Titel:
Auswirkung von Verfahrensmängeln bei der Eröffnung eines Haftbefehls
Normenketten:
StPO § 112 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, § 112a Abs. 2, § 115 Abs. 3, § 116, § 119 Abs. 1 S. 7 2. Alt., § 136 Abs. 1 S. 2, § 137 Abs. 1 S. 1, § 168c Abs. 1, § 309 Abs. 2, § 473 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4
StGB § 57 Abs. 1
BayUVollzG Art. 12, Art. 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 1. Alt., Art. 35
Leitsätze:
Das durch § 137 I 1 StPO gewährleistete Recht eines Beschuldigten, im Rahmen seiner Vorführung vor den zuständigen Richter gem. § 115 I StPO einen Verteidiger hinzuzuziehen, dem gem. § 168c I StPO bei der Vernehmung die Anwesenheit gestattet ist, zählt zu den bedeutsamen Verfahrensgarantien. Diese Einschätzung wird bestätigt durch die Regelung des § 136 I 2 StPO, wonach der Beschuldigte unter anderem darauf hinzuweisen ist, es stehe ihm frei, auch schon vor seiner ersten Vernehmung einen Verteidiger zu befragen. Verlangt der Beschuldigte nach entsprechender Belehrung, vor der Vernehmung einen Verteidiger zu sprechen, so ist die Vernehmung deshalb zu diesem Zweck sogleich zu unterbrechen. Anderenfalls sind Angaben des Beschuldigten nicht verwertbar. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Erledigung der Beschwerde gegen einen Haftbefehl durch dessen Aufhebung ist festzustellen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Verfahrensmängel bei der Eröffnung des Haftbefehls führen nicht zu dessen Aufhebung, sondern zur erneuten Eröffnung. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Beschwerdegericht kann die Haftgründe selbst austauschen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
5. Der Angeklagte hat gem. § 168c Abs. 1 StPO das Recht auf Anwesenheit seines Verteidigers bei der Eröffnung des Haftbefehls, bei der er gem. § 115 Abs. 3 StPO zu vernehmen ist. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
6. Verlangt der Beschuldigte nach Belehrung, vor der Vernehmung einen Verteidiger zu sprechen, so ist die Vernehmung deshalb zu diesem Zweck zu unterbrechen, anderenfalls sind Angaben des Beschuldigten nicht verwertbar (vgl. BGH BeckRS 1992, 2455). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
7. Durch die Verfahrensrechte wird sichergestellt, dass der Beschuldigte nicht nur Objekt des Strafverfahrens ist, sondern zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Strafverfahrens Einfluss nehmen kann (vgl. BVerfG, BeckRS 1981, 1895, Rn. 64); werden die das Recht auf ein faires Verfahren ausgestaltenden Vorschriften der StPO missachtet oder berücksichtigen die Gerichte die Tragweite des Rechtsstaatsgebots nicht hinreichend, so ist das Recht auf ein faires Verfahren verletzt (vgl. BVerfG BeckRS 2012, 51701). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
8. Ist der Rechtsverstoß nicht mehr zu beseitigen, ist er durch das Beschwerdegericht festzustellen, um ihn nicht zu perpetuieren (vgl. VerfGH Rheinland-Pfalz BeckRS 2006, 23199). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
9. Zwar dauert die Beschwer des Angeklagten durch eine bei den Akten befindliche Ablichtung des angehaltenen Briefes an; diese Beschwer ist in einem rechtsstaatlichen Verfahren, das Aktenwahrheit, Aktenklarheit und Aktenvollständigkeit erfordert (vgl. BGH BeckRS 2020, 50547) unvermeidlich, denn ohne die Ablichtung wäre es dem Beschwerdegericht nicht möglich, die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung zu überprüfen. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Haftbefehl, Verfahrensmangel, Austausch von Haftgründen, Anwesenheitsrecht, Verteidiger, Eröffnung, Anhalten, Haftpost
Vorinstanzen:
LG Traunstein vom 13.01.2022 – 7 KLs 250 Js 7568/20
LG Traunstein, Verfügung vom 16.12.2021 – 7 KLs 250 Js 7568/20
LG Traunstein vom 26.11.2020 – 7 KLs 250 Js 7568/20
AG Traunstein, Beschluss vom 28.05.2020 – 5 Gs 1654/20
Fundstellen:
BeckRS 2022, 21521
StV 2022, 564
LSK 2022, 21521
Tenor
1. Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftbefehl des Landgerichts Traunstein vom 26.11.2020 ist durch dessen Aufhebung erledigt.
2. Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftbefehl des Landgerichts Traunstein vom 13.01.2022 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) durch den Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) ersetzt wird.
3. Auf die Beschwerde des Angeklagten gegen die Eröffnung des Haftbefehls des Landgerichts Traunstein vom 13.01.2022 am 13.01.2022 wird festgestellt, dass der Angeklagte in seinem Recht auf Anwesenheit seines Verteidigers verletzt wurde. Der Haftbefehl des Landgerichts Traunstein vom 13.01.2022 ist dem Angeklagten vom Landgericht Traunstein in der Fassung, die er durch vorstehende Ziffer 2 des vorliegenden Senatsbeschlusses erhalten hat, erneut zu eröffnen. Die Staatskasse trägt ein Drittel der Kosten des Beschwerdeverfahrens und der notwendigen Auslagen des Angeklagten betreffend dessen Beschwerde vom 13.01.2022 in der Fassung vom 19.01.2022, die übrigen Kosten des Beschwerdeverfahrens und seine notwendigen Auslagen trägt der Angeklagte selbst.
4. Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Verfügung der Vorsitzenden der 7. Strafkammer des Landgerichts Traunstein vom 16.12.2021 betreffend die Anhaltung eines Briefes und sein Antrag auf Vernichtung der Ablichtung des Briefes werden als unbegründet kostenfällig zurückgewiesen.
Gründe
1
1. Der Angeklagte befand sich zunächst auf Grund Haftbefehls des Amtsgerichts Traunstein vom 20.05.2020, Gz.: 5 Gs 1654/20, (Bl. 249/253), welcher am 28.05.2020 eröffnet wurde (Bl. 275/276), in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl war auf die Haftgründe der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) und der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) gestützt. Mit Beschluss vom 28.05.2020 ordnete das Amtsgericht u.a. gem. § 119 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO die Überwachung des Schriftverkehrs des Gefangenen an (Bl. 277/279).
2
Der amtsgerichtliche Haftbefehl wurde ersetzt durch Haftbefehl des Landsgerichts Traunstein vom 26.11.2020, welcher auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt war.
3
Mit Urteil des Landgerichts Traunstein vom 23.04.2021, welchem eine gem. § 257c StPO getroffene Verständigung zu Grunde lag, wurde der Angeklagte wegen Computerbetrugs, Urkundenfälschung und Betrugs in einer Vielzahl von Fällen nicht rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt (Bl. 5154/5224). Mit der Urteilsverkündung wurde die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet (Bl. 5151).
4
Mit Schriftsatz vom 17.12.2021 stellte der Angeklagte durch seinen Wahlverteidiger Rechtsanwalt Dr. G. Haftprüfungsantrag. Mit Beschluss vom 23.12.2021 lehnte das Landgericht diesen Antrag ab und stützte den Haftbefehl vom 26.11.2020 zusätzlich auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr. Hiergegen wandte sich der Angeklagte mit Verteidigerschriftsatz vom 31.12.2021, in dem er beantragte den Haftbefehl des Landgerichts Traunstein in der Form des Fortdauerbeschlusses vom 23.04.2021 aufzuheben.
5
2. Mit Verfügung vom 11.01.2022 legte die Staatsanwaltschaft Traunstein die Akten dem Landgericht vor, wo sie am 12.01.2022 eingingen, und wies darauf hin, dass der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht neben dem Haftgrund der Fluchtgefahr bestehen kann (§ 112a Abs. 2 StPO).
6
Mit Beschluss vom Folgetag (13.01.2022) hob das Landgericht den Haftbefehl vom 26.11.2020 auf und erließ einen neuen Haftbefehl, der allein auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gestützt ist.
7
3. Mit Beschluss gleichen Datums beauftragte die Kammer die Vorsitzende der Strafkammer mit der Eröffnung des neuen Haftbefehls. Diese fand noch am gleichen Tage von 15:03 Uhr bis 15:55 Uhr statt, ohne dass ein Verteidiger des Angeklagten anwesend war.
8
Mit Schreiben vom gleichen Tag (13.01.2022) legte der Wahlverteidiger Rechtsanwalt Dr.A. „sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 13.01.2022“ ein und begründete diese mit Schreiben vom 19.01.2022, in dem er v.a. das Verfahren bei der Eröffnung des Haftbefehls vom 13.01.2022 rügte und dessen Aufhebung beantragte.
9
Die Strafkammer hat der Beschwerde mit Beschluss vom 21.01.2022 nicht abgeholfen.
10
4. Mit undatierter Verfügung - ausweislich des Vermerks vom 05.01.2022 verfügt am 16.12.2021 - verfügte die Kammervorsitzende auf Antrag der Staatsanwaltschaft Traunstein vom 07.12.2021: „Der Brief des Angeklagten vom 08.12.2021 an B., B. wird beanstandet und (fehlt: „ist“) zum Zwecke der Fertigung einer Ablichtung anzuhalten, weil sein Inhalt auf ein die Ordnung der Anstalt gefährdendes Verhalten des Angeklagten hinweist (Nr. 34 Abs. 1 Nr. 3 UVollzO). Der Brief ist anschließend zu befördern.“
11
Die Verfügung wurde ausgeführt.
12
In dem in Ablichtung beim „Sonderheft Briefbeschlagnahme“ befindlichen Brief, der auf den 08.12.2021 datiert ist, heißt es (versehen mit Herz-Zeichen) u.a.: „Ich liebe es, wenn ich auf Wh.-A. von Dir die Nachricht bekomme: `Denke an Dich` einfach nur ein (Herz)-emoji zwischendurch wirkt wie ein Energie-Booster (Fuck-Corona) (…) Road to 24th December 2021“.
13
Gegen diese Verfügung wendet sich der Angeklagte mit Verteidigerschriftsatz vom 29.12.2021, in dem er beantragt, die „Verfügung vom 20.12.2021“ aufzuheben und die angefertigte Ablichtung des Schreibens zu vernichten.
14
Die Kammervorsitzende hat der Beschwerde mit Beschluss vom 05.01.2022 nicht abgeholfen.
15
Die Akten wurden dem Senat mit sämtlichen vorbezeichneten Beschwerden am 07.02.2022 vorgelegt.
16
1. Die Beschwerde gegen den Haftbefehl vom 26.11.2020 hat sich durch dessen Aufhebung vom 13.01.2022 erledigt, was festzustellen war (Meyer-Goßner/Schmitt, Komm. zur StPO, 64. Aufl., Rn. 17 vor § 296).
17
2. Die Beschwerde gegen den Haftbefehl vom 13.01.2022 führt zur Auswechselung des Haftgrundes, bleibt im Übrigen aber erfolglos.
18
a) Der angegriffene Haftbefehl beruht nicht auf dem von der Verteidigung zu Recht beanstandeten Vorgehen des Landgerichts bei dessen Eröffnung (siehe dazu unten Ziff. 3). Verfahrensmängel bei der Eröffnung des Haftbefehls führen nicht zu dessen Aufhebung, sondern zur erneuten Eröffnung.
19
b) Näherer Ausführungen zum dringenden Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 StPO), der von der Beschwerde nicht angegriffen wird, bedarf es nicht, nachdem das Urteil vom 23.04.2021 auf einem Geständnis des Angeklagten beruht.
20
c) Es besteht Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO.
21
Der Haftgrund der Fluchtgefahr ist gegeben, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde am Verfahren teilnehmen. Diese Gefahr muss sich bei objektiver Betrachtung nachvollziehbar, aber nicht notwendig zwingend, aus bestimmten Tatsachen ableiten lassen. Eine bloß schematische Beurteilung ist hierbei zu vermeiden; vielmehr muss die Fluchtgefahr den konkreten Umständen des Einzelfalles entnommen werden. Kriminalistische Erfahrungen können dabei zuungunsten des Beschuldigten mit verwertet werden. In die gebotene Gesamtwürdigung sind alle entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalles, vor allem die persönlichen Verhältnisse des Täters, einzubeziehen. Hierbei sind die auf eine Flucht hindeutenden Umstände gegenüber denjenigen abzuwägen, die ihr entgegenstehen (Graf in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, Rn 16ff zu § 112 m.w.N.).
22
Die mithin vorzunehmende Gesamtwürdigung ergibt vorliegend, dass Fluchtgefahr gegeben ist.
23
Der Angeklagte wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt, von der erst knapp 1 Jahr und 3 Monate durch die Untersuchungshaft verbüßt sind. Selbst bei der Gewährung einer Reststrafaussetzung zur Bewährung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe (§ 57 Abs. 1 StGB) muss der Angeklagte damit rechnen, noch über 1 Jahr und 5 Monate in Haft zu verbringen. Der aus dieser erheblichen Straferwartung erfahrungsgemäß resultierende Fluchtanreiz wird durch soziale Bindungen nicht ausreichend aufgewogen. Der Angeklagte lebte vor seiner Inhaftierung bei seinem Vater, der als Beteiligter an den Betrugstaten abgeurteilt wurde und den Verlust seiner Ruhestandsbezüge gewärtigen muss. Aus der Art und Weise der vom Angeklagten eingeräumten Taten, insbesondere den zahlreichen Urkundenfälschungen und den verschiedenen Personalien, unter denen der Angeklagte auftrat, folgt die hohe Gefahr, dass sich der Angeklagte dieses Wissen für seine Flucht zu Nutze machen und unter Aliaspersonalien im In- oder Ausland untertauchen könnte. Aus seiner Dreistigkeit, die Taten noch nach deren Entdeckung weiterzuführen, folgt der naheliegende Schluss, dass der Angeklagte - anders als er vortragen lässt - durch Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden und auch durch die erlittene Untersuchungshaft nur schwer zu beeindrucken ist.
24
Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr hat demgegenüber zurückzutreten, § 112a Abs. 2 StPO.
25
Der Senat konnte die Haftgründe selbst austauschen, § 309 Abs. 2 StPO.
26
Auflagen gem. § 116 StPO, die die bestehende Fluchtgefahr aufwiegen könnten, sind nicht ersichtlich.
27
Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist angesichts der Straferwartung verhältnismäßig.
28
3. Die Beschwerde des Angeklagten vom 13.01.2022 in der Fassung der Begründung vom 19.01.2022 ist dahingehend auszulegen, dass sich der Angeklagte (auch) gegen die Verletzung seines Rechts auf Beistand durch seinen Verteidiger bei der Eröffnung des Haftbefehls und seiner richterlichen Vernehmung am 13.01.2022 wendet.
29
Der Antrag ist begründet und führt zur Feststellung des Rechtsverstoßes.
30
Der Angeklagte hatte gem. § 168c Abs. 1 StPO das Recht auf Anwesenheit seines Verteidigers bei der Eröffnung des Haftbefehls, bei der er gem. § 115 Abs. 3 StPO zu vernehmen war.
31
Die Beschwerdebegründung versichert anwaltlich, dass der Münchner Wahlverteidiger - ohne vorherige Terminsabsprache - erst am 13.01.2022 um 14:33 Uhr (also eine halbe Stunde vor Terminsbeginn) per Telefax zum Eröffnungstermin geladen wurde. Die dienstlichen Stellungnahmen der Vorsitzenden Richterin vom 20.01.2022 und eines beisitzenden Richters vom 21.01.2022 sowie der Nichtabhilfebeschluss vom 21.01.2022 verhalten sich hierzu nicht. Deutlich wird lediglich, dass die Kammer auf Grund des staatsanwaltschaftlichen Hinweises vom 11.01.2022 ihren im Beschluss vom 23.12.2021 begangenen Verstoß gegen § 112a Abs. 2 StPO erkannte und schnellstmöglich Abhilfe schaffen wollte. Eine Rechtfertigung dafür, den Termin zur Eröffnung des neu ergangenen Haftbefehls den in Rosenheim, München und Augsburg ansässigen Verteidigern so kurzfristig mitzuteilen, dass deren Teilnahme faktisch unmöglich war, liegt darin nicht. Auch das Ansinnen, dem Angeklagten, dessen anhängige Beschwerde vom 31.12.2021 durch die Aufhebung des Haftbefehls vom 26.11.2020 hinfällig wurde, schnellstmöglich eine neue Beschwerdemöglichkeit zu eröffnen, rechtfertigt nicht, ihm sein Recht auf Anwesenheit seines Verteidigers zu entziehen.
32
Das durch § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO gewährleistete Recht eines Beschuldigten, im Rahmen seiner Vorführung vor den zuständigen Richter gemäß § 115 Abs. 1 StPO einen Verteidiger hinzuzuziehen, dem gemäß § 168c Abs. 1 StPO bei der Vernehmung die Anwesenheit gestattet ist, zählt zu den bedeutsamen Verfahrensgarantien. Diese Einschätzung wird bestätigt durch die Regelung des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO, wonach der Beschuldigte unter anderem darauf hinzuweisen ist, es stehe ihm frei, auch schon vor seiner ersten Vernehmung einen Verteidiger zu befragen. Verlangt der Beschuldigte nach entsprechender Belehrung, vor der Vernehmung einen Verteidiger zu sprechen, so ist die Vernehmung deshalb zu diesem Zweck sogleich zu unterbrechen. Anderenfalls sind Angaben des Beschuldigten nicht verwertbar (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92 -, juris). Durch die Verfahrensrechte wird sichergestellt, dass der Beschuldigte nicht nur Objekt des Strafverfahrens ist, sondern zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Strafverfahrens Einfluss nehmen kann (BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1981 - 2 BvR 215/81 - Rn. 64, juris). Werden die das Recht auf ein faires Verfahren ausgestaltenden Vorschriften der StPO missachtet oder berücksichtigen die Gerichte die Tragweite des Rechtsstaatsgebots nicht hinreichend, so ist das Recht auf ein faires Verfahren verletzt (BVerfG, Beschluss vom 07. März 2012 - 2 BvR 988/10 -, juris).
33
Der Rechtsverstoß ist nicht mehr zu beseitigen. Um ihn nicht zu perpetuieren, ist er durch den Senat festzustellen (Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. Mai 2006 - VGH B 6/06 -, juris).
34
Der nicht ordnungsgemäß eröffnete Haftbefehl ist in der aus vorliegendem Senatsbeschluss folgenden Fassung durch das Landgericht erneut zu eröffnen.
35
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 473 Abs. 1, 3, 4 (entspr.) StPO. Der Angeklagte hat zwar sein Ziel, das Verfahren bei der Haftbefehlseröffnung zu beanstanden, erreicht, sein Ziel, den Haftbefehl gänzlich aufzuheben, welches schwerer wiegt, jedoch verfehlt.
36
4. Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Anhaltung seines Briefes zum Zwecke der Ablichtung erweist sich als zulässig aber unbegründet.
37
Die angegriffene Verfügung stützt sich auf § 119 Abs. 1 S. 7 2. Alt. StPO i.V.m. Art. 20 Abs. 1 Nr. 1 BayUVollzG.
38
Anders als die Beschwerde meint, ist damit nicht nur die Anhaltung eines die Anstaltsordnung selbst gefährdenden Briefes möglich, sondern auch die eines Briefes, der seinerseits auf Umstände hinweist, die die Anstaltsordnung gefährden, wie sich auch aus Art. 20 Abs. 3 1. Alt. BayUVollzG ergibt. Indem der Brief nach seiner Ablichtung befördert wurde, wurde die Schwere des Eingriffs verringert und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Genüge getan.
39
Es bestand Grund zu der Annahme, dass der Brief auf einen die Anstaltsordnung schwer gefährdenden Umstand hinweist.
40
Der von Staatsanwaltschaft und Landgericht gezogene Schluss, in dem Schreiben drücke der Angeklagte seine Freude über aktuelle Wh.-A.-Nachrichten der Frau B. aus, lag nahe. Das Schreiben ist durchgehend im Präsens gehalten und enthält keinerlei Hinweis, dass es sich auf Vorgänge in der Vergangenheit bezieht. Damit drängte es sich auf, dass der Angeklagte in der Untersuchungshaft über ein Mobilfunkgerät verfügte, was selbstverständlich der Anstaltsordnung widersprochen hätte (Art. 12 BayUVollzG, Art. 35 BayStVollzG). Soweit der Angeklagte, bei dem kein Mobilfunkgerät gefunden wurde, nun vortragen lässt, das Schreiben sei im Zuge eines „Adventskalenders“ zu verstehen, den er der Empfängerin täglich über vergangene Ereignisse verfasst habe, mag dies sein - die Rechtmäßigkeit der Verfügung ist jedoch im Lichte des damaligen Kenntnisstandes zu beurteilen. Ändert sich dieser, wird die Verfügung nicht nachträglich rechtswidrig.
41
Zwar ist der Angeklagte durch die bei den Akten befindliche Ablichtung nach wie vor beschwert. Diese Beschwer ist aber im Zuge eines rechtsstaatlichen Verfahrens, welches Aktenwahrheit, Aktenklarheit und Aktenvollständigkeit erfordert (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2020 - 2 BGs 408/20 -, juris) unvermeidlich. Ohne die Ablichtung wäre es auch dem Senat nicht möglich, die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung zu überprüfen. Die fortdauernde Beschwer des Angeklagten wird überdies dadurch bestmöglich vermindert dass sich die Ablichtung im „Sonderheft Briefkontrolle“ befindet, welches bei Akteneinsichten durch Dritte gegebenenfalls abgesondert werden kann.
42
Daher waren die Beschwerde und der Antrag auf Vernichtung der Ablichtung mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO zurückzuweisen.