Titel:
Mangels glaughaftem Vorbringen erfolglose Asylklage eines Afghanen
Normenketten:
AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 4, § 4 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsatz:
Für einen jungen, leistungsfähigen, erwachsenen Mann besteht im Allgemeinen - wenn nicht besondere, individuell erschwerende Umstände hinzukommen - in Afghanistan, trotz der schlechten humanitären Bedingungen keine Gefahrenlage, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK und infolgedessen zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führt. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl, Afghanistan, Junger Mann, Unglaubwürdigkeit des klägerischen Vorbringens zur Verfolgung durch staatliche afghanische Stellen aufgrund der behaupteten Spionage für Regierungsstellen gegen die Taliban, Internationaler Schutz - verneint, da keine landesweite Verfolgung durch die Taliban, Abschiebungsverbot, Ausreichende Leistungsfähigkeit durch Rückkehrbeihilfen, PTBS - unglaubwürdiges Vorbringen zum Verfolgungsschicksal, Depressive Erkrankung - keine dauerhafte Einschränkung der Leistungsfähigkeit, Asylklage, individuelle Verfolgung, Taliban, Talibanmitglied, Glaubhaftmachung, Hilfstätigkeiten, Spionagetätigkeit, Schutzbehauptung, afghanische Regierung, Kabul, Rückkehr, innerstaatlicht Schutzalternative, subsidiärer Schutz, willkürliche Gewalt, psychiatrische Behandlung, PTBS, depressive Störung, Psychopharmaka, Betreuung, Abschiebung, Leistungsfähigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21497
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Zuerkennung internationalen Schutzes, hilfsweise die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten.
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1. Der ohne Ausweispapiere in das Bundesgebiet eingereiste Kläger gibt an, 1999 geboren und afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volkszugehörigkeit zu sein.
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Nach der Einreise auf dem Landweg beantragte der damals für den Kläger bestellte Amtsvormund am 11. Mai 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) dessen Anerkennung als Asylberechtigten.
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Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 18. November 2016 gab der Kläger im Wesentlichen an, dass seine Familie in der Provinz Ka., Bezirk …, Stadtteil …, gelebt habe. Er selbst habe sich in der Stadt …, Provinz H., aufgehalten und habe dort bei den Taliban leben müssen. Die Familie lebe weiter in Ka., er habe im August 2015 Afghanistan verlassen. Zu seinem Vater habe er ab und zu Kontakt. Im Übrigen habe er sieben Brüder und drei Schwestern, fünf Onkel väterlicherseits und zwei Tanten väterlicherseits, drei Onkel mütterlicherseits und etwa sechs Tanten mütterlicherseits. Bis auf ein paar Onkel väterlicherseits, die sich ab und zu in Pakistan aufhielten, lebe die Familie in Ka. Er habe nie eine Schule besucht, nur die Koranschule. Ein Onkel väterlicherseits regele sämtliche Dinge für den Familienclan, in dessen Haus lebte die ganze Familie. Dieser Onkel sei auch Mitglied der Taliban als Vertreter eines hochrangigen Talibanführers gewesen, etwa die Funktion eines Bürgermeisters. Der Kläger selbst sei bei den Taliban gewesen, habe aber nicht an Kämpfen teilnehmen müssen, jedoch Waffen laden, transportieren und instand setzen. Zum Verfolgungsschicksal befragt gab der Kläger im Wesentlichen an, dass sämtliche Familienangehörigen immer bei den Taliban gewesen seien. Er habe sich, wenn er ab und zu nach Hause gekommen sei, in seiner Freizeit in der Stadt mit Freunden getroffen und dort auch Kontakt zu Kindern gehabt, deren Eltern für die Regierung gearbeitet hätten. Diese Freunde hätten ihn gebeten, ihnen Informationen über bestimmte Talibanführer zu besorgen. Er habe auf diese Art und Weise Kontakt zu einem Vertreter der Regierung in der Stadt … erhalten. Diesem habe er immer wieder kurze Informationen über die von den Taliban geplanten Aktionen gegeben. Er sei vorsichtig gewesen und habe nur wenig Informationen preisgegeben, um nicht als Spion enttarnt zu werden. Einen geplanten Angriff der Taliban auf eine Polizeistation habe er dem Regierungsvertreter mitgeteilt. Bei diesem Angriff seien einige gute Freunde von ihm dabei gewesen. Einer sei dabei auch ums Leben gekommen, weil die Regierungstruppen informiert gewesen seien. Er habe als einziger von dem Plan gewusst, da er zur Planungszeit Tee gereicht habe. Deshalb sei er von den Taliban als Spion verdächtigt worden, sie hätten ihn deshalb festgenommen und an den Händen gefesselt. Da seine Familie hohes Ansehen bei den Taliban gehabt habe, sei er nicht offen verurteilt, sein Onkel sei jedoch von den Taliban informiert worden. Als sein Onkel dann da gewesen sei, sei er gefoltert und verhört worden. Ihm seien Haare ausgerissen und er sei geschlagen worden, bis er alles zugegeben habe. Sie hätten ihn dann jedoch nicht ermordet, sondern ihn aufgefordert, als Spion gegen die Regierung zu arbeiten. Dies habe er getan und der Regierung falsche Informationen über ein Treffen der Taliban in einem Haus gegeben. Dort hätten die Taliban aber Minen deponiert gehabt und einen Hinterhalt gelegt, ein Panzer sei auf eine Mine gefahren und zerstört worden. Wichtige Personen des Kommandeurs der Regierungstruppen seien dabei ums Leben gekommen. Daraufhin sei er von der Regierung gesucht worden, weil er die falschen Informationen weitergegeben hätte. Auf diese Art und Weise sei er sowohl von den Taliban als auch von der Regierung bedroht gewesen. Er habe wegen der Folter und seines schlechten Zustands zur Familie nach Ka. gehen wollen. Sein Vater habe ihm auf den Weg abgepasst und sofort seine Ausreise organisiert. Als er in Deutschland gewesen sei, habe ihn sein Vater kontaktiert und mitgeteilt, dass sein älterer Bruder beauftragt worden sei, ihn bei seiner Rückkehr zu töten. Das hätten die Talibanführer und sein Onkel gemeinsam entschieden. In Deutschland habe er über Facebook mit jemanden kommuniziert, ohne zu wissen, dass dies sein Cousin gewesen sei. Als das Gespräch auf seinen Aufenthaltsort gekommen sei, habe er den Kontakt sofort abgebrochen, sein Cousin, der eigentlich noch im Gefängnis sitzen müsste, werde ihn bei einer Rückkehr bedrohen. Bei den Taliban sei er eine Art Hilfskraft gewesen, er habe kochen und Tee servieren müssen. Bei Kämpfen habe er Waffen nachladen müssen. Er sei etwa im Alter von elf oder zwölf Jahren von seinem Onkel zu den Taliban geschickt worden. Er habe nicht gewusst, dass er mit seiner Information an die Regierungstruppen so großen Schaden anrichten würde. Er habe damit gerechnet, dass die Taliban sich sofort zurückziehen würden, wenn sie merkten, dass der Gegner vorbereitet sei. Er habe bei einer Rückkehr nicht ganz so viel Angst vor den Taliban aber vor der Regierung. Deshalb könne er an keinen Ort Afghanistans zurückkehren.
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Auf die Niederschrift über die Anhörung wird im Einzelnen verwiesen.
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Mit Bescheid vom 18. Dezember 2018, dem Kläger zugestellt am 27. Dezember 2018, lehnte das Bundesamt den Antrag auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1), auf Asylanerkennung (Ziffer 2) und auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Ziffer 3) ab. Auch die Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurde abgelehnt (Ziffer 4). Die Abschiebung nach Afghanistan wurde angedroht (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6).
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Der Kläger habe nicht glaubhaft darlegen können, dass er wegen vermeintlicher Spionage für die Taliban bzw. der Weitergabe von Informationen an die Regierung von beiden Seiten verfolgt werde. Die Spionage für die Regierungsseite sei unglaubhaft, da eine Motivation für diese Art der Tätigkeit aufgrund der Eingliederung seiner Familie in die Organisation der Taliban nicht erkennbar sei. Auch das Strafgericht habe nach umfangreicher Beweisaufnahme das diesbezügliche Vorbringen des Klägers für unglaubwürdig gehalten. Eine Verfolgung durch die Taliban sei ebenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich. Die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus sei ebenfalls abzulehnen. Der Kläger könne jedenfalls auf die Inanspruchnahme internen Schutzes in Kabul verwiesen werden. Das Vorliegen von Abschiebungsverboten sei zu verneinen. Der Kläger könne als junger, gesunder Mann durch einfache Tätigkeiten seinen Lebensunterhalt sicherstellen.
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Auf den Bescheid wird im Einzelnen verwiesen.
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2. Durch seine damalige Bevollmächtigte ließ der Kläger am 3. Januar 2019 Klage erheben.
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Mit Schriftsatz seiner damaligen Bevollmächtigten vom 26. Januar 2019 ließ der Kläger zur Begründung der Klage vortragen, dass er als Mitglied der Taliban durch die afghanische Regierung wegen seiner politischen Überzeugung verfolgt würde. Auch wenn der Vortrag des Klägers zu seiner Spionagetätigkeit für die Regierung unglaubhaft sei, habe auch das Strafgericht seine Mitgliedschaft bei den Taliban für glaubhaft gehalten. Wegen dieser Mitgliedschaft sei eine Verfolgung durch die staatlichen Behörden Afghanistans hinreichend wahrscheinlich. Jedenfalls durch die Anfrage des Auswärtigen Amtes bei der Afghanischen Regierung zur Person des Klägers sei diese zwischenzeitlich dort bekannt und er müsse mit einer Verhaftung bei einer Rückkehr rechnen. Insoweit bestehe die Gefahr der Misshandlung im Gefängnis, was nach den UNHCR-Richtlinien 2018 als wahrscheinlich einzuschätzen sei. Hinzu komme die Gefahr der Verfolgung durch die Taliban. Der Onkel des Klägers habe eine Machtposition bei den Taliban, er müsse wegen seines Verhaltens mit entsprechenden Verfolgungshandlungen rechnen. Der Kläger sei damit individuell verfolgt, ihm komme die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie zugute. Es bestehe auch keine innerstaatliche Fluchtalternative, da zahlreiche regierungsfeindliche Gruppierungen im Lande den Kläger überall aufspüren könnten. Unter diesen Bedingungen sei dem Kläger hilfsweise auch subsidiärer Schutz zuzuerkennen. Jedenfalls lägen die Voraussetzungen für die Feststellung von Abschiebungsverboten vor. Der Kläger könne auf kein familiäres Netzwerk in Afghanistan zurückgreifen. Er sei an einer mittelgradig depressiven Episode erkrankt. Eine ausreichende Behandlung der depressiven Erkrankung in Afghanistan sei nicht sichergestellt.
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Der Kläger lässt beantragen,
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unter Aufhebung des Bescheids vom 20. Dezember 2020 dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und weiter hilfsweise das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG festzustellen.
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Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz des Bundesamtes vom 4. April 2019,
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass eine Verfolgung durch die Taliban nicht beachtlich wahrscheinlich sei. Die Taliban zerfielen in unterschiedliche Gruppierungen, so dass eine landesweite Verfolgung nicht wahrscheinlich sei. Jedenfalls habe der Kläger nach seinem eigenen Vortrag nur eine untergeordnete Hilfstätigkeit ausgeübt, so dass ein besonderes Verfolgungsinteresse auch deshalb nicht bestehe. Hinsichtlich der Verneinung der Verfolgungsgefahr durch Regierungsstellen schließe sich die Beklagte der Auffassung des Strafgerichts zur Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Klägers zu der behaupteten Spionagetätigkeit für die Taliban an.
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In der Folge legte zunächst die damalige Bevollmächtigte des Klägers unter dem 26. September 2019 eine ärztliche Stellungnahme der behandelnden Psychiaterin des Klägers vor. in dieser ist beim Kläger eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), eine schwere depressive Episode und eine Kombinierte Persönlichkeitsstörung diagnostiziert.
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Der nunmehr Bevollmächtigte des Klägers legte ab dem Januar 2021 weitere verschiedene ärztliche Atteste vor. Der Kläger befand sich demnach im Juli/August 2020 für etwa vier Wochen in stationärer psychiatrischer Behandlung bei einer diagnostizierten PTBS und einer rezidivierenden depressiven Störung mit gegenwärtig schwerer Episode bei fraglichem Suizidversuch. In der Folge wurde ein Betreuungsverfahren eingeleitet, für den Kläger wurde nach fachärztlicher Begutachtung mit Beschluss des Amtsgerichts vom 10. März 2021 die Betreuung u.a. für die Vertretung gegenüber Behörden und die Gesundheitsfürsorge angeordnet. Im August 2021 sowie zwischen dem Dezember 2021 und dem April 2022 befand sich der Kläger jeweils stationär im Bezirkskrankenhaus, wo er nach der Entlassung vom 6. April 2022 bereits am 12. April 2022 erneut aufgenommen worden sei.
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Wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland wurde der Kläger vom OLG München mit Urteil vom 6. November 2018 freigesprochen. Das Strafgericht ging davon aus, dass der Kläger seit etwa 2011 Mitglied der Taliban in Afghanistan gewesen ist und er damit den Tatbestand der §§ 129a Abs. 1 Nr. 1, 129b StGB verwirklicht hat. Wegen erheblicher Zweifel an der erforderlichen Reife des Klägers zum Tatzeitpunkt wurde er in dubio pro reo freigesprochen.
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Mit Bescheid der Ausländerbehörde vom 18. Dezember 2018 wurde der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos (VG Augsburg, U.v. 22.5.2019 - Au 6 K 19.61; BayVGH, B.v. 13.1.2020 - 10 ZB 19.1599).
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In der Sache wurde am 4. Mai 2022 mündlich vor Gericht verhandelt. Auf das dabei gefertigte Protokoll wird im Einzelnen Bezug genommen, ebenso wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Behördenakte des Bundesamtes. Zum Verfahren beigezogen wurde auch die Behördenakte der Ausländerbehörde sowie die Gerichtsakte des Verfahrens Au 6 K 19.61.
Entscheidungsgründe
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Die zulässig erhobene Klage bleibt erfolglos.
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Der Kläger kann weder einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Asylgesetz (AsylG) noch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (§ 4 AsylG) geltend machen. Auch ein Anspruch des Klägers auf die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) besteht nicht. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 20. Dezember 2018 hat die vom Kläger verfolgten Ansprüche zu Recht abgelehnt, die Klage war abzuweisen (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 VwGO).
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Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht zur Begründung in Anwendung von § 77 Abs. 2 AsylG auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid (dort S. 4 ff.) und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
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Ergänzend wird ausgeführt:
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
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a) Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.
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aa) Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 - Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
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bb) Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag aufgrund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
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b) Der Vortrag des Klägers ist nicht geeignet, eine individuelle Verfolgung glaubhaft zu machen. Der Vortrag ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und unter Berücksichtigung der eingeholten Auskünfte zur Überzeugung des Einzelrichters (§ 108 Abs. 1 VwGO) hinsichtlich der im Verfahren behaupteten Verfolgung durch staatliche afghanische Stellen unglaubhaft (nachfolgend zu aa), in Bezug auf die geltend gemachte Verfolgung durch die Taliban - auch nach deren Machtübernahme im August 2021 - nicht hinreichend wahrscheinlich (nachfolgend zu bb).
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aa) Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt hat der Kläger berichtet, dass die Mitglieder seine Herkunftsfamilie, insbesondere sein Onkel, Unterstützer der Taliban und dort auch in herausragender Funktion tätig gewesen sind. Wegen dieses familiären Hintergrunds und durch die Vermittlung seines Onkels ist auch er Mitglied der Taliban geworden und hat bereits im Alter von elf bis zwölf Jahren bei den Taliban in der Nachbarprovinz Unterstützungstätigkeiten geleistet. An diesem Vorbringen hat der Kläger im Strafverfahren vor dem OLG München festgehalten, das Gericht ging von einer glaubhaften Schilderung des Klägers zu seinem Lebenslauf und den Unterstützungshandlungen für die Taliban aus (vgl. OLG München, U.v. 6.11.2018 - 9 St 1/18 - S. 13 ff. des UA; Bl. 139 ff. der Behördenakte). Auch im gerichtlichen Verfahren in Bezug auf die Ausweisungsverfügung vom 18. Dezember 2018 ging das Gericht davon aus, dass der Kläger den Taliban angehört und diese unterstützt hat (VG Augsburg, U.v. 22.5.2019 - Au 6 K 19.61 - S. 24 ff. des UA; Bl. 188 ff. der Gerichtsakte).
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Vor diesem Hintergrund und den gerichtlichen Feststellungen in den beiden vorgenannten Verfahren sowie den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2022 ist der Einzelrichter überzeugt (§ 108 Abs. 1 VwGO), dass der Kläger als Jugendlicher Mitglied der Taliban war und diese durch Hilfstätigkeiten unterstützt hat.
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Eine verdeckte Spionagetätigkeit des Klägers für Regierungsstellen in Afghanistan, wie er diese in seiner Anhörung vor dem Bundesamt und in den straf- und ausländerrechtlichen Verfahren behauptet hat, ist demgegenüber für den Einzelrichter - in Übereinstimmung mit den umfangreichen Beweiswürdigungen des Strafgerichts und der für das ausländerrechtliche Verfahren zuständigen 6. Kammer des Verwaltungsgerichts (jeweils a.a.O.), denen sich der Einzelrichter anschließt - nicht glaubwürdig.
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Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2022 (abweichend von seinen bisherigen Schilderungen beim Bundesamt und in den gerichtlichen Verfahren) zur Begründung für die behauptete Spionagetätigkeit für die Regierungsstellen nunmehr geltend macht, dass er aufgrund der von den Taliban ihm gegenüber begangenen sexuellen Missbrauchshandlungen diese an die Regierungsstellen verraten hat, widerlegt dies die bestehenden Glaubwürdigkeitszweifel nicht. Der Kläger will erstmals während seines Aufenthalts im Bezirkskrankenhaus zwischen dem Dezember 2021 und dem April 2022 von derartigen Missbrauchserfahrungen berichtet haben. Diese sollen nach seinen Angaben Ursache für seine Spionagetätigkeit zugunsten der Regierungsstellen gewesen sein (Bericht des Bezirkskrankenhaus … vom 7.4.2022, S. 4; Bl. 219 ff. der Gerichtsakte).
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Dies steht in offensichtlichem Widerspruch zu seinem seit 2016 wiederholt vorgebrachten Schilderungen, dass er aufgrund von Kontakten zu Freunden und deren Familien, die die Regierungsstellen in Ka. unterstützt haben, Spionage zugunsten der Regierungsstellen geleistet und Aktionen der Taliban verraten hat. Dass dieses nunmehr geänderte und weiter gesteigerte Vorbringen für die Spionagetätigkeit zugunsten der Regierung in einem Zeitpunkt erstmals erfolgt, in dem nach zwei gerichtlichen Verfahren und einer jeweils umfangreichen Beweiswürdigung das klägerische Vorbringen zu einer Spionagetätigkeit für afghanische Regierungsstellen als unglaubwürdig festgestellt wurde, konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2022 in keinster Weise nachvollziehbar erklären. Er hat sich nur auf den Hinweis auf den ärztlichen Bericht bezogen, ohne im Ansatz glaubhaft machen zu können, weshalb ein derartiges, im Kern vollkommen neuartiges Vorbringen nach nunmehr über fünf Jahren erstmals erfolgt. Dass ein Mitpatient im Bezirkskrankenhaus in gleichartiger Weise sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen ist und der Kläger deshalb erstmals davon berichten konnte, stellt keine nachvollziehbare Erklärung dar. Vielmehr bildet dieses Vorbringen zur Überzeugung des Einzelrichters eine Schilderung, die anhand von aus anderen Asylverfahren bekannten Vorbringen eine Begründung für eine behauptete Verfolgung durch staatliche afghanische Stellen konstruieren soll.
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Auch die Erklärung seines Bevollmächtigten, die dieser in der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2022 vorgetragen hat, dazu überzeugt nicht. Denn jedenfalls seit dem Urteil des OLG München vom 6. November 2018 war dem Kläger bekannt und bewusst, dass sein Vorbringen zu seiner Spionagetätigkeit für die Regierungsstellen als nicht glaubhaft und lediglich als Schutzbehauptung angesehen worden ist (OLG München, U.v. 6.11.2018 - 9 St 1/18 - S. 24 ff. des UA; Bl. 139 ff. der Behördenakte). In der Folge dieser Entscheidung hat der Kläger sich bereits im Juli/August 2020 in stationärer psychiatrischer Behandlung befunden, im Oktober 2020 wurde im Rahmen des Betreuungsverfahrens eine Begutachtung angeordnet. Dass in diesen umfangreichen Behandlungs- und Begutachtungssituationen dem Kläger eine Mitteilung des (nunmehr behaupteten) Erlebten nicht möglich gewesen ist, ist nicht überzeugend.
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Vielmehr steht nach der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2022 zur Überzeugung des Einzelrichters (§ 108 Abs. 1 VwGO) fest, dass der Kläger als Mitglied der Taliban für diese in jugendlichem Alter Hilfstätigkeiten ausgeführt hat und von staatlichen afghanischen Stellen bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan nicht bedroht worden ist.
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bb) Wegen dieser Mitgliedschaft bei den Taliban ist der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Verfolgung i.S.d § 3 Abs. 1 AsylG ausgesetzt.
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Nach der Machtübernahme durch die Taliban im gesamten Staatsgebiet Afghanistans im August 2021 ist davon auszugehen, dass diese nun, „trotz vereinzelten bewaffneten Widerstands in einzelnen Landesteilen, über weitgehende Kontrolle im ganzen Land“ verfügen (Auswärtiges Amt, Bericht über die Lage in Afghanistan, Stand 21.10.2021 - Lagebericht -, S. 4).
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Trotz dieser im Vergleich zu den Machtverhältnissen im Zeitpunkt des angefochtenen Bescheids geänderten Situation ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan von den Taliban landesweit der Gefahr der Verfolgung ausgesetzt ist.
40
Der Kläger hat während seiner Mitgliedschaft bei den Taliban nur untergeordnete Tätigkeiten ausgeführt, die sich auf typische Hilfstätigkeiten im Bereich des Haushaltes bezogen haben. Eine Ausbildung an Waffen hat der Kläger nicht erhalten, der Transport, das Nachladen etc. von Waffen ist ebenfalls nur als untergeordnete Hilfestellung anzusehen. Insgesamt hat der Kläger gerade keine besondere, herausgehobene Position innegehabt, die ein besonderes Verfolgungsinteresse der Taliban begründen würde.
41
Da eine die Taliban gefährdende Spionagetätigkeit des Klägers für staatliche afghanische Regierungsstellen nicht glaubhaft ist (s.o. zu aa), ist auch nicht erkennbar, dass für die Person des Klägers insoweit von einem (besonderen) Verfolgungsinteresse der Taliban auszugehen ist.
42
Zwar ist nach dem Vorbringen des Klägers davon auszugehen, dass sein Onkel als hochrangiges Mitglied der Taliban im Herkunftsort des Klägers nach deren Machtübernahme einen besonderen Einfluss auf örtliche Entscheidungen nehmen kann. Es bestehen jedoch keine Erkenntnisse dahingehend, dass aufgrund dieser Stellung seines Onkels dieser landesweit einen solchen Einfluss hat, dass er bei einer Rückkehr des Klägers diesen im gesamten Staatsgebiet suchen würde. Eine derartige Suche ist auch deshalb nicht beachtlich wahrscheinlich, weil der Kläger nicht für staatliche Stellen spioniert hat (s.o. zu aa) und deshalb ein besonderes Interesse an der Person des Klägers nicht erkennbar ist.
43
Unter Berücksichtigung dieser Sachlage ist zur Überzeugung des Einzelrichters der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan jedenfalls in Kabul nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Verfolgung ausgesetzt. Kabul ist als innerstaatliche Fluchtalternative i.S.d. § 3e AsylG auch noch geeignet und zumutbar ist, so dass erwartet werden kann, dass sich der Kläger dort vernünftigerweise niederlässt.
44
Zur Zumutbarkeit der Rückkehr nach Kabul ändert auch die Einschätzung des UNHCR in den „Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen“ vom Februar 2022 (UNHCR-Leitlinien) nichts. Zwar ist nach diesen davon auszugehen, dass nach der Machtübernahme durch die Taliban und der besonderen humanitären Krise aufgrund des wirtschaftlichen Niedergang des Landes (UNHCR-Leitlinien Nr. 2 f. und Nr. 8; vgl. dazu auch Lagebericht, S. 5 und S. 7) erhebliche Schwierigkeiten bei einer Rückkehr bestehen. Allerdings ist vorliegend - unter Berücksichtigung des aktuellen, in den UNHCR-Leitlinien bereits empfohlenen Abschiebestopps - eine Rückkehr im maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) erst nach einer Wiederaufnahme der internationalen Beziehungen zu der aktuellen afghanischen Regierung und der Wiederaufnahme internationaler Hilfszahlungen bzw. der Zahlungen für Rückkehrer etc. zu erwarten. In diesem Zeitpunkt liegen jedoch unter Berücksichtigung der dann zu leistenden Rückkehrzahlungen keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben wegen der allgemeinen Versorgungslage in Kabul vor (vgl. insoweit BayVGH, U.v. 7.6.2021 - 13a B 21.30342 - juris Rn. 31 ff.), so dass die Rückkehr (jedenfalls) dorthin zumutbar ist.
45
Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt in Kabul sicherstellen kann (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 29.4.2019 - 13a ZB 19.31492 - juris Rn. 6 ff.; zuletzt etwa BayVGH, B.v. 11.11.2019 - 13a ZB - 18.30045 - Rn. 6 des BA). Auch wenn hierfür mehr zu fordern ist als ein kümmerliches Einkommen zur Finanzierung eines Lebens am Rande des Existenzminimums (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris Rn. 20), ist doch vernünftigerweise zu erwarten, dass der Kläger sich in Kabul aufhält und seinen Lebensunterhalt dort sicherstellt. Es ist zu erwarten, dass der Kläger als junger Mann auch ohne nennenswertes Vermögen seinen Lebensunterhalt in Kabul sicherstellen kann (vgl. ausführlich BayVGH, U.v. 7.6.2021 - 13a B 21.30342 - juris Rn. 19 ff.).
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2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
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Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan insbesondere keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Die Frage, ob die in Afghanistan oder Teilen von Afghanistan stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als vereinzelt auftretende Gewalttaten i.S. von Art. 1 Nr. 2 des Zusatzprotokolls vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (BGBl. 1990 II S. 1637) - ZP II - oder aber als anhaltende Kampfhandlungen bewaffneter Gruppen im Sinne von Art. 1 Nr. 1 ZP II zu qualifizieren sind, kann dahinstehen, weil nach der Überzeugung des Gerichts der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Denn es fehlt vorliegend an einer Verdichtung allgemeiner Gefahren, die weitere Voraussetzung für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist. Insbesondere ist nach der Machtübernahme durch die Taliban von einer insgesamt gesunkenen Gewaltanwendung in Afghanistan auszugehen (EASO, Country of Origin Information Report, Januar 2022, S. 58).
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Auch die Gefahr der Folter oder der unmenschlichen Behandlung durch die Taliban i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist aus den oben dargelegten Gründen (vgl. oben zu 1.b) bb)) zu verneinen. Auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen.
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3. Die Voraussetzungen für das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls zu verneinen.
50
a) Für einen jungen, leistungsfähigen, erwachsenen Mann besteht im Allgemeinen - wenn nicht besondere, individuell erschwerende Umstände hinzukommen - in Afghanistan, trotz der schlechten humanitären Bedingungen keine Gefahrenlage, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK und infolgedessen zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führt (vgl. zuletzt BayVGH, U.v. 7.6.2021 - 13a B 21.30342 - juris Rn. 15 ff. m.w.N. zur Rechtsprechung).
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Für den Kläger ist zu den besonderen, individuellen Umständen vorgetragen, dass er aufgrund der bei ihm diagnostizierten Erkrankungen nicht hinreichend leistungsfähig ist, um bei einer Rückkehr seinen Lebensunterhalt in ausreichender Weise sicherzustellen. Der Kläger wurde mehrfach wegen Suizidversuchen stationär im Bezirkskrankenhaus aufgenommen. Auch die gerichtlich angeordnete Betreuung zeigt, dass der Kläger nicht in umfassender Weise in der Lage ist, für sich selbst zu sorgen.
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b) Soweit in den vorgelegten ärztlichen Attesten beim Kläger das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert ist, entsprechen diese ärztlichen Atteste nicht den Anforderungen, die von der Rechtsprechung an die Substantiierung eines Vorbringens zur Erkrankung an einer PTBS gestellt worden sind (grundlegend: BVerwG, U.v. 11.9.2007 - 10 C 8/07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 15 ff.).
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Aus dem im gerichtlichen Verfahren von der damaligen Bevollmächtigten des Klägers vorgelegten fachärztlichen Stellungnahme vom 20. Mai 2019 (Bl. 109 der Gerichtsakte) hat die den Kläger behandelnde Psychiaterin den Verdacht auf eine PTBS diagnostiziert. In dem weiteren fachärztlichen Verlaufsbericht der behandelnden Psychiaterin vom 12. August 2019 (Bl. 113 der Gerichtsakte) wird eine PTBS diagnostiziert und ausgeführt, dass sich die „Zunahme der Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung“ und „schwerer Ausprägung der Posttraumatischen Belastungsstörung“ (a.a.O.) gezeigt hat. Eine nachvollziehbare Erklärung dieser unterschiedlichen Diagnosen und die Grundlage dafür wurden nicht dargelegt. Insbesondere wurde in der Stellungnahme vom 20. Mai 2019 Wesentlich auf die vom Kläger geschilderte Spionage zugunsten der afghanischen Regierungsstellen und die daraus erwachsende Angst und Gefährdung des Klägers abgestellt. Dieses Vorbringen ist jedoch - wie oben dargelegt - unglaubhaft.
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Auch in den weiteren, in der Folge vorgelegten fachärztlichen Berichten des Bezirkskrankenhauses und dem im Betreuungsverfahren vor dem Amtsgericht vorgelegten Gutachten ist jeweils eine PTBS diagnostiziert, ohne weitere Feststellungen im Sinne der o.g. Rechtsprechung.
55
Mangels glaubwürdigem Vorbringen zum Verfolgungsschicksal ist die darauf gestützte Diagnose einer PTBS damit nicht geeignet, eine Beschränkung der Leistungsfähigkeit des Klägers zu begründen. Auch die u.a. auf diese Krankheitsdiagnose gründende Anordnung der Betreuung führt insoweit zu keiner anderen Beurteilung. Die Betreuungsanordnung betrifft die im Bundesgebiet vorzunehmenden Rechtshandlungen des Klägers, ein dauerhafter Ausschluss der freien Willensbestimmung ist nicht festgestellt (vgl. Psychiatrische Gutachten vom 7.3.2022 im Betreuungsverfahren, Bl. 196 ff. der Gerichtsakte, S. 7).
56
c) Soweit beim Kläger weiter rezidivierende depressive Störungen bzw. zuletzt eine schwere depressive Episode diagnostiziert sind, führt dies nicht zu einer derart schwerwiegenden Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit, dass die Voraussetzungen für die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.S.d. o.g. Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes erfüllt sind.
57
Der Kläger wird mit Psychopharmaka behandelt, deren Wirkstoffe auch in Afghanistan verfügbar sind (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 5.4.2017, Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung, S. 6). Bei einer regelmäßigen Einnahme dieser Medikamente ist nicht erkennbar, dass der Kläger zu einer Sicherung des Lebensunterhalts nicht in der Lage ist. Insoweit ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Gewährung von Rückkehrbeihilfen für den Zeitraum des unmittelbarer Zusammenhangs zur Rückkehr eine Sicherung der elemantarsten Bedürfnisse gewährleistet werden kann (vgl. dazu die Pressemitteilung Nr. 25/22 des BVerwG zum Urteil vom 21.4.2022 im Verfahren 1 C 10.21 - abgerufen unter www.bverwg.de/de/pm/2022/25).
58
d) Die beim Kläger diagnostizierten Erkrankungen führen auch nicht zur Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
59
Aus den Diagnosen, die grundsätzlich den Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und Satz 3 AufenthG entsprechen, lässt sich keine lebensbedrohliche Erkrankung erkennen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtert. Denn insoweit ist auch nach den ärztlichen Feststelllungen zum einen bereits das Vorliegen einer Suizidalität zweifelhaft (vgl. BKH … vom 7.9.2020, Bl. 136 der Gerichtsakte; …-klinik … vom 22.7.2020, Bl. 138 der Gerichtsakte). Jedenfalls gab es beim Kläger aber im Zeitpunkt seiner Entlassungen aus der stationären Behandlung jeweils keine Hinweise auf Selbstgefährdung (Vorläufige Ärztliche Kurzinformation des BKH … vom 19.8.2021, Bl. 185 der Gerichtsakte; Bericht des BKH … vom 7.4.2022, Bl. 219 der Gerichtsakte).
60
4. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).