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LG Traunstein, Urteil v. 04.03.2022 – 7 KLs 140 Js 33258/21
Titel:

Beteiligung an Betäubungsmitteldelikten als Kurier

Normenketten:
BtMG § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
StGB § 25 Abs. 2, § 27 Abs. 1
Leitsatz:
Einer Tätigkeit als Kurier, die sich im bloßen Transport von Rauschgift erschöpft, kommt in der Regel keine täterschaftliche Gestaltungsmöglichkeit hinsichtlich des Handeltreibens zu und ist daher als Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu bewerten. Demgegenüber erfordert eine Mittäterschaft, dass der Kurier erhebliche, über den reinen Transport hinaus gehende Tätigkeiten entfaltet, am An- und Verkauf des Rauschgiftes unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäftes hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder dem zu erzielenden Gewinn erhalten soll (Bestätigung von BGH BeckRS 2007, 4054). (Rn. 79) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beihilfe, Mittäterschaft, bloßer Transport, Gestaltungsmöglichkeit, Beteiligung, An- und Verkauf, eigenes Interesse
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 09.08.2022 – 1 StR 165/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21901

Tenor

I. Der Angeklagte P., A. S., geb. am ... 1974, ist schuldig der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
II. Der Angeklagte wird deswegen zur Freiheitsstrafe von 6 Jahren 3 Monaten verurteilt.
III. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens sowie die ihm dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Entscheidungsgründe

A. Verfahrensgang
1
Mit Anklageschrift vom 14.01.2022 hat die Staatsanwaltschaft Tr. am 18.01.2022 gegen den Angeklagten A. S1. P. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 1 Abs. 1 i.V.m. Anlage III zum BtMG, §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4 Bt-MG, §§ 27 Abs. 1, 52 StGB Anklage zum Landgericht Traunstein erhoben.
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Mit Eröffnungsbeschluss vom 02.02.2022 hat das Landgericht - 7. Strafkammer - Traunstein die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und Termin zur Hauptverhandlung bestimmt auf 04.03.2022.
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Durch Urteil vom selben Tag wurde der Angeklagte für schuldig im Sinne der Anklage befunden und deswegen zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren 3 Monaten verurteilt.
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Eine Verständigung hat weder vor noch in der Hauptverhandlung stattgefunden (§§ 202 a, 212, 243 Abs. 4,257 c 267 Abs. 3, 273 Abs. 1 a StPO).
B. Persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse
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I. Der Angeklagte wurde am ... 1974 in L./Portugal geboren. Er hat insgesamt acht Geschwister, wovon ein Geschwisterteil bereits verstorben ist. Ein weiterer Geschwisterteil lebt in der Schweiz, zwei in Fr., die restlichen Geschwister leben in Po.. Der Angeklagte selbst zog im November 2012 von Portugal in die Schweiz.
6
Der Vater des Angeklagten ist im ... 2020 verstorben. Die Mutter lebt in Po.. Der Angeklagte heiratete am ... 1993, trennte sich von seiner Ehefrau jedoch im Jahr 2019. Er hat drei Kinder im Alter von 25, 19 und 13 Jahren. Für die beiden jüngsten Kinder zahlte er bis zur Inhaftierung Unterhalt.
7
Der Angeklagte wuchs die ersten beiden Jahre bei seinen Eltern auf, danach bei einer Tante im benachbarten Dorf in Portugal. Er besuchte die Schule bis zur 10. Klasse und schloss sie regulär ab. Im Anschluss machte er eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer. Von 1992 bis 2019 arbeitete er in diesem Beruf. Grund für das Berufsende war ein schwerer Unfall 2019. Seitdem war er bis zur Inhaftierung in hiesiger Sache arbeitslos. Zuletzt bezog er 3.500 CHF Arbeitslosengeld. Schulden bestehen in Höhe von 19.000 CHF.
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2019 hatte der Angeklagte einen schweren Unfall mit einem Tretroller. Er zog sich hierbei Armbrüche und Verletzungen des Rückens zu und wurde für vier Tage ins künstliche Koma versetzt. Er zog sich jedoch keine Kopfverletzungen zu. Weitere erwähnenswerte körperliche oder psychische Erkrankungen bestehen bei dem Angeklagten nicht.
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Der Angeklagte konsumierte nach eigenen Angaben nie Kokain oder andere illegale Drogen und hatte auch nie Umgang damit. Tatsächlich hat er demgegenüber in den letzten drei Monaten vor der Festnahme zumindest gelegentlichen Umgang mit Kokain gehabt, weil sich entsprechende Spuren in seinen Haaren befanden.
II. Vorahndungen
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Der Angeklagte ist weder in Deutschland noch sonst vorbestraft; in der Schweiz gab es 2020 eine Strafuntersuchung wegen Beschimpfung und Nötigung, die aber zu keiner Verurteilung führte, sodass insgesamt keine Vorstrafen des Angeklagten vorliegen. Bei dem genannten Vorfall handelte es sich um eine Anzeige im Zusammenhang mit der Trennung von seiner Ehefrau.
III. Haftdaten
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Der Angeklagte wurde in dieser Sache am 24.09.2021 vorläufig festgenommen und befindet sich seit demselben Tag ununterbrochen in Untersuchungshaft aufgrund Untersuchungshaftbefehls des Amtsgerichts Rosenheim vom 24.09.2021 (Gz.: II Gs 1977/21) in der Justizvollzugsanstalt Tr..
C. Festgestellter Sachverhalt
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Am 23.09.2021 kurz vor 19:41 Uhr verbrachte der Angeklagte als Fahrer des Pkw Renault Twingo, amtliches schweizerisches K2. AG…, aus dem Ausland kommend, vermutlich aus Österreich über den Grenzübergang Unterhochsteg, insgesamt 2.001,64 Gramm Kokaingemisch in das Bundesgebiet. Das Betäubungsmittel war in einem professionellen Schmuggelversteck unter den beiden Vordersitzen verbaut, was dem Angeklagten - ebenso wie die Art und Menge der verbauten Droge - bekannt war.
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Im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle am 24.09.2021 gegen 00:20 Uhr auf dem Parkplatz „Eulenauer Filz“ an der Bundesautobahn A8 im Gemeindegebiet von ... B. konnte das Betäubungsmittel aufgefunden und sichergestellt werden.
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Das Betäubungsmittel war zum gewinnbringenden Weiterverkauf durch dritte Personen, außerhalb Deutschlands, möglicherweise in Österreich, bestimmt, was dem Angeklagten bekannt war. Das Betäubungsmittel hatte hinsichtlich einer Teilmenge von 999,19 Gramm einen Wirkstoffgehalt von mindestens 60,4 % Kokainhydrochlorid sowie hinsichtlich einer weiteren Teilmenge von 1.002,45 Gramm einen Wirkstoffgehalt von mindestens 64,2 % Kokainhydrochlorid. Insgesamt betrug die Wirkstoffmenge des transportierten Betäubungsmittels somit mindestens 1.247 Gramm Kokainhydrochlorid (249,4-fache der nicht geringen Menge).
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Wie der Angeklagte wusste, besaß er nicht die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis.
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Bei Begehung der Tat war der Angeklagte weder in seiner Einsichts - noch in seiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt.
D. Beweiswürdigung
I. Persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse sowia Vorstrafen
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Die Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen maßgeblich auf dessen eigenen Angaben in der Hauptverhandlung. Lediglich hinsichtlich seines Umgangs mit Drogen konnte die Kammer seinen Angaben nicht folgen.
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Der Angeklagte gab an, weder Kokain noch sonstige illegale Drogen jemals konsumiert oder mit ihnen Umgang gehabt zu haben; er lehne Drogen strikt ab.
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Auf Vorhalt des Ergebnisses der Untersuchung einer bei ihm am 24.09.2021 abgenommenen Haarprobe, die Cocain und dessen Stoffwechselprodukte auswies, erklärte der Angeklagte, dass er sich dies nur so vorstellen könne, dass er das Auto gefahren habe, in dem sich Kokain befunden habe, und er sich dann einmal mit der Hand, mit der er zuvor unbewusst Kokain-Staub aufgenommen hätte, durch die Haare gefahren sei.
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Seine Einlassung ist mit den Erkenntnissen des Sachverständigen Prof. Dr. M1., die dieser der Kammer in der mündlichen Verhandlung schilderte, nicht zu vereinbaren: Er berichtete von der Untersuchung der am 24.09.2021 abgenommenen, ca. 3 cm langen Haarprobe. Bei einem durchschnittlichen Haarwachstum von 1 cm pro Monat hätte so ein Zeitraum von ca. 3 Monaten überprüft werden können. Bei der Untersuchung hätten sich folgende Substanzen ergeben:
Cocain: 3,3 ng/mg
Nor-Cocain: 0,017 ng/mg
Benzoylecgonin: 0,20 ng/mg
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Andere relevante Substanzen/Stoffe seien demgegenüber nicht aufgefunden worden.
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Der Sachverständige führte für die Kammer vollkommen anschaulich, nachvollziehbar und widerspruchsfrei aus, dass sich aufgefundenes Cocain und Benzoylecgonin grundsätzlich auch mit einem reinen Umgang mit Kokain erklären ließen. Dabei bewege sich die Cocain-Konzentration mit einem Wert von 3,3 ng/mg zwar insgesamt in einem niedrigen Bereich, aber doch in einer Höhe, die nur mit einer mehrfachen Exposition gegenüber Kokain erklärbar sei. Durch einen einmaligen Kontakt, wie ihn der Angeklagte zuvor geschildert habe, sei diese Konzentration nicht zu erklären. Er deute den Wert vielmehr als Zeichen dafür, dass sich der Angeklagte in „Kokain-Kreisen“ bewegt habe.
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Bei Nor-Cocain handele es sich um ein Stoffwechselprodukt von Cocain, das entstehe, wenn Cocain vom Menschen aufgenommen und in der Leber verstoffwechselt werde. Die Konzentration sei sehr gering und lasse sich zwanglos mit einem sehr seltenen, auch einmaligen, Konsum von Kokain vereinbaren. Grundsätzlich lasse sein Auffinden auf einen Konsum schließen. Es würden in der Literatur aber sehr selten auch Fälle berichtet, dass in Straßenkokain bereits Nor-Cocain enthalten sei; in diesem Fall könnte das Nor-Cocain auch durch den reinen Umgang mit dem Straßenkokain aufgenommen werden. Aus sämtlichen seiner eigenen Untersuchungen könne er aber sagen, dass Nor-Cocain in aller Regel einen stattgefundenen Konsum beweise.
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Es liegt für die Kammer somit sehr nahe, dass der Angeklagte in den letzten drei Monaten vor der Festnahme zumindest einmal Kokain konsumiert hat. Die Kammer konnte aber nicht sicher ausschließen, dass sich auch die Nor-Cocain-Werte aus einem reinen Umgang mit Kokain, das zufälligerweise bereits das Stoffwechselprodukt Nor-Cocain enthielt, hatte und diese Substanz dabei aufgenommen hat.
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Ein Umgang mit Kokain ist dadurch jedoch in jedem Fall belegt. Die aufgefundene Cocain-Konzentration ist nach Ansicht des äußerst erfahrenen Sachverständigen nicht mit einer einmaligen (unbewussten) Exposition vereinbar. Die Kammer ist daher, soweit der Angeklagte jeglichen Umgang mit Kokain bestritten hat, nachweislich mit der Unwahrheit bedient worden.
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Die Feststellungen zur Vorstrafenfreiheit ergeben sich aus den verlesenen Straflisten (BZR vom 15.02.2022, schweizerische Strafliste vom 12.10.2022, portugiesische Strafliste vom 09.02.2022, französische, italienische, österreichische, spanische und niederländische Strafliste jeweils vom 04.02.2022). Zu der Strafuntersuchung in der Schweiz äußerte sich der Angeklagte ergänzend wie oben festgestellt.
II. Festgestellter Sachverhalt
1. Einlassung des Angeklagten
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Der Angeklagte machte in der Hauptverhandlung Angaben zur Sache, die für die Kammer meist schwer, teilweise überhaupt nicht nachvollziehbar waren, weil sie schon in sich widersprüchlich waren und auf Vorhalt dieser Widersprüchlichkeit wechselten.
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Zunächst berichtete er, dass er sich am Mittag des 24.09.2021 (Anmerkung: gemeint sein muss wohl der 23.09.2021) in Fr. an der Grenze zur Schweiz aufgehalten habe, wo er sich gerade ein Sandwich habe kaufen wollen. Dann sei eine Person hinzugekommen, die er gekannt habe, weil man zwischen Juni und August 2021 ein Auto von Basel nach Wettingen überführt habe. Bei dem Auto habe es sich zufälligerweise um den Renault Twingo gehandelt, den er auch bei der Festnahme gesteuert habe. Man habe sich dann über Belangloses, insbesondere über Autos, unterhalten. Im Zusammenhang mit der Überführung des Autos berichtete er weiter, dass er damals einen Parkplatz/eine Garage angemietet gehabt habe, wo er ein gekauftes Auto untergestellt habe. An einem Wochenende seien dann aber alle Autos dort entfernt worden, also auch sein Auto. Er sei deswegen zu dem Franzosen gegangen, den er von dem Autotransport gekannt habe, und habe ihn gefragt, was los sei.
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Auf Vorhalt der Kammer, dass dies keinen unmittelbaren Bezug zur angeklagten Tat hat, setzte der Angeklagte seine Einlassung damit fort, dass der Franzose zu ihm gekommen sei, um ihn zu treffen. Dann habe man am 23.09.2021 „diesen“ Vertrag abgeschlossen (damit sollte wohl der Auftrag, den Renault Twingo nach Innsbruck zu bringen, gemeint sein). Unmittelbar darauf gab er an, dass dieses Treffen in Mulhouse gewesen sei und er dort in ein türkisches Restaurant gegangen sei, um sich dort mit dem Franzosen zu treffen. Sie hätten über den Zoll gesprochen, weil er zuvor von der Polizei die Information bekommen habe, dass sein vermisstes Auto beim Zoll sei. Er habe dann gesagt, dass er zurück in die Schweiz „zu seinem Bus“ müsse und habe dem Mann eine Mitfahrgelegenheit angeboten. Auf Einwand der Kammer, dass seine Einlassung völlig widersprüchlich sei, fuhr er fort, dass er zum Zoll in Basel gefahren sei, wobei ihn ein Lastwagenfahrer mitgenommen habe.
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Als er im Gewerbegebiet angekommen sei, habe ihn ein Mann gefragt, ob er einen Transport übernehmen könne. Er habe zunächst an eine LKW-Fahrt gedacht, es hätte sich aber um den Transport eines Autos nach Österreich gehandelt: Eine Familie hätte einen Mietwagen gemietet und der Vertrag würde nun ablaufen. Er solle deshalb den Pkw zu der Familie nach Österreich zum Hotel Central in Innsbruck bringen und den Mietwagen zurück in die Schweiz fahren. Die Zeit sei zwar knapp gewesen, hätte aber für Hin- und Rückfahrt gereicht. Bei dem zu überführenden Pkw habe es sich zufälligerweise um genau den Renault gehandelt, den er zuvor überführt hatte, das habe er aber zunächst gar nicht erkannt.
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Am 25.09.2021 hätte er dann in der Schweiz an seiner neuen Arbeitsstelle beginnen und Touristen mit einem Bus durch die Schweiz fahren sollen.
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Auf Frage der Kammer, wie er sich seine DNA-Spuren am Boden des Drogenverstecks erklären könne, gab er an, dass diese von der früheren Fahrzeug-Überführung herrühren müssten. Auf erneuten Vorhalt, dass seine DNA aber am Boden des Drogenverstecks und nicht einfach nur in dem Fahrzeug gefunden worden sei, erklärte er, dass er den Fahrzeugboden von der Überführung her kenne, er sei ihm damals aufgefallen, er habe aber gedacht, dass dies ein Fach für die Autobatterie sei. Als er den Renault vor der Festnahme übernommen und gefahren habe, habe er gar nicht erkannt, dass es sich um dasselbe Fahrzeug handele, das er zuvor überführt habe.
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Auf Frage nach der Person, die ihm den Auftrag gegeben habe, das Fahrzeug nach Innsbruck zu bringen, gab er an, diese Person nicht zu kennen und keine weiteren Angaben zu ihr machen zu können. Für seine Tätigkeit hätte er 200 CHF sowie die Kosten für Benzin und andere Nebenkosten von der Familie in Innsbruck erhalten sollen. Die Familie hätte ihn auch zum Übernachten unterbringen können. Das Fahrzeug hätte am Hotel zwischen 02:00 Uhr und 03:00 Uhr morgens übergeben werden sollen.
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Als die Lichtbilder vom Handy des Angeklagten, die größere Summen Schweizer Franken auf einem Couchtisch zeigen, in Augenschein genommen wurden, wollte er auf die Frage, wo dieses Geld herkomme, keine Angaben machen, obwohl er sich zuvor zu allen Fragen geäußert hatte.
2. Zeugen
a) KOK M… (polizeilicher Sachbearbeiter)
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Der Zeuge berichtete zunächst vom Gang der polizeilichen Ermittlungen.
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Bei der am 24.09.2021 durchgeführten polizeilichen Beschuldigtenvernehmung habe der Angeklagte angegeben, dass er zu den Drogen im Auto nichts sagen könne und nichts davon gewusst habe. Er habe für ein Ehepaar den Renault Twingo aus der Ortschaft Dietikon in der Nähe von Zürich nach Innsbruck zum Hotel Central bringen sollen. Dort hätte er dann ein Leihfahrzeug erhalten, das er zurück in die Schweiz hätte bringen sollen. Für diese Tätigkeit hätte er 200 CHF pro Tag zuzüglich Spesen bekommen sollen. Obwohl er die Personen nicht gekannt habe, habe er sich bei der Sache nichts gedacht.
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Angesprochen worden sei er dazu, als er am Tag zuvor bei einer Firma Giramundo gewesen sei, um dort einen Arbeitsvertrag als Busfahrer zu unterschreiben. Arbeitsbeginn wäre am 25.09.2021 gewesen.
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Nähere Informationen zu dem Ehepaar, welches das Auto erhalten sollte, habe er nicht gehabt. Wo er das Leihfahrzeug hinbringen hätte sollen und von wem er sein Geld erhalten hätte, hätte er erst von den Empfängern in Innsbruck erfahren sollen. Name, Telefonnummer oder sonstige Daten von den Auftraggebern habe er nicht gehabt. Diese hätten Italienisch gesprochen, seien aber keine Italiener gewesen. Es habe sich um drei Männer ohne äußerliche Auffälligkeiten gehandelt.
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Sämtliche Angaben hätten dem Zeugen recht zweifelhaft geschienen; zudem sei nicht nachvollziehbar gewesen, warum der Angeklagte über Deutschland gefahren sei und nicht den direkten Weg von der Schweiz nach Innsbruck genommen habe.
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Auf dem von ihm gesichteten Handy des Angeklagten hätten keine strafrechtlich relevanten Chats festgestellt werden können. Es hätten sich jedoch eine Roaming-Info-SMS gefunden: am 23.09.2021 um 19:19:49 Uhr für Österreich und am 23.09.2021 um 19:41:46 Uhr für Deutschland. Um 19:43:40 Uhr sei zudem eine Corona-Info-SMS für Deutschland eingegangen. Weiter habe sich aus der Handy Auswertung ergeben, dass sich der Angeklagte am 23.09.2021 um 21:31 Uhr in München Sendling aufgehalten und seine Standortdaten an eine andere Person gesendet habe. Ein Treffen mit dieser Person habe aber nicht geklappt, weil sich die Person zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr in München aufgehalten habe. Weitere Erkenntnisse zu dieser Person hätten nicht ermittelt werden können.
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Aufgrund der genannten Roaming-SMS, dem vom Angeklagten angegebenen Start in der Schweiz und der Ankunft in München um 21:31 Uhr gehe er davon aus, dass der Angeklagte über den Grenzübergang Unterhochsteg nach Deutschland eingereist und auf der Autobahn A96 nach München gefahren sei.
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Zudem habe er auf dem Handy im Unterordner „Camera“ zwei am 13.08.2021 erstellte Fotos auffinden können, auf denen jeweils eine größere Menge Bargeld (mehrere Geldbündel Schweizer Franken, allein ein beschrifteter Teil davon dürfte wohl 114.000 CHF ausmachen) auf einem Couchtisch zu sehen seien.
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Das im Fahrzeug aufgefundene mobile Navigationsgerät TomTom (Spur 0.7) sei ebenfalls durch ihn gesichtet worden; dabei habe er jedoch keine relevanten Daten feststellen können.
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Zum Halter des Kurierfahrzeuges lägen keine weiteren Informationen vor.
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Weiter berichtete der Zeuge, dass am Boden des Drogenverstecks eine DNA-Spur abgeklebt worden sei, die dem Angeklagten als alleinigem Verursacher zugerechnet werden könne. Daneben gäbe es zwei weitere DNA-Spuren (am Versteck-Mechanismus und an einem Papierschnipsel aus dem Versteck), bei denen der Angeklagte Mitverursacher sei. Außerdem habe sich an dem Versteck eine weitere DNA-Spur gefunden, die eindeutig einer Person zugeordnet werden könne. Diese Person sei zwar unbekannt, aber schon einmal bei einem Fahrzeug-Drogenschmuggel in Erscheinung getreten. Damals habe es sich um die Einfuhr von 10 kg Kokain gehandelt, wobei die Kontrolle kurz hinter der niederländischen Grenze erfolgt sei. Der Zeuge vermutete, dass es sich bei der Person, deren DNA gefunden wurde, um den professionellen Versteck-Bauer handeln könnte.
b) PHK W. (Aufgriffsbeamter)
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Der Zeuge berichtete, dass der vom Angeklagten geführte Pkw Renault Twingo am 24.09.2021 um 00:20 Uhr an der Anschlussstelle I. auf der Bundesautobahn A8 in Fahrtrichtung Süden gesichtet und schließlich am Parkplatz „Eulenauer Filz“ einer Kontrolle unterzogen worden sei. Der Angeklagte habe zunächst auf Aufforderung hin seine Personal- und Fahrzeugpapiere ausgehändigt. Er habe angegeben, gerade aus Basel zu kommen und auf dem Weg nach Salzburg zu sein, um sich dort ein paar Tage als Tourist aufzuhalten. Reisegepäck habe er jedoch nicht mitgeführt. Die Frage, ob er Rauschgift oder Waffen mit sich führe, habe der Angeklagte mit starrem Blick verneint. Anschließend seien zunächst der Angeklagte, dann der Pkw durchsucht worden. Dabei seien starke Abnutzungsspuren der Sitzschrauben aufgefallen; bei näherer Nachschau habe sich dann ein doppelter Fahrzeugboden ergeben. Das Versteck habe jedoch vor Ort nicht geöffnet werden können. Es sei deshalb eine weitere Streife zur Unterstützung herbeigerufen worden, die den Angeklagten dann zur Dienststelle verbracht habe. Der Kollege habe den Pkw dann auf die Dienststelle zur genaueren Untersuchung gebracht. Dort habe festgestellt werden können, dass es sich um einen doppelten Boden unter dem Fahrer- und Beifahrersitz handele. Nachdem alle vier Schrauben des Beifahrersitzes entfernt worden seien, hätten unter dem Sitz in einem professionellen Schmuggelversteck Rauschgiftpakete erkannt werden können. Letztlich hätten nach Entfernung des Beifahrersitzes zwei Rauschgiftpakete aufgefunden werden können mit einmal 1.124,88 g brutto und einmal 1.128,07 g brutto. Die Pakete seien lose in dem Versteck gelagert gewesen. Ein bei Paket Nummer 2 durchgeführter Stofftest Kokain sei positiv verlaufen. Außerdem habe er an den Händen des Angeklagten einen DrugWipe-Test durchgeführt, welcher ebenfalls positiv auf Kokain verlaufen sei. Ein Speicheltest sowie eine Atemalkoholkontrolle seien dagegen negativ ausgefallen.
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Das Versteck sei ca. 120 × 100 × 20 cm groß gewesen, hätte also Platz für noch deutlich größere Drogenmengen geboten, und sei für den geschulten Beamten bei der Kontrolle leicht erkennbar gewesen. Nach Demontage des Beifahrersitzes sei auch für einen Laien erkennbar gewesen, dass im Fahrzeug ein Versteck mit Schließmechanismus verbaut war. Gerade die nachträglich eingebaute elektronische Verriegelung des Verstecks sei dann offensichtlich gewesen.
c) POM L. (Aufgriffsbeamter)
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Der Zeuge berichtet, dass ihm als Sicherungsbeamten auf der Beifahrerseite die abgenutzten Befestigungsschrauben des Beifahrersitzes aufgefallen seien. Der erfahrenere Kollege W… hätte dann auf ein Drogenversteck geschlossen. Nachdem der Angeklagte ausgestiegen sei, habe der Zeuge ein Gespräch mit ihm aufgenommen, wobei der Angeklagte angegeben habe, dass er nach Salzburg unterwegs sei, um dort ein paar Tage Urlaub zu machen. Er habe im Anschluss an die Kontrolle den Pkw zur Dienststelle gefahren, wo das Versteck dann mechanisch geöffnet worden sei. Als dem Angeklagten die vorläufige Festnahme erklärt worden sei, habe dieser nicht überrascht gewirkt; jedenfalls war dem Zeugen keine besondere Reaktion des Angeklagten in Erinnerung.
3. Urkunden
a) Wirkstoffgutachten des Bayerischen Landeskriminalamtes v. 13.12.2021
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Aus dem Wirkstoffgutachten des bayerischen Landeskriminalamtes vom 13.12.2021 ergibt sich, dass zwei Asservate untersucht wurden:
- Asservat 0.1: ein Beutel mit einer 999,19 g schweren Platte aus gepresster, cremefarbener Substanz (Logo: Totenkopf)
- Asservat 0.2: ein Beutel mit einer 1.002,45 g schweren Platte aus gepresster, cremefarbener Substanz (Logo: Pantherkopf)
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Dabei handelt es sich bei Asservat 0.1 um eine Zubereitung von Kokain-Hydrochlorid, Levamisol und Procain-Hydrochlorid (Lokalanästhetikum), wobei der Gehalt an Kokain-Hydrochlorid 63,0 +/- 2,6 % beträgt, sich mithin ein Mindestgehalt von 60,4 % und somit eine Mindestmenge von 603,5 g Cocain-Hydrochlorid ergibt.
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Bei Asservat 0.2 handelt es sich um eine Zubereitung von Kokain-Hydrochlorid und Procain-Hydrochlorid (Lokalanästhetikum), wobei der Gehalt an Kokain-Hydrochlorid 66,9 +/- 2,7 % beträgt, sich mithin ein Mindestgehalt von 64,2 % und somit eine Mindestmenge von 643,5 g Cocain-Hydrochlorid ergibt.
b) Spurensicherungsberichte vom 01.12.2021 und Spurenergebnisliste von 20.10.2021 (Bl. 198/217)
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Aus dem Bericht Spurensicherung Labor ergibt sich, dass zwei Pakete mit Betäubungsmitteln (bezeichnet mit Nrn. 0.1 und 0.2) und 1 Stück Papier (ähnlich Toilettenpapier, bezeichnet mit Nr. 0.3) übergeben wurden. In der Spurenergebnisliste vom 20.10.2021 ist diesem Asservat die Spurennummer 0.3.1 mit der Erläuterung „Teilstück Klopapier nach chem. Behandlung“ zugewiesen. Der Bericht beschreibt daneben exemplarisch die Verpackung des Pakets Nr. 0.2, die aus insgesamt acht Verpackungslagen bestand. An sämtlichen Spuren konnten keine auswertbaren daktyloskopischen Spuren aufgefunden werden.
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Aus dem Spurensicherungsbericht Pkw ergibt sich, dass durch KHK Z… eine Spurensicherung im Bereich des Schmuggelverstecks sowie dessen Zugang unter dem Beifahrersitz durchgeführt wurde. Das Versteck wies eine Gesamtbreite von 130 cm bei einer Länge von 58 cm und einer Höhe von 15,5 cm auf. Unter anderem wurden im Fahrzeug folgende DNA-Spuren gesichert:
Spur 1.6: Abfaserung Boden Versteck
Spur 1.7: Sicherstellung Elektroteile Verriegelungsmechanismus
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Ausweislich der Spurenergebnisliste vom 20.10.2021 sind diese Spuren weiter unterteilt wie folgt:
„Spur 1.6.1: Auskratzung Klebefläche in Ethanol, Boden Versteck, Teil 1
Spur 1.6.2: Auskratzung Klebefläche in Ethanol, Boden Versteck, Teil 2
Spur 1.7.1: mehrere abgelöste Streifen Panzertape und Isolierband vom Kabelstrang für Versteckentriegelung
Spur 1.7.1.1: Auskratzung Klebefläche in Ethanol, Klebeseite Isolierband
Spur 1.7.1.2: Auskratzung Klebefläche in Ethanol, Klebeseite Panzertape
c) Molekulargenetisches Spurengutachten des Instituts für Rechtsmedizin der LMU München vom 14.10.2021
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Dem Gutachten ist zu entnehmen, dass dem Institut der Mundschleimhautabstrich DAD20-517072 des Angeklagten sowie 16 einzeln in Plastik verpackte Abriebe, fünf einzeln in Plastik verpackte Teile von Originalspurenträgern (darunter Spur 0.3.1) sowie elf einzeln in Plastik verpackte Auskratzungen (darunter Spuren 1.6.2 und 1.7.1.1) übersandt wurden.“
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Die durchgeführte Typisierung mit 17 PCR-Systemen ergab für das biologische Material an Spur 1.6.2 (Abfaserung Boden Versteck) eine Merkmalmischung, die sich auf mindestens drei Verursacher zurückführen lässt. Die DNA-Merkmale der Person, der der Mundschleimhautabstrich DAD20-517072 entnommen wurde, finden sich vollständig in der dargestellten Merkmalmischung. In einer Gruppe von 191 Milliarden zufällig ausgewählten Personen ist eine Person zu erwarten, deren DNA-Merkmale sich vollständig in der Mischung finden.
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Für das biologische Material an Spur 0.3.1 (sichergestelltes Papierstück) ergab die durchgeführte Typisierung mit 16 der untersuchten 17 PCR-Systeme eine DNA-Merkmalmischung, die sich auf mindestens drei Verursacher zurückführen lässt. Die Person, der der Mundschleimhautabstrich DAD20-517072 entnommen wurde, ist als Mitverursacher der dargestellten Merkmalmischung nicht auszuschließen.
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Bei der durchgeführten Typisierung mit 17 PCR-Systemen ergab sich für das biologische Material an Spur 1.7.1.1 (Sicherstellung Elektroteile Verriegelungsmechanismus) eine Merkmalmischung, die sich auf mindestens drei Verursacher zurückführen lässt. Die Person, der der Mundschleimhautabstrich DAD20-517072 entnommen wurde, ist als Mitverursacher der dargestellten Merkmalmischung nicht auszuschließen.
d) Aktenvermerk des POK M… vom 26.09.2021
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Aus dem Vermerk ergibt sich, dass in dem Schmuggelversteck ein Teleskopstab gesichert und spurentechnisch behandelt wurde. Dieser Stab hatte für das Urteil der Kammer keine weitere Relevanz, insbesondere kam er nicht als Waffe in Betracht.
4. Augenscheinsobjekte
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Daneben hat die Kammer verschiedene Lichtbilder in Augenschein genommen:
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Anhand der Lichtbilder des Kurierfahrzeugs und des sichergestellten Betäubungsmittels (Bl. 170/194) hat sich die Kammer einen Eindruck von dem Schmuggelversteck verschafft. Auf den Bildern sind zudem deutlich die von den Polizeizeugen berichteten Abnutzungserscheinungen der Befestigungsschrauben des Beifahrersitzes zu erkennen. Auf den Bildern ist zudem der elektrisch gesteuerte Schließmechanismus des Schmuggelverstecks deutlich zu sehen. Außerdem ist auf den Lichtbildern die Auffindesituation der zwei Drogenpakete sowie deren Aussehen/Verpackung und das Bruttogewicht auf einer Waage dokumentiert.
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Dieselben Erkenntnisse ergaben sich aus der Inaugenscheinnahme der Lichtbilder in den Spurensicherungsberichten Labor und Pkw, die während der Zeugenvernehmung von KOK M… durchgeführt wurde, sodass der Zeuge die Bilder erläutern konnte.
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Ebenfalls in Anwesenheit des Zeugen KOK M… wurden zwei Lichtbilder in Augenschein genommen, die mit dem Handy des Angeklagten gemachte Fotos von Bargeld zeigen (Bl. 149/150). Darauf sind mehrere Stapel Bargeld, die auf einem Couchtisch sortiert liegen, zu sehen (Stapel von 10-, 20-, 50-, 100- und 200-CHF-Noten). Auf jedem der mit einem Gummi zusammengehaltenen Stapel ist ein kleiner Zettel mit einer Zahl angebracht, die vermutlich die Summe des jeweiligen Stapels ausdrückt. Auf dem ersten Foto ist ein Teil des Bargeldes zu sehen mit insgesamt 8 Stapeln. Addiert man die Zahlen der Zettel auf diesen Stapeln auf, ergäbe sich eine Summe von 114.000 CHF. Auf dem zweiten Foto ist eine größere Übersicht zu sehen, wobei die zuvor genannten Stapel nur am Rande des Fotos zu sehen sind. In der Mitte des Tisches liegen 12 weitere Geldstapel. Nachdem dieses Foto verwackelt ist, sind die Zahlen/Summen auf den Stapeln nicht ablesbar. Weiter sind auf dem Tisch ein Taschenrechner, eine Schere und eine Rolle Paketschnur zu erkennen.
5. Zusammenfassende Beweiswürdigung
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Die Kammer hat aufgrund der erhobenen Beweise keinerlei Zweifel daran, dass der Angeklagte das aufgefundene Kokain-Gemisch wissentlich und willentlich mit dem Renault Twingo aus dem Ausland kommend nach Deutschland verbracht hat, um es weiter an einen unbekannten Abnehmer zu liefern, der es gewinnbringend weiterverkaufen sollte.
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Sämtliche Angaben des Angeklagten selbst sind vollkommen unglaubhaft, sodass die Kammer ihnen keinerlei Bedeutung beimisst. Schon die Einlassung bei der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung war nicht nachvollziehbar: Der Angeklagte will sich auf eine Fahrzeug-Überführung eingelassen haben, bei der er weder den Namen des Auftraggebers noch den des Empfängers kannte. Auch sonst hatte er keinerlei Informationen über die Personen, wie z.B. eine Telefonnummer. Die Übergabe des Fahrzeuges an ein Pärchen, das sich in I. im Urlaub befunden haben soll, hätte mitten in der Nacht (zwischen 02:00 Uhr und 03:00 Uhr) stattfinden sollen, was ebenfalls schwer nachvollziehbar erscheint.
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Gänzlich unglaubhaft wird die Einlassung unter ergänzender Berücksichtigung der Einlassung in der Hauptverhandlung. Einmal soll es ein Franzose gewesen sein, mit dem er am 23.09.2021 in Mulhouse die Vereinbarung geschlossen habe, ein Fahrzeug zu überführen; dann soll es wieder ein Mann im Gewerbegebiet in der Nähe von Zürich gewesen sein, der ihn beauftragt habe. Bei der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung gab er demgegenüber an, er sei von drei Männern beauftragt worden, die italienisch gesprochen hätten, aber keine Italiener gewesen seien. In der Hauptverhandlung berichtete er weiter, dass die Zeit für die Rückgabe des Mietfahrzeuges gedrängt, aber gerade für die Fahrt hin und zurück ausgereicht hätte. In Widerspruch dazu berichtete er, dass sich die Familie in Innsbruck auch um seine „Unterbringung“ hätte kümmern sollen. Es war von Anfang an nicht nachvollziehbar, warum der Angeklagte für eine reine Autoüberführung nach Innsbruck nicht den direkten Weg über die A. S2. straße und die Inntalautobahn genommen hat, sondern einen Umweg über Deutschland gefahren ist. Noch weniger glaubhaft wird diese Version, wenn man berücksichtigt, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung von Zeitdruck berichtete (die Zeit habe gerade so für Hin- und Rückfahrt gereicht), die Polizei aber feststellen konnte, dass er am Abend der Einreise nach Deutschland um 21:31 Uhr seine Standortdaten in München/Sendling einer anderen Person übermittelte, mit der er sich treffen wollte. Damit ist widerlegt, dass es ihm um eine direkte und zeitsparende Fahrt nach Innsbruck gegangen wäre.
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Darüber hinaus gibt es weitere Widersprüche: Bei der Polizei gab er an, er hätte den Lohn in Höhe von 200 CHF nach der Rückkehr in die Schweiz von seinen Auftraggebern bekommen sollen; in der mündlichen Verhandlung erklärte er, dass er das Geld in Innsbruck von der Familie hätte erhalten sollen. Schließlich hätte es sich bei dem Kurierfahrzeug ganz zufällig um ein Fahrzeug gehandelt, das er in den Monaten zuvor von Basel nach Wettingen überführt hätte, was seine DNA erklären würde. Es sei ihm aber zunächst gar nicht aufgefallen, dass es sich um dasselbe Fahrzeug handelt. Von dieser früheren Fahrzeugüberführung hatte er bei der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung kein Wort erwähnt. Es wirkt vielmehr so, dass er die frühere Fahrzeugüberführung desselben Autos erst zu einem Zeitpunkt in seine Erzählungen einbaute, als ihm die im Drogenversteck aufgefundene DNA-Spur vorgehalten worden war.
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Der Angeklagte war nicht in der Lage, seine Fahrt mit diesem Fahrzeug mit einer für die Kammer nachvollziehbaren Erklärung zu belegen. Insbesondere ist es völlig unglaubhaft, dass er sich kurz vor dem Antritt einer neuen Arbeitsstelle auf einen Auftrag von völlig unbekannten Personen für völlig unbekannte Empfänger einlässt, zumal es keinerlei Sicherheit gab, dass er - ohne irgendwelche Kontaktdaten zu haben - jeweils seine Bezahlung erhalten würde. Daneben hat er nachweislich gelogen, als er angab, keinerlei Umgang mit Drogen zu haben (dazu oben unter Ziffer D. I.). Schließlich ist auch zu sehen, dass der Angeklagte zwar weitschweifig zu allen Fragen und Themen Angaben machte, sich aber ausschließlich zu der Frage, wo eine mindestens sechsstellige Summe Schweizer Franken, die er mit seinem Handy fotografiert hat, herrührt, nicht äußern wollte. Da er Arbeitslosengeld bezieht und sogar Schulden hat, kann ausgeschlossen werden, dass er eine solche Summe Bargeld selbst legal erworben hat. Unabhängig davon, ob dieses Geld ihm zuzuordnen ist oder er es bei einer anderen bzw. für eine andere Person fotografiert hat, liegt der Schluss nahe, dass dieses Geld aus illegalen Geschäften herrührt, sodann zumindest der Umgang des Angeklagten mit solchen Kreisen naheliegt. Andernfalls hätte der Angeklagte die Fotografien und die Herkunft des Geldes erklären können (nachdem er sich sonst ja auch äußerte).
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Es kommt aber auf die Einlassung des Angeklagten gar nicht an, da der Tatnachweis ohnehin durch die vorhandenen Beweismittel geführt wurde: Das Betäubungsmittel wurde bei der Kontrolle in dem vom Angeklagten geführten Fahrzeug festgestellt. Die Wirkstoffmenge ergibt sich aus dem Gutachten des Bayerischen Landeskriminalamtes. Die Einfuhr in das Bundesgebiet wird durch die aufgefundene Roaming-Willkommens-SMS bzw. die Corona-SMS nachgewiesen. Ob die Einreise tatsächlich über den Grenzübergang Unterhochsteg erfolgt ist, konnte nicht zweifelsfrei festgestellt werden, liegt aber nahe: Bei einem Start in der Schweiz würde die Fahrt nach Deutschland zum Beginn der A 96 Richtung München ein kurzes Stück durch Österreich führen (was die beiden Willkommensnachrichten zunächst in Österreich und dann in Deutschland in kurzem Abstand erklären würde). Bei einer Einreise über den Grenzübergang Unterhochsteg gegen 19:41 Uhr erscheint außerdem die Ankunft in München/Sendling gegen 21:30 Uhr realistisch (178 km, laut Google-Maps-Routenplaner 1:50 Std. Fahrzeit). Fest steht aber jedenfalls, dass der Angeklagte gegen 19:41 Uhr die Grenze nach Deutschland überquerte.
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Dass der Angeklagte von dem Versteck wusste, wird schließlich dadurch nachgewiesen, dass seine DNA eindeutig in einer Spur auf dem Boden des Verstecks (also im und nicht lediglich am Versteck) aufgefunden wurde. Der positive Drugwipe-Test belegt einen Umgang mit Kokain ebenso wie die in den Haaren des Angeklagten aufgefundenen Stoffe.
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Nachdem der Angeklagte mit einem Auto mit professionellem Schmuggelversteck unterwegs war, das ihm bekannt war (nachdem sich seine DNA innerhalb des Verstecks fand), er zeitnah zu der Schmuggelfahrt Umgang mit Kokain (positiver Drugwipe-Test an den Händen) und auch sonst (Kokain-Rückstände in den Haaren) hatte, ist die Kammer überzeugt davon, dass er Kenntnis von dem transportierten Kokain hatte und einziger Zweck seiner Fahrt der Transport dieses Kokains war. Aufgrund der Transportmodalitäten (professionell ausgebautes Kurierfahrzeug) und der Transportmenge (ca. 2 kg) war ihm zudem bewusst, dass es sich um eine Kurierfahrt im Rahmen gewinnorientierten Betäubungsmittelhandels handelte und er diesen Handel durch den Transport des Kokains unterstützte. In Kenntnis all dieser Umstände führte er den Transport willentlich durch.
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Wohin der Transport genau gehen sollte, konnte demgegenüber nicht aufgeklärt werden. Aufgrund der Fahrtroute (Autobahn A 8 Richtung Süden) liegt es nahe, dass Zielort in Übereinstimmung mit den Angaben des Angeklagten (zunächst Salzburg, dann Innsbruck) Österreich sein sollte. Zugunsten des Angeklagten ist die Kammer jedenfalls davon ausgegangen, dass der endgültige Bestimmungsort außerhalb Deutschlands liegen sollte, die Drogen somit nicht für den inländischen Markt bestimmt gewesen sind.
III. Schuldfähickeit
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Für die Kammer ergaben sich keinerlei Anhaltspunkte, die auf ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB oder gar darüber hinaus auf eine Beeinträchtigung der Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit schließen ließen. Durch den Unfall im Jahr 2019 wurden keine Kopfverletzungen verursacht. Eigenen Drogenkonsum stritt der Angeklagte ab. Zwar müsste bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen werden, dass durch die Haarprobe nicht nur der Umgang, sondern auch der Konsum von Kokain belegt wird; indes sind die aufgefundenen Konzentrationen nach Aussage des Sachverständigen so gering, dass sie nur auf einen sehr seltenen, möglicherweise auch einmaligen, Konsum hindeuten könnten. Bei dem Angeklagten handelt es sich also sicher um keinen regelmäßigen Konsumenten mit einem entsprechenden Abhängigkeitssyndrom. Da der Speicheldrogentest, den die Polizei nach der Kontrolle abnahm, negativ war (und auch sonst keine Ausfallerscheinungen vorlagen), kann auch eine akute Drogenintoxikation während der Tatzeit ausgeschlossen werden.
E. Rechtliche Würdigung
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Durch den zur Überzeugung der Kammer feststehenden und unter Ziffer C. dargestellten Sachverhalt hat sich der Angeklagte der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 1 Abs. 1 i.V.m. Anlage III zum BtMG, §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, §§ 27 Abs. 1, 52 StGB schuldig gemacht.
I. Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
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Unter „Einfuhr“ ist das Verbringen von Betäubungsmitteln über die maßgebliche Grenze des Inlands zu verstehen, wobei es nicht darauf ankommt, auf welche Weise das Betäubungsmittel transportiert wird (vgl. Weber/Kornprobst/Maier/Weber, 6. Aufl. 2021, BtMG § 29 Rn. 874 ff.).
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Hier hat der Angeklagte am 23.09.2021 gegen 19:41 Uhr die ca. 2 kg Kokaingemisch mit dem Pkw Renault Twingo in das Bundesgebiet verbracht, wobei er die alleinige Verfügungsgewalt über das Betäubungsmittel hatte. Auch wenn möglicherweise nur eine „Durchlieferung“ beabsichtigt war, ändert dies nichts daran, dass auch eine Durchlieferung zunächst eine Einfuhr in das Bundesgebiet voraussetzt.
II. Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln
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Unerlaubtes Handeltreiben umfasst nach ständiger Rechtsprechung jede eigennützige, auf Güterumsatz gerichtete Tätigkeit, wobei eine nach außen erkennbare, auf die Veräußerung der Ware gerichtete Tätigkeit ebenso wenig erforderlich ist, wie eine tatsächliche Förderung des erstrebten Umsatzes.
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Anerkanntermaßen darf dieser weite Begriff des Handeltreibens jedoch nicht dazu verleiten, eine mit den Grundsätzen der §§ 25 ff. StGB nicht zu vereinbarende Einheitstäterschaft einzuführen, indem jede möglicherweise unter das Merkmal des Handeltreibens zu subsumierende Tätigkeit ohne Rücksicht auf ihr Gewicht für das Gesamtgeschehen und auf das Interesse des Beteiligten am Gelingen des Umsatzgeschäftes mit täterschaftlichem Handeltreiben gleichgesetzt wird.
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Ein mittäterschaftliches Handeln würde voraussetzen, dass nicht nur fremdes Tun gefördert, sondern ein eigener Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat eingefügt wird, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Tatbeteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte hierfür können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein. Entscheidend für die Beteiligungsform eines Drogenkuriers ist dessen konkreter Tatbeitrag an dem Umsatzgeschäft und nicht allein der Teilbereich des Transportes. Einer Tätigkeit als Kurier, die sich im bloßen Transport von Rauschgift erschöpft, kommt in der Regel keine täterschaftliche Gestaltungsmöglichkeit hinsichtlich des Handeltreibens zu, wobei es nicht darauf ankommt, ob er ein erhebliches Honorar zu erwarten, zeitweise die faktische Verfügungsgewalt über das transportierte Rauschmittel oder dieses inkorporiert hat. Erforderlich ist vielmehr, dass er erhebliche, über den reinen Transport hinaus gehende Tätigkeiten entfaltet, am An- und Verkauf des Rauschgiftes unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäftes hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder dem zu erzielenden Gewinn erhalten soll (vgl. BGH, NJW 2007, 1220; NStZ-RR 2007, 246).
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Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Kriterien für die Abgrenzung der Beihilfe und der Mittäterschaft in Bezug auf das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ist betreffend das gegenständliche Verfahren auszuführen, dass im Hinblick auf die nicht weiter geklärten konkreten Hintergründe des Gesamtgeschäftes zugunsten des Angeklagten davon auszugehen ist, dass ihm hinsichtlich des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge kein täterschaftliches Handeln zur Last zu legen ist, sondern „nur“ Beihilfe:
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Angesichts der erheblichen Gesamtmenge von ca. 2 kg Kokaingemisch war ihm zwar bewusst, dass das Rauschgift gewinnbringend auf dem Markt verteilt werden würde. Es fehlen aber objektivierbare Anknüpfungspunkte dafür, dass er an der weiteren Verteilung, insbesondere etwa an der Aufstreckung, Portionierung oder Weiterveräußerung an Zwischen- und Endabnehmer beteiligt gewesen wäre. Nachweisbar war in Bezug auf das unerlaubte Handeltreiben „nur“ die schlichte Kuriertätigkeit, d.h. weisungsgemäß hätte er das Rauschgift einem Abnehmer bringen sollen, der es dann in nicht näher bekannter Art und Weise gewinnbringend verkauft hätte. Dass der Angeklagte demgegenüber einen Einfluss auf die Modalitäten der gewinnbringenden Weiterveräußerung gehabt hätte, war nicht nachweisbar.
III. Nicht geringe Menge
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Der Grenzwert der nicht geringen Menge für Kokain beträgt 5 g Kokainhydrochlorid (vgl. MüKoStGB/Oğlakcioğlu, 4. Aufl. 2022, BtMG vor § 29 Rn. 181).
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Anlässlich der Kontrolle am 24.09.2021 wurde in dem von dem Angeklagten geführten Pkw Renault Twingo insgesamt eine Menge von 2.001,64 g Kokaingemisch sichergestellt. Wie sich aus dem verlesenen Wirkstoffgutachten ergibt, hatte das Kokain Mindestwirkstoffgehalte zwischen 60,4 % und 64,2 %; insgesamt errechnete sich eine Wirkstoffmenge von 1.247 g Kokainhydrochlorid:
1.247 g Kokainhydrochlorid : 5 g = 249,4-fache der „nicht geringen Menge“
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Von der sichergestellten Kokainmenge war dabei kein Eigenkonsum in Abzug zu bringen, da dies weder geltend gemacht wurde noch sich dahingehende konkretisierbare Anhaltspunkte ergeben haben (für einen regelmäßigen Kokainkonsum waren die Konzentrationen von Cocain bzw. seinen Stoffwechselprodukten in der Haarprobe nach den Ausführungen des Sachverständigen zu niedrig).
IV. Konkurrenzen
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Die Tatbestände der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln und der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, jeweils in nicht geringer Menge, wurden tateinheitlich verwirklicht.
F. Strafzumessung
I. Strafrahmen
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Ausgangspunkt der Strafzumessung ist (da bei tateinheitlich verwirklichten Delikten der jeweils höhere Strafrahmen zugrunde zu legen ist, vgl. § 52 Abs. 2 S. 1 StGB) der Strafrahmen von § 30 Abs. 1 BtMG, der die Verhängung von Freiheitsstrafe nicht unter 2 Jahren, mithin einen Strafrahmen (vgl. § 38 Abs. 2 StGB) von 2 bis 15 Jahren vorsieht.
II. Keine Strafrahmenverschiebung
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1. Nach Überzeugung der Kammer konnte nicht vom Vorliegen eines minder schweren Falles im Sinne des § 30 Abs. 2 BtMG, der die Verhängung von Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren vorsieht, ausgegangen werden.
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Bei der Prüfung dieser Frage ist zunächst eine Gesamtbetrachtung notwendig, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Bewertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen. Gesetzlich vertypte Milderungsgründe bleiben in dieser Prüfungsstufe noch außer Betracht.
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a) Insoweit war im Rahmen der zunächst vorzunehmenden Gesamtbetrachtung zwar zu sehen, dass der Angeklagte trotz seines nicht mehr ganz jungen Alters bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, das Kokain als Folge der Kontrolle und Sicherstellung nicht in den Verkehr gelangt ist, jedenfalls zugunsten des Angeklagten nur eine beabsichtigte Durchfuhr anzunehmen ist und sich der Angeklagte mit der formlosen Einziehung der bei ihm sichergestellten Gegenstände einverstanden erklärt hat; demgegenüber muss umgekehrt Berücksichtigung finden, dass es zur Einfuhr der harten Droge Kokain kam, tateinheitlich der Tatbestand der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben erfüllt wurde und es sich um das ca. 249-fache der nicht geringe Menge handelt.
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Die zuletzt genannten Umstände sprechen nach Überzeugung der Kammer in der Gesamtschau dafür, dass das Bild der dem Angeklagten zur Last liegenden Tat insgesamt vom Regelfall nicht so weit nach unten abweicht, dass sie nicht mehr dem gesetzlichen Regelbild entspräche und daher der Regelstrafrahmen unangemessen erschiene.
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b) Etwas anderes ergibt sich nach Überzeugung der Kammer auch nicht nach Prüfung, ob gesetzlich vertypte Milderungsgründe vorliegen, und bei der Frage, ob unter Berücksichtigung solcher Gründe der Ausnahmestrafrahmen heranzuziehen wäre:
92
Denn es liegen keine gesetzlich vertypten Milderungsgründe vor, insbesondere hat der Angeklagte die Tat bei vollständig erhaltener Einsichts- und Steuerungsfähigkeit begangen und keinerlei Aufklärungshilfe (§ 31 BtMG) geleistet.
93
Deshalb scheidet insgesamt die Annahme des Vorliegens eines es minder schweren Falles im Sinne des § 30 Abs. 2 BtMG aus.
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2. Anhaltspunkte, die eine Strafrahmenverschiebung über § 49 Abs. 1 StGB rechtfertigen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich.
III. Strafzumessung im engeren Sinne (§ 46 StGB)
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Bei der Strafzumessung im engeren Sinne fanden zunächst sämtliche Gesichtspunkte Berücksichtigung, die schon in der Gesamtschau zur Frage, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, abgewogen wurden. Ergänzend wurde zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er sich bereits seit knapp 6 Monaten in Untersuchungshaft befindet. Eine Berücksichtigung konnte deshalb stattfinden, weil von einer erhöhten Haftempfindlichkeit auszugehen ist: Er befindet sich erstmals in Haft, ist von seiner Familie räumlich getrennt, hat zu ihm nahestehenden Personen keinen Kontakt; zudem ist die Haftsituation durch den Umstand erschwert, dass er der deutschen Sprache nicht mächtig ist, d.h. sich im Gefängnis in einer sprachlichen Isolation befindet. Auch war die Haft durch die mit der Corona-Pandemie einhergehenden Beschränkungen zusätzlich erschwert. All diese Aspekte rechtfertigen die Annahme, dass ihn die Untersuchungshaft über das gewöhnlich mit ihr einhergehende Maß besonders belastet.
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Bei den zu seinen Lasten herangezogenen Umständen ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass bei der Berücksichtigung des tateinheitlichen Delikts auch gesehen wurde, dass es sich insoweit lediglich um Beihilfe zum Handeltreiben handelt, die sich im Transport des Kokains erschöpft, sodass der unrechtssteigernde Gehalt ausweislich der Wertung des § 27 Abs. 2 StGB deutlich weniger wiegt als der eines tateinheitlichen, täterschaftlichen Handeltreibens. Die Menge der harten Droge Kokain (mit dem 249,4-fachen der nicht geringen Menge ist die Schwelle der nicht geringen Menge deutlich überschritten) wirkte sich ebenfalls strafschärfend aus, wenngleich die Kammer diesbezüglich gesehen hat, dass innerhalb desselben Straftatbestandes (und Strafrahmens) auch noch weit größere Mengen denkbar sind (und auch tatsächlich vorkommen), aber innerhalb desselben Strafrahmens schuldangemessen zu ahnden sein müssen, sodass sich vorliegend ein deutlicher Abstand zur möglichen Höchststrafe ergeben muss.
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Unter nochmaliger Berücksichtigung des der Tat zugrunde liegenden Strafrahmens sowie der für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte, aber auch der gesetzlichen Strafzwecke sowie der Vollstreckungsfolgen ist nach Überzeugung der Kammer eine Freiheitsstrafe von 6 Jahren 3 Monaten tat- und schuldangemessen sowie erforderlich, aber auch ausreichend, also verhältnismäßig.
G. Keine Anordnung von Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB
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Da bei dem Angeklagten, wie im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, mangels entsprechender Anhaltspunkte keine psychiatrische Diagnose im engeren Sinne zu stellen war, er die Tat vielmehr bei vollständig erhaltener Einsichts- und Steuerungsfähigkeit begangen hat, liegen die forensisch-psychiatrischen Voraussetzungen für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nicht vor.
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Gleichfalls liegen die medizinischen Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB offensichtlich nicht vor, da beim Angeklagten keine süchtige Fehlhaltung zu objektivieren war, mithin kein „Hang im Übermaß“ mit bereits erheblicher Beeinträchtigung von Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit gegeben ist.
F. Keine formelle Einziehungsanordnung
100
Da der Angeklagte sein Einverständnis mit der formlosen Einziehung der Betäubungsmittel und möglicher Tatmittel erklärt hatte, konnte von einer förmlichen Einziehungsentscheidung abgesehen werden.
101
Hinsichtlich der Einziehung des Kurierfahrzeuges gegenüber dem Halter wurde von einer Entscheidung auf Antrag der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung nach § 421 StPO abgesehen.
G. Kostenentscheidung
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 465, 466 StPO.