Titel:
Gewerbsmäßiger Diebstahl in mittelbarer Täterschaft
Normenkette:
StGB § 25 Abs. 1 Var. 2, § 242 Abs. 1, § 243 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3,
Leitsätze:
1. Es liegt mittelbare Täterschaft vor, wenn ein Diebstahl durch minderjährige, noch nicht schuldfähige Kinder begangen wird. (Rn. 8 – 9 und 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es stellt einen Strafschärfungsgrund dar, wenn die Tat mit Hilfe minderjähriger Kinder begangen wird, die so an die Begehung von Diebstahlstaten herangeführt werden. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
mittelbare Täterschaft, minderjährige Kinder, Schuldunfähigkeit, Gewerbsmäßigkeit, Diebstahl, unbedingte Freiheitsstrafe
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21271
Tenor
I. Die Angeklagte S. Silvia ist schuldig des Diebstahls mittelbarer Täterschaft.
II. Sie wird deshalb zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt.
III. Die Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen.
Angewandte Vorschriften: §§ 242 Abs. 1, 243 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 3, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB
Entscheidungsgründe
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Die 41-jährige Angeklagte ist rumänische Staatsangehörige und in München wohnhaft. Als kleines Kind kam sie nach Deutschland und ist hier aufgewachsen. In Rumänien hat die Angeklagte keine Schule besucht, in Deutschland nach eigenen Angaben nur 1 oder 2 Jahre. Die Angeklagte kann weder lesen noch schreiben, sie hat keinen Schulabschluss oder eine Berufsausbildung.
2
Die Angeklagte lebt in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft und hat insgesamt 8 Kinder im Alter zwischen 4 und 21 Jahren, das älteste Kind wohnt nicht mehr im elterlichen Haushalt, ein anderes Kind ist wegen einer Behinderung fremdbetreut.
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Die Wohnkosten werden vom Jobcenter übernommen, darüber hinaus bezieht die gesamte Familie bzw. Bedarfsgemeinschaft Sozialleistungen in Höhe von insgesamt 2.400,- Euro monatlich. Die Angeklagte hat kein eigenes Konto, die Sozialleistungen fließen auf ein Konto ihres Lebensgefährten.
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Kontakt zum Stadtjugendamt M. besteht nach Angaben der Angeklagte nicht, dementsprechend erfolgen auch keine Hilfeleistungen im Rahmen der Kindererziehung.
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Die Angeklagte hat nach eigenen Angaben keine Schulden. Vor etwa einem Jahr wurde ihr die Schilddrüse operativ entfernt, seitdem nimmt die Angeklagte Tabletten ein.
6
Alkohol oder Betäubungsmittelkonsum verneint die Angeklagte.
7
Die Angeklagte ist wie folgt vorbestraft:
8
Am ... 09.2021 gegen 17:12 Uhr entwendete die Angeklagte auf Grundlage vorherig entsprechender Absprache und im gemeinschaftlichen Zusammenwirken mit drei ihrer schuldunfähigen Kindern in den Geschäftsräumen der Firma Aldi, ...-straße in München, einen Staubsauger, Nahrungsmittel, Haushaltsartikel und Kosmetikartikel im Wert von circa 150,00 EUR, um die Ware ohne zu bezahlen für sich zu behalten.
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Dabei ging sie dergestalt vor, dass sie sich mit den drei schuldunfähigen Kindern in die Filiale begab und dort zunächst mit diesen Pfandflaschen zurückgab. Anschließend legten alle vier gemeinsam die Waren in den Einkaufswagen. Sodann begaben sie sich in Richtung des Kassenbereichs. Zwei der schuldunfähigen Kinder schoben anschließend, wie von der Angeklagten zuvor angewiesen und beabsichtigt, den Einkaufswagen am Kassenbereich vorbei, ohne die Ware zu bezahlen. Der Angeklagten war dabei bewusst, dass die Kinder aufgrund ihres Alters noch nicht schuldfähig im Sinne des Strafrechts waren und aufgrund dieser Handlung nicht strafrechtlich verfolgt werden würden. Die Angeklagte stellte sich zeitgleich mit dem dritten schuldunfähigen Kind an einer der Kassen an, um die Pfandbons einzulösen. Die beiden schuldunfähigen Kinder luden derweil, wie von der Angeklagten zuvor angewiesen und beabsichtigt, mit dem Jugendlichen Alberto S. auf dem Parkplatz die Waren in den Pkw BMW, amtliches Kennzeichen …. Mitarbeiter der Aldi-Filiale sprachen die Angeklagte schließlich auf das Verhalten ihrer Kinder an. Daraufhin eilte die Angeklagte nach draußen auf den Parkplatz. Nach einem kurzen Gespräch mit den Mitarbeitern begab sie sich mit diesen wieder in die Filiale. Währenddessen parkte eine nicht zweifelsfrei feststellbare Person den Pkw rückwärts aus der Parklücke aus. Die Angeklagte begab sich daraufhin wieder zurück nach draußen zu dem Pkw und stieg auf der Fahrerseite ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Vorfall bereits die Aufmerksamkeit anderer Kunden erregt, welche verbal auf die Angeklagte einwirkten. Die Angeklagte und die Begleiter verließen daraufhin den Pkw und flüchteten.
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Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen beruhen auf den eigenen Angaben der Angeklagten, sowie aus der Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom … 2021.
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Die Feststellungen zu II. beruhen auf dem glaubhaften und umfassenden Geständnis der Angeklagten, den in Augenschein genommenen Lichtbildern aus der Videoüberwachung, den in Augenschein genommenen Lichtbildern des Pkw, amtliches Kennzeichen: …, sowie auf den glaubhaften Angaben der Zeugen POM H. und S2..
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Die Angeklagte hat die Tat vollumfänglich eingeräumt. Bereits im Ermittlungsverfahren hatte die Angeklagte über ihren Rechtsanwalt u.a. den Autoschlüssel zum auf dem Parkplatz zurückgebliebenen Fahrzeug der Polizei übergeben. Als Grund für die Tat gab sie die schwierigen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse an. Die Tat sei nicht von langer Hand geplant gewesen, der Tatentschluss sei eher spontan entstanden. Die Angeklagte bereue die Tat und gab an, dass so etwas nicht wieder vorkommen werde.
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Das Geständnis der Angeklagten wird gestützt durch die in Augenschein genommenen Lichtbilder der Videoüberwachung. Darauf ist zu erkennen, wie die Angeklagte mit drei Kindern zunächst Pfandflaschen zurückgibt, anschließend alle vier Waren in einen Einkaufswagen laden, sodann die Kinder den beladenen Einkaufswagen am Kassenbereich vorbei auf den Parkplatz schieben, während die Angeklagte sich an der Kasse zur Rückgabe ihrer Pfandbons anstellte.
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Der Zeuge POM H. schilderte die Auffindesituation des Fahrzeugs auf dem Parkplatz, der Zeuge S. bekundete, dass er von einer weiteren Mitarbeiterin auf den Parkplatz hinzugerufen wurde und dort in dem Auto wenigstens drei Kinder gesehen habe, wovon zwei Kinder unter 10 Jahre alt gewesen sein.
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Die Angeklagte hat sich daher schuldig gemacht des Diebstahls in mittelbarer Täterschaft gemäß den §§ 242 I, 243 I Satz 1, Satz 2 Nr. 3, 25 I Variante 2 StGB.
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Das Gericht geht auch von einer gewerbsmäßigen Begehung aus, insbesondere handelte die Angeklagte in der Absicht, sich durch die Tat eigene Aufwendungen für ihre Lebenshaltung zu ersparen.
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Entnommen ist die Strafe dem Strafrahmen des § 243 StGB, der Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 10 Jahren vorsieht. Besondere Umstände, die ausnahmsweise die Regelwirkung entfallen ließen, liegen nicht vor. Eine Verschiebung des Strafrahmens ist zudem nicht veranlasst.
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Zu Gunsten der Angeklagten spricht, dass sie die Tat vollumfänglich eingeräumt und sich bereits im Ermittlungsverfahren unter anderem durch die Herausgabe des Fahrzeugschlüssels und die Angabe ihrer Personalien kooperativ gezeigt hat. Strafmildernd ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei den entwendeten Waren um Lebensmittel oder Gegenstände des alltäglichen Bedarfs gehandelt hat. Nachdem es sich nur teilweise um verderbliche Ware handelte, ist auch nicht von einem erheblichen bleibenden Schaden auszugehen. Zu Gunsten der Angeklagten spricht auch, dass sie sich in einer angespannten wirtschaftlichen Situation befunden hat.
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Strafschärfend fallen jedoch die erheblichen und zahlreichen Vorstrafen der Angeklagten ins Gewicht. So wurde die Angeklagte bereits mehrfach wegen Diebstahlsdelikten zu Jugend- oder Freiheitsstrafen verurteilt, die auch vollstreckt wurden. Die letzte Strafvollstreckung endete am … 2018. Auch die Verhängung von hohen Geldstrafen hat die Angeklagte nicht von der Begehung weiterer Diebstahlstaten abgehalten. Zudem ist die Rückfallgeschwindigkeit, insbesondere im Hinblick auf die einschlägige Verurteilung durch das Amtsgericht Mainz am 09.06.2021 erheblich.
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Ganz erheblich gegen die Angeklagte spricht, dass sie die Tat mit Hilfe von auch schuldunfähigen Kindern begangen und diese damit an die Begehung von Diebstahlstaten herangeführt hat. Auch geht das Gericht von einem geplanten Vorgehen aus, nachdem sich die Angeklagte mit den zuvor erhaltenen Pfandbons an die Kasse anstellte, während ihre schuldunfähigen Kinder entsprechend ihres Tatplans die Waren am Kassenbereich vorbeischoben.
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Unter Abwägung der für und gegen die Angeklagte sprechende Umstände hält das Gericht eine Freiheitsstrafe von 8 Monaten für tat- und schuldangemessen.
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Die Freiheitsstrafe konnte nicht zur Bewährung ausgesetzt werden, da das Gericht nicht die Erwartung hat, dass sich die Angeklagte die Verurteilung alleine zur Warnung dienen lässt und künftig straffrei lebt. Eine günstige Sozialprognose kann der Angeklagten nicht bescheinigt werden. Zwar lebt sie in gesicherten sozialen Verhältnissen. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass sich die wirtschaftliche Situation der Angeklagten auf absehbare Zeit ändern wird. Die Angeklagte ist Analphabetin, hat dementsprechend keine Schul- oder Berufsausbildung, so dass ungeachtet der Betreuung ihrer Kinder ein geregeltes Erwerbseinkommen nicht zu erwarten ist. Durch die Tat ist auch offensichtlich geworden, dass die Angeklagte ihrer Erziehungsverantwortung jedenfalls gegenüber den beteiligten schuldunfähigen Kindern nicht nachgekommen ist, Unterstützung durch das Stadtjugendamt M. besteht auf der anderen Seite nicht. Die Angeklagte ist erheblich vorbestraft und hat sich bislang durch die Vollstreckung von Haftstrafen oder die Verhängung von Geldstrafen nicht von der Begehung weiterer Diebstahlstaten abbringen lassen.
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Auch in Anbetracht der Betreuung minderjährige Kinder stellt eine unbedingte Freiheitsstrafe keine unbillige Härte für die Angeklagte dar. So gab sie an, dass die Kinder während ihrer letzten Haftstrafe aus Bundeszentralregister Nr. … von ihrem Lebensgefährten bzw. ihrer Familie betreut wurden. Diese Erfahrung hat die Angeklagte auch nicht davon abgehalten, weiterhin Straftaten zu begehen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 465 I StPO.