Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 11.08.2022 – 12 Qs 42/22
Titel:

Bewährungswiderruf bei neuer Fahrlässigkeitstat

Normenkette:
StGB § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Leitsätze:
Die Prognose, die der Strafaussetzung zugrunde lag, wird nicht durch jede neue Straftat widerlegt. Vielmehr muss es sich um eine Tat handeln, die erkennen lässt, dass sich die verurteilte Person die Verurteilung nicht hat zur Warnung dienen lassen und sie sich nicht ohne die Einwirkung des Strafvollzugs straffrei verhalten wird. (Rn. 7)
An dieser Voraussetzung fehlt es in der Regel bei während laufender Bewährungszeit begangenen Fahrlässigkeitstaten. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bewährung, Widerruf, Straffälligkeit, Fahrlässigkeitstat
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Beschluss vom 07.07.2022 – BwR 403 Ds 204 Js 29881/19
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21817

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 07. Juli 2022 aufgehoben.

Gründe

I.
1
Am 18. Juni 2020 verurteilte das Amtsgericht Nürnberg, Az. 403 Ds 204 Js 29881/19, den Beschwerdeführer wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und setzte die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung aus (Bl. 4 BH). Das Urteil ist seit 18. Juni 2020 rechtskräftig (Bl. 3 BH). Die Frist zur Bewährung setzte das Amtsgericht mit Beschluss vom 18. Juni 2020 auf drei Jahre von der Rechtskraft des Urteils an fest (Bl. 2 BH).
2
Das Amtsgericht Nürnberg, Az. 54 Ds 706 Js 102678/22, verurteilte den Beschwerdeführer am 29. April 2022 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten. Tatzeitpunkt war der 3. Januar 2022.
3
Das Amtsgericht Nürnberg hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth und nach Anhörung des Verurteilten die Strafaussetzung zur Bewährung in dem Verfahren 403 Ds 204 Js 29881/19 mit Beschluss vom 7. Juli 2022 (Bl. 60 BH) widerrufen. Zur Begründung führte es aus, der Verurteilte habe durch die Tatbegehung während laufender Bewährung die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt. Eine Verlängerung der Bewährungszeit oder eine Erweiterung der Auflagen reiche nicht aus.
4
Mit Schreiben vom 20. Juli 2022, beim Amtsgericht Nürnberg eingegangen am 21. Juli 2022, bat der Verurteilte um Prüfung, ob der Bewährungswiderruf nötig sei. Er führte an, eine feste Wohnadresse, eine Anstellung bei der Firma X sowie eine Lebensgefährtin zu haben. Weiter gab er an, die aktuelle Verbüßung der zweimonatigen Freiheitsstrafe habe auf ihn ausreichend Eindruck gemacht, um ihn von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Er sei außerdem bereit, weitere Bewährungsauflagen zu erfüllen.
5
Das Amtsgericht Nürnberg leitete die Akte der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth zur Vorlage der sofortigen Beschwerde zu. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth legte die Akte mit Verfügung vom 28. Juli 2022 dem Beschwerdegericht vor und beantragte, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
6
Das Schreiben des Verurteilten vom 20. Juli 2022, das die Kammer als sofortige Beschwerde auslegt, ist als solche statthaft (§ 453 Abs. 2 Satz 3 StPO) und auch im Übrigen zulässig.
7
Die sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg, da ein Widerrufsgrund nicht vorliegt. Der Verurteilt hat nicht gegen Weisungen oder Auflagen verstoßen. Auch ein Widerrufsgrund gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ist nicht einschlägig. Nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat. Zwar hat der Verurteilte innerhalb laufender Bewährungsfrist eine weitere Straftat begangen. Dies hat jedoch nur dann den Widerruf der Strafaussetzung zur Folge, wenn sich mit der Begehung der neuen Straftat die Prognose, die der Strafaussetzung zugrunde lag, als falsch erwiesen hat. Aus dem Gesetzeswortlaut folgt demnach, dass nicht jede neue Straftat diese Erwartung widerlegt. Vielmehr muss es sich um eine Tat handeln, die erkennen lässt, dass sich die verurteilte Person die Verurteilung nicht hat zur Warnung dienen lassen und sie sich nicht ohne die Einwirkung des Strafvollzugs straffrei verhalten wird. Daran fehlt es in der Regel bei während laufender Bewährungszeit begangenen Fahrlässigkeitstaten (Schönke/Schröder/Kinzig, 30. Aufl. 2019, StGB § 56f Rn. 8 m.w.N.), insbesondere wenn diese keine Wiederholung der zuerst abgeurteilten Tat sind. Der Beschwerdeführer hat vorliegend etwa anderthalb Jahre nach Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eine fahrlässige Trunkenheitsfahrt begangen. Die Kammer schließt alleine aus dieser fahrlässigen Tatbegehung nicht, dass sich der Beschwerdeführer durch die Erstverurteilung unbeeindruckt zeigt und er in der Zukunft weitere Straftaten begehen wird. Zudem berücksichtigt sie, dass der Verurteilte seine Bewährungsauflagen aus der Erstverurteilung eingehalten hat und auch dadurch zum Ausdruck bringt, dass er den Bewährungsbeschluss ernst nimmt und sich an die Auflagen und Weisungen halten will.