Titel:
Unzulässiger Verwaltungsrechtsweg: Herausgabe eines von der Polizei beschlagnahmten MP3-Player
Normenketten:
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1, § 123
StPO § 98 Abs. 2, § 304 Abs. 1, § 306
GVG § 17a Abs. 2, Abs. 4
Leitsätze:
1. Wird ein Eilantrag bei einem unzuständigen Gericht gestellt, bringt es für die Beschleunigung nichts, wenn der Antrag nicht an das zuständige Gericht verwiesen, sondern als unzulässig abgelehnt wird mit der Folge, dass er beim zuständigen Gericht neu gestellt werden muss. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der für ein verfolgtes Begehren beschrittene Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig, wenn eine abdrängende Sonderzuweisung zur ordentlichen Gerichtsbarkeit besteht (hier: §§ 98 Abs. 2 S. 1 bis 4 (analog) bzw. 304 Abs. 1, 306 StPO iVm Art. 5 Abs. 2 Nr. 44 GerOrgG). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs, Verweisung an das zuständige Gericht, einstweiliger Rechtsschutz, polizeiliche Maßnahmen, Beschlagnahme, Strafprozessordnung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21495
Tenor
I. Der beschrittene Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig.
II. Der Rechtsstreit wird an das zuständige Amtsgericht Memmingen verwiesen.
Gründe
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Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die (Überprüfung und) Herausgabe seines von der Polizei beschlagnahmten MP3-Player, mibao.
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Der streitgegenständliche MP3-Player, mibao wurde nach Aktenlage - ausweislich des Sicherstellungsprotokolls (Az. *) - im Rahmen einer am 27. März 2022 angeordneten polizeilichen Maßnahme nach §§ 94, 98, 111b ff. StPO wegen des Verdachts der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB) beschlagnahmt. Mit Beschluss des AG Memmingen vom 30. März 2022 wurde die polizeilich angeordnete Beschlagnahme nach §§ 94, 98 Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 111b, 111c, 111j Abs. 2 StPO bestätigt (Gz. *): Es bestehe der Tatverdacht, dass der Antragsteller während eines Polizeieinsatzes am 26. März 2022 den Ton (als er im Rahmen der Sachverhaltsaufnahme befragt worden sei) mittels seines MP3-Players aufgezeichnet habe. Aus den vorgelegten Akten zum Vorgang ergibt sich, dass die zuständige Staatsanwältin am 13. April 2022 die zuständige Polizeiinspektion mit der Auswertung des Gerätes sowie der Verschriftung des Inhaltes in den wesentlichen Teilen beauftragt habe. Die Beschlagnahme werde zur Vorbereitung der Einziehung auch nach der Auswertung aufrechterhalten und nach Abschluss der Ermittlungen mit der Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft übergeben (vgl. Bl. 13 der Behördenakte).
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Der Antragsteller beantragt im Wege der einstweiligen Anordnung mit Schreiben vom 8. April 2022 per Telefax sinngemäß,
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dem Antragsgegner aufzugeben, seinen MP3-Player, mibao an ihn herauszugeben.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgebracht, dass bei einer unbegründeten polizeilichen Durchsuchung, kurz nachdem man den Antragsteller unbegründet oder willkürlich in Gewahrsam mit Freiheitsentzug gebracht hätte, sein mibao-Datenträger „entwendet“ worden sei. Dies sei mit der Begründung erfolgt, dass er aufgenommen hätte, wie er ohne richterliches Urteil in Gewahrsam gebracht worden wäre, sowie die Erklärung dazu. Das Ganze sei auf die Aussagen von Frau W. hin und der Meinung der Polizisten dazu passiert. Als Grund für die Beschlagnahmung sei die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes genannt. Bei dem Einsatz wären mindestens vier Polizisten zugegen gewesen. Das bedeute, dass bei der (Körper-)Durchsuchung dieses Gerät gesucht und dann darauf (rein-)gedrückt worden sei. Ein Polizist habe ihm erklärt, dass (die Polizisten) das mibao-Gerät „entwendet“ und abgehört hätten. Auf Nachfrage habe der Polizist gesagt, dass er es ja gehört hätte. Dies bedeute, dass die Polizisten zumindest (auf den MP3-Player) reingedrückt hätten. Dies stelle eine weitere Dreistigkeit gegen seine Person dar. Somit seien seine Persönlichkeitsrechte/ Privatsphäre nicht nur durch die Durchsuchung etc. verletzt worden. Der Tatbestand des § 201 StGB sei nicht gegeben. Die vier Polizisten hätten das klare Ziel gehabt, ihn über die Nacht in Gewahrsam zu nehmen. Dies könne nur aus öffentlichen Interesse geschehen. Im Allgemeinen werde das Wort eines Polizisten bei einem Einsatz gegenüber Beteiligten öffentlich ausgesprochen. Er verweise auch auf die Pressemitteilung 38/21 des Landgerichts Osnabrück (Az. Qs 49/21). Es sollte keinen Unterschied zu einem öffentlichen Raum oder seinen Privaträumen geben.
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Der Antragsgegner beantragt,
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgebracht, dass es bereits an der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs und an der Zuständigkeit des Gerichts fehle. Zudem sei der Antrag unzulässig und unbegründet. Die Beschlagnahme sei gemäß §§ 94 Abs. 2, 98 Abs. 1 StPO im Rahmen der Strafverfolgung erfolgt. Es sei daher der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet und eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Memmingen gegeben. Der Antragsteller könne dort einen (entsprechenden) Antrag gemäß § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO stellen. Sei wie vorliegend die angeordnete Beschlagnahme nach § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO bereits gerichtlich bestätigt worden, so sei der Antrag als Gesuch um Aufhebung des Bestätigungsbeschlusses anzusehen. Zudem sei der Antrag unbegründet, da die Anordnung der Beschlagnahme formell und materiell rechtmäßig erfolgt sei. Aufgrund der bisherigen Ermittlungen habe der Tatverdacht bestanden, dass der Antragsteller während eines Polizeieinsatzes am 26. März 2022 das Gespräch zwischen den Beamten und sich aufgezeichnet sowie sich wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht habe. Der beschlagnahmte MP3-Player könne im Ermittlungsverfahren als Beweismittel von Bedeutung sei. Im Übrigen könne er als Tatmittel der Einziehung unterliegen.
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Die Beteiligten wurden zur beabsichtigten Verweisung des Rechtsstreits an das für den Rechtsweg zuständige Gericht angehört. Der Antragsgegner hat sich mit der Verweisung (implizit) einverstanden erklärt. Der Antragsteller hat sich nicht geäußert.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren ergänzend Bezug genommen.
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Für das geltend gemachte Rechtsschutzbegehren ist der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet, § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gemäß § 17a Abs. 2 und 4 GVG ist der Rechtsstreit an das zur Entscheidung sachlich und örtlich zuständige Gericht des einschlägigen Rechtswegs zu verweisen - hier das Amtsgericht Memmingen, §§ 98 Abs. 2 Sätze 1 bis 4 (analog) bzw. 304 Abs. 1, 306 StPO i.V.m. Art. 5 Abs. 2 Nr. 44 GerOrgG.
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Hierbei sind die §§ 17 ff. GVG auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren analog anwendbar. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs ist damit auch vorliegend im nach § 123 VwGO begehrten einstweiligen Rechtsschutz durch das Gericht zu prüfen. Denn die Bejahung des Rechtswegs und der Zuständigkeit bildet eine derart allgemeine Voraussetzung für jede gerichtliche Entscheidung, dass eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Verfahrensarten keinen Sinn macht. Wird ein Eilantrag bei einem unzuständigen Gericht gestellt, bringt es für die Beschleunigung nichts, wenn der Antrag nicht an das zuständige Gericht verwiesen, sondern als unzulässig abgelehnt wird mit der Folge, dass er beim zuständigen Gericht neu gestellt werden muss (vgl. hierzu nur BayVGH, B.v. 20.7.2002 - 20 A 02.40066 und 20 A 02.40068 - juris Rn. 9).
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Der von dem Antragsteller für sein mit dem Antrag vom 8. April 2022 verfolgtes Begehren beschrittene Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig, da hier eine abdrängende Sonderzuweisung zur ordentlichen Gerichtsbarkeit besteht, §§ 98 Abs. 2 Sätze 1 bis 4 (analog) bzw. 304 Abs. 1, 306 StPO i.V.m. Art. 5 Abs. 2 Nr. 44 GerOrgG.
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Der von einer Beschlagnahme betroffene Gewahrsamsinhaber, Eigentümer oder Besitzer kann jederzeit - auch wenn er bei der Beschlagnahme anwesend war oder der Beschlagnahme nicht widersprochen hat - gemäß § 98 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 StPO eine richterliche Entscheidung beantragen (vgl. BeckOK StPO, 42. Edition, Stand: 01.01.2022, § 98 Rn. 18). Hat das nach § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO zuständige Gericht - wie hier - eine (polizeiliche) Beschlagnahmeanordnung bestätigt, ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung als Gesuch um Aufhebung des Bestätigungsbeschlusses zu begreifen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 98 Rn. 19). Gegen die richterliche Bestätigung der Beschlagnahmeanordnung ist die Beschwerde nach § 304 StPO zulässig (vgl. MüKo StPO, 1. Aufl. 2014, § 98 Rn. 39 ff.). Gemäß § 306 Abs. 1 StPO ist eine solche bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird (iudex a quo), einzulegen. Dem iudex a quo eröffnet § 306 Abs. 2 StPO die Möglichkeit der Abhilfe; im Falle der Nichtabhilfe hat die Vorlage an das zuständige Beschwerdegericht zu erfolgen. Da der Antragsteller die [Überprüfung der (polizeilichen) Maßnahme und] Herausgabe seines zur Strafverfolgung beschlagnahmten MP3-Player begehrt, strebt er der Sache nach eine „Korrektur“ der (ermittlungs-)richterlichen Bestätigung über eine repressiv-polizeiliche Maßnahme an. Über den insoweit begehrten Rechtsschutz entscheiden die ordentlichen Gerichte nach Maßgabe der StPO. Die Rechtssache war daher zur weiteren Sachbehandlung an das Amtsgericht Memmingen zu verweisen, dessen Entscheidung der Antragsteller letztlich angreift, §§ 98 Abs. 2 Sätze 1 bis 4 (analog) bzw. 304 Abs. 1, 306 StPO i.V.m. Art. 5 Abs. 2 Nr. 44 GerOrgG.