Titel:
Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis für Eilantrag gegen Abschiebungsandrohung
Normenketten:
EMRK Art. 3
AsylG § 29, § 34a Abs. 1 S. 4, § 38, § 74 Abs. 1, § 75 Abs. 1
Leitsatz:
Enthält der Bescheid des Bundesamts in keine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 S. 1 AsylG, sondern nur eine Abschiebungsandrohung nach § 34a Abs. 1 S. 4 AsylG, entfaltet eine Klage bereits kraft Gesetzes nach § 75 Abs. 1 AsylG iVm § 38 AsylG aufschiebende Wirkung, sodass einem Antrag auf vorläufigen Rechtschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dublin-Verfahren, Zielstaat Italien, Rechtschutzbedürfnis (verneint), Abschiebungsandrohung, Rechtschutzbedürfnis, Italien
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21423
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.
Gründe
1
Die Antragstellerinnen begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebungsandrohung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
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Die im Jahr 1988 geborene Antragstellerin zu 1 und die in den Jahren 2017 und 2020 geborenen Antragstellerinnen zu 2 und 3 sind nigerianische Staatsangehörige. Sie reisten am … Mai 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am *. Juni 2022 einen förmlichen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (fortan Bundesamt). Die Antragstellerin zu 1 ist schwanger, als Entbindungstermin ist der … Oktober 2022 berechnet. Dem Bundesamt gegenüber erklärten sie, dass sie über Italien nach Deutschland eingereist sei. Das Bundesamt stellte ein Wiederaufnahmeersuchen an Italien. Die italienischen Behörden erklärten mit Schreiben vom … Juli 2022, für das Asylverfahren der Antragstellerinnen zuständig zu sein und erklärte die Bereitschaft zu deren Überstellung.
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Mit Bescheid vom … Juli 2022 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2). Es drohte die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3) und setzte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von 15 Monaten ab dem Tag der Abschiebung nach § 11 Abs. 1 AufenthG fest (Nr. 4). Italien sei wegen der illegalen Einreise der für den gestellten Asylantrag zuständige Mitgliedsstaat. Systemische Mängel lägen in Italien nicht vor. Zugunsten der Antragstellerin zu 1 sei zu berücksichtigen, dass grundsätzlich sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Entbindung Mutterschutz greife, zu berücksichtigen. Während des bestehenden Mutterschutzes sei analog § 3 Abs. 1 und 2 MuSchG von einer Reiseunfähigkeit der Antragstellerin auszugehen. Die Androhung der Abschiebung nach Italien beruhe auf §§ 34a Abs. 1 Satz 4, 34 AsylG. Die freiwillige Ausreise habe innerhalb der gesetzt Frist, spätestens jedoch nach Wegfall des temporären Abschiebungshindernisses, in Abstimmung mit den zuständigen Stellen zu erfolgen. Im Übrigen wird auf den Bescheid Bezug genommen.
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Die Antragstellerinnen erhoben am 3. August 2022 (M 5 K 22.30449) und beantragten zugleich,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes vom … Juli 2022 anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin äußerte sich nicht, legte aber die Behördenakten vor.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Verfahren sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Der Antrag ist bereits unzulässig.
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1. Dem Antrag auf vorläufigen Rechtschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Die Antragstellerin kann mit einem solchen Antrag ihre derzeit bestehende Rechtsstellung nicht verbessern (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, vor §§ 40-53 Rn. 16 ff.). Denn die Klage vom 3. August 2022 entfaltet bereits kraft Gesetzes nach § 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 38 AsylG aufschiebende Wirkung, da der Bescheid des Bundesamts in seiner Nr. 3 keine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, sondern nur eine Abschiebungsandrohung nach § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG enthält.
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Es ergeben sich auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin von einer Vollziehbarkeit des Bescheids trotz erhobener Klage ausgehen würde. Die streitgegenständliche Abschiebungsandrohung wurde ausweislich der Bescheidsbegründung ausdrücklich auf § 34a Abs. 1 Satz 4 AsylG gestützt. Das Bundesamt hat zudem in Nr. 3 des Bescheids ausdrücklich klargestellt, dass im Falle einer Klageerhebung die Ausreisefrist erst 30 Tage nach unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens endet. Damit hat die Behörde deutlich gemacht, dass der Klage aufschiebende Wirkung zukommt. Somit müssen die Antragstellerinnen nicht befürchten, aufgrund des im Klageverfahren angefochtenen Bescheids vorzeitig abgeschoben zu werden (vgl. insgesamt hierzu auch: VG München, B.v. 7.6.2022 - M 30 S 22.50332 - S. 3 f., Rn. 9 ff.).
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Das wird auch mit Blick auf die erteilte Rechtsbehelfsbelehrungdeutlich. Diese lautet auf eine Klage, die innerhalb einer Frist von zwei Wochen zu erheben ist (§ 74 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG). Es ist gerade nicht eine Rechtsbehelfsbelehrungergangen, die über eine Klage- und Antragsfrist von einer Woche informiert (§ 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG). Auch damit bringt die Antragsgegnerin zum Ausdruck, dass der Klage aufschiebende Wirkung zukommt.
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2. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).