Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 25.08.2022 – AN 17 S 22.50044
Titel:

Abschiebungsanordnung nach Frankreich, Wiederaufnahmeverfahren nach Art.18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO für dritten Asylantrag (Erstasylantrag in Deutschland, zweiter Asylantrag in Frankreich entschieden):, - aus der Zustimmung zum Aufnahmegesuch nach Art. 18 Buchst. d) Dublin III-VO durch den ersuchten Staat und der Aussage des Asylbewerbers, dass ein Asylantrag im ersuchten Staat negativ entschieden worden ist, kann ohne weitere Ermittlungen auf eine negative Asylsachentscheidung in der Sache im ersuchten Staat geschlossen werden, - jedenfalls die Entscheidung in der Sache (hier durch Frankreich im zweiten Asylverfahren) führt zur Zuständigkeit dieses Staates für dieses Asylverfahren, - für das Wiederaufnahmeverfahren muss die Zuständigkeit des ersuchten Staates nicht feststehen, Zuständigkeit für drittes Asylverfahren kann deshalb offenbleiben

Normenketten:
§ 34a AsylG
Art. 18 Abs. 1 Buchst. b, d), Art. 23, Art. 29 Dublin III-VO
Schlagworte:
Abschiebungsanordnung nach Frankreich, Wiederaufnahmeverfahren nach Art.18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO für dritten Asylantrag (Erstasylantrag in Deutschland, zweiter Asylantrag in Frankreich entschieden):, - aus der Zustimmung zum Aufnahmegesuch nach Art. 18 Buchst. d) Dublin III-VO durch den ersuchten Staat und der Aussage des Asylbewerbers, dass ein Asylantrag im ersuchten Staat negativ entschieden worden ist, kann ohne weitere Ermittlungen auf eine negative Asylsachentscheidung in der Sache im ersuchten Staat geschlossen werden, - jedenfalls die Entscheidung in der Sache (hier durch Frankreich im zweiten Asylverfahren) führt zur Zuständigkeit dieses Staates für dieses Asylverfahren, - für das Wiederaufnahmeverfahren muss die Zuständigkeit des ersuchten Staates nicht feststehen, Zuständigkeit für drittes Asylverfahren kann deshalb offenbleiben
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21930

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine asylrechtliche Abschiebungsanordnung nach Frankreich.
2
Der 1991 geborene Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals im November 2015 über Italien kommend nach Deutschland ein. Für Italien existiert ein Treffer der Kategorie 1 in der Eurodac-Datenbank für den 17. Juli 2015. Nach Zustimmung der italienischen Behörden im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) ordnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 27. April 2016 die Abschiebung des Antragstellers nach Italien an und lehnt - nach Asylantragstellung des Antragstellers in Deutschland am 20. Juni 2016 - mit ebenfalls bestandskräftigem Bescheid vom 4. Juli 2016 den Asylantrag als unzulässig ab. Nach Ablauf der Überstellungfrist nach Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO hob das Bundesamt mit Bescheid vom 16. August 2017 den Bescheid vom 4. Juli 2016 auf und stellte das nationale Asylverfahren nach Untertauchen des Antragstellers mit Bescheid vom 17. August 2017 ein.
3
Nach Wiederauftauchen des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland stellte das Bundesamt am 22. Juni 2018 einen Wiederaufnahmeantrag an Frankreich, nachdem die Eurodac-Datenbank einen Treffer der Kategorie 1 für Frankreich für den 2. Mai 2018 ergab. Eine Antwort Frankreich hierauf befindet sich nicht in der Akte. Unter dem 28. Juni 2018 lehnt das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch seitens Frankreichs (das sich nicht in den vorgelegten Bundesamtsakten befindet) ab. Ausweislich eines - in der Bundesamtsakte abgelegten - Dokuments des französischen Innenministeriums, gingen die französischen Behörden davon aus, dass eine Antwort Deutschland auf das Gesuchs Frankreichs vom 22. Juni 2018 nicht ergangen ist. Der Fortgang der Verfahren ergibt sich aus den vorgelegten Behördenakten nicht.
4
Am 1. Februar 2020 wurde der Antragsteller von der Bundespolizei in … nach seiner Einreise mit einem aus … kommenden Fernreisebus aufgegriffen und noch am selben Tag nach Frankreich rücküberstellt. Er führte dabei eine Asylantragsbescheinigung aus Frankreich, gültig vom 2. Mai 2018 bis 19. Februar 2020, mit sich und gab eine Adresse in … an.
5
Am 20. Dezember 2021 beantragte der Antragsteller in Deutschland erneut Asyl und gab dabei schriftlich an, im Oktober 2021 nach Deutschland zurückgekehrt zu sein und eine Ehefrau in Deutschland zu haben. Auf das Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 27. Dezember 2021 hin teilte die Republik Frankreich am 10. Januar 2022 mit, dass die Rückübernahme des Antragstellers nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO akzeptiert werde. Bei einer Befragung vom 16. Februar 2022 vor dem Bundesamt gab der Antragsteller an, dass er von Anfang an nach Deutschland gewollt habe und über Italien eingereist sei. Er sei auf Aufforderung hin auch freiwillig nach Italien zurückgekehrt. Auf dem Weg von Frankreich nach Deutschland sei er von der französischen Polizei angehalten und nach … gebracht worden. Dort sei er zwei Jahre geblieben. Bei einem weiteren Versuch 2021, nach Deutschland zu kommen, sei er erneut angehalten und zurückgebracht worden. Er habe in Frankreich eine negative Asylentscheidung bekommen. In Deutschland habe er eine Verlobte. In Frankreich habe er die Sprache nicht verstanden und es habe immer wieder Schlägereien gegeben.
6
Mit Bescheid vom 17. Februar 2022, dem Antragsteller zugestellt am 22. Februar 2022, lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Frankreich (Ziffer 3) und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete dieses auf zehn Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
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Ziffer 1 des Bescheids ist auf § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO gestützt und es ist ausgeführt, dass nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG „die weitere Unzulässigkeit“ auch auf dem erfolglosen Abschluss des früheren Verfahrens beruhen könne.
8
Hiergegen erhob die Antragsteller am 28. Februar 2022 über seine Prozessbevollmächtigte Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach (AN 17 K 22.50045) und beantragte gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts vom 17. Februar 2022 anzuordnen.
9
Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 3. März 2022,
den Antrag abzulehnen.
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Mit Schriftsatz vom 18. März 2022 wurde von Antragstellerseite zur Begründung ausgeführt, dass Frankreich nicht für das Asylverfahren des Antragstellers zuständig sei, da der Antragsteller über Italien in den Dublin-Raum eingereist sei. Aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO könne sich die Zuständigkeit Frankreichs nicht ergeben, nur aus den Art. 3 bis 15 Dublin III-VO, die nicht einschlägig seien. Die Unzulässigkeitsentscheidung könne auch nicht auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG gestützt werden.
11
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamtes vom 17. Februar 2022 ist zulässig, aber unbegründet und deshalb abzulehnen.
13
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung ist zulässig, insbesondere statthaft, weil die gleichzeitig erhobene Klage keine aufschiebende Wirkung hat, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG. Die Klage und der Eilantrag sind auch fristgerecht innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG erhoben worden.
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2. Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil die Interessensabwägung des Gerichts ein Überwiegen des Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers ergibt. Im Rahmen der gerichtlichen Ermessensentscheidung spielen vor allem die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage eine maßgebliche Rolle. Die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage führt zu dem Ergebnis, dass die Hauptsacheklage aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Die in Ziffer 3 des Bescheids getroffene Abschiebungsanordnung erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) nämlich als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
15
Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen bzw. - im Fall eines Wiederaufnahmeverfahrens nach Art. 23 ff Dublin III-VO - zur Rückübernahme verpflichteten Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht, § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG.
16
a) Frankreich ist zur Wiederaufnahme des Antragstellers nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO verpflichtet und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch der für das erneute Asylverfahren des Antragstellers der zuständige Mitgliedsstaat.
17
Mit seiner Einverständniserklärung zur Rückübernahme des Antragstellers vom 10. Januar 2022 teilte Frankreich konkludent mit, dass es über den in Frankreich gestellten Asylantrag des Antragstellers vom 2. Mai 2018 in der Sache negativ entschieden habe. Frankreich stützte seine Rückübernahmebereitschaft und -verpflichtung nämlich ausdrücklich auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO und nicht - wie vom Bundesamt angefragt - auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO. Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO setzt die inhaltliche Ablehnung eines Asylgesuchs voraus, während Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO den Fall eines gestellten, aber in der Sache noch nicht entschiedenen Asylantrags umfasst. Dass über einen Asylantrag des Antragstellers in Frankreich bereits negativ entschieden worden ist, hat der Antragsteller bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt vom 16. Februar 2022 auch selbst angegebenen. Hiervon kann somit mit ausreichender Sicherheit ausgegangen werden, ohne dass es einer nochmaligen Nachfrage bei den französischen Behörden bedurft hätte.
18
Liegt aber eine bestandskräftige negative inhaltliche Entscheidung über den Asylantrag durch einen Mitgliedsstaat vor, so steht damit auch die Zuständigkeit des entscheidenden Staates für dieses Asylverfahren fest, selbst wenn kein Zuständigkeitskriterium Dublin III-VO vorgelegen haben sollte. Darauf, ob für dieses Asylverfahren eigentlich Italien (wegen der Ersteinreise des Antragstellers über Italien, vgl. Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO) oder Deutschland (wegen des Ablaufs der Überstellungsfrist im ersten Asylverfahren in Deutschland, Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO) zuständig gewesen wäre, kommt es somit nicht mehr an. In der (gegebenenfalls entgegen der eigentlich nicht bestehenden Zuständigkeit) vorgenommenen Sachentscheidung kann zum einen eine Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO gesehen werden (vgl. VG Ansbach, U.v. 15.6.2020 - AN 17 K 20.50046 - juris). Eine Zuständigkeit Frankreichs könnte sich auch aus einem Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO ergeben haben, was der Aktenlage aber nicht entnommen werden kann. Ganz generell gilt jedenfalls, dass mit einer inhaltlichen Entscheidung die Zuständigkeit dieses Staates verbindlich feststeht (vgl. hierzu bereits VG Ansbach, B.v. 9.9.2021 - AN 17 S 21.50195 - juris; B.v. 6.10.2021 - AN 17 S 21.50055 - BeckRS 2021, 31530). Zwar ist dies in der Dublin III-VO nicht ausdrücklich bzw. mit Allgemeingültigkeit geregelt, dies ergibt sich jedoch aus der Zielsetzung der Dublin III-VO, aus verschiedenen Einzelregelungen in der Dublin III-VO und ist auch allgemein anerkannt. Grundlegendes Ziel der Dublin III-VO ist es, eine schnelle, praktikabel, klare und unveränderliche Zuständigkeit festzulegen (vgl. insbesondere Erwägungen 4 und 5 zur Dublin III-VO). Aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO ergibt sich, dass ein Asylantrag nur von einem einzigen Staat inhaltlich geprüft wird. Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO legt fest, dass die Zuständigkeit in Bezug auf den Zeitpunkt des ersten Asylantrags zu ermitteln ist (Versteinerungsklausel) und spätere Änderungen keine Rolle mehr spielen. Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO gewährleistet damit materiell-rechtlich, dass die Bestimmung der Zuständigkeit objektiv und grundsätzlich unveränderlich erfolgt. Aus Art. 7 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO ergeben sich hierzu in engen Grenzen zwar Ausnahmen; insoweit ist aber festgelegt, dass bestimmte Aspekten längstens bis zu einer „Erstentscheidung in der Sache“ Berücksichtigung finden können. Für die Ermessensvorschrift des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO ist ebenfalls klar geregelt, dass ein Selbsteintritt eines Staates nur solange erfolgen kann, als ein anderer Staat noch keine Erstentscheidung in der Sache getroffen hat. Für den am 2. Mai 2018 in Frankreich gestellten und dort entschiedenen Asylantrag ist somit von der Zuständigkeit Frankreichs auszugehen.
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Ob damit Frankreich für den nachfolgend am 20. Dezember 2021 in Deutschland erneut gestellten, hier streitgegenständliche Asylantrag (weiterer Folge- bzw. Zweitantrag) zuständig ist oder eine erneute und davon unabhängige Zuständigkeitsbestimmung nach den Kriterien der Dublin III-VO vorzunehmen ist und damit auch wieder eine Zuständigkeit von Italien oder Deutschland in Betracht kommt (zweifelnd hierzu VG Ansbach, B.v.18.3.2022 - AN 17 S 21.50247 - BeckRS 22, 6985 Rn. 18, s. a. U.v. 15.6.2020 - AN 17 K 20.50046 - juris) kann letztlich offenbleiben, jedenfalls ist Frankreich zur Rückübernahme des Antragstellers nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO verpflichtet, was ausreichend ist. Im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 23 Abs. 1 Dublin III-VO muss vom ersuchenden Staat nämlich nicht geprüft werden, ob der ersuchte Staat selbst zuständig ist, nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (EuGH, U.v. 2.4.2019 - C-582/17 und C-583/17 - juris) ist es anders als im Aufnahmeverfahren nach Art. 21, Art. 22 Dublin III-VO nicht erforderlich, dass die Zuständigkeit des ersuchten Staates nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO geklärt ist (EuGH, U.v. 2.4.2019 - C-582/17, C-583/17 - juris Rn. 54 ff., VG Ansbach, B.v. 10.5.2021 - AN 17 S 21.50090 - juris, U.v. 28.6.2021 - AN 17 K 19.50954 - juris; VG München, B.v. 27.11.2020 - M 1 S 20.50531 - juris Rn. 20). Der ersuchende Staat muss gerade nicht selbst in die Prüfung einsteigen, wer für die inhaltliche Prüfung des Asylantrags nach Art. 8 bis Art. 15 Dublin III-VO zuständig ist. Eine Rücküberstellung im Wiederaufnahmeverfahren erfolgt vielmehr zur Durchführung des Zuständigkeitsverfahrens im ersuchten Staat; ohne dass dessen eigene Zuständigkeit feststehen muss (EuGH, U.v. 2.4.2019 - C-582/17, C-583/17 - juris Rn. 54 ff., VG Ansbach, B.v. 10.5.2021 - AN 17 S 21.50090 - juris, U.v. 28.6.2021 - AN 17 K 19.50954 - juris; VG München, B.v. 27.11.2020 - M 1 S 20.50531 - juris Rn. 20).
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Zwar macht der EuGH in seiner Entscheidung vom 2. April 2019 eine Ausnahme für die Konstellation, in der der ersuchte Staat Gesichtspunkte übermittelt, die offensichtlich belegen, dass der ersuchende Mitgliedstaat gemäß der Dublin III-VO selbst zuständig ist, dieser Fall ist hier jedoch nicht gegeben. Weder beruft sich Frankreich im aktuellen Dublin-Verfahren auf eine Zuständigkeit Deutschlands und legt Beweise oder Indizien hierzu vor, noch ist eine solche Zuständigkeit Deutschlands objektiv und offensichtlich gegeben, vielmehr ist es - wie oben dargelegt - eine äußerst schwierige und in der Dublin III-VO nicht klar und ausdrücklich geregelte Frage, wer für das dritte Asylverfahren zuständig ist, wenn das erste und das zweite Asylverfahren in unterschiedlichen Staaten abgeschlossen worden sind. Insoweit spricht vieles dafür, dass es bei der Zuständigkeit des letzten Staates verbleibt (VG Ansbach, B.v.18.3.2022 - AN 17 S 21.50247 - BeckRS 22, 6985 Rn. 18, U.v. 15.6.2020 - AN 17 K 20.50046 - juris). Zudem erging die Entscheidung des EuGH zu der Wiederaufnahmesituation des Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) i.V.m. Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO und ist die von EuGH konstatierte Rückausnahme für die Situation des Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO eventuell schon nicht einschlägig.
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Die Unzulässigkeitsentscheidung ist damit zu Recht auf § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG gestützt worden. Auf den nur subsidiär bzw. hilfsweise genannten § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG, der eine Abschiebungsanordnung nach Frankreich nicht tragen würde, kommt es somit nicht entscheidungserheblich an.
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b) Das Aufnahmeverfahren ist vom Bundesamt am 27. Dezember 2021 auch rechtzeitig innerhalb der Frist von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung am 20. Dezember 2021, Art. 23 Abs. 2 Unterabs.1 Dublin III-VO, eingeleitet worden. Zu einem Zuständigkeitsübergang nach Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO ist es damit nicht gekommen. Frankreich hat der Übernahme am 10. Januar 2022 auch innerhalb der Frist von zwei Wochen nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO zugestimmt.
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c) Es liegen auch keine Umstände nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO vor, die eine Rückkehr des Antragstellers nach Frankreich unzumutbar erscheinen ließen.
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Nach dem System der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996, 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 31.12.2011, C-411/10 und C-433/10 - NVwZ 2012, 417) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem Mitgliedsland der Europäischen Union (EU) den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der EU (GRCh) entspricht. Diese Vermutung ist jedoch dann widerlegt, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem Mitgliedsland systemische Mängel aufweisen, die zu der Gefahr für den Asylbewerber führen, bei Rückführung in den Mitgliedsstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein.
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Derartige systemische Mängel sind für Frankreich nicht gegeben. Die Lage dort stellt sich für rückkehrende Asylbewerber wie folgt dar:
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aa) In Frankreich besteht ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Frankreich, Stand 29.1.2018, S. 4; sehr detailliert zum Verfahren Asylum Information Database [AIDA], Country Report: France, Update 2020, S. 31 ff.). Asylanträge von Dublin-Rückkehrern werden wie jeder andere Asylantrag behandelt. Sie haben denselben Zugang zur Unterbringung wie normale Asylbewerber. Im Falle von vulnerablen Dublin-Rückkehrern müssen die französischen Behörden vom jeweiligen Mitgliedstaat mindestens einen Monat vor Überstellung informiert werden, um die nötigen Vorkehrungen treffen zu können (BFA a.a.O., S. 5). Sobald ein Dublin-Rückkehrer in Frankreich ankommt, wird ihm von der Polizei ein Schreiben ausgehändigt, in dem die für den Antragsteller zuständige Präfektur, im Großraum Paris treten an deren Stelle die sog. Orientierungsplattformen, benannt ist (BFA a.a.O., S. 5). Dorthin muss der Asylbewerber allerdings eigenständig gelangen, will er sein Verfahren weiter betreiben (BFA a.a.O.). Im Übrigen wird hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit des Asylverfahrens gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffende Darstellung in den Gründen des Bescheids vom 17. Februar 2022 verwiesen.
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bb) Was die humanitäre Lage für Dublin-Rückkehrer anbelangt, so werden diese hinsichtlich Unterkunft und Versorgung gleich normalen Asylbewerbern behandelt. Frankreich verfügte Stand 2017 über 303 Unterbringungszentren für Asylbewerber mit rund 34.000 Plätzen, einem speziellen Zentrum für unbegleitete minderjährige Asylbewerber, zwei Transitzentren mit 600 Plätzen, 262 Notunterbringungen mit rund 18.000 Plätzen sowie eine nicht näher genannte Zahl an privaten Unterbringungsplätzen, insgesamt 56.000 Unterbringungsplätze (BFA a.a.O., S. 9). Mittlerweile, Stand Ende 2020, hat sich die Zahl der Unterbringungsplätze dank verstärkter Bemühungen des französischen Staates als Reaktion auf die zu geringen Kapazitäten auf 98.564 erhöht; weitere 4.500 Plätze waren für 2021 geplant. (AIDA a.a.O, S. 101 ff.). Zwar wird auch berichtet, dass nur 51% der Asylbewerber, die Anspruch auf eine Unterbringung haben, auch untergebracht waren und komplementär hierzu größere informelle Camps insbesondere in Paris und Calais entstanden sind sowie Asylbewerber etwa in Nantes, Grande Synthe und Metz auf der Straße leben (AIDA a.a.O., S. 104 ff.). Hinsichtlich des Verhältnisses von (Erst-)Asylbewerbern und zur Verfügung stehenden Plätzen wurde jedoch 2020 die Situation erreicht, dass mehr Unterbringungsplätze als Bewerber zur Verfügung stehen; Ende 2020 waren 4% der Unterbringungsplätze frei (AIDA a.a.O., S. 102 f.). Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung liegen keine Erkenntnisse für eine Einschränkung des Platzangebots in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen oder hinsichtlich Schwierigkeiten beim Registrierungsprozess in Folge der Corona-Pandemie mehr vor, die letzten derartigen Angaben stammen von Mai 2020 (AIDA a.a.O., S. 96).
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Dublin-Rückkehrer haben wie reguläre Asylbewerber auch Zugang zum finanziellen Beihilfeprogramm für Asylbewerber (ADA - Allocation pour demandeurs d’asile). Dessen Höhe ist von verschiedenen Faktoren wie der Art der Unterkunft, dem Alter, der Anzahl der Kinder usw. abhängig. In der Regel erhalten untergebrachte Asylbewerber monatlich eine finanzielle Unterstützung von 204,00 EUR. Sind sie nicht staatlich untergebracht, erhöht sich der Betrag auf 426,00 EUR pro Monat (AIDA a.a.O., S. 97; BFA a.a.O., S. 8 f.). Zum Erhalt des Geldes ist nicht zwingend die Eröffnung eines Bankkontos nötig, Asylbewerbern wird eine Karte ausgestellt, mit der die Leistungen bezogen werden können, allerdings nur dergestalt, dass damit in Läden oder Online-Shops bezahlt, aber das Geld nicht am Geldautomaten abgehoben werden kann (AIDA a.a.O., S. 97 ff.).
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Was die medizinische Versorgung anbelangt, so können Asylbewerber (und somit auch Dublin-Rückkehrer) den allgemeinen Krankenversicherungsschutz in Anspruch nehmen, sobald sie die Bestätigung über ihr laufendes Asylverfahren erhalten haben. Einkommensschwachen Personen steht darüber hinaus ein allgemeiner Zusatzkrankenschutz zu, der die Kostenübernahme hinsichtlich im Basisschutz nicht enthaltener Leistungen abdeckt. Nach drei Monaten Aufenthalt besteht schließlich auch Anspruch auf die sogenannte staatliche medizinische Hilfe (BFA a.a.O., S. 10 ff.). Anderen Quellen zufolge besteht zwar nunmehr das Erfordernis eines dreimonatigen Aufenthalts, bevor der Zugang zum allgemeinen und zusätzlichen Krankenversicherungsschutz eröffnet wird (AIDA a.a.O., S. 111). Wenn der Zugang zu diesen Sicherungssystemen nicht gegeben ist, können Asylbewerber aber jedenfalls die in den Krankenhäusern eingerichteten Bereitschaftsdienste zur ärztlichen Versorgung der Bedürftigsten in Anspruch nehmen. Dass eine behandlungsbedürftige Erkrankung beim Antragsteller vorliegt, ist ohnehin nicht ersichtlich.
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Zusammenfassend sind systemische Schwachstellen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK mit sich bringen, im französischen Asylsystem für Dublin-Rückkehrer nicht ersichtlich (so auch VG Karlsruhe, B.v. 27.1.2021 - A 8 K 1948/20 - juris; VG Ansbach, U.v. 17.8.2020 - AN 17 K 19.51230 - juris; VG München, U.v. 22.7.2020 - M 2 K 19.50619 - BeckRS 2020, 18796; VG Würzburg, B.v. 15.6.2020 - W 8 S 20.50166 - juris; B.v. 2.3.2020 - W 8 S 20.50081 - juris, sogar für eine Mutter eines knapp drei Monate alten Säuglings). Derartige systemische Mängel wurden vom Antragsteller auch nicht geltend gemacht. Sein Vortrag, dass es in Frankreich viele Schlägereien gebe, trägt eine entsprechende Einschätzung nicht.
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cc) Darauf, ob Asylbewerbern nach einer Anerkennung als international Schutzberechtigte in Frankreich eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, was nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bereits im Dublin-Verfahren zu berücksichtigen ist (EuGH, U.v. 19.3.2019 - Jawo, C-163/17 - juris Rn. 87 ff.), kommt es im vorliegend Fall eines abgelehnten Asylbewerbers nicht an. Dies wäre ebenfalls zu verneinen (vgl. VG Ansbach, B.v. 9.9.2021 - AN 17 S 21.50195 - juris).
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d) Auch liegen keine Anhaltspunkte für ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG oder ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot vor, das der Abschiebungsanordnung entgegenstünde. Für eine gravierende Erkrankung des Antragstellers, die nicht Frankreich behandelt werden könnte oder zur Reiseunfähigkeit führen würde, ist nichts ersichtlich.
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Unannehmlichkeiten und Schwierigkeiten wegen fehlender Sprachkenntnisse oder persönlicher Probleme in einem Land stellen keine Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufehnthG dar.
34
Auch die Tatsache, dass die Freundin bzw. Verlobte des Antragstellers ihren Wohnsitz in Deutschland hat, führt derzeit nicht zu einem Abschiebungshindernis für Frankreich. Zu der bestehenden Beziehung hat der Antragsteller schon keine näheren Angaben gemacht, was zur Prüfung eines familienbedingten Abschiebungsverbots unerlässlich gewesen wäre und ihm oblegen hätte. Ein Abschiebungsverbot folgt aus einer bloßen Liebesbeziehung oder einer Verlobung im Übrigen in aller Regel noch nicht.
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3. Die Kostenentscheidung des damit erfolglosen Antrags beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
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4. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.