesetz erlassen, nach welchem Personen, die bis zum 7. Juni 2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze, insbesondere wegen begangener politischer Vergehen, strafrechtlich verfolgt wurden, innerhalb von sechs Monaten einen Antrag auf Amnestie stellen konnten (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 7.2.2019; Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht S. 11).
43
Am 5. Juli 2018 wurde als wesentliche und asylrechtlich relevante Veränderung in Äthiopien die Einstufung der Untergrund- und Auslands-Oppositionsgruppierungen Ginbot7 (auch Patriotic Ginbot7 oder PG7), OLF und ONLF (Ogaden National Liberation Front) als terroristische Organisationen durch das Parlament von der Terrorliste gestrichen und die Oppositionsgruppen wurden eingeladen, nach Äthiopien zurückzukehren, um am politischen Diskurs teilzunehmen (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme vom 7.2.2019; VG Bayreuth, U.v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris, Rn. 44). Am 7. August 2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF in Eritrea ein Versöhnungsabkommen. Es sind verschiedene herausgehobene äthiopische Exilpolitiker nach Äthiopien zurückgekehrt, die nunmehr teilweise aktive Rollen im politischen Geschehen haben (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungahme vom 7.2.2019; BFA Länderinformationsblatt S. 23). Gerade politische Gefangene und Regimegegner wurden freigelassen und zum Gespräch eingeladen. Dies spricht dafür, dass der Kläger trotz einer eventuellen früheren Verfolgung im Falle seiner Rückkehr keiner der in § 3a AsylG aufgeführten Verfolgungshandlungen (mehr) ausgesetzt sein wird.
44
Unter Zugrundelegung dieser positiven politischen Entwicklungen ist nicht anzunehmen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage der Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund des von ihr angegebenen Geschehens bezüglich ihrer seit der Machübernahme durch den Ministerpräsidenten Abiy Ahmed im Jahr ohnehin durch die Klägerin eingestellten politischen Aktivitäten sowie ihrer Nähe zu ihrem Vater noch Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin in Äthiopien verfolgt werden könnte.
45
Bei der Lagebeurteilung übersieht das Gericht nicht, dass die politischen Verhältnisse teilweise unübersichtlich und instabil sind und nicht nur positive Reformbestrebungen in Äthiopien zu verzeichnen sind. Hierzu führt der BayVGH in seinem Urteil vom 13.2.2019 - 8 B 18.31645 - aus:
„So ist es in Äthiopien in den vergangenen Monaten mehrfach zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen der Regierung und der Bevölkerung gekommen. Auch leidet das Land mehr denn je unter ethnischen Konflikten (vgl. The Danish Immigration Service S. 11). Am 15. September 2018 kam es nach Rückkehr der Führung der OLF zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, die zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert haben. Zu weiteren Todesopfern kam es, als tausende Menschen gegen diese Gewaltwelle protestierten (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8, 19; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7). Bei einer Demonstration gegen die Untätigkeit der Regierung bezüglich der ethnisch motivierten Zusammenstöße im ganzen Land vertrieb die Polizei die Demonstranten gewaltsam und erschoss dabei 5 Personen. Insgesamt 28 Menschen fanden bei den Zusammenstößen angeblich den Tod. Kurz darauf wurden mehr als 3.000 junge Personen festgenommen, davon 1.200 wegen ihrer Teilnahme an der Demonstration gegen ethnische Gewalt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 7), die laut Angaben der Polizei nach „Resozialisierungstrainings“ allerdings wieder entlassen wurden (vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 11). Auch soll die äthiopische Luftwaffe bei Angriffen im Regionalstaat Oromia am 12./13. Januar 2019 sieben Zivilisten getötet haben. Die Regierung räumte hierzu ein, Soldaten in die Region verlegt zu haben, warf der OLF aber kriminelle Handlungen vor. Mit einer Militäroffensive sollte die Lage wieder stabilisiert werden (vgl. BAMF, Briefing Notes vom 21. Januar 2019 - Äthiopien).
Auch in den Regionen sind Gewaltkonflikte nach wie vor nicht unter Kontrolle (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 6 f.). In den Regionen Oromia, SNNPR, Somali, Benishangul Gumuz, Amhara und Tigray werden immer mehr Menschen durch Gewalt vertrieben. Aufgrund der Ende September 2018 in der Region Benishangul Gumuz einsetzenden Gewalt wurden schätzungsweise 240.000 Menschen vertrieben (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 8 f.). Rund um den Grenzübergang Moyale kam es mehrfach, zuletzt Mitte Dezember 2018, zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia-Region sowie den Sicherheitskräften, bei denen zahlreiche Todesopfer zu beklagen waren. Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten in der Somali-Region geflohen (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 9 f.). Auch in der Region Benishangul Gumuz sind bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden aktiv und es bestehen Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien, welche regelmäßig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften des Bundes zur Unterdrückung der Gewalt dauern die Konflikte weiterhin an. Ebenso gibt es an der Grenze zwischen der Region Oromia und der SNNPR bewaffnete Auseinandersetzungen. Insgesamt erhöhte sich die Zahl an Binnenflüchtlingen in Äthiopien deswegen allein in der ersten Jahreshälfte 2018 auf etwa 1,4 Millionen Menschen (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 27.12.2018, „Äthiopiens schmaler Grat zwischen Demokratie und Chaos“).
Bei diesen Ereignissen handelt es sich nach Überzeugung des Senats auf der Grundlage der angeführten Erkenntnismittel aber nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Oppositionelle wegen ihrer politischen Überzeugung, sondern um Vorfälle in der Umbruchsphase des Landes bzw. um Geschehnisse, die sich nicht als Ausdruck willentlicher und zielgerichteter staatlicher Rechtsverletzungen, sondern als Maßnahmen zur Ahndung kriminellen Unrechts oder als Abwehr allgemeiner Gefahrensituationen darstellen. Dies zeigt etwa auch die Tatsache, dass das äthiopische Parlament am 24. Dezember 2018 ein Gesetz zur Einrichtung einer Versöhnungskommission verabschiedet hat, deren Hauptaufgabe es ist, der innergemeinschaftlichen Gewalt ein Ende zu setzen und Menschenrechtsverletzungen im Land zu dokumentieren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 20).“
46
Unter Berücksichtigung vorstehender Ausführungen ist nicht anzunehmen, dass die Klägerin als dem Volk der Amhara zugehörig mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch äthiopische Behörden zu befürchten hat. Nach Überzeugung des zur Entscheidung berufenen Einzelrichters ist weiterhin den Ausführungen des BayVGH in seinem Urteil vom 13.2.2019 - 8 B 18.31645 zu folgen. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass vereinzelt auch Übergriffe und nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen der Bundesrepublik vereinbare staatliche Maßnahmen durchgeführt werden. Diese sind jedoch gerade nicht Ausdruck eines allgemeinen Verfolgungswillens gegenüber Oppositionellen. Dies gilt gerade auch im Hinblick auf den erst kürzlich aufgehobenen Ausnahmezustand und der erneuten Freilassung von Häftlingen.
47
Dies gilt auch angesichts der Situation in der an den Heimatort der Klägerin angrenzende Region Oromia. Dort fanden örtlich begrenzte Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und bewaffneten Oppositionsgruppen statt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien, Stand Februar 2021, S. 7 f.). Der bislang größte Gewaltausbruch ereignete sich nach der Ermordung des politisch aktiven, oromischen Sängers Hachalu Hundessa am 29. Juni 2020. Im Anschluss daran kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen und Plünderungen in Addis Abeba und anderen Städten. Im Zuge dieser Unruhen gab es bis zu 178 Todesopfer und es kam zu zahlreichen Verhaftungen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien, Stand März 2021, S. 6 und 9). Am 5. Mai 2021 erklärte die Oromo Liberation Army (OLA) der äthiopischen Regierung den Krieg. Es kommt in zahlreichen Gebieten zu bewaffneten Auseinandersetzungen und Angriffen der OLA auf staatliche Ziele und Fahrzeuge (siehe Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise, Stand: 3. März 2022).
48
Dies gilt auch vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen der aktuellen Führung und den früheren Machthabern um die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF), der sich nach der Verschiebung der Parlaments- und Regionalwahlen durch die Zentralregierung im Jahr 2020 (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien, Stand: März 2021, S. 5 f.) in aktiven Auseinandersetzungen entlädt. Denn zwar mäandert der Konflikt im Tigray auch in die Amhara-Region - dort war die TPLF bis zur Stadt Dessie vorgedrungen (vgl. nur Spiegel-Online, Tigray-Konflikt: Äthiopische Rebellen rücken weiter vor, 31.10.2021). Indes gibt es keine Hinweise, dass … als Herkunftsstadt der Klägerin - rund 500 km entfernt von Tigray und Dessie - derzeit zu dauerhaft von Auseinandersetzungen geprägten Gebieten gehört. Zudem spricht nichts dafür, dass es in diesen Gebieten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu Verfolgungsmaßnahmen gegen Unbeteiligte kommt (vgl. insoweit auch VG Hamburg, U.v. 11.2.2021 - 19 A 832/16 - juris).
49
Auch die jüngsten Entwicklungen in Äthiopien zeigen keine spezifisch gegen die Amhara gerichteten Verfolgungsmaßnahmen (vgl. hierzu Spiegel-Online, Tigray-Konflikt: Uno warnt vor Ausbreitung des Bürgerkriegs in Äthiopien vom 8.11.2021). Es handelt sich vornehmlich um Kampfhandlungen zwischen TPLF und OLA einerseits gegen die Regierungstruppen andererseits. Zwar haben sich die derzeit regional beschränkten militärischen Auseinandersetzungen zwischenzeitlich ausgeweitet und es kann auch nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass weitere Regionen, insbesondere auch Addis Abeba, erreicht werden, derzeit ist dies aber nicht der Fall (vgl. auch Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise, Stand 8. April 2022).
50
Die Klägerin kann sich auch nicht auf die Geltendmachung von sog. Nachfluchtgründen im Sinne des § 28 Abs. 1a AsylG berufen. Insoweit gelten die obigen Ausführungen entsprechend. Aufgrund der neuen gesetzlichen Regelungen, insbesondere der Streichung der OLF von der Terrorliste und der Rückkehr namhafter Exilpolitiker der OLF, kann nicht (mehr) angenommen werden, dass äthiopische Staatsangehörige aufgrund ihrer exilpolitischen Tätigkeit, etwa weil sie einfaches Mitglied der TBOJ/UOSG sind oder waren oder weil sie diese Organisation durch die Teilnahme an einer oder an mehreren Demonstrationen oder Versammlungen unterstützt haben, im Fall ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen bedroht sind (vgl. VG Bayreuth, U.v. 31.10.2018 - B 7 K 17.32826 - juris Rn. 48; VG Regensburg, U.v. 13.11.2018 - RO 2 K 17.32132 - juris, Leitsatz und Rn. 34). Diese Auffassung wird auch durch die Einschätzung des Auswärtigen Amts bestätigt, wonach aktuell nicht davon auszugehen ist, dass eine (einfache) Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die in Äthiopien nicht (mehr) als Terrororganisation eingestuft ist, bzw. in einer ihr nahestehenden Organisation bei Rückkehr nach Äthiopien negative Auswirkungen nach sich zieht (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019, S. 2). Eine sonderlich exponierte Stellung der Klägerin hat diese zudem schon nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Vielmehr hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zugestanden, seit dem Regimewechsel im Jahr 2018 sämtliche exilpolitischen Aktivitäten eingestellt zu haben. Entgegen der Darstellung im Schriftsatz vom 3. Juni 2022 hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung - trotz mehrfacher Nachfrage des Gerichts - ein Furcht vor politischer Verfolgung nicht mehr behauptet, sondern sich im Wesentlichen auf Ausführungen zur allgemeinen Sicherheitslage in Äthiopien beschränkt.
51
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
52
Dass der Klägerin in Äthiopien die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, Folter oder Bestrafung durch staatliche Akteure droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 AsylG), ist nach dem oben Ausgeführtem nicht beachtlich wahrscheinlich. Es droht ihr zudem nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden durch nichtstaatliche Akteure (vgl. §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3c Nr. 3 AsylG).
53
Schließlich ist auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Klägerin infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht erkennbar.
54
Danach steht einem Ausländer subsidiärer Schutz zu, wenn er in seinem Herkunftsland als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (BVerwG, U.v. 24.6.2008 - 10 C 43/07 - juris). Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt nicht schon bei inneren Unruhen und Spannungen wie Tumulten, vereinzelt auftretenden Gewalttaten oder anderen ähnlichen Handlungen vor. Vielmehr muss ein Konflikt ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie dies etwa bei Bürgerkriegsauseinandersetzungen oder Guerillakämpfen der Fall ist (BVerwG, U.v. 24.6.2008 - 10 C 43/07 - juris). Eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben kann sich aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Zivilpersonen im Rahmen eines bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der Person des Ausländers verdichtet. Eine Gefahrenverdichtung liegt einerseits vor, wenn in der Person des Klägers selbst gefahrerhöhende Umstände liegen (BVerwG, U.v. 14.7.2009 - 10 C 9/08 - juris). Die geforderte „individuelle“ Bedrohung muss aber nicht notwendig auf die spezifische persönliche Situation des schutzsuchenden Ausländers zurückzuführen sein. Der betreffende subsidiäre Schutzanspruch besteht vielmehr auch dann, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 - C-465/07).
55
Ein landesweiter Konflikt ist trotz der Unruhen und Kampfhandlungen im Norden des Landes und dem zwischenzeitlichen Vorrücken der TPLF in Richtung Addis Adeba (siehe hierzu Spiegel-Online, Tigray-Konflikt: Uno warnt vor Ausbreitung des Bürgerkriegs in Äthiopien vom 8.11.2021) angesichts der Größe Äthiopiens derzeit nicht anzunehmen. Es kann auch dahinstehen, ob die Unruhen in der Region Tigray und den unmittelbar angrenzenden Gebieten für sich die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG erfüllen (vgl. Norbert Hahn, Konflikt in Tigray - Atmosphäre „völliger Rachsucht“ vom 9.2.2021; https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/aethiopien-tigray-eu-103.html; Reise und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes, Stand 4. Januar 2022), da die Klägerin gerade nicht aus diesen Gebieten stammt. Es ist vielmehr von einer Rückkehr nach … oder ggf. nach Addis Abeba auszugehen, da es sich in ersterem Fall um die Herkunftsregion der Klägerin handelt und typischerweise eine Rückkehr in die Herkunftsregion zu erwarten ist (vgl. VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris, Rn. 82 ff). Bezogen auf die Rückkehr dorthin ist aber - auch unter Zugrundelegung der aktuellen Entwicklungen (siehe insoweit Spiegel-Online, Bürgerkrieg in Äthiopien: Hunderttausende Regierungsanhänger protestieren gegen Rebellengruppe vom 7.11.2021; Spiegel-Online, Tigray-Konflikt: Uno warnt vor Ausbreitung des Bürgerkriegs in Äthiopien vom 8.11.2021; Spiegel Ausland v. 20.12.2021, Rebellen verkünden Rückzug Richtung Tigray) und der Rechtsprechung des EuGH - derzeit nicht von einer ernsthaften individuellen Bedrohung für die Klägerin auszugehen (siehe hierzu auch BayVGH, B.v. 21.12.2020 - 23 ZB 20.32090; allgemein: BVerwG, U.v. 20.5.2020 - 1 C 11/19 - juris). Zwar wurde am 2. November 2021 der landesweite Ausnahmezustand verhängt, welcher mittlerweile jedoch wieder aufgehoben wurde, und es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich die bislang weitgehend auf die Region Tigray und die Regionen Amhara und Afas beschränkten Auseinandersetzungen erneut ausdehnen. Es handelt sich aber um militärische Auseinandersetzungen zwischen der äthiopischen Armee und bewaffneten Akteuren der TPLF sowie der OLA. So kommt es auch in anderen Regionen schon bislang zu Angriffen auf staatliche Ziele und Fahrzeuge (siehe hierzu Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes, Stand 8. April 2022). Klarzustellen ist, dass auch das Gericht davon ausgeht, dass es auch in der Heimatregion der Klägerin immer wieder zu ethnisch-politischen Auseinandersetzungen kommt. Jedoch spricht nichts für ein derartiges Maß an willkürlicher Gewalt, dass von dem erforderlichen Maß einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit auszugehen ist, dass die Klägerin als Unbeteiligte einen ernsthaften Schaden nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG erleiden wird. Anderes ergibt sich insbesondere nicht aus den zuletzt von der Klägerseite schriftsätzlich aufgezeigten Erkenntnisquellen.
56
b) Die vom Bundesamt in Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheids getroffene Entscheidung, die Abänderung des Bescheids vom 11. November 2011 bezüglich der Feststellungen zu nationalen Abschiebungsverboten abzulehnen, ist fehlerhaft. Sie kann jedoch, wie oben bereits ausgeführt, im Wege des § 47 VwVfG in die Feststellung umgedeutet werden, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AsylG nicht bestehen. Mit diesem Inhalt ist die getroffene Entscheidung rechtmäßig. Der Klägerin kann nach § 60 Abs. 5 AufenthG kein Abschiebungsverbot zuerkannt werden.
57
Ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist nicht gegeben. Danach ist eine Abschiebung dann verboten, wenn dem Ausländer in dem Zielstaat der Abschiebung landesweit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Insoweit geht das Gericht davon aus, dass nach der Rechtsprechung des EGMR aus der Konvention, die hauptsächlich auf den Schutz der bürgerlichen und politischen Rechte abzielt, keine Rechte auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend gemacht werden können, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen erheblich beeinträchtigt würde, begründet nach der Rechtsprechung des EGMR noch keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK. Die grundlegende Bedeutung des Art. 3 EMRK erfordert jedoch nach Auffassung des EGMR eine gewisse Flexibilität, um in „sehr ungewöhnlichen“ bzw. „ganz außergewöhnlichen“ Fällen eine Abschiebung zu unterbinden. Dies kann auch nicht mit Blick darauf angenommen werden, dass nach Auffassung des EGMR in ganz außergewöhnlichen Fällen auch die Aufenthaltsbeendigung in einen Staat mit schlechten humanitären Verhältnissen bzw. Bedingungen, die keinem Akteur i.S.d. § 3c AsylG zugeordnet werden können, eine Verletzung des Art. 3 EMRK begründen kann, (vgl. etwa BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris, Rn. 23 ff; U.v. 13.6.2013 - 10 C 13/12 - juris, Rn. 25). Hierbei sind indes auch die individuellen Umstände miteinzubeziehen. Zu berücksichtigen sind bei dieser Beurteilung eine Reihe relevanter Faktoren, etwa die Zugangsmöglichkeiten zu Arbeit, Grundversorgung sowie die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden und über finanzielle Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse verfügen zu können (vgl. BayVGH. U.v. 23.3.2017 - 13a B 17.30030 - juris; BayVGH, B.v. 20.11.2018 - 8 ZB 18.32888 - juris). Aus der oben genannten Rechtsprechung geht deutlich hervor, dass insoweit hohe Anforderungen zu stellen sind, da nur bei Vorliegen „zwingender Gründe“ i.S.d. Art. 3 EMRK ein nach der Rechtsprechung erforderlicher außergewöhnlicher Fall vorliegt, der zur Bejahung des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK führen kann (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284 - juris). Darauf hinzuweisen ist an dieser Stelle jedoch, dass dabei nicht der Maßstab für das Vorliegen einer Extremgefahr nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG heranzuziehen ist (BayVGH, U.v. 21.11.2014, a.a.O.). Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) nötig, das heißt, es muss eine ausreichende reale, auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage basierende Gefahr vorhanden sein. Die Gefahr darf nicht nur hypothetisch sein, sondern muss sich aufgrund aller fallrelevant zu berücksichtigenden Umstände als hinreichend sicher im Hinblick auf eine Art. 3 EMRK zuwiderlaufende Behandlung erweisen. Einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Verletzung von durch Art. 3 EMRK geschützter Rechte bedarf es nicht, vielmehr genügt insoweit das Bestehen einer tatsächlichen Gefahr, entsprechend dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. EGMR, U.v. 28.2.2008 - 37201.06 - NVwZ 2008, 1330; BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - NVwZ 11, 51). Bei der Frage des Vorliegens solch einer Gefahr bei Rückkehr geht es demgemäß nicht um einen fernab jedweden Zweifels liegenden Beweis, sondern dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung ein gewisser Grad an Mutmaßung immanent (vgl. BVerwG, B.v. 13.2.2019 - 1 B 2.19 unter Verweis auf EGMR, U.v. 9.1.2018, 36417.16, X./Schweden).
58
Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Klägerin in einer derartigen besonders gravierenden Lage befinden.
59
Zwar ist Äthiopien bei etwa 92,7 Millionen Einwohnern mit einem jährlichen Brutto-National-Einkommen von etwa 927 US-Dollar pro Kopf eines der ärmsten Länder der Welt. Obwohl das Wirtschaftswachstum in den letzten zehn Jahren deutlich über dem regionalen und internationalen Durchschnitt lag, lebt dennoch ein signifikanter Teil der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze. Gegenwärtig sind über 20 Millionen Menschen von einer unsicheren Nahrungsmittelversorgung betroffen und benötigen humanitäre Hilfe (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 18.1.2022). Erschwerend kommt die hohe Arbeitslosigkeit hinzu, die durch die Schwäche des modernen Wirtschaftssektors und die anhaltend hohe Zuwanderung aus dem ländlichen Raum verstärkt wird (vgl. BFA Länderinformationsblatt, S. 33 f.; vgl. auch BayVGH, U.v. 13.2.2019 - 8 B 17.31645 - juris).
60
Trotz dieser schwierigen Bedingungen ist nicht erkennbar, dass die Klägerin ihren Lebensunterhalt in Äthiopien nicht bestreiten könnte. Die Klägerin ist mittleren Alters. Es wurde weder vorgetragen, noch ist sonst ersichtlich, dass ihr Gesundheitszustand einer Erwerbstätigkeit entgegensteht. Indizien für eine fehlende Erwerbsmöglichkeit in Äthiopien bestehen ebenfalls nicht. Sie verfügt über einen für äthiopische Verhältnisse überdurchschnittliche, zwölfjährige Schulausbildung. Weshalb es ihr nicht möglich sein sollte, in ihrem Heimatland Äthiopien für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, wie dies auch anderen äthiopischen Frauen möglich ist, ist für das Gericht nicht ersichtlich und wurde auch von der Klägerseite nicht nachvollziehbar vorgetragen. Die Klägerin muss zudem nur für sich alleine sorgen. Ihr ist es auch zuzumuten, wenig bevorzugte Tätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten anzunehmen. Darüber hinaus hat die Klägerin auch in Deutschland berufliche Erfahrung in der Altenpflege gesammelt, die ihr in ihrem Heimatland ggf. nützlich sein können. Der zur Entscheidung berufene Einzelrichter ist daher davon überzeugt, dass die Klägerin selbst ohne familiäre Anbindung in ihrem Heimatland ihren Lebensunterhalt sicherstellen wird. Unabhängig davon befinden sich nach dem Vorbringen der Klägerin noch Verwandte in Äthiopien. Auch bei derzeit fehlendem Kontakt wäre es der Klägerin zumutbar, ggf. einen Kontakt vor Ort wiederherzustellen. Ggf. könnte sie auch auf Hilfen ihres mit ihr lediglich kirchlich verheirateten, äthiopischen Ehemannes aus Deutschland zurückgreifen.
61
Außerdem ist auch auf die zahlreichen internationalen Unterstützungshilfen sowie die Möglichkeit der Klägerin auf Inanspruchnahme der Reintegrationshilfeleistungen der Beklagten zu verweisen. Der Klägerin ist es auch im für sie fremden Ausland gelungen, sich Hilfe zu organisieren. Zusammen mit den für äthiopische Verhältnisse hohen Reintegrationsleistungen wird die Klägerin sogar einen wirtschaftlichen Vorsprung gegenüber äthiopischen Staatsangehörigen vor Ort haben. Keine besseren Erkenntnisse ergeben sich insoweit aus den Quellen im Schriftsatz vom 3. Juni 2022. Vielmehr vertiefen diese nur die gerichtlichen Erkenntnisse hinsichtlich der schwierigen wirtschaftlichen Lage in Äthiopien, welche nach der Überzeugung des zur Entscheidung berufenen Einzelrichters die Klägerin aufgrund ihrer persönlichen Umstände und Fertigkeiten bewältigen können wird.
62
Eine derartige besonders gravierende Lage i.S.d. § 60 Abs. 5 AufenthG ist unter Berücksichtigung dieser konkreten Umstände des Einzelfalls auch nicht in Ansehung des aktuellen pandemischen Geschehens (COVID-19) oder der Nachwirkungen der Heuschreckenplage in Äthiopien anzunehmen. Gleiches gilt auch für eine befürchtete Nahrungsmittelverknappung aufgrund der klägerseits angeführten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine. Ob derartige Konsequenzen aufgrund dieses Konfliktes für Äthiopien eintreten, ist derzeit lediglich spekulativ. Gerade auch die jüngsten Erfahrungen in Äthiopien aufgrund der Heuschreckenplage und von Dürren zeigte, dass internationale Hilfen durchaus im erheblichen Maße generiert werden, sodass auch insoweit in der Vergangenheit erfolgte Prognosen wegen der mittlerweile etablierten Hilfsstrukturen sich nicht wie befürchtet bewahrheitet hatten. Es ist insoweit auch auf die aktuellen und intensiven internationalen Bemühungen zur Sicherung der Lebensmittelversorgung für Ostafrika angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine zu verweisen.
63
Nach diesen Maßstäben ist bei der Klägerin ein nationales Abschiebungsverbot nach der Bestimmung des Art. 60 Abs. 5 AufenthG in Äthiopien zu verneinen.
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c) Substantiierte individuelle Gründe für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wonach von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden soll, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht, sind ebenfalls weder vorgetragen noch derzeit ersichtlich. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen; die daraus grundsätzlich resultierende Sperrwirkung von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG wird bei verfassungskonformer Auslegung ausnahmsweise nur dann nicht beachtlich sein, wenn dem Ausländer auf Grund allgemeiner Verhältnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit extreme Gefahren drohten. Diese Voraussetzungen hat das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung mit der Formulierung umschrieben, eine Abschiebung müsse ungeachtet der Erlasslage ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, B.v. 14.11.2007 - 10 B 47/07 - juris). Vorliegend ergibt sich jedoch nicht, dass dem Kläger mangels ersichtlicher Lebensgrundlage in der Heimat landesweit der alsbaldige sichere Hungertod drohen würde. Dies gilt auch unter Berücksichtigung insbesondere des Alters und des Gesundheitszustandes des Klägers, für den keine relevanten Beeinträchtigungen konkret geltend gemacht oder sonst nachvollziehbar erkennbar sind. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen ohnehin nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist es in diesem Zusammenhang nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist; auf eine bessere medizinische Versorgung als im Heimatland besteht also kein Anspruch. Es ist danach auch vor diesem Hintergrund weder erkennbar noch dargetan, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen.
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Der Kläger kann sich schließlich auch nicht erfolgreich auf das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen in der Vergangenheit erfolgter Operationen berufen. Die Voraussetzungen für die begehrte Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG sind insoweit nicht erfüllt.
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Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Dabei erfasst diese Regelung nur solche Gefahren‚ die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind‚ während Gefahren‚ die sich aus der Abschiebung als solche ergeben‚ nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können (st. Rspr. zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG; vgl. BVerwG‚ U.v. 29.10.2002 - 1 C 1.02 - DVBl 2003, 463; U.v. 25.11.1997 - 9 C 58.96 - BVerwGE 105‚ 383 m.w.N.). Eine „erhebliche konkrete Gefahr“ im Falle einer zielstaatsbezogenen Verschlimmerung einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung ist daher gegeben, wenn sich der Gesundheitszustand alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat wegen der dortigen Behandlungsmöglichkeiten wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 - 1 C 3.11 - BVerwGE 142, 179; B.v. 17.8.2011 - 10 B 13.11 - juris; BayVGH, U.v. 17.3.2016 - 13a B 16.30007 - juris). Gründe hierfür können nicht nur fehlende Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat sein, sondern etwa auch die tatsächliche Nichterlangbarkeit einer an sich vorhandenen medizinischen Behandlungsmöglichkeit aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 - BVerwGE 127, 33).
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Der sich auf eine seiner Abschiebung entgegenstehende Erkrankung berufende Ausländer muss diese durch eine qualifizierte, gewissen Mindestanforderungen genügende ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (BayVGH, B.v. 27.11.2017 - 9 ZB 17.31302 - juris, Rn. 4). Nach § 60a Abs. 2c AufenthG wird nämlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation ergeben, enthalten. Ein entsprechendes fachärztliches Attest wurde durch die Klägerseite nicht vorgelegt. Vielmehr bestätigte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung, dass sie sich derzeit gesund fühle.
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Es muss folglich bei der gesetzlichen Vermutungsregel nach § 60a Abs. 2c AufenthG verbleiben, nach der der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen.
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3. Die in Ziffer 3 des angegriffenen Bescheids ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 36 Monate ist gleichfalls rechtmäßig. Die Beklagte konnte nach den § 11 AufenthG eine Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots treffen. Über die Länge der Frist wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Soweit die Beklagte auf Seite 4, oben, des Bescheids eine Einreise- und Aufenthaltsverbot von 30 Monaten aufführt, handelt es sich ersichtlich um einen Schreibfehler i.S.v. § 42 VwVfG. Die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von 36 Monaten ergibt sich hinreichend bestimmt aus dem Bescheidstenor und der Begründung auf Seite 4, unten, des Bescheids. Ermessensfehler sind hier trotz einer kirchlichen Heirat mit einem wohl aufenthaltsberechtigten äthiopischen Staatsbürger nicht ersichtlich. Zu Lasten der Klägerin ist insoweit zu werten, dass diese über einen erheblichen Zeitraum ihrer Ausreisepflicht nicht nachgekommen ist. Die Bemessung der Ausreisepflicht durch das Bundesamt ist im Ergebnis folglich nicht zu beanstanden. Besondere weitere Umstände, die eine kürzere Frist gebieten würden, sind bei der Klägerin nicht zu sehen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.
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Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.