Titel:
Konkurrentenstreitigkeit - Regelbeurteilung und Erfordernis einer Anlassbeurteilung
Normenketten:
GG Art. 33 Abs. 2
VwGO § 123
BayRiStAG Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1
LlbG Art. 56 Abs. 4
Leitsätze:
1. Grundsätzlich ist eine periodische Beurteilung für (Beförderungen und) Auswahlentscheidungen bis zu dem in Verwaltungsvorschriften festzulegenden einheitlichen Verwendungsbeginn der nächsten regulären periodischen Beurteilung zu verwenden. Etwas anderes gilt dann, wenn sich seither erhebliche Veränderungen der tatsächlichen Grundlage der Beurteilungskriterien ergeben hätten. Der Umstand, dass dem Senat, in dem der Antragsteller tätig ist, ein neues Rechtsgebiet zugeteilt wurde, bedingt keinen hinreichenden Anlass für die Erstellung einer Anlassbeurteilung. Es ist nicht Aufgabe einer dienstlichen Beurteilung, auch nicht mit Blick auf eine Beförderungsentscheidung, jedwede zwischenzeitlich eingetretene Veränderung in dem einem Beamten zugewiesenen Tätigkeitsbereich kleinteilig nachzuzeichnen. (Rn. 32 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird eine Anlassbeurteilung erstellt, stellt sie einen aktuellen Leistungsvergleich des Beurteilten dar. Daraus folgt aber keine Pflicht zur Aktualisierung der Beurteilungen bei den anderen Bewerbern, für die zunächst keine Anlassbeurteilung erstellt worden ist. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Frage, welche Länge der gemeinsame Beurteilungszeitraum der Konkurrenten haben muss, um einen Qualifikationsvergleich nach dem Grundsatz der Bestenauslese ohne ins Gewicht fallende Benachteiligung eines Bewerbers zu ermöglichen, ist unter Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden. Ein Vergleichszeitraum von nahezu 18 Monaten ist bei einem vierjährigen Beurteilungsturnus als noch ausreichend anzusehen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Stellenbesetzung, Vorsitzender Richter, Landessozialgericht, Beurteilungen, Binnendifferenzierung, Beurteilungsspielraum
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 16.11.2022 – 3 CE 22.1887
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21400
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 27.410, 83 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsgegner schrieb am … Februar 2022 eine Stelle für eine Vorsitzende Richterin / einen Vorsitzenden Richter am Bayerischen Landessozialgericht aus, bewertet mit der Besoldungsgruppe R 3. Auf diese Stellen bewarben sich die Antragstellerin und die Beigeladene.
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Die 1963 geborene Antragstellerin ist - nach verschiedenen Tätigkeiten in der Verwaltung - seit … Juli 2007 Richterin auf Lebenszeit und war zunächst Richterin am Sozialgericht X. Seit … August 2020 ist sie Richterin am B. L., seit … Juni 2011 stellvertretende Vorsitzende eines Senats. Für den Zeitraum vom … Januar 2016 bis … Dezember 2019 erhielt sie eine periodische dienstliche Beurteilung im Amt R 2 mit einem Gesamtprädikat von 15 Punkten. Als Verwendungseignung ist genannt: „Vorsitzende eines Senats“, „leitende Aufgaben in der Gerichtsverwaltung“.
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Die mit einem Grad von 50 schwerbehinderte, im Jahr 1959 geborene Beigeladene war - ebenfalls nach verschiedenen Tätigkeiten in der Verwaltung, davon fünf Monate als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bundesarbeitsgericht (…3.1989 bis …8.1989) und Erziehungsurlaub bzw. sonstiger Beurlaubung (…11.1989 bis …4.1991) - seit … Mai 1991 Richterin auf Probe, seit …September 1992 Richterin auf Lebenszeit und war als Richterin am Sozialgericht Y. tätig. Nach einem Erziehungsurlaub (…10.1995 bis …8.1997) war sie bis … Mai 1999 mit der Hälfte der Arbeitszeit und bis … August 2000 mit 75% der Arbeitszeit teilzeitbeschäftigt. Am … März 2006 wurde sie zur Richterin am Landessozialgericht ernannt (R 2). Nachdem sie an das Sozialgericht Y. seit … Dezember 2011 zur Überbrückung eines Personalengpasses abgeordnet war, wurde ihr an diesem Gericht mit Wirkung vom … Februar 2012 das Amt einer weiteren aufsichtführenden Richterin am Sozialgericht Y. (R 2) übertragen. Seit … November 2019 wechselte sie wieder an das Landessozialgericht. In der Anlassbeurteilung vom … März 2022, die aufgrund der Bewerbung um die streitgegenständliche Stelle erstellt wurde und den Beurteilungszeitraum vom … Juli 2018 bis … März 2022 umfasst, erzielte sie ein Gesamtprädikat von 15 Punkten mit der Verwendungseignung „Vorsitzende Richterin am B. L.; Tätigkeiten in der Gerichtsleitung“. Zuvor erhielt die Richterin eine aktualisierte periodische Beurteilung vom … Juli 2018 für den Beurteilungszeitraum … Januar 2012 bis … Juli 2018 durch die Präsidentin des Sozialgerichts Y.; diese Beurteilung im Statusamt R 2 lautet im Gesamtprädikat auf 14 Punkte.
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Der Präsident des Landesozialgerichts schlug in einem Schreiben an das Bayerische Staatsministerium für … vom … März 2022 vor, die Beigeladene zur Vorsitzenden Richterin am B. L. zu ernennen.
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Das Bayerische Staatsministerium für … teilte dem Präsidialrat für die Sozialgerichtsbarkeit mit Schreiben vom … April 2022 mit, dass beabsichtigt sei, die ausgeschriebene Stelle mit der Beigeladenen zu besetzen. Nachdem die Antragstellerin wie die Beigeladene nach dem Gesamtergebnis der dienstlichen Beurteilungen als gleich zu bewerten seien, sei ein Vergleich anhand der auf den zu besetzenden Dienstposten bezogenen Anforderungen vorzunehmen. Das allgemeine Anforderungsprofil einer Vorsitzenden Richterin / eines Vorsitzenden Richters sei aus den Merkmalen „allgemeine Rechtskenntnisse“, „Führungsqualitäten“ und „Verhandlungsgeschick“ zu bilden. Ein spezielles Anforderungsprofil für die Stelle als Senatsvorsitzende/r am Landessozialgericht bestehe nicht. Weitere Anforderungen seien nicht erforderlich noch sonstige erwünschte Merkmale in der Stellenausschreibung genannt. Bei den „allgemeinen Rechtskenntnissen“ bestehe ein Vorsprung für die Beigeladene. Das gelte auch für die „Führungsqualitäten“, da die Beigeladene als weitere aufsichtführende Richterin am Sozialgericht ein umfassendes Führungspotential unter Beweis gestellt habe. Vor diesem Hintergrund könne dahinstehen, ob die Beigeladene nicht auch über eine weitergehende Verwendungseignung verfüge. Beim Einzelmerkmal „Verhandlungsgeschick“ bestehe für beide Bewerberinnen ein Gleichstand. Danach ergebe sich ein Leistungsvorsprung zugunsten der Beigeladenen.
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Der Präsidialrat für die Sozialgerichtsbarkeit teilte am … Mai 2022 mit, dass er die Beigeladene für persönlich und fachlich für das Amt einer Vorsitzenden Richterin am B. L. geeignet halte.
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Die Gleichstellungsbeauftragte erklärte ebenfalls am … Mai 2022 ihr Einverständnis mit der Auswahlentscheidung, die Hauptvertrauensperson der schwerbehinderten Richterinnen und Richter der Bayerischen Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit am … Mai 2022.
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Mit Schreiben vom … Mai 2022 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, die ausgeschriebene Stelle mit der Beigeladenen zu besetzen. Am … Mai 2022 erhob die Antragstellerin hiergegen Widerspruch, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden ist.
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Am … Mai 2022 hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt beantragt,
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Dem Antragsgegner wird aufgegeben, es zu unterlassen, die Stelle einer Vorsitzenden Richterin / eines Vorsitzenden Richters beim Bayerischen Landessozialgericht / BesGr R 3) gem. Stellenausschreibung vom … Februar 2022 (BayMBl. 2022 Nr. …) mit der Beizuladenden zu besetzen, bis über die Bewerbung der Antragstellerin rechtskräftig entschieden wurde.
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Es sei nicht nachvollziehbar, warum nicht auch für die Antragstellerin eine Anlassbeurteilung erstellt worden sei. Letztlich sei dadurch der Zeitraum ab … Januar 2020 nicht beurteilt. Gerade in den letzten zwei Jahren - die von der periodischen Beurteilung für die Antragstellerin nicht abgedeckt würden - seien durch besondere Anforderungen geprägt gewesen. Durch die von der Antragstellerin durchgeführten Schulungen seien die Grundlagen für ein effektives Arbeiten im Home Office für Richterinnen und Richter ermöglicht worden. Dem Senat, in dem die Antragstellerin tätig sei, seien in den letzten zwei Jahren auch Fälle eines anderen Senats zugewiesen worden. Das sei aber nicht in die Bestenauslese einbezogen worden, da für diesen Zeitraum keine Beurteilung für die Antragstellerin erstellt worden sei. Da die Beigeladene bis zum … November 2019 am Sozialgericht tätig gewesen sei, würde sich deren Tätigkeit am Landessozialgericht mit dem beurteilten Zeitraum der Tätigkeit der Antragstellerin am Landessozialgericht nur um sechs Wochen überlappen. Das stelle keine aussagekräftige Vergleichsgrundlage dar. Es sei auch fraglich, ob ein hinreichender Anlass für die Erstellung einer Anlassbeurteilung für die Beigeladene vorgelegen habe. Es hätten sich keine wesentlichen Änderungen der Aufgabenwahrnehmung ergeben. Denn es sei sowohl am Sozialgericht wie am Landessozialgericht durch diese eine spruchrichterliche Tätigkeit ausgeübt worden. Der Dienstherr dürfe das vorrangige System der Regelbeurteilungen als Grundlage einer Stellenbesetzungsentscheidung nicht durch Anlassbeurteilungen entwerten.
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Das Bayerische Staatsministerium für … hat die streitgegenständliche Auswahlentscheidung verteidigt, ohne ausdrücklich einen Antrag zu stellen. Für die Antragstellerin sei keine Anlassbeurteilung zu erstellen gewesen. Denn die für die Auswahlentscheidung herangezogene periodische dienstliche Beurteilung sei nach wie vor aktuell. Diese Beurteilung sei nicht älter als der periodische Beurteilungszeitraum, durch die Zuweisung von Fällen aus einem anderen Rechtsgebiet sei keine wesentliche Änderung des Aufgabenbereichs erfolgt. Für die Beigeladene sei dagegen zu Recht eine Anlassbeurteilung eingeholt worden. Die Beigeladene unterliege nicht mehr den Regelbeurteilungen, weshalb die letzte aktualisierte periodische Beurteilung für die Beigeladene fast vier Jahre zurückliege. Der Zeitraum, der einem Leistungsvergleich zugrunde gelegt werden könnte, würde ansonsten bei Heranziehung der aktualisierten diensten Beurteilung zwischen 2016 und dem Juli 2018 liegen und wäre aufgrund des Zeitablaufs nicht aussagekräftig. Zudem übe die Richterin seit … November 2019 als Richterin in der zweiten Instanz eine anders geartete Tätigkeit aus.
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Mit Beschluss vom 2. Juni 2022 wurde die ausgewählte Bewerberin zum Verfahren beigeladen. Sie hat beantragt,
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den Antrag zurückzuweisen.
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Der Auswahlentscheidung sei zu Recht die aktuelle periodische Beurteilung für die Antragstellerin zugrunde gelegt worden, denn für diese Richterin habe kein Grund zur Erstellung einer Anlassbeurteilung vorgelegen. Für die Beigeladene habe dagegen bereits aufgrund des im Jahr 2018 endenden Beurteilungszeitraums der letzten periodischen Beurteilung ein solcher Grund bestanden. Der vorgenommene Leistungsvergleich anhand einer inhaltlichen Auswertung der dienstlichen Beurteilungen sei rechtlich nicht zu beanstanden. Allerdings seien dabei die hohe Erledigungsquote unstrittiger Verfahren, die Teamorientierung und die erhebliche Ausbildungstätigkeit der Beigeladenen nicht ausreichend berücksichtigt worden.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
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1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, d.h. ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes in Form der Gefährdung eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Die Antragstellerpartei hat die hierzu notwendigen Tatsachen glaubhaft zu machen.
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2. Der Anordnungsgrund in Form der besonderen Dringlichkeit der begehrten einstweiligen Anordnung ist gegeben. Das Auswahlverfahren für die streitgegenständliche Stelle ist grundsätzlich abgeschlossen. Eine Ernennung der Beigeladenen steht unmittelbar bevor. Der Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin als übergangener Bewerberin lässt sich nur vor der Ernennung der ausgewählten Konkurrentin mittels einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO effektiv sichern, da sich der um eine Stellenauswahl geführte Rechtsstreit mit der endgültigen Besetzung der ausgeschriebenen Stelle erledigt (vgl. BVerfG, B.v. 29.6.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95, juris Rn. 11 f.). Nach herrschender Auffassung in der Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 4.11.2010 - 2 C 16/09 - BVerwGE 138, 102, juris Rn. 31 f.) ist mit der endgültigen anderweitigen Besetzung einer Stelle das Besetzungsverfahren grundsätzlich abgeschlossen mit der Folge, dass dem Begehren der Antragstellerin, die Auswahlentscheidung zu ihren Gunsten vorzunehmen, nicht mehr entsprochen werden könnte, weil der Dienstherr die Ernennung der Beigeladenen in der Regel nicht mehr rückgängig machen könnte.
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3. Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch betreffend die Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung zugunsten der Beigeladenen glaubhaft gemacht.
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Einen Rechtsanspruch auf Übertragung der streitgegenständlichen Stelle hat die Antragstellerin nicht. Ein solcher lässt sich nach herrschender Rechtsprechung nicht aus der Fürsorgepflicht ableiten, die sich auf das vom Beamten bekleidete Amt beschränkt und somit amtsbezogen ist. Die Antragstellerin hat aber einen Bewerbungsverfahrensanspruch, d.h. einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr den Dienstposten unter Berücksichtigung des in Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG), Art. 94 Abs. 2 Satz 2 der Verfassung für den Freistaat Bayern (BV), Art. 2 Abs. 1 des Bayerischen Richter- und Staatsanwaltsgesetzes (BayRiStAG), Art. 16 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Leistungslaufbahn und die Fachlaufbahnen der bayerischen Beamten und Beamtinnen (LlbG) normierten Leistungsgrundsatzes vergibt und seine Auswahlentscheidung nur auf Gesichtspunkte stützt, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber betreffen (vgl. BVerfG, B.v. 26.11.2010 - 2 BvR 2435/10 - NVwZ 2011, 746; B.v. 2.10.2007 - 2 BvR 2457/04 - NVwZ 2008, 194).
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Anhand dieser Vorgaben hat der Dienstherr unter mehreren Bewerbern den am besten Geeigneten ausfindig zu machen. Diese Vorgaben dienen zwar vornehmlich dem öffentlichen Interesse an einer bestmöglichen Besetzung von Beamten- und Richterstellen, berücksichtigen aber zugleich das berechtigte Interesse eines Beamten/Richters an einem angemessenen beruflichen Fortkommen. Ein Bewerber hat daher Anspruch auf rechtsfehlerfreie Anwendung (BVerwG, U. v. 25.8.1988 - 2 C 28/85 - juris; BayVGH, B.v. 25.5.2011 - 3 CE 11.605 - BayVBl 2011, 565; VG München, B.v. 24.10.2012 - M 5 E 12.2637 - juris). Aus der Verletzung dieses Anspruchs folgt zwar regelmäßig nicht ein Anspruch auf Beförderung oder auf Vergabe des begehrten Dienstpostens. Der unterlegene Bewerber / die unterlegene Bewerberin kann aber eine erneute Entscheidung über die Bewerbung beanspruchen, wenn seine / ihre Auswahl möglich erscheint (BVerfG, B. v. 26.11.2010 - 2 BvR 2435/10 - NVwZ 2011, 746).
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Feststellungen über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung von Bewerbern um eine Beförderungsstelle sind in erster Linie auf die aktuellen dienstlichen Beurteilungen zu stützen, denn sie bilden den gegenwärtigen bzw. zeitnah zurückliegenden Stand ab und können somit am besten als Grundlage für die Prognose dafür dienen, welcher der Konkurrenten die Anforderungen der zu besetzenden Stelle voraussichtlich am besten erfüllen wird (BVerwG, B.v. 27.9.2011 - 2 VR 3/11 - NVwZ-RR 2012, 71; vgl. zum Ganzen auch: BayVGH, B.v. 18.6.2012 - 3 CE 12.675 - juris; VG München, B.v. 26.10.2012 - M 5 E 12.3882 - juris; B.v. 24.10.2012 - M 5 E 12.2637 - juris). Hierbei ist darauf zu achten, dass die dem Vergleich der Konkurrenten zugrunde gelegten Beurteilungen untereinander vergleichbar sind.
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Maßgeblich ist in erster Linie das abschließende Gesamturteil, welches anhand einer Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte gebildet wurde (BVerfG, B.v. 16.12.2015 - 2 BvR 1958/13 - juris Rn. 58; B.v. 17.2.2017 - 2 BvR 1558/16 - juris Rn. 21; VG Bayreuth, B.v. 31.8.2019 - B 5 E 18.411 - juris Rn.29). Bei gleichem Gesamturteil hat der Dienstherr zunächst die Beurteilungen inhaltlich auszuwerten und Differenzierungen in der Bewertung einzelner Leistungskriterien oder in der verbalen Gesamtwürdigung zur Kenntnis zu nehmen, sog. Binnendifferenzierung oder inhaltliche Ausschöpfung (vgl. Art. 16 Abs. 2 Satz 1 LlbG).
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4. Die streitgegenständliche Auswahlentscheidung entspricht diesen Grundsätzen und ist rechtlich nicht zu beanstanden.
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a) Das Schreiben des Staatsministeriums vom … April 2022 an den Präsidialrat genügt den formellen rechtlichen Anforderungen an die Darstellung der wesentlichen Auswahlerwägungen. In dieser Hinsicht wird von Antragstellerseite auch nichts vorgetragen.
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b) Der Präsidialrat wurde ordnungsgemäß beteiligt (Art. 46 des Bayerischen Gesetzes Bayerischen Richter- und Staatsanwaltsgesetzes/BayRiStAG).
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c) Auch inhaltlich ist die Auswahlentscheidung rechtlich nicht zu beanstanden.
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Es ist rechtlich nichts dagegen zu erinnern, dass dem Leistungsvergleich zwischen der Antragstellerin und der Beigeladenen die periodische dienstliche Beurteilung für die Antragstellerin vom … Mai 2020 und für die Beigeladene die Anlassbeurteilung vom … März 2022 zugrunde gelegt wurde.
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Der Vergleich unter den Bewerbern im Rahmen einer dienstrechtlichen Auswahlentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 GG hat - vor allem - anhand dienstlicher Beurteilungen zu erfolgen (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, U.v. 9.5.2019 - 2 C 1.18 - BVerwGE 165, 305, juris Rn. 32 m.w.N.). Die Eignung von dienstlichen Beurteilungen als Grundlage für den Bewerbervergleich setzt voraus, dass diese zeitlich aktuell (BVerwG, B.v. 10.5.2016 - 2 VR 2.15 - BVerwGE 155, 152, juris Rn. 22) und inhaltlich aussagekräftig (BVerwG, U.v. 17.9.2015 - 2 C 27.14 - BVerwGE 153, 48, juris Rn. 14) sind. Hierfür ist erforderlich, dass sie die dienstliche Tätigkeit im maßgebenden Beurteilungszeitraum vollständig erfassen, auf zuverlässige Erkenntnisquellen gestützt sind, das Leistungsvermögen hinreichend differenziert darstellen sowie auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhen (BVerwG, B.v. 21.12.2016 - 2 VR 1.16 - BVerwGE 157, 168, juris Rn. 24; U.v. 27.11.2014 - 2 A 10.13 - BVerwGE 150, 359, juris Rn. 21). Darüber hinaus müssen die Beurteilungszeiträume ausreichend lang sein, um eine verlässliche Aussage zu Eignung, Leistung und Befähigung der Beurteilten zuzulassen (BayVGH, B.v. 2.9.2020 - 6 CE 20.1351 - juris Rn. 12).
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aa) Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass für die Antragstellerin keine (aktuelle) Anlassbeurteilung erstellt wurde. Nach Nr. 7.1 der Gemeinsamen Bekanntmachung der Bayerischen Staatsministerien der … zur Beurteilung der Richter und Richterinnen sowie der Staatsanwälte und Staatsanwältinnen vom … März 2015 (JMBl. S. 18) kann im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Gründe eine Beurteilung erstellt werden (Anlassbeurteilung). Wenn der Richter oder die Richterin nicht mehr der periodischen Beurteilung unterliegt, soll im Fall einer Bewerbung eine Anlassbeurteilung erstellt werden, wenn die letzte (reguläre oder aktualisierte) periodische Beurteilung oder Anlassbeurteilung länger als vier Jahre zurückliegt oder sich seitdem erhebliche Veränderung der tatsächlichen Grundlagen der Beurteilungskriterien ergeben haben, sodass die weitere Verwendung der letzten Beurteilung ausnahmsweise nicht mehr sachgerecht wäre.
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Die Voraussetzungen für die Erstellung einer Anlassbeurteilung für die Antragstellerin liegen nach diesen Vorgaben nicht vor. Die Richterin wird periodisch beurteilt (Nr. 1.1 der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration zur dienstlichen Beurteilung der Richter und Richterinnen in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit vom 20. November 2015, AllMBl 2015, 582). Entsprechend liegt auch eine aktuelle periodische Beurteilung für sie vom … Mai 2020 für den Beurteilungszeitraum … Januar 2016 bis … Dezember 2019 vor. Grundsätzlich ist eine periodische Beurteilung für (Beförderungen und) Auswahlentscheidungen bis zu dem in Verwaltungsvorschriften festzulegenden einheitlichen Verwendungsbeginn der nächsten regulären periodischen Beurteilung zu verwenden. Entsprechend Art. 56 Abs. 4 Satz 1 LlbG, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 RiStAG und Nrn. 5.1 und 5.10 der Gemeinsamen Bekanntmachung kann die periodische Beurteilung für die Antragstellerin grundsätzlich bis zum … Januar 2024 weiterverwendet werden (BayVGH, B.v. 5.11.2019 - 3 CE 19.1896 - RiA 2020, 34, juris Rn. 14).
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Es ist auch nicht der Fall gegeben, dass sich seither erhebliche Veränderungen der tatsächlichen Grundlage der Beurteilungskriterien ergeben hätten. Denn die Antragstellerin ist wie in der dienstlichen Beurteilung vom … Mai 2020 genannt Berichterstatterin eines Senats und stellvertretende Vorsitzende. Daran hat sich nichts geändert. Der Umstand, dass dem Senat ein neues Rechtsgebiet zugeteilt wurde, bedingt keinen hinreichenden Anlass für die Erstellung einer Anlassbeurteilung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 9.5.2019 - 2 C 1.18 - BVerwGE 165, 305, juris Rn. 37; U.v. 2.7.2020 - 2 A 6/19 - ZBR 2020, 346, juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 5.11.2019 - 3 CE 19.1896 - RiA 2020, 34, juris Rn. 14 ff.) besteht ein Anlass zur Aktualisierung einer periodischen Beurteilung nur dann, wenn ein Beamter (hier: die Richterin) nach dem Beurteilungsstichtag der letzten Regelbeurteilung während eines erheblichen Zeitraums wesentlich andere Aufgaben wahrgenommen hat. Es ist dagegen nicht Aufgabe einer dienstlichen Beurteilung, auch nicht mit Blick auf eine Beförderungsentscheidung, jedwede zwischenzeitlich eingetretene Veränderung in dem einem Beamten zugewiesenen Tätigkeitsbereich kleinteilig nachzuzeichnen (BVerwG, a.a.O., Rn. 45). Im Ergebnis fordert die Rechtsprechung, dass eine höherwertige Tätigkeit (die einem höheren Statusamt zuzuordnen ist) über einen Zeitraum von zwei Dritteln des Beurteilungszeitraums wahrgenommen sein muss (BVerwG, a.a.O., Rn. 48 ff.). Insbesondere stellen eine Aufgabenanreicherung und -erweiterung oder die Übernahme von Sonderaufgaben keine wesentlich andere Tätigkeit dar (BVerwG, a.a.O., Rn. 53). Entsprechend stellt die Bearbeitung von Fällen eines neuen Rechtsgebiets, das der Senat neu (und wohl zusätzlich) übernommen hat, im Rahmen der spruchrichterlichen Tätigkeit keine wesentlich andere Aufgabe dar. Das gilt auch für zusätzlich übernommenen Aufgaben während der Corona-Pandemie.
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bb) Für die Beigeladene wurde zu Recht nach Nr. 7.1 der Gemeinsamen Bekanntmachung eine Anlassbeurteilung erstellt. Denn durch die Übernahme von Aufgaben in der zweiten Instanz durch die Beigeladene seit … November 2019 ist es gerechtfertigt, eine erhebliche Veränderung der tatsächlichen Grundlagen der Beurteilungskriterien anzunehmen (BayVGH, B.v. 26.4.2021 - 3 CE 20.3137 - juris Rn. 14). Die Aufgaben einer Vorsitzenden Richterin in der ersten Instanz sowie die Aufgaben als weitere aufsichtführende Richterin (mit erheblichen Aufgaben der Gerichtsverwaltung) unterscheiden sich wesentlich von den Aufgaben einer Berichterstatterin und stellvertretenden Vorsitzenden in der zweiten Instanz. In der zweiten Instanz steht die spruchrichterliche Tätigkeit - eingebunden in einen Senat - mit einer entsprechend vertieften Auseinandersetzung mit der Sach- und Rechtslage im Vordergrund. Die Tätigkeit als Vorsitzende/r in der ersten Instanz ist von einer größeren Selbständigkeit und dem Anfall einer höheren Zahl von Fällen zur Erledigung geprägt. Hinzu kommen die Aufgaben als weitere aufsichtführende Richterin, die von Ausbildungs- und Verwaltungstätigkeiten geprägt sind und sich von der spruchrichterlichen Tätigkeit grundlegend unterscheiden. Es ist auch sachgerecht, als Anknüpfungspunkt das Ende des von der aktualisierten periodischen dienstlichen Beurteilung umfassten Zeitraums (…1.2012 bis …7.2018) heranzuziehen, um eine zeitlich nahtlose Beurteilungsgrundlage herzustellen. Auch das Argument des Antragsgegners, dass ohne Erstellung einer Anlassbeurteilung der Vergleichszeitraum am … Juli 2018 geendet hätte und damit relativ weit in der Vergangenheit liege, zeigt die Notwendigkeit der Erstellung der Anlassbeurteilung. Denn ohne Anlassbeurteilung für die Antragstellerin wäre kein hinreichend aktueller Leistungsvergleich möglich. Dadurch wird auch nicht das System der Regelbeurteilungen als Grundlage für eine Besetzungsentscheidung entwertet. Denn die für eine Erstellung einer Anlassbeurteilung als Ausnahmefall erforderlichen Gründe liegen bei der Beigeladenen vor.
35
Wird eine Anlassbeurteilung erstellt, stellt sie einen aktuellen Leistungsvergleich des Beurteilten dar. Daraus folgt aber keine Pflicht zur Aktualisierung der Beurteilungen bei den anderen Bewerbern, für die zunächst keine Anlassbeurteilung erstellt worden ist (BVerwG, U.v. 9.5.2019 - 2 C 1.18 - BVerwGE 165, 305, juris Rn. 47 f., 57; BayVGH, B.v. 5.11.2019 - 3 CE 19.1896 - RiA 2020, 34, juris Rn. 16).
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cc) Auch der Vergleichszeitraum anhand der herangezogenen Beurteilungen umfasst einen für einen Leistungsvergleich hinreichend aussagekräftigen Zeitraum von nahezu 18 Monaten. Dieser Zeitraum ist als noch ausreichend bei einem vierjährigen Beurteilungsturnus anzusehen (BayVGH, B.v. 26.4.2020 - 3 CE 20.3137 - juris Rn. 21, 23). Die Frage, welche Länge der gemeinsame Beurteilungszeitraum der Konkurrenten haben muss, um einen Qualifikationsvergleich nach dem Grundsatz der Bestenauslese ohne ins Gewicht fallende Benachteiligung eines Bewerbers zu ermöglichen, ist unter Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (vgl. ThürOVG, B.v. 28.11.2017 - 2 EO 524/17 - juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Anlassbeurteilung in der Regel einen deutlich kürzeren Zeitraum als die Regelbeurteilung abbildet (vgl. BVerwG, B.v. 2.7.2020 - 2 A 6.19 - juris Rn. 11 m.w.N.), da diese dazu dient, den aktuellen Leistungsstand und die Eignung aller Bewerber für das angestrebte Amt zur Vorbereitung der Auswahlentscheidung zu ermitteln. Wie lange der Beurteilungszeitraum einer Anlassbeurteilung im konkreten Fall sein muss, hängt grundsätzlich vom Anlass ab, aus dem beurteilt werden soll. Geht es - wie hier - um die Bewerbung um ein Beförderungsamt, so wird man in der Regel den Zeitraum seit der letzten Regelbeurteilung bzw. seit der letzten gemeinsamen Beurteilung der Bewerber zugrunde legen (vgl. OVG Hamburg, B.v. 28.5.2009 - 1 Bs 70/09 - juris Rn. 9; vgl. zum Ganzen auch: BayVGH, B.v. 2.9.2020 - 6 CE 20.1351 - juris Rn. 20).
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Vergleichsgrundlage sind die den Beurteilungen zugrundeliegenden Zeiträume und nicht diejenigen, in denen die Bewerberinnen eine vergleichbare Tätigkeit ausgeübt haben. Denn der Leistungsvergleich anhand dienstlicher Beurteilungen erfolgt zunächst - umfassend - hinsichtlich des in der dienstlichen Beurteilung zugrunde gelegten abstrakten Statusamtes (BVerwG, U.v. 17.8.2005 - 2 C 37/04 - juris Rn. 18 f.). Spezifische Anforderungen des konkreten Dienstpostens sind gegebenenfalls auf einer späteren Stufe der Auswahlentscheidung maßgeblich (OVG Bremen, B.v. 22.9.2016 - 2 B 123/16 - NVwZ-RR 2017, 294, juris Rn. 40 ff.). Der Argumentation, dass es sich nur um einen vergleichsfähigen „Überlappungszeitraum“ von sechs Wochen handle, der durch die dienstlichen Beurteilungen abgedeckt wird, ist daher nicht zu folgen.
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dd) Nachdem die Beurteilungen für die beiden Konkurrentinnen im Gesamtergebnis ein gleiches Leistungsniveau (15 Punkte) ergeben, waren die Beurteilungen inhaltlich anhand der textlichen Einzelaussagen einer vergleichenden Betrachtung („inhaltliche Ausschöpfung“, „inhaltliche Ausschärfung“ oder auch „Binnendifferenzierung“) zu unterziehen (BayVGH, B.v. 17.5.2013 - 3 CE 12.2469 - BayVBl 2014, 84, juris Rn. 32; BVerwG, U.v. 20.6.2013 - 2 VR 1.13 - BVerwGE 147, 20, juris Rn. 47, 56; OVG NW, B.v. 23.1.2015 - 6 B 1365/14 - juris Rn. 4, HessVGH, B.v. 16.4.2020 - 1 B 2734/18 - juris Rn. 61).
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Ergibt der Vergleich der Gesamturteile, dass mehrere Bewerber als im Wesentlichen gleich geeignet einzustufen sind, kann der Dienstherr auf einzelne Gesichtspunkte abstellen, wobei er deren besondere Bedeutung begründen muss. Die Entscheidung des Dienstherrn, welches Gewicht er den einzelnen Gesichtspunkten für das abschließende Gesamturteil und für die Auswahl zwischen im Wesentlichen gleich geeigneten Bewerbern beimisst, unterliegt nur einer eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung. Jedoch muss er die dienstlichen Beurteilungen heranziehen, um festzustellen, ob und inwieweit die einzelnen Bewerber mit gleichem Gesamturteil diese Anforderungen erfüllen (OVG Bremen, a.a.O., Rn. 46; BVerwG, U.v. 20.6.2013 - 2 VR 1.13 - BVerwGE 147, 20, juris Rn. 48; BayVGH, B.v. 17.5.2013 - 3 CE 12.2469 - BayVBl 2014, 84, juris Rn. 32 f.).
40
Gegen Methodik und Bewertung der „inhaltlichen Ausschöpfung“ der Beurteilungen der Bewerberinnen ist rechtlich nichts einzuwenden. Der dem Dienstherrn hierbei zustehende Bewertungsspielraum bei der Auswahl der Konkurrentinnen unter Anwendung des Leistungsprinzips (Art. 33 Abs. 2 GG) ist vorliegend in rechtlich relevanter Weise nicht verletzt. Das Gericht ist bei seiner Kontrolle darauf beschränkt, ob sich die Bewertung im Rahmen der Beurteilungsermächtigung gehalten und an deren Zweck ausgerichtet hat, sowie ob von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen wurde (vgl. hierzu allgemein Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 114 Rn. 78 ff.).
41
Ein spezielles Anforderungsprofil für die Stelle einer Vorsitzenden Richterin / Vorsitzenden Richters am B. L. besteht nicht. Es bedarf auch keines vom Dienstherrn festgelegten Anforderungsprofils, weil sich die Anforderungsmerkmale ohne weiteres aus dem angestrebten Statusamt selbst ergeben (BayVGH, B.v. 18.11.2020 - 3 CE 20.2092 - juris Rn. 14: Stelle eines Vorsitzenden Richters am Finanzgericht; B.v. 28.5.2015 - 3 CE 15.727 - juris Rn. 40: Stelle eines Senatsvorsitzenden am Bayerischen Landessozialgericht; B.v. 10.1.2022 - 3 CE 21.2716 - juris Rn. 11: Stelle eines Senatsvorsitzenden am Bayerischen Landessozialgericht; B.v. 25.5.2011 - 3 CE 11.605 - BayVBl 2011, 565, juris Rn. 36 ff.: Stelle des Vizepräsidenten eines Verwaltungsgerichts; B.v. 18.2.2005 - 15 CE 04.3030 - juris Rn. 14: Stelle eines Vorsitzenden Richters am Bundespatentgericht).
42
Der dem Dienstherrn im Rahmen seiner Organisationsgewalt zukommende Einschätzungsspielraum ist vorliegend nicht in rechtserheblicher Weise verletzt. Das der Auswahlentscheidung zugrunde gelegte Anforderungsprofil wird im Schreiben vom … April 2022 an den Präsidialrat - in dem die Gründe für die Auswahl dargestellt sind - auf Seite 4 aufgestellt (vgl. BayVGH, B.v. 25.5.2011 - 3 CE 11.605 - BayVBl 2011, 565, juris Rn. 36 f.). Die Anknüpfung an die Anforderungsmerkmale „Allgemeine Rechtskenntnisse“, „Führungsqualitäten“ und „Verhandlungsgeschick“ ist sachgerecht und entspricht den Anforderungen an den zu besetzenden Dienstposten einer/s Vorsitzenden Richterin/Richters am Landessozialgericht. Im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens ist es Sache des Dienstherrn, festzulegen, welchen Eignungsmerkmalen er bei einer konkreten Stelle ein größeres, für die Besetzungsentscheidung ausschlaggebendes Gewicht beimisst (BVerfG, B.v. 26.11.2010 - 2 BvR 2435/10 - NVwZ 2011, 746, juris Rn. 13; B.v. 5.9.2007 - 2 BvR 1855/07 - NVwZ-RR 2008, 433, juris Rn. 8). Mit Blick auf die Aufgaben eines Vorsitzenden Richters am B. L. ist es sachgerecht, hinsichtlich der Güte und Stetigkeit der Rechtsprechung des Spruchkörpers sowie der Verhandlungsaufgaben (vgl. hierzu auch BVerfG, B.v. 26.11.2010, a.a.O., juris Rn. 18) und der Koordination innerhalb des Senats auf die drei Anforderungsmerkmale „allgemeine Rechtskenntnisse“, „Führungsqualitäten“ und „Verhandlungsgeschick“ abzustellen. Auf diese drei Merkmale hat das Ministerium - soweit ersichtlich - auch bei der inhaltlichen Ausschöpfung von dienstlichen Beurteilungen bei der Besetzung der Stelle eines Vorsitzenden Richters am B. L. in früheren Verfahren abgestellt (so ausdrücklich: BayVGH, B.v. 28.5.2015 - 3 CE 15.727 - juris Rn. 40; VG München, B.v. 18.10.2021 - M 5 E 21.4569 - juris 32 ff.; BayVGH, B.v. 10.1.2022 - 3 CE 21.2716 - juris Rn. 13). Insbesondere ist damit nicht zu besorgen, dass diese Eignungsmerkmale in einer Besetzungsentscheidung „nachgeschoben“ worden sein könnten und damit eine effektive gerichtliche Kontrolle im Hinblick auf ein benachteiligungsfreies Auswahlverfahren nicht möglich wäre (BayVGH, B.v. 9.8.2019 - 3 CE 19.895 - juris Rn. 14).
43
ee) Auch die Bewertung des Ministeriums im Schreiben vom … April 2022, dass sich bei den Merkmalen „allgemeine Rechtskenntnisse“ (umschrieben in Nr. 3.2.8 der Gemeinsamen Bekanntmachung) sowie „Führungsqualitäten“ (umschrieben in Nrn. 3.1.7, 3.1.8, 3.2.7 und 3.5. der Gemeinsamen Bekanntmachung) ein Leistungsvorsprung zugunsten der Beigeladenen ergebe, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Vorsprung der Beigeladenen lässt sich ohne Rechtsverstoß gegen den Beurteilungsspielraum des Dienstherrn bei der Auswahlentscheidung aus einem Vergleich der verbalen Umschreibungen dieser Einzelmerkmale in den heranzuziehenden Beurteilungen ableiten. Das gilt entsprechend für die knappe Begründung, dass beim Einzelmerkmal „Verhandlungsgeschick“ (umschrieben in Nrn. 3.1.3, 3.1.5 und 3.2.3 der Gemeinsamen Bekanntmachung) ein Leistungsgleichstand der Konkurrentinnen zu konstatieren sei.
44
So ist für die Beigeladene zum Merkmal „allgemeine Rechtskenntnisse“ formuliert, dass sie „über hervorragende allgemein-juristische Kenntnisse und ein ausgezeichnetes Fachwissen [verfüge], das sie beständig vertiefe und erweitere“. Für die Antragstellerin werden „umfassende Kenntnisse des materiellen Rechts … und auch des Verfahrensrechts angegeben, die sie in den letzten Jahren auch durch Wahrnehmung von Fortbildungen weiter vertieft habe, ihr tiefgehendes Fach- und Erfahrungswissen sei auch aufgrund ihrer Vortätigkeiten breitgefächert“. Entsprechend ist zum Merkmal „Führungsqualitäten“ für die Beigeladene u.a. formuliert, dass sie als „stellvertretende Senatsvorsitzende qualitativ und quantitativ sehr deutlich über dem üblichen Maß liegende Arbeitsleistungen gezeigt habe, wobei sie durchgehend rund ein halbes Jahr die Aufgaben eines Senatsvorsitzenden habe übernehmen müssen. Die Richterin habe in ihrer Tätigkeit als weitere aufsichtführende Richterin sowie als stellvertretende Senatsvorsitzende ein umfassendes Führungspotential unter Beweis gestellt“. Es ist dabei rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Ministerium die im Statusamt R 2 erbrachten und bewerteten Leistungen als weitere aufsichtführende Richterin herangezogen hat. Für die Antragstellerin ist hierzu in der periodischen dienstlichen Beurteilung u.a. angegeben, dass sie die „Aufgaben als stellvertretende Vorsitzende tatkräftig, zuverlässig und verantwortungsvoll“ übernehme. In die Senatsarbeit bringe sie sich „engagiert und teamorientiert“ ein. „Entscheidungsstärke und organisatorische Kompetenz“ vervollständigten ihr „Führungspotential“. Die Gegenüberstellung der einzelnen Formulierungen zeigt, dass es rechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn das Ministerium aus den Bewertungen in den beiden Merkmalen bei der Beigeladenen eine (etwas) höhere Leistungsfähigkeit ableitet.
45
Ebenfalls ist rechtlich nichts dagegen zu erinnern, wenn das Staatsministerium im Rahmen der Auswahlentscheidung zu einem Leistungsgleichstand mit einem leichten, aber wohl nicht ausschlaggebenden Vorteil für die Beigeladene beim Einzelmerkmal „Verhandlungsgeschick“ gelangt. Auch das spiegelt sich in den verbalen Umschreibungen wider. Für die Beigeladene ist hierzu formuliert, dass ihr ein „überragendes Verhandlungsgeschick zugutekomme, das aus ihrem fachlichen Wissen sowie einem eindrucksvollen Überzeugungsvermögen“ schöpfe. „Durch stets stichhaltige Argumentationen“ gelinge ihr „eine Vielzahl unstreitiger Erledigungen“. „In den immer exzellent vorbereiteten mündlichen Verhandlungen“ unterstütze sie „den Vorsitzenden mit gezielten Sachbeiträgen und rechtlich hilfreichen Argumenten“. Für die Antragstellerin ist hierzu angegeben, dass sie Verhandlungen „souverän und mit großem Geschick“ führe. Zur Unterstützung des Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung berücksichtige sie auch „die rechtliche, soziale und wirtschaftliche Gesamtsituation der Beteiligten“ und „unterbreite Konzepte zur gütlichen Streitbeilegung“. Sie gehe „mit großem Einfühlungsvermögen“ auf die Beteiligten ein, ihr Sachvortrag sei „stets gut gegliedert und für alle Beteiligten klar verständlich“.
46
Soweit die Beigeladene die Auffassung vertritt, dass die hohe Erledigungsquote unstrittiger Verfahren, die Teamorientierung und die erhebliche Ausbildungstätigkeit der Beigeladenen im Auswahlvermerk zu Unrecht nicht berücksichtigt worden seien, ist das für die vorliegende Auswahlentscheidung nicht von rechtlich ausschlaggebender Bedeutung. Die hohe Erledigungszahl der Beigeladenen ist in die Bewertung des Einzelmerkmals „Verhandlungsgeschick“ eingeflossen, wobei diesem Einzelmerkmal aber keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Zur Teamorientierung und der Ausbildungstätigkeit der Beigeladenen ist bereits fraglich, ob diese Leistungselemente einen unmittelbaren Bezug zu den Einzelmerkmalen „allgemeine Rechtskenntnisse“ und „Führungsqualitäten“ haben. Im Übrigen ist das Staatsministerium in der Auswahlentscheidung ohne Rechtsfehler von einem Leistungsvorsprung der Beigeladenen bei diesen Einzelmerkmalen ausgegangen. Ob sich unter Berücksichtigung weiterer Leistungselemente ein noch deutlicherer Vorsprung ergeben könnte, ist für die vorliegende Entscheidung nicht ausschlaggebend.
47
5. Die Antragstellerin hat als unterlegene Beteiligte nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Da die Beigeladene erfolgreich einen Antrag gestellt und sich insoweit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 162 Rn. 41), ist es gerechtfertigt, auch deren außergerichtliche Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
48
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 Gerichtskostengesetz (GKG) - ein Viertel der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen (laut Mitteilung des Antragsgegners würden sich die Jahresbezüge der Antragstellerin im angestrebten Amt R 3 ohne vom Familienstand oder Unterhaltsverpflichtungen abhängige Bezügebestandteile (§ 52 Abs. 6 Satz 3 GKG) auf 109.643,33 EUR belaufen, hiervon ein Viertel; vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2019 - 3 CE 19.1896 - juris Rn. 32; B.v. 3.7.2019 - 3 CE 19.1118 - juris Rn. 26).