Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 02.08.2022 – AN 11 K 20.01930
Titel:

Ausweisung einer äthiopischen Staatsangehörigen, beharrlicher Verstoß gegen Pass- und Mitwirkungspflichten

Normenketten:
Buchst § 53,
Buchst § 54 Abs. 2 Nr. 8 b
AufenthG Nr. 9
AufenthG § 95 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 11
Schlagworte:
Ausweisung einer äthiopischen Staatsangehörigen, beharrlicher Verstoß gegen Pass- und Mitwirkungspflichten
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21923

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.         
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.         
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.         
3. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem sie aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und gegen sie ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen wurde.
2
Die Klägerin, geboren am … 1990, ist nach eigenen Angaben äthiopische Staatsangehörige und reiste nach Aktenlage am 30. August 2010 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 24. September 2010 stellte sie einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 12. Oktober 2010 abgelehnt wurde. In dem Bescheid wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Die Klägerin wurde unter Androhung der Abschiebung aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, anderenfalls wurde ihr die Abschiebung insbesondere nach Äthiopien angedroht.
3
Die hiergegen erhobene Klage wurde mit rechtskräftigem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Mai 2011 (Az.: AN 18 K 10.30419) abgewiesen.
4
Über ihren seinerzeit bevollmächtigten Rechtsanwalt ließ die Klägerin mitteilen, dass sie in Ermangelung eines äthiopischen Reisepasses keine Möglichkeit habe, freiwillig nach Äthiopien auszureisen.
5
Daraufhin wurde die Klägerin mit Schreiben der Regierung von Mittelfranken - Zentrale Rückführungsstelle Nordbayern - vom 28. Juli 2011 erstmalig auf ihre gemäß § 3 Abs. 1 AufenthG und § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bestehenden Pass- und Mitwirkungspflichten hingewiesen.
6
Am 4. August 2011 wurden der Klägerin von der Beklagten Unterlagen für die Beantragung eines Passersatzes ausgehändigt.
7
Am 26. August 2011 wurde der Klägerin erstmals eine Bescheinigung über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ausgestellt und zuletzt bis 5. November 2020 verlängert.
8
Mit Schreiben vom 16. Oktober 2012 bzw. 31. Oktober 2012 an den in … lebenden Bruder der Klägerin - dieser besitzt seit 1999 die deutsche Staatsangehörigkeit - wurde dieser um Erklärung zur Identität der Klägerin gebeten. Die Erklärung konnte aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen des Bruders jedoch nicht vollständig abgegeben werden.
9
Da die Klägerin auch weiterhin nicht im Besitz eines äthiopischen Reisepasses war, wurde sie am 23. November 2012 erneut auf ihre gemäß § 3 Abs. 1 und § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bestehenden Pass- und Mitwirkungspflichten hingewiesen.
10
Am 23. Mai 2014 wurde die Klägerin bei einer Vorsprache nach den von ihr vorzulegenden Unterlagen in Bezug auf den PEP(Passersatzpapier)-Antrag und den Vertrauensanwalt befragt. Die Klägerin erklärte, dafür keine Zeit gehabt zu haben und kein Englisch zu können. Die ihr im Vorfeld ausgehändigte Passpflichteröffnung hatte sie nicht unterschrieben und das Datenerhebungsblatt nicht richtig ausgefüllt bzw. ihre Unterschrift darauf verweigert.
11
Am 10. Juni 2014 legte die Klägerin sodann ihren PEP-Antrag vor, teilte jedoch mit, weiterhin keinen Vertrauensanwalt beauftragt zu haben. Letzteres wiederholte die Klägerin auch bei Vorsprachen am 18. September 2014, 12. Dezember 2014 und 26. Februar 2015.
12
Im März 2015 legte die Klägerin ein auf 2. Februar 2015 datiertes Schreiben der äthiopischen Rechtsanwaltskanzlei … an die Klägerin vor, wonach eine Geburtsurkunde beschafft werden solle.
13
Am 16. Juni 2015 wurde einem von der Klägerin am 18. März 2015 sowie erneut über den AWO … e.V. gestellten Antrag auf Arbeitserlaubnis gemäß § 32 Abs. 3 AufenthG (gemeint wohl § 32 Abs. 3 BeschV) stattgegeben.
14
Am 2. März 2016 konnte ein Bogen mit Fingerabdrücken an die Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern/Zentrale Passbeschaffung Bayern, jetzt Landesamt für Asyl und Rückführung, übermittelt werden.
15
Bei Vorsprachen am 24. Mai 2016, 24. Juni 2016, 22. Juli 2016, 5. August 2016 sowie 6. September 2016 konnten wiederum keine Nachweise zum Sachstand der Passbeschaffung vorgelegt werden. Nachweise über eine erfolgreiche Kontaktaufnahme zum Vertrauensanwalt wurden ebenfalls nicht vorgelegt.
16
Mit Schreiben vom 22. Juli 2016 wurde der Klägerin schriftlich eröffnet, dass beabsichtigt sei, ihr die erteilte Erlaubnis zu einer Beschäftigung gemäß § 60a Abs. 6 Nr. 1 AufenthG zu entziehen. Die Unterschrift auf dem Empfangsbekenntnis verweigerte sie.
17
Am 11. Oktober 2016 legte die Klägerin ein Schreiben an die Rechtsanwaltskanzlei … vom 14. Juni 2016 vor, wonach die Klägerin den Sachstand erfragte und erneut bat, ihr bei der Beschaffung einer Geburtsurkunde behilflich zu sein.
18
Am 12. Januar 2017 übersandte der AWO … e.V. eine Sachstandsmitteilung des Vertrauensanwalts der Klägerin vom 9. Dezember 2016, in welcher dieser erklärte, dass aufgrund der Zerstörung ihres ehemaligen Wohnviertels ein Nachweis über die Identität der Klägerin andauern würde.
19
Am 8. Mai 2017 wurde die Klägerin im Rahmen einer Vorsprache darauf hingewiesen, sich zwecks Passbeschaffung und Nachweisen zu ihrer Identität an ihre in Äthiopien lebenden Familienangehörigen bzw. Bekannten zu wenden, um eine Geburtsurkunde oder einen Pass zu erhalten.
20
Am 9. Juni 2017 erklärte die Klägerin im Rahmen einer Vorsprache, ihre Familie nicht kontaktiert zu haben, um an eine Geburtsurkunde oder einen Reisepass zu gelangen. Sie wurde angewiesen, sich um einen neuen Vertrauensanwalt zu bemühen, nachdem sich die bislang beauftragte Kanzlei als nicht vertrauenswürdig gezeigt habe. Eine Liste mit Vertrauensanwälten in Äthiopien wurde ausgehändigt. Ein Hinweis auf die Pass- und Mitwirkungspflichten erfolgte. Die Unterschrift auf der Niederschrift verweigerte die Klägerin.
21
Im Rahmen einer am 25. September 2017 erfolgten Vorsprache wurde der Klägerin erneut eine Liste mit Vertrauensanwälten ausgehändigt, nachdem ihrer Aussage zufolge dies noch nicht erfolgt sei. Weiterhin wurde zur Niederschrift aufgenommen, dass die Klägerin weder ihre Familie noch einen neuen Vertrauensanwalt kontaktiert habe und bei der nächsten Vorsprache schriftliche Nachweise über den Kontakt mit einem Vertrauensanwalt vorlegen wolle. Auch wurde sie erneut auf ihre Pass- und Mitwirkungspflichten hingewiesen. Die Unterschrift auf der Niederschrift verweigerte die Klägerin.
22
Bei einer Vorsprache am 22. Dezember 2017 legte die Klägerin eine an den Vertrauensanwalt … verfasste E-Mail vom 8. November 2017 in ihrer Heimatsprache vor. Eine Kontaktmöglichkeit mit ihrer Mutter bestünde mangels Telefons nicht und der Bruder der Klägerin habe bislang nicht auf ihre SMS reagiert. Erneut wurde die Klägerin auf ihre Pass- und Mitwirkungspflichten hingewiesen.
23
Am 19. Januar 2018 wurde die Klägerin zusätzlich zu den Pass- und Mitwirkungspflichten auch auf den beabsichtigten Widerruf ihrer Arbeitserlaubnis hingewiesen. An diesem Tag erklärte die Klägerin, ihre Familienangehörigen weiterhin nicht erreicht zu haben und auch keine Reaktion des Vertrauensanwalts erhalten zu haben. Nachweise über eine erneute Kontaktaufnahme mit diesem sollten bis 19. Februar 2018 vorgelegt werden.
24
Mit Schreiben vom 30. Januar 2018 reichte die Klägerin eine Übersetzung der E-Mail an den Vertrauensanwalt … ein, wonach sie diesen mit der Beschaffung ihrer Geburtsurkunde beauftragen wolle.
25
Mit Schreiben vom 30. April 2018 wurde die Klägerin vorgeladen, um Nachweise ihrer Eigenbemühungen zur Erlangung einer Geburtsurkunde, den aktuellen Stand des Vertrauensanwalts und Nachweise über die Kontaktaufnahme zu ihrer Mutter beizubringen. Bei der daraufhin am 14. Mai 2018 erfolgten Vorsprache gab die Klägerin an, den Vertrauensanwalt doch noch nicht beauftragt zu haben, da dieser zu teuer sei. Die Klägerin wurde aufgefordert, ihrem in Äthiopien lebenden Bruder eine Vollmacht zu schicken, damit dieser sich um die Beantragung einer Geburtsurkunde für sie kümmern könne. Die Klägerin wurde erneut auf ihre Pass- und Mitwirkungspflichten hingewiesen. Die Unterschrift auf diesem Dokument verweigerte sie.
26
Am 14. August 2018 füllte die Klägerin eine Erhebung ihrer Daten im Rahmen der Duldungsverlängerung nur unzureichend aus und erklärte, keine weiteren Angaben machen zu können. Auf mehrmalige Nachfrage konnte sie sich schließlich an ihre letzte Wohnanschrift in Äthiopien erinnern, wollte aber nichts weiter angeben. Auf den an diesem Tag bzw. am 17. September 2018 ausgehändigten Hinweisen auf ihre Pass- und Mitwirkungspflichten verweigerte die Klägerin die Unterschrift.
27
Am 15. Oktober 2018 erklärte die Klägerin, nach wie vor keinen Vertrauensanwalt beauftragt zu haben und dies auch in Zukunft aus finanziellen Gründen nicht tun zu werden. Sie wolle jedoch nochmals versuchen, mit ihrem Bruder Kontakt aufzunehmen. Erneut wurde ihr ein Hinweis auf ihre Pass- und Mitwirkungspflichten ausgehändigt.
28
Am 22. November 2018 erklärte die Klägerin, aus finanziellen Gründen nach wie vor keinen Vertrauensanwalt beauftragt zu haben und dies auch nicht vorzuhaben. Der Kontakt mit ihrem Bruder sei schwierig. Ein Hinweis auf ihre Pass- und Mitwirkungspflichten wurde an sie ausgehändigt.
29
Bei einer Folgevorsprache am 17. Dezember 2018 verweigerte die Klägerin wiederum die Unterschrift auf dem Hinweis zu den Pass- und Mitwirkungspflichten, sowie auf der Niederschrift, nach der sie nach wie vor keine Nachweise über ihre Bemühungen hinsichtlich der Beschaffung einer Geburtsurkunde oder eines Passes vorlegen könne. Ebenso geschah dies bei Vorsprachen der Klägerin am 28. Dezember 2018 sowie 11. Januar 2019.
30
Ab dem 11. Januar 2019 wurde der Klägerin die Erwerbstätigkeit nicht mehr gestattet.
31
Nachdem der Klägerin im Rahmen einer Datenerhebung zur Duldungsverlängerung am 19. Februar 2019 der Straftatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ausführlich erläutert worden war, verweigerte die Klägerin die Unterschrift auf dem Dokument. Auf der Niederschrift, ausweislich der sie zwar mit drei Vertrauensanwälten Kontakt aufgenommen, jedoch aus Kostengründen keinen beauftragt habe, verweigerte sie ihre Unterschrift.
32
Am 14. März 2019 sprach die Klägerin erneut bei der Beklagten vor und erklärte, zuletzt nichts hinsichtlich ihrer Passbeschaffung unternommen zu haben, da ihr Bruder ihr nicht helfen könne und ihre Mutter krank sei. Einen neuen Vertrauensanwalt könne sie aus finanziellen Gründen nicht beauftragen. Die Unterschrift auf dem Hinweis hinsichtlich der Pass- und Mitwirkungspflichten verweigerte sie. Daraufhin wurde die Klägerin schriftlich aufgefordert, bis 11. April 2019 ihrer Mitwirkungspflicht zu folgen und sich beim äthiopischen Generalkonsulat nachweislich um die Ausstellung eines Nationalpasses zu bemühen.
33
Bei ihrer Vorsprache am 23. April 2019 erklärte die Klägerin, dass sie vor ca. drei Wochen schriftlich bei der Botschaft in … wegen einer Passbeantragung angefragt habe. Einen Vertrauensanwalt habe sie aus finanziellen Gründen nicht beauftragt. Sie werde versuchen, Geld auf die Seite zu legen, um einen Vertrauensanwalt finanzieren zu können. Ihre Unterschrift auf der Niederschrift sowie auf dem Formular zur Eröffnung der Pass- und Mitwirkungspflichten verweigerte sie.
34
Eine auf 29. April 2019 datierte Bescheinigung des Generalkonsulats bestätigt die Passbeantragung der Klägerin. Mangels Beweisen zu ihrer Staatsangehörigkeit habe jedoch kein Pass ausgestellt werden können.
35
Am 16. Mai 2019 sprach die Klägerin erneut vor und erhielt eine Vollmacht in amharischer Sprache für ihren Bruder, damit dieser eine Geburtsurkunde für sie beantragen könne. Die Unterschrift auf dem an diesem Tag ausgehändigten Hinweis auf ihre Pass- und Mitwirkungspflichten verweigerte die Klägerin. Auch auf den im Rahmen von Folgevorsprachen am 24. Juni 2019, 11. Juli 2019, 15. August 2019 und 16. September 2019 ausgehändigten Hinweisen auf ihre Pass- und Mitwirkungspflichten verweigerte sie die Leistung ihrer Unterschrift. Sie erklärte mehrfach, auf die an ihren in Äthiopien lebenden Bruder geschriebene E-Mail noch keine Antwort erhalten zu haben.
36
Anlässlich ihrer Vorsprache bei der Beklagten am 17. Oktober 2019 wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass es sich bei der E-Mail an ihren Bruder nicht um eine aussagekräftige Mitwirkung handele und sie weiterhin verpflichtet sei, regelmäßig bei ihm oder einem Vertrauensanwalt anzufragen.
37
Mit Strafbefehl des Amtsgericht … (Az.: …*) vom 20. August 2019, rechtskräftig seit 22. Oktober 2019, wurde gegen die Klägerin wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen verhängt.
38
Bei einer Vorsprache am 15. November 2019 wurde die Klägerin erneut auf ihre Pass- und Mitwirkungspflichten sowie den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 1 und 5 AufenthG hingewiesen. Sie erklärte niederschriftlich, mit ihrem Bruder telefoniert zu haben. Er habe ihr gesagt, dass sie noch warten müsse, mehr wisse sie nicht. Die Klägerin wurde daraufhin von der Beklagten aufgefordert, bis zur nächsten Vorsprache schriftliche Nachweise über ihre Bemühungen bei der Beschaffung von ID-Dokumenten vorzulegen.
39
Auch bei ihren Vorsprachen am 16. Dezember 2019 und 27. Dezember 2019 gab die Klägerin an, noch nicht bei der Botschaft gewesen zu sein, um einen Heimreiseschein bei der äthiopischen Botschaft zu beantragen. Eine Belehrung über § 60b AufenthG wurde ihr ausgehändigt.
40
Mit Schreiben vom 15. November 2019 wurde der Klägerin die Möglichkeit gegeben, sich zu der beabsichtigten Ausweisung zu äußern. Eine Äußerung ihrerseits gelangte nicht zu den Akten.
41
Am 16. Dezember 2019 wurde der Klägerin erstmalig eine Duldung mit dem Zusatz „Für Personen mit ungeklärter Identität“ ausgestellt.
42
In einem daraufhin ergangenen Schreiben des AWO … e.V. vom 19. Dezember 2019 wurde erklärt, dass die Klägerin am 9. Januar 2020 zur äthiopischen Botschaft nach Frankfurt fahren werde.
43
Bei ihrer Vorsprache am 9. Januar 2020 gab die Klägerin an, am 30. Dezember 2019 bei der Botschaft in … einen Reisepass beantragt zu haben. Sie legte eine Bestätigung des äthiopischen Generalkonsulats, datiert auf den 30. Dezember 2019, vor, wonach sie einen Pass beantragt habe, dieser jedoch in Ermangelung von Beweisen über ihre äthiopische Staatsangehörigkeit nicht habe ausgestellt werden können. Die Klägerin wurde darauf hingewiesen, dass die Beklagte einen Heimreiseschein von der Botschaft benötige. Diesen habe sie bei der Botschaft nicht beantragt. Erneut wurde die Klägerin auf ihre Pass- und Mitwirkungspflichten hingewiesen, verweigerte ihre Unterschrift jedoch.
44
Am 27. Januar 2020 erklärte die Klägerin zur Niederschrift, keinerlei Dokumente zu haben, die ihre Identität bestätigten und auch zu keiner Zeit Dokumente besessen zu haben, da in Äthiopien nur auf Antrag Dokumente ausgestellt würden. Sie wurde aufgefordert, einen Heimreiseschein (Laissez Passer) zu beantragen, gab aber an, in Deutschland bleiben und auch einen Asylfolgeantrag stellen zu wollen.
45
Bei einer Vorsprache am 11. März 2020 legte die Klägerin erneut eine Bestätigung des äthiopischen Generalkonsulats, datiert auf den 13. Februar 2020, vor, wonach sie einen neuen Pass beantragt habe, dieser jedoch in Ermangelung von Beweisen über ihre äthiopische Staatsangehörigkeit nicht habe ausgestellt werden können. Die Klägerin wurde aufgefordert, bis 25. März 2020 nochmals zum Generalkonsulat zu gehen und dort ein Identitätsfeststellungsverfahren zu beantragen. Über diesen Antrag sollte sie eine schriftliche Bestätigung des Generalkonsulates bei der Beklagten vorlegen. Erneut wurde die Klägerin auf ihre Pass- und Mitwirkungspflichten hingewiesen.
46
Am 5. Juni 2020 erklärte die Klägerin, nicht bei der Botschaft gewesen zu sein, um ein Identitätsfeststellungsverfahren zu beantragen. Sie wurde unter Fristsetzung bis zum 19. Juni 2020 erneut aufgefordert, dies zu tun. Eine Unterschrift auf dieser Niederschrift verweigerte die Klägerin.
47
Auch bei ihrer am 28. Juli 2020 erfolgten Vorsprache bei der Beklagten zur Verlängerung ihrer Duldung gab die Klägerin an, nicht bei der Botschaft gewesen zu sein, um ein Identitätsfeststellungsverfahren zu beantragen. Irgendwann werde sie zur Botschaft fahren. Die Klägerin wurde darauf hingewiesen, dass die Ausländerbehörde sie aufgrund ihrer Verweigerungshaltung bei der Polizei anzeigen könne. Die Klägerin erklärte, dies sei „okay“ für sie. Auch wurde die Klägerin erneut auf die Pass- und Mitwirkungspflichten hingewiesen. Eine Unterschrift auf der Niederschrift verweigerte die Klägerin.
48
Am 6. August 2020 stellte die Klägerin beim Bundesamt einen Wiederaufgreifensantrag zu Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG.
49
Mit Bescheid vom 18. August 2020, zugestellt am 20. August 2020, wurde die Klägerin aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziffer I.). In Ziffer II. des Bescheides wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen, das auf die Dauer von vier Jahren beginnend mit der Ausreise bzw. Abschiebung befristet wurde. Zur Begründung wurde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Da die Klägerin ihre Mitwirkungspflichten im Passbeschaffungsverfahren sowie Passersatzpapierverfahren verletze, liege ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b AufenthG vor. Die sporadisch erfolgten Vorsprachen bei der äthiopischen Heimatvertretung würden an diesem Umstand ebenso wenig ändern wie die einmalige Beauftragung eines Vertrauensanwalts. Auf die Rechtsfolgen der Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht sei die Klägerin seit 2011 regelmäßig hingewiesen worden. Auch liege aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vor. Ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 1 AufenthG oder ein schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 2 AufenthG könne nach Aktenlage nicht erkannt werden, da insbesondere familiäre Bindungen im Bundesgebiet nicht bestünden. Der Umstand, dass einer der Brüder der Klägerin in … wohnhaft sei, führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Abwägung des Interesses an der Ausreise der Klägerin mit ihrem Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergebe unter Berücksichtigung aller Umstände, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung überwiege. Ausweisungszweck sei die Abschreckung anderer Ausländer vor einem gleichartigen Verhalten (Generalprävention) und darüber hinaus auch die Verhinderung neuer Straftaten durch die Klägerin (Spezialprävention). Im Hinblick auf ihr bisher gezeigtes Verhalten bestehe eine konkrete Wiederholungsgefahr, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht hingenommen werden könne. Als Ausländerin sei sie verpflichtet, einen gültigen Nationalpass oder ein anerkanntes Passersatzpapier zu besitzen (§ 3 Abs. 1 AufenthG). Besitze ein Ausländer keinen gültigen Pass oder Passersatz, sei er verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken (§ 48 Abs. 3 AufenthG). Mit ihrem Verhalten habe die Klägerin bewiesen, dass sie der hier geltenden Rechtsordnung keinerlei Bedeutung beimesse. Im Rahmen ihrer persönlichen Vorsprachen bei der Beklagten habe sie sich als Totalverweigerin gezeigt. Selbst die gegen sie verhängte Geldstrafe wegen Aufenthalts ohne Pass habe bei ihr keinerlei Umdenken bewirkt. Der Eingriff in das grundsätzlich geschützte Recht der Ehe und Familie (Art. 6 GG) sei aus Gründen der Gefahrenabwehr und aus den dargestellten überragenden öffentlichen Interessen notwendig und erforderlich. Er stelle auch keine unbillige Härte dar, da der Kontakt zu dem im Bundesgebiet lebenden Bruder der Klägerin allenfalls lose sei. Zum anderen seien die beiden volljährig und nicht auf die Betreuung und Fürsorge des jeweils anderen angewiesen. Ferner sei eine Trennung ausschließlich Konsequenz ihres alleinigen persönlichen Verhaltens. Eine Ausreiseaufforderung bzw. Abschiebungsandrohung habe gegen die Klägerin nicht verfügt werden müssen, da diese bereits mit Bescheid des Bundesamtes vom 12. Oktober 2010 unter Abschiebungsandrohung zur Ausreise aufgefordert worden sei. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot sei - unter Abwägung aller bekannten für und gegen die Klägerin sprechenden Umstände - in Ausübung des eingeräumten Ermessens für die Dauer von vier Jahren nach erfolgter Ausreise befristet worden.
50
Am 21. September 2020 ließ die Klägerin durch ihre Bevollmächtigte Klage erheben und beantragen,
Der Bescheid der Beklagten vom 18. August 2020, zugestellt am 20. August 2020, Az.: …, wird aufgehoben.
51
Die Beklagte beantragte
Klageabweisung und verwies zur Begründung auf die im streitgegenständlichen Bescheid dargestellte Sach- und Rechtslage.
52
Am 24. September 2020 wurde die Klägerin nochmals auf ihre Pass- und Mitwirkungspflichten hingewiesen. Sie erklärte niederschriftlich, dass sie nicht bei der Botschaft gewesen sei, um ein Identitätsfeststellungsverfahren zu beantragen. Sie wurde nochmals aufgefordert, Nachweise über die Beantragung eines Heimreisescheines bzw. Identitätsfeststellungsverfahrens vorzulegen. Die Unterschrift auf der Niederschrift sowie auf der Belehrung über die Pass- und Mitwirkungspflichten verweigerte die Klägerin.
53
Mit Schreiben vom 6. Oktober 2020 beteiligte sich die Regierung von Mittelfranken als Vertretung des öffentlichen Interesses.
54
Mit Bescheid vom 14. April 2021 stellte das Bundesamt auf den Wiederaufgreifensantrag der Klägerin hin fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Gegen diesen Bescheid wurde am 4. Mai 2021 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach (Az.: AN 9 K 21.30393) erhoben.
55
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2021 nahm die Bevollmächtigte der Klägerin den mit der Klage gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurück. Das Prozesskostenhilfeverfahren wurde daraufhin mit Beschluss vom 3. Januar 2022 eingestellt.
56
Mit Schreiben vom 28. Juli 2022 erklärte die Klägerbevollmächtigte den Verzicht auf die mündliche Verhandlung.
57
Mit Schreiben vom 29. Juli 2022 wurde seitens der Beklagten ebenfalls auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
58
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

59
Über die Streitsache konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten übereinstimmend auf diese verzichtet haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
60
Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 18. August 2020, mit dem die Klägerin aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten; diese hat derzeit auch keinen Anspruch auf Verkürzung des auf die Dauer von vier Jahren befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO).
61
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung und der Befristungsentscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. u.a. BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3.16 - juris Rn. 18).
62
1. Die von der Klägerin angefochtene Ausweisung ist formell und materiell rechtmäßig.
63
Die verfügte Ausweisung stützt sich auf § 53 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b und Nr. 9 AufenthG. Der besondere Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3, 3a, 3b und 4 AufenthG findet vorliegend keine Anwendung. Insbesondere sind Ausländer, die sich allein auf das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG berufen, nicht von § 53 Abs. 4 AufenthG erfasst (vgl. Fleuß in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand: 1.4.2022, § 53 AufenthG Rn. 135).
64
Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dabei sind nach § 53 Abs. 2 AufenthG bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei dieser Beurteilung müssen die Behörden sowohl den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als auch die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, wahren (vgl. EuGH, U.v. 22.12.2010 - C-303/08 - juris Rn. 60; EuGH, U.v. 8.12.2011 - C-371/08 - juris Rn. 82). Dabei sind auch nach der Ausweisungsverfügung eingetretene Tatsachen zu berücksichtigen, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können (vgl. EuGH, U.v. 11.11.2004 - C-467/02 - juris Rn. 47; EuGH, U.v. 8.12.2011 - C-371/08 - juris Rn. 84).
65
Der Aufenthalt der Klägerin gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung (a.) und die unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib der Klägerin im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt und ein Verstoß gegen höherrangige Vorschriften nicht vorliegt (b.).
66
a. Der Aufenthalt der Klägerin gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 53 Abs. 1 AufenthG in spezial- und generalpräventiver Hinsicht.
67
Gegen die Klägerin wurde mit rechtskräftigem Strafbefehl wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen verhängt. Hierdurch liegt ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b AufenthG sowie nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vor.
68
Nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse schwer, wenn der Ausländer in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde. Nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.
69
Die Klägerin hat sich trotz bestehender Rechtspflicht und über Jahre hinweg vielfacher entsprechender Belehrungen (erstmals bereits am 28. Juli 2011) vorsätzlich geweigert, an der Pass- bzw. Passersatzpapierbeschaffung mitzuwirken, wodurch sie ein Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b AufenthG verwirklicht hat. Zwar hat die Klägerin beim äthiopischen Generalkonsulat nachweislich mehrmals einen Pass beantragt, dieser konnte jedoch in Ermangelung von Beweisen über ihre äthiopische Staatsangehörigkeit nicht ausgestellt werden. Die reine Beantragung eines Passes - ohne Vorlage jeglicher Dokumente - ist jedoch als nicht ausreichend im Hinblick auf die Mitwirkungspflichten anzusehen. Dennoch hat es die Klägerin trotz mehrfacher ausdrücklicher Hinweise im Rahmen von Vorsprachen bei der Beklagten unterlassen, einen neuen Vertrauensanwalt hinzuzuziehen, nachdem sich die zunächst - ebenfalls erst nach zahlreichen Belehrungen über die Pass- und Mitwirkungspflichten - von der Klägerin beauftragte Rechtsanwaltskanzlei in Äthiopien als nicht vertrauenswürdig gezeigt hatte. Eine (nicht abschließende) Liste mit Vertrauensanwälten war der Klägerin ausgehändigt worden. Auch konnte sie keine schriftlichen Nachweise über ihre Bemühungen vorlegen, durch Kontaktaufnahme mit ihren in Äthiopien lebenden Familienangehörigen (jedenfalls Mutter und ein Bruder) eine Geburtsurkunde oder einen Pass zu beschaffen. Ebenfalls hat sie es trotz mehrfacher Aufforderungen unterlassen, einen Heimreiseschein bei der äthiopischen Botschaft zu beantragen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Klägerin die aufgezeigten Mitwirkungspflichten nicht zuzumuten sein könnten.
70
Zudem besteht ein Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Gegen die Klägerin wurde wegen Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ein Strafbefehl verhängt. Gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer sich entgegen §§ 3 Abs. 1 i.V.m. 48 Abs. 2 AufenthG im Bundesgebiet aufhält. Nach § 3 Abs. 1 AufenthG dürfen Ausländer nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin aufhalten, wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzen, sofern sie von der Passpflicht nicht durch Rechtsverordnung befreit sind; für den Aufenthalt im Bundesgebiet erfüllen sie die Passpflicht auch durch den Besitz eines Ausweisersatzes (§ 48 Abs. 2). Bei dem durch die Klägerin begangenen Rechtsverstoß handelt es sich nicht um einen nur geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften i.S.v. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich nicht geringfügig; dies kann nur dann in Betracht kommen, wenn ein strafrechtliches Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist (siehe schon BVerwG, U.v. 24.9.1996 - 1 C 9.94 - juris Rn. 20 f.). Allgemein wird eine Straftat als noch geringfügig angesehen, wenn sie zu einer Verurteilung von bis zu 30 Tagessätzen geführt hat oder als geringfügig eingestellt worden ist und der wegen dieser Tat festgesetzte Geldbetrag nicht mehr als 500 Euro betragen hat oder wenn sie als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von nicht mehr als 300 Euro geahndet worden ist; erforderlich ist jedoch immer eine wertende und abwägende Beurteilung (vgl. Katzer in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, Stand: 15.7.2022, § 54 AufenthG Rn. 95 ff.; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 54 AufenthG Rn. 95). Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs stellen vorsätzliche Verstöße gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften (wie etwa unerlaubte Einreise, unerlaubter Aufenthalt, Täuschung der Ausländerbehörden) in aller Regel keine geringfügigen Rechtsverstöße dar (vgl. BayVGH, B.v. 18.9.2020 - 10 CE 20.1914, 10 CS 20.1915 - juris Rn. 30; BayVGH, B.v. 29.3.2021 - 10 B 18.943 - juris Rn. 52). Weder die Tathandlung (unerlaubter Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland ohne Pass) noch die Strafhöhe lassen Raum für die Annahme einer lediglich geringfügigen Straftat. Auch sind keinerlei besondere Umstände erkennbar, die die Tat in ihrer Bedeutung mindern könnten, insbesondere verweigert die Klägerin trotz vielfacher Belehrungen noch immer beharrlich, beim Generalkonsulat ein Identitätsfeststellungsverfahren oder einen Heimreiseschein zu beantragen sowie Nachweise ihrer äthiopischen Staatsangehörigkeit mit Hilfe ihrer in Äthiopien lebenden Familienangehörigen oder durch Beauftragung eines Vertrauensanwalts beizubringen.
71
Die mit der Verwirklichung der genannten Tatbestände indizierte Gefährdung öffentlicher Interessen i.S.v. § 53 Abs. 1 AufenthG besteht auch noch im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung fort, weil eine Wiederholungsgefahr besteht und von der Klägerin somit nach wie vor eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeht.
72
Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 8.3.2016 - 10 B 15.180 - juris Rn. 31).
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Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Kammer zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zu der Überzeugung gelangt, dass eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Klägerin erneut die öffentliche Sicherheit beeinträchtigen wird. Der unerlaubte Aufenthalt der Klägerin ohne Pass dauert ebenso an wie ihre ausstehende Mitwirkung bei der Pass- bzw. Passersatzpapierbeschaffung. Die vielfachen Belehrungen und der Erlass eines Strafbefehls haben die Klägerin nicht dazu bewegen können, ihrer Mitwirkungspflicht nunmehr nachzukommen. Im Rahmen ihrer Vorsprache bei der Beklagten am 27. Januar 2020 erklärte die Klägerin auf die Aufforderung hin, für eine freiwillige Ausreise einen Heimreiseschein bei der Auslandsvertretung zu beantragen, dass sie in Deutschland bleiben möchte. Die Klägerin hat hierdurch zum Ausdruck gebracht, an einer freiwilligen Ausreise keinerlei Interesse zu haben. Auch im Rahmen einer weiteren Vorsprache am 28. Juli 2020 gab sie an, dass es „okay“ für sie wäre, wenn die Ausländerbehörde sie aufgrund ihrer Verweigerungshaltung bei der Polizei anzeigen würde. Aus diesem Verhalten ist zu schließen, dass ein rechtstreues Verhalten der Klägerin, insbesondere in Bezug auf aufenthaltsrechtliche Vorschriften, auch in Zukunft nicht zu erwarten ist.
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Zudem gefährdet der Aufenthalt der Klägerin auch im Hinblick auf generalpräventive Erwägungen die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland.
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Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 12. Juli 2018 entschieden, dass sich auch nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Recht mit generalpräventiven Gründen ein Ausweisungsinteresse begründen lässt (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 16). Der Generalprävention liegt der Gedanke zugrunde, dass vom weiteren Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen kann, wenn von ihm selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr mehr ausgeht, im Falle des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen. Es besteht daher ein öffentliches Interesse, eine verhaltenssteuernde Wirkung bei anderen Ausländern zu erreichen (vgl. BVerwG, U.v. 9.5.2019 - 1 C 21.18 - juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 12.10.2020 - 10 B 20.1795 - juris Rn. 33 ff.). Bei der generalpräventiven Aufenthaltsbeendigung ist besonders sorgfältig das Gewicht der mit ihr verfolgten im öffentlichen Interesse liegenden Ziele zu ermitteln. Hierzu gehört auch für die Verwaltungsgerichte eine genaue Kenntnisnahme und Würdigung des der Aufenthaltsbeendigung zugrundeliegenden Tatgeschehens und seiner strafgerichtlichen Bewertung (vgl. BVerfG, B.v. 21.3.1985 - 2 BvR 1642/83 - juris Rn. 24). Erforderlich ist, dass die Ausweisung an Straftaten oder Verhaltensweisen anknüpft, bei denen sie nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet erscheint, andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (vgl. BVerwG, U.v. 3.5.1973 - I C 33.72 - juris Rn. 34; Bauer in Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 53 AufenthG Rn. 64; Fleuß in Kluth/Heusch, a.a.O., § 53 AufenthG Rn. 32).
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Gemessen daran besteht vorliegend ein generalpräventives Ausweisungsinteresse. Der Gesetzgeber hat die Passpflicht als Regelerteilungsvoraussetzung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufentG ausgestaltet und damit die Wichtigkeit des Passbesitzes für einen rechtmäßigen Aufenthalt betont. Die ausweisrechtlichen Pflichten sind zudem in § 48 AufenthG konkretisiert. Die Passpflicht dient nicht allein der Identitätsfeststellung; ihre Erfüllung gewährleistet auch die Rücknahme des Ausländers durch den Staat, der den Pass oder Passersatz ausgestellt hat. Weigert sich der Betroffene an der Beschaffung eines Passes mitzuwirken, um so seine Abschiebung zu verhindern, besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, den Verstoß gegen die Passpflicht bzw. die Weigerung an der Passbeschaffung mitzuwirken, zu „sanktionieren“, um andere Ausländer in einer ähnlichen Situation zur Mitwirkung an der Passbeschaffung anzuhalten (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2020 - 10 ZB 20.666 - juris Rn. 8; OVG LSA, B.v. 22.3.2021 - 2 L 132/19 - juris Rn. 41; OVG LSA, B.v. 7.1.2022 - 2 M 137/21 - juris Rn. 33). Die mit dem Vollzug des Aufenthaltsrechts beauftragten Behörden sind in vielen Fällen auf die Mitwirkung des Ausländers angewiesen, da gerade im Passbeschaffungsverfahren die persönliche Antragstellung und die Beschaffung und Vorlage persönlicher Dokumente erforderlich sind und nicht durch die Behörden erfolgen können. Daher ist es gerechtfertigt, auch anderen Ausländern vor Augen zu führen, dass der unerlaubte Aufenthalt ohne Pass nicht nur zu strafrechtlichen Konsequenzen führt, sondern auch die Aufenthaltsbeendigung sowie ein nachfolgendes Einreise- und Aufenthaltsverbot nach sich ziehen kann.
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Das generalpräventive Ausweisungsinteresse ist im Falle der Klägerin auch noch aktuell. Dabei ist zu berücksichtigen, dass jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung verliert und ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr herangezogen werden kann. Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 23) für die vorzunehmende gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung eine Orientierung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung angezeigt. Dabei bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt (§ 78a StGB), eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich hingegen regelmäßig an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2020 - 10 ZB 20.666 - juris Rn. 8). Bei abgeurteilten Straftaten bilden zudem die Tilgungsfristen des § 46 BZRG eine absolute Obergrenze, weil nach deren Ablauf die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nach § 51 BZRG nicht mehr vorgehalten werden dürfen (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16/17 - juris Rn. 23).
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Da der unerlaubte Aufenthalt im Bundesgebiet ohne Pass nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB in drei Jahren verjährt und die regelmäßige Obergrenze somit sechs Jahre beträgt, ist zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts die Aktualität des generalpräventiven Ausweisungsinteresses zu bejahen. Der Strafbefehl erging am 20. August 2019 und bezog sich auf einen Tatzeitraum seit 15. Mai 2018 bis zum Erlass des Strafbefehls. Somit ist noch nicht einmal die einfache Verjährungsfrist als untere Grenze abgelaufen. Da die Klägerin noch immer nicht im Besitz eines Passes oder Passersatzes ist und sich ihrer Mitwirkungspflichten fortdauernd beharrlich verweigert, verwirklicht sie zudem weiterhin den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.
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b. Unter Berücksichtigung aller Umstände und nach Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses (§ 54 AufenthG) mit dem privaten Bleibeinteresse (§ 55 AufenthG) der Klägerin ist das Verwaltungsgericht der Überzeugung, dass hier das öffentliche Interesse an der Ausreise der Klägerin ihr Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und die Ausweisung auch nicht gegen höherrangige Normen verstößt.
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Voraussetzung für eine Ausweisung bei einer bestehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den weiteren Aufenthalt des Ausländers ist gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Dieser Grundsatz des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch § 54 und § 55 AufenthG weitere Konkretisierungen. Einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen wird von vornherein ein spezifisches bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen. Bei der Abwägung des Interesses an der Ausreise mit den Bleibeinteressen sind darüber hinaus die in § 53 Abs. 2 AufenthG aufgeführten Umstände (näher dazu etwa BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 3.16 - juris Rn. 24 f.) in die wertende Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Hiernach sind bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.
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Die Klägerin erfüllt - wie dargestellt - ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG sowie nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b AufenthG. Auch wenn gegen die Klägerin nur einmalig eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen verhängt wurde und dem § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG nur eine „Auffangfunktion“ zukommt (so die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 18/4097, S. 52), hat das Ausweisungsinteresse bei der Abwägung im konkreten Einzelfall ein erhebliches Gewicht. Zunächst ergibt sich aus der Regelung in § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b AufenthG, nach der eine Nichtmitwirkung an Maßnahmen der zuständigen Behörden für die Durchführung des Aufenthaltsgesetzes trotz bestehender Rechtspflicht ausdrücklich ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründet, selbst wenn solche Angaben nicht zu einer Verurteilung geführt haben, dass der Gesetzgeber der Mitwirkungsverweigerung gegenüber den Ausländerbehörden ein schweres Gewicht beigemessen hat. Gerade die Verweigerung im Passbeschaffungsverfahren hat zur Folge, dass ein ausreisepflichtiger Ausländer, der nicht freiwillig ausreist, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet zu Unrecht in die Länge ziehen kann. Den Ausländerbehörden wird eine Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht ohne die Mitwirkung der Ausländer wesentlich erschwert bzw. sogar unmöglich gemacht wird. Dies wiederum birgt auch die Gefahr, dass ein jahrelang nur geduldeter Ausländer durch die Schaffung neuer aufenthaltsrechtsbegründender Fakten (etwa durch die Heirat eines deutschen Staatsangehörigen oder durch die Geburt eines deutschen Kindes) seinen rechtswidrigen Aufenthalt festigt. Es liegt daher im öffentlichen Interesse, den passlosen Aufenthalt der Klägerin neben der strafrechtlichen Sanktion mit dem Mittel der Ausweisung zu bekämpfen, auch um auf diese Weise andere Ausländer von der Nachahmung eines solchen Verhaltens abzuschrecken. Schließlich hat sich die Klägerin über Jahre hinweg trotz vielfacher Belehrungen über ihre Pass- und Mitwirkungspflichten und trotz konkreter Aufforderungen, wie die Klägerin diesen Pass- und Mitwirkungspflichten genügen kann, immer wieder vorsätzlich und beharrlich verweigert. Dass sie sich ihrer Ausreisepflicht bewusst ist, jedoch der deutschen Rechtsordnung insoweit keinerlei Beachtung beimisst, hat sie insbesondere in ihren Vorsprachen gegenüber der Beklagten am 27. Januar 2020 sowie 28. Juli 2020 deutlich zum Ausdruck gebracht.
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Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine überwiegenden Bleibeinteressen der Klägerin gegenüber. Für die Klägerin ist weder ein in § 55 AufenthG „vertyptes“ noch ein sonstiges Bleibeinteresse erkennbar. Zwar ist hierbei zu sehen, dass die Klägerin bereits im August 2010 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist und sie sich somit seit fast zwölf Jahren im Bundesgebiet aufhält. Jedoch ist der Aufenthalt der Klägerin seit dem unanfechtbaren Abschluss ihres Asylverfahrens im Mai 2011 nur noch deshalb geduldet, weil die Klägerin sich beharrlich weigert, an der Passbeschaffung bzw. Identitätsklärung mitzuwirken. Die Klägerin ist zudem erst im Erwachsenenalter in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, so dass sie die Heimatsprache ihres Herkunftslandes beherrscht. Da sie auch in Deutschland zeitweise einer Beschäftigung nachgegangen ist, geht die Kammer davon aus, dass es ihr auch in Äthiopien gelingen wird, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, zumal sie in ihrem Heimatland jedenfalls mit ihrer Mutter und einem Bruder auch noch über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt. Besondere integrative Bindungen der Klägerin im Bundesgebiet sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist der Kontakt zu ihrem im Bundesgebiet lebenden Bruder allenfalls lose. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass sich die Klägerin nicht rechtstreu verhalten hat und somit ihre Ausweisung alleinige Konsequenz ihres persönlichen Verhaltens ist.
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Die streitgegenständliche Ausweisung der Klägerin ist somit weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG - nicht abschließend - aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Das Gericht nimmt insoweit ergänzend Bezug auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid (§ 117 Abs. 5 VwGO).
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2. Die Verfügung in Ziffer II. des streitgegenständlichen Bescheids, mit der das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von vier Jahren ab Ausreise bzw. Abschiebung befristet wurde, ist ebenfalls rechtmäßig.
85
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist im Falle der Ausweisung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Dies hat zur Folge, dass das Gericht die Länge der Frist grundsätzlich nur in dem durch § 114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Rahmen überprüfen darf. Eine Verkürzung der Dauer der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot durch das Gericht selbst kommt also nur in Betracht, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. In allen anderen Fällen ist zwar die Entscheidung der Verwaltungsbehörde aufzuheben, jedoch muss das Gericht der Verwaltungsbehörde erneut Gelegenheit geben, ihr Ermessen rechtsfehlerfrei auszuüben (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.2016 - 10 B 15.1854 - juris Rn. 47; U.v. 12.7.2016 - 10 BV 14.1818 - juris Rn. 59 m.w.N.).
86
Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf einer prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zu Grunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag, wie lange also die Gefahr besteht, dass der Ausländer weitere Straftaten oder andere Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung begehen wird, wobei die Umstände des Einzelfalles anhand des Gewichts des Ausweisungsgrundes zu berücksichtigen sind. In einem zweiten Schritt ist die so ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK zu überprüfen und gegebenenfalls zu verkürzen. Dieses normative Korrektiv bietet den Ausländerbehörden und den Gerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. BVerwG, U.v. 13.12.2012 - 1 C 14.12 - juris Rn. 14; BayVGH, U.v. 25.8.2015 - 10 B 13.715 - juris Rn. 56; BayVGH, U.v. 28.6.2016 - 10 B 15.1854 - juris Rn. 50).
87
Nach diesen Maßstäben ist die mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzte Frist gerichtlich nicht zu beanstanden. Durchgreifende Ermessensfehler sind weder ersichtlich noch von der Klägerin geltend gemacht.
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3. Die Klägerin hat als unterliegende Beteiligte die Kosten des Verfahrens zu tragen, § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.