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VG München, Urteil v. 05.05.2022 – M 6 K 20.6567
Titel:

Rundfunkbeitrag für eine Wohnung, Vermutung für Innehaben einer Wohnung, Leben im Ausland

Normenketten:
RBStV § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 1
RBStV § 10 Abs. 3 S. 1
Schlagworte:
Rundfunkbeitrag für eine Wohnung, Vermutung für Innehaben einer Wohnung, Leben im Ausland
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21387

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Rundfunkbeiträgen im privaten Bereich für ihre Wohnung und macht eine Rückzahlung geltend.
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Die Klägerin wurde seit … Januar 2016 zur Zahlung von Rundfunkbeiträgen für die Wohnung unter der Anschrift „…Str. …, …“ herangezogen. Unter dieser Adresse ist die Klägerin ausweislich des dem Beklagten übermittelten Meldedatensatzes vom … Mai 2018 sowie der vom Gericht eingeholten Meldedaten vom … Januar 2022 und … Mai 2022 seit … Juli 2012 melderechtlich gemeldet.
3
Mit Bescheiden vom 1. Oktober 2019, 1. November 2019 und 1. Oktober 2020 setzte der Beklagte gegenüber der Klägerin Rundfunkbeiträge sowie jeweils einen Säumniszuschlag in Höhe von 8 Euro fest.
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Nach nur teilweise erfolgreichen Mahnungen betrieb der Beklagte die Zwangsvollstreckung.
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Am 20. November 2020 wurde dem Beklagten eine Zahlung in Höhe von 305,05 EUR vom Gerichtsvollzieher zugeleitet.
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Mit beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am 15. Dezember 2020 eingegangenen Schriftsatz erhob die Klägerin Klage und beantragte sinngemäß,
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erst ab Juli 2018 zur Beitragspflicht herangezogen zu werden sowie die mittels Gerichtsvollzug am … November 2020 vollstreckten Kosten in Höhe von 345,66 EUR rückerstattet zu bekommen.
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Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass sie wieder Eigentümerin noch Mieterin der Wohnung sei. Sie habe in der Schweiz bis Mai 2018 in einem festen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Ein früherer Zeitraum mag mit einer beabsichtigten Beschäftigungsaufnahme in Zusammenhang gebracht werden, welche sie allerdings nicht annahm. TV-Gebühren bezahlen sie in der Schweiz.
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Der Beklagte beantragte,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verwies der Beklagte mit Schriftsatz vom 15. Januar 2021 insbesondere auf die melderechtliche Situation der Klägerin. Die Rundfunkbeitragspflicht knüpfe nicht an das Bereithalten von TV- oder Radioempfangsgeräten an. Sie knüpfe auch nicht daran an, wer rechtlich Eigentümer der Wohnung ist. Sie knüpfe lediglich an das Innehaben der Wohnung an. Dies wäre nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV) bei der Klägerin vermutet, da diese dort gemeldet ist.
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Mit Schreiben vom … Dezember 2020 wiederholte die Klägerin im Wesentlichen ihr Vorbringen und verwies auf ihr Arbeitszeugnis in der Schweiz. Aus diesem gehe hervor, dass sie bis Mai 2018 in der Schweiz gearbeitet habe und gar nicht in N* … gewesen sei könne. Die Abmeldung sei vergessen worden.
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Mit Schreiben vom 20. Januar 2021 forderte das Gericht die Klägerin auf, eine berichtigte Meldebescheinigung vorzulegen.
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Mit Schreiben vom … Februar 2021 teilte die Klägerin mit, dass sie den Sachverhalt beim Einwohnermeldeamt N* … gestellt habe.
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Mit Schreiben vom 8. März 2021 forderte das Gericht die Klägerin erneut auf, eine berichtigte Meldebescheinigung vorzulegen.
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Mit Schreiben vom … Februar 2021 sowie … März 2021 teilte Herr A* … … unter Vorlage von Gehaltsbezügen und Verweis auf das Arbeitszeugnis mit, dass es sich bei der Wohnung in N* … um einen Leerstand gehandelt habe. Die Klägerin habe sich in der Schweiz aufgehalten und gearbeitet. Lediglich sporadische Aufenthalte ohne TV-Empfang hätten in N* … stattgefunden.
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Mit Hinweis des Gerichts vom 19. März 2021 forderte das Gericht nochmals eine berichtigte Meldebescheinigung an und wies darauf hin, dass es nicht darauf ankäme, in welchem Umfang die Raumeinheit tatsächlich bewohnt werde. Ebenso sei unerheblich, ob ein TV-Gerät vorgehalten werde oder in der Schweiz ebenfalls für den Rundfunk bezahlt werde.
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Mit Schreiben vom … April 2021 kündigte die Klägerin erneut die Abmeldung in N* … an.
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Mit Beschluss vom 16. Dezember 2021 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
20
Die auf den 21. Januar 2022 terminierte mündliche Verhandlung wurde mangels Zustellnachweis der Ladung der Klägerin abgesetzt.
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Mit Schreiben vom 20. Januar 2022 teilte A* … … erneut mit, dass die Klägerin nicht Eigentümerin der Wohnung in N* … sei. Laufende Rundfunkbeiträge bezahle B* … …
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Mit Schreiben des Gerichts vom 26. Januar 2021 wies dieses daraufhin, dass die Klägerin ausweislich der eingeholten Meldedaten nach wie vor seit 2012 in N* … gemeldet sei. Der rundfunkbeitragsrechtliche Wohnungsbegriff stelle nicht auf die tatsächliche Wohnnutzung oder die Eigentumslage ab.
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Mit Schreiben vom … Februar 2022 wies die Klägerin erneut darauf hin, dass sie nicht Eigentümerin der Wohnung in N* … sei.
24
Mit Schreiben vom … Februar 2022 und … März 2022 wies A* … … nochmals darauf hin, dass die Klägerin in der Schweiz fest angestellt war. Die Beiträge von vor Juni 2018 seien zu stornieren und zurück zu bezahlen.
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Zur der mündlichen Verhandlung am 29. April 2022 erschien weder die Klägerin, noch war der Beklagte vertreten.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung sowie die Gerichts- und Verwaltungsakten in diesem Verfahren ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Entscheidungsgründe

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Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 29. April 2022 entschieden werden, obwohl die Beteiligten nicht erschienen sind. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beteiligten wurden form- und fristgerecht geladen.
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Das Gericht legt die Klage entsprechend dem klägerischen Begehren gem. § 88 VwGO als allgemeine Leistungsklage, gerichtet auf die Rückerstattung der am … November 2020 vollstreckten Beiträge aus den Festsetzungsbescheiden vom 1. Oktober 2019 (Zeitraum 1/2016 bis 11/2018) bzw. 1. November 2019 (Zeitraum 12/2018 bis 8/2019) samt Zwangsvollstreckungkosten in Höhe von insgesamt 345,66 EUR aus. Zwar ist davon auszugehen, dass laufende Zahlungen jeweils mit der ältesten Beitragsschuld verrechnet werden (s. § 9 Abs. 2 RBStV i.V.m. § 13 der Satzung des Bayerischen Rundfunks über das Verfahren zur Leistung der Rundfunkbeiträge - Rundfunkbeitragssatzung) und der vollstreckte Betrag nur noch einen Teil des auf diesen Zeitraum entfallenden Beitrags ausmacht, doch wurde - wohl auch aus Verärgerung über das Geschäftsgebaren des Beklagten - als Rückerstattungsbetrag ausdrücklich der der betriebenen Zwangsvollstreckung genannt.
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Die so verstandene Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Klägerin steht kein Erstattungsanspruch gem. § 10 Abs. 3 Satz 1 RBStV zu. Danach kann derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist die Erstattung eines Rundfunkbeitrags, der ohne rechtlichen Grund entrichtet wurde, fordern.
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1. Die Voraussetzungen für den Erstattungsanspruch liegen nicht vor, da zum einen dieser Betrag bereits nicht ohne Rechtsgrund entrichtet wurde.
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Die Festsetzungsbescheide des Beklagten vom 1. Oktober 2019 und 1. November 2019 stellen einen endgültigen Rechtsgrund für die erfolgte Zahlung dar. Denn die dem Vollstreckungsersuchen zugrundeliegenden Bescheide sind nicht nur damals sofort vollziehbar gewesen, sondern sind mangels Anfechtung auch bestandskräftig geworden. Die Klägerin hat es versäumt gegen diese vorzugehen und materielle Einwendungen gegen die Beitragsschuld vorzubringen.
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2. Zum anderen dringen auch diese materiellen Einwendungen nicht durch.
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Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RBStV wird als Inhaber einer Wohnung vermutet, wer dort gemeldet ist. Entgegen der mehrfach vorgebrachten Ansicht der Klägerin ist dabei unerheblich, dass die Klägerin nicht Eigentümerin ist. Sie ist diejenige, die dort gemeldet ist. Dies (alleine) löst die Vermutung des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RBStV aus.
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Eine Berichtigung dieser Meldelage wurde trotz mehrfacher Aufforderung des Gerichts und vielfacher Ankündigung nicht vorgelegt. Zum Zeitpunkt dieser Entscheidung waren die Meldedaten unverändert.
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Diese melderechtliche Vermutung kann hier nicht allein dadurch widerlegt werden, dass ein Leben im Ausland vorgetragen wird. Solange die Wohnung nicht ausdrücklich aufgegeben wurde, besteht für den Inhaber jederzeit die Möglichkeit, in die Wohnung zurückzukehren und sie zu nutzen (vgl. VG Aachen, U.v. 19.9.2016 - 8 K 1897/14 - BeckRS 2016, 52772). Für die Wohnnutzung, an die die Rundfunkbeitragspflicht anknüpft, kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der das Gericht folgt, nicht darauf an, wieviel Zeit der Inhaber in der Wohnung verbringt. Da es nach der Konzeption der Rundfunkbeitragspflicht im privaten Bereich unerheblich ist, ob Rundfunkempfangsgeräte bereitgehalten werden, im Ausland ebenfalls Gebühren oder Beiträge entrichtet werden oder ob der Beitragspflichtige das Rundfunkangebot tatsächlich nutzen will, ist es konsequent, dass auch ein Verzicht auf die tatsächliche Nutzung der Wohnung während des Aufenthalts im Ausland nicht zur Beitragsfreiheit führt. Eine Wohnung wird daher bereits immer dann bewohnt im Sinne des Rundfunkbeitragsrechts, wenn der Inhaber die Wohnung jederzeit zum tatsächlichen Wohnen nutzen kann, weil er die hierfür erforderliche Verfügungsgewalt innehat (vgl. zu alledem BVerwG, U.v. 9.12.2019 - 6 C 20.18 - NVwZ-RR 2020, 510 ff, 511).
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Die Klägerin hat weder vorgetragen noch nachgewiesen, dass sie ihre Wohnung als solche aufgegeben hat. Sie war also auch vor Juni 2018 in der Lage, die Wohnung jederzeit zu betreten und zu Wohnzwecken zu nutzen; die melderechtliche Vermutung ist vor diesem Hintergrund nicht widerlegt. Dies gilt schon deshalb, weil nach dem Vortrag der Klägerin nicht eindeutig ist, dass die Wohnung während der gesamten Zeit nicht genutzt worden ist. Auch wenn diese in der Schweiz gearbeitet hat und dort eine Wohnung besitzt, schließt dies nicht aus, eine Wohnung in N* … zeitweise zu nutzen.
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Es ist gerade Sinn und Zweck der einfachen gesetzlichen Anknüpfung an die Inhaberschaft einer Wohnung, dass umfangreiche Ermittlungen im privaten Bereich vermieden werden (vgl. die Gesetzesbegründung zum Rundfunkbeitragsstaatsvertrag in den Drucksachen des Bayrischen Landtags, 16/7001, S. 14 zu § 3 RBStV). So liegt eine Wohnung im beitragsrechtlichen Sinn auch dann vor, wenn zwar die Möglichkeit einer Nutzung besteht, dort aber tatsächlich weder geschlafen noch gewohnt wird. Auch leerstehende Wohnungen sind grundsätzlich zumindest zum provisorischen Schlafen geeignet und unterfallen damit dem Wohnungsbegriff. Ausgenommen vom Wohnungsbegriff sind nur solche Raumeinheiten, die objektiv weder zum Wohnen noch zum Schlafen geeignet sind und auch nicht dazu genutzt werden können. Nicht zum Wohnen geeignet sind z.B. Rohbauten ohne Türen und Fenster, aber auch Bauten, die aufgrund ihres schlechten baulichen Zustands nachweislich als unbewohnbar einzustufen sind. Dies ist hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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3. Auch eine doppelte Inanspruchnahme oder Überzahlung konnte die Klägerin nicht geltend machen, da der Rückstand aus der festgesetzten Beitragsschuld ab Januar 2016 resultiert und aktuelle Zahlungen jeweils mit der ältesten Beitragsschuld verrechnet werden (s. § 9 Abs. 2 RBStV i.V.m. § 13 der Satzung des Bayerischen Rundfunks über das Verfahren zur Leistung der Rundfunkbeiträge - Rundfunkbeitragssatzung).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.