Titel:
Keine Haftung von Audi für den entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motor (hier: Audi A6 Limousine S-line 3.0 TDI)
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2
RL 2007/46/EG Art. 3 Nr. 36
VwVfG § 24 Abs. 1 S. 1, 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2021, 41003; OLG Karlsruhe BeckRS 2021, 43408; OLG München BeckRS 2022, 18875; BeckRS 2022, 28198; LG Bamberg BeckRS 2022, 29502; LG Kempten BeckRS 2022, 28679; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2022, 30355; OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Der (unterstellt: unzulässige) Einsatz eines „Thermofensters“ ist nur dann als sittenwidrig einzustufen, wenn er von „weiteren Umständen“ flankiert wird, die das Handeln der bei Audi Verantwortlichen als besonders verwerflich erscheinen lassen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Prüfzykluserkennung (hier: Fahrkurvenerkennung) ist nicht per se unzulässig, sondern kann beispielsweise erforderlich sein, damit bestimmte Sicherheitssysteme des Fahrzeugs auf dem Prüfstand automatisch abgeschaltet werden. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Abweichung von Testergebnissen aus dem Prüfstand zu solchen aus dem Straßenbetrieb ist, selbst wenn die Unterschiede der gemessenen Werte deutlich ausgefallen sein sollten, ohne hinreichende Aussagekraft für die allein maßgebliche Frage, ob das Emissionskontrollsystem des streitgegenständlichen Motortyps mittels einer „Umschaltlogik“ auf den jeweiligen Betriebsmodus (Prüfstand oder Straße) mit unterschiedlichen Verfahrensabläufen bei der Abgasemission reagiert. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 2.6.2022 ändern nichts an der Bewertung, dass es sich bei den einschlägigen Bestimmungen des EG-Typgenehmigungsrechts nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handelt, mit denen ein Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts einzelner Fahrzeugerwerber bezweckt wird. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0-Liter-Motor, Audi, Schadensersatz, sittenwidrig, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, Aufheizstrategie, Schlussanträge des Generalanwaltes
Vorinstanz:
LG Regensburg, Endurteil vom 09.04.2019 – 62 O 2192/18
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21211
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 09.04.2019, Az. 62 O 2192/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert Dokument unterschrieben und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht geboten.
Entscheidungsgründe
1
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage der Haftung der Beklagten als Herstellerin eines Dieselmotors auf Schadensersatz wegen der behaupteten Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung.
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Die Klagepartei erwarb im Juli 2015 von dritter Seite einen gebrauchten Pkw Audi A6 Limousine S-line 3.0 TDI, 150 kW, Erstzulassung 14. August 2014, zu einem Preis von 39.000,00 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und produzierten 6-Zylinder-Dieselmotor des Typs EA 896 Gen2 (Monoturbo) mit den Motorkennbuchstaben CLAA ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung mit der Schadstoffklasse Euro 5+ erteilt. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) betroffen.
3
Das Landgericht hat die Klage - im Wesentlichen gerichtet auf Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs - mit dem angefochtenen Endurteil abgewiesen.
4
Mit der Berufung verfolgt die Klagepartei ihr Begehren weiter. Sie hält an ihrem Vorwurf fest, dass im Motor des erworbenen Fahrzeugs unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut seien, durch die gezielt bewirkt werde, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Abgasgrenzwerte zwar auf dem Prüfstand, nicht dagegen im normalen Straßenverkehr eingehalten werden. In diesem Zusammenhang wird im Wesentlichen vorgebracht, dass im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine mit der Funktionalität beim Motortyp EA 189 vergleichbare Verknüpfung der Abgasrückführung mit einer sog. „Fahrkurvenerkennung“ (sog. „Umschaltlogik“) implementiert sei.
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Die Beklagte tritt der Berufung entgegen und verteidigt die ergangene Entscheidung.
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Der Senat hat die Einwände der Klagepartei gegen die Entscheidung des Landgerichts geprüft und gewürdigt. Das Berufungsvorbringen reicht jedoch nicht aus, um dem Rechtsmittel zum Erfolg zu verhelfen. Das Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere, für die Klagepartei günstigere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klagepartei dringt mit den von ihr geltend gemachten Ansprüchen im Ergebnis nicht durch.
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I. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte kein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB unter dem Gesichtspunkt einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zu.
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1. Die grundsätzlichen Voraussetzungen einer Haftung aus §§ 826, 31 BGB ergeben sich aus einer gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
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a) Sittenwidrig ist demnach - in stehender Formulierung - ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20, Rn. 11 bei juris; Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, Rn. 14 bei juris; Beschluss vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, Rn. 15 bei juris).
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b) Für den - nicht streitgegenständlichen - Motortyp EA 189 hat der Bundesgerichtshof ein objektiv sittenwidriges Verhalten mit der Begründung bejaht, dass die Beklagte auf der Basis einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch Fahrzeuge in Verkehr gebracht habe, in denen eine unzulässige Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung verbaut gewesen sei. Die Motorsteuerungssoftware sei bewusst und gewollt so programmiert gewesen, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden, indem als Reaktion auf einen erkannten Prüfstandlauf eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert worden sei (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, Rn. 16 f. bei juris). Das an sich erlaubte Ziel einer Erhöhung des Gewinns werde auch im Verhältnis zum Käufer eines der Fahrzeuge dann verwerflich, wenn es auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typgenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde - konkret: des KBA (§ 2 Abs. 1 EG-FGV) - erreicht werden solle und mit einer Gesinnung verbunden sei, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt, gleichgültig zeige (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, Rn. 23 bei juris).
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2. Vor diesem Hintergrund kann, bezogen auf den hier interessierenden Motor in seiner konkreten Ausführung (siehe die einleitend unter A. festgehaltenen Daten), ein der Beklagten zuzurechnendes sittenwidriges Geschehen nicht festgestellt werden.
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Die tragenden Gesichtspunkte gegen eine Haftung aus §§ 826, 31 BGB sind auf unterschiedlichen Ebenen verortet, die es auseinanderzuhalten gilt:
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Was den Einsatz eines „Thermofensters“ (nachfolgend unter a) angeht, dessen Verwendung die Beklagte vorträgt, unterstellt der Senat zugunsten der Klagepartei, dass eine solche Funktion als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - C-693/18, Celex-Nr. 62018CJ0693). Allein die europarechtliche Unzulässigkeit des Geschehens begründet indes noch keine (für eine Haftung der Beklagten erforderliche) Sittenwidrigkeit des Handelns der Verantwortlichen. Die Annahme einer Sittenwidrigkeit ist unter den gegebenen Umständen nicht gerechtfertigt.
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Anders verhält es sich, wo der Verbau einer „Umschaltlogik“ in den Raum gestellt wird. Die Implementierung einer „Fahrkurvenerkennung“ (nachfolgend unter b) führt zwar für sich genommen noch nicht zu einer Haftung der Beklagten. Auf der Grundlage der schon in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Motortyp EA 189 würde es jedoch für eine Einstufung des Vorgehens als sittenwidrig ausreichen, wenn die genannte Funktion auf das (unterstellt: mögliche und stattfindende) Erkennen eines Prüfstandbetriebs zusätzlich unter Täuschung des KBA mit einer Steuerung des Emissionskontrollsystems (im Rahmen der Abgasrückführung) in einer Weise reagiert, die dazu führt, dass nur auf dem Prüfstand maßgeblich „bessere“ Emissionswerte erzielt werden. Dass dies der Fall ist, hat die Klagepartei allerdings nicht ausreichend dargelegt, sondern lediglich „ins Blaue hinein“ behauptet.
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Schließlich verfängt auch die sonstige Argumentation der Klagepartei in Richtung einer unzulässigen Programmierung der Motorsteuerungssoftware nicht (nachfolgend unter c).
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a) Der (unstreitige) Umstand, dass im streitgegenständlichen Motortyp eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems („Thermofenster“) verbaut ist, vermag eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB nicht zu begründen.
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aa) Das Vorgehen der Beklagten wäre nur dann als sittenwidrig einzustufen, wenn der (unterstellt: unzulässige) Einsatz des „Thermofensters“ von „weiteren Umständen“ flankiert wäre, die das Handeln der Verantwortlichen als besonders verwerflich erscheinen lassen.
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Die schon thematisierte, eine besondere Verwerflichkeit des Vorgehens und deshalb eine Haftung aus §§ 826, 31 BGB bejahende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Motortyp EA 189 erfasst nicht auch die Konstellation des „Thermofensters“. Der entscheidende strukturelle Unterschied besteht darin, dass die hier in Rede stehende Funktion die Steuerung der Abgasrückführung gerade nicht an das Erkennen eines Prüfstandbetriebs koppelt („Umschaltlogik“), sondern an Parameter, die die Steuerung unter den gegebenen Umständen auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise beeinflussen.
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Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, Rn. 16 bei juris; Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, Rn. 27 bei juris; Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20, Rn. 13 bei juris; Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, Rn. 16 bei juris; Beschluss vom 25. November 2021 - III ZR 202/20, Rn. 14 bei juris).
21
Zur Begründung verweist der Bundesgerichtshof darauf, dass die Entscheidung zum Einsatz der hier interessierenden Funktion nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen sei, in der die Beklagte (bezogen auf den Motortyp EA 189) die grundlegende strategische Frage getroffen habe, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse von einer Einhaltung der neu eingeführten Abgasgrenzwerte im realen Fahrbetrieb komplett abzusehen und dem KBA stattdessen zur Erlangung der Typgenehmigung mithilfe einer eigens hierfür entwickelten Steuerungssoftware wahrheitswidrig das Einhalten der Grenzwerte vorzuspiegeln. Die Software (des Motortyps EA 189) sei bewusst und gewollt so programmiert gewesen, dass die Grenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden („Umschaltlogik“), und habe damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abgezielt (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, Rn. 17 bei juris; Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, Rn. 16 bei juris). Bei der Implementierung eines „Thermofensters“ fehle es demgegenüber an einem vergleichbaren arglistigen Vorgehen des Automobilherstellers, welches die Einstufung seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. Die in Rede stehende temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung unterscheide nämlich gerade nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befinde. Sie weise keine Funktion auf, die bei Erkennen eines Prüfstandbetriebs eine verstärkte Abgasrückführung aktiviere und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziere, sondern arbeite in beiden Situationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc.) entspreche die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, Rn. 18 bei juris).
22
Der Bundesgerichtshof bejaht selbst dann keine Haftung, wenn die Steuerung so konzipiert ist, dass die Temperaturwerte, oberhalb bzw. unterhalb derer die Abgasrückführung reduziert wird, einen Bereich umgrenzen, der annähernd die Temperaturen abdeckt, die auf dem Prüfstand herrschen (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 286/20, Rn. 24 bei juris; Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, Rn. 25 bei juris, konkret ein vergleichsweise enges Temperaturfenster von 15 bis 33 Grad Celsius betreffend). Ein solcher Befund ändert nichts daran, dass die Abgasrückführung im Straßenbetrieb unter gleichen Bedingungen genauso funktioniert wie auf dem Prüfstand. In der Konsequenz lässt sich allein aus dem Vorwurf, der Einsatz eines „Thermofensters“ habe zur Folge, dass das betroffene Fahrzeug die gesetzlichen Vorgaben bezüglich der Emission im Realbetrieb nur in Ausnahmesituationen erfülle, kein tragfähiges Argument für das Vorliegen einer sittenwidrigen Schädigung gewinnen.
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Für eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB bedarf es vielmehr „weiterer Umstände“, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist schon der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, Rn. 28 bei juris; Urteil vom 23. September 2021 - III ZR 200/20, Rn. 22 bei juris). Die notwendigen „weiteren Umstände“ könnten sich zum Beispiel aus (gegebenenfalls) unzutreffenden Angaben der Beklagten im Typengenehmigungsverfahren über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20, Rn. 22 bei juris).
24
bb) Die Klagepartei, die insoweit darlegungsbelastet ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, Rn. 35 bei juris; Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, Rn. 19 bei juris), zeigt im Streitfall - unabhängig davon, dass sie sich in ihrer Argumentation nicht einmal ausdrücklich auf ein „Thermofenster“ beruft - keine „weiteren Umstände“ im Sinne der zitierten Rechtsprechung auf, aus denen eine besondere Verwerflichkeit abgeleitet werden könnte.
25
Unabhängig hiervon konnte eine Täuschung des KBA schon deshalb nicht gelingen, weil der Behörde der Einsatz von „Thermofenstern“ in Dieselfahrzeugen spätestens seit dem Jahr 2008 bekannt war (vgl. die von der Beklagten in Bezug genommene, in dem Verfahren vor dem OLG Stuttgart, 16a U 194/19, eingeholte amtliche Auskunft des KBA vom 11. September 2020). Detaillierte Beschreibungen der Standard-Emissionsstrategien und etwaiger zusätzlicher Emissionsstrategien sind erst seit dem 16. Mai 2016 vorgeschrieben, dem Tag des Inkrafttretens der Verordnung (EU) 2016/646 vom 20. April 2016, mit der die Verordnung (EG) Nr. 692/2008 geändert und insbesondere Art. 5 dieser Verordnung um die Absätze 11 und 12 erweitert worden ist. Das vorliegend betroffene Fahrzeug ist jedoch vor diesem Termin erstmals zugelassen worden. Und selbst wenn die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren bestimmte - nach den einschlägigen Vorschriften damals nicht erforderliche - Angaben zu den Einzelheiten der temperaturabhängigen Steuerung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz (§ 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG) gehalten gewesen, diesbezüglich von sich aus nachzufragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung zu prüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2021 - VIl ZR 126/21, Rn. 26 bei juris). Unter diesen Umständen kann mit Blick auf die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von einer Sittenwidrigkeit des Handelns der Verantwortlichen der Beklagten keine Rede sein.
26
Schlussendlich ist auch zu berücksichtigen, dass die Rechtslage bezüglich der Zulässigkeit einer von der Außentemperatur abhängigen Steuerung der Abgasrückführung jedenfalls zum Zeitpunkt des Typgenehmigungsverfahrens zu wenig geklärt war, als dass sich die (aus der Perspektive der Gegenwart unterstellte) Unzulässigkeit einer solchen Funktion förmlich aufgedrängt hätte. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt aber für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Vorgehens der Beklagten nicht (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, Rn. 31 f. bei juris).
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b) Auch in Anknüpfung an den - unterstellten - Umstand, dass in die Steuerungssoftware des streitgegenständlichen Motortyps eine „Fahrkurvenerkennung“ („Zykluserkennung“) integriert ist, lässt sich kein haftungsbegründendes sittenwidriges Verhalten der Beklagten feststellen.
28
aa) Die Implementierung einer Funktion, die erkennt, ob gerade ein gesetzlich vorgeschriebener Prüfzyklus - etwa der Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ) - durchfahren wird, ist nicht per se unzulässig (so auch OLG Stuttgart, Urteil vom 19. Januar 2021 - 16a U 196/19, Rn. 52 bei juris; OLG Saarbrücken, Urteil vom 5. Januar 2022 - 2 U 86/21, Rn. 23 bei juris; OLG Schleswig, Urteil vom 13. Juli 2021 - 7 U 188/20, Rn. 42 bei juris; OLG Dresden, Urteil vom 1. Juli 2021 - 11a U 1085/20, Rn. 34 bei juris; OLG Stuttgart vom 19. Januar 2021 - 16a U 196/19, Rn. 52, juris). So kann es beispielsweise notwendig sein (und deshalb eine Funktion zur „Zykluserkennung“ erfordern), dass bestimmte Sicherheitssysteme des Fahrzeugs auf dem Prüfstand automatisch abgeschaltet werden (vgl. OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 7. Oktober 2020 - 4 U 171/18, Rn. 49, 55 bei juris). Lediglich die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die konkret die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist im Grundsatz europarechtlich unzulässig (Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung [EG] Nr. 715/2007).
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bb) Die Ausführungen der Klagepartei, auf die sie die Behauptung stützt, dass die „Fahrkurvenerkennung“ genutzt werde, um in das System der Abgasrückführung (AGR) manipulativ einzugreifen, sind prozessual unbeachtlich, weil sie „ins Blaue hinein“ erfolgen.
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Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist gemäß der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten. Weiter ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt im hier interessierenden Kontext insbesondere dann, wenn sich ein Kläger nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil er mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann. Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, Rn. 7 f. bei juris). Von einem Kläger kann nicht verlangt werden, dass er im Einzelnen darlegt, weshalb er von dem Vorhandensein einer oder mehrerer Abschalteinrichtungen ausgeht und wie diese konkret funktionieren. Vielmehr ist von ihm nur - aber dies dann auch unbedingt - zu fordern, dass er „greifbare Umstände“ anführt, auf die er den Verdacht gründet, sein Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, Rn. 10 bei juris).
31
Gemessen an diesen Anforderungen ist der Vorwurf der Klagepartei, die im streitgegenständlichen Motortyp eingesetzte Software sei (in einer mit dem Befund beim Motortyp EA 189 vergleichbaren Weise) so ausgestaltet, dass die Wirkungen des Emissionskontrollsystems abseits des Prüfstandbetriebs verringert werden, nicht ausreichend unterlegt. Die verschiedenen Argumente, welche die Klagepartei präsentiert, um ihre Behauptung zu plausibilisieren, sind letztlich nicht geeignet - weder einzeln noch in der Gesamtschau -, die erforderlichen „greifbaren Anhaltspunkte“ für die Richtigkeit des Vorwurfs zu liefern:
32
(1) Einen Rückruf von Fahrzeugen mit einem Motor in der streitgegenständlichen Ausführung hat das KBA nicht angeordnet, insbesondere keinen, der auf den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung gestützt wäre.
33
Nach dem unwiderlegten Vorbringen der Beklagten hat das KBA seit Oktober 2015 den streitgegenständlichen Motortyp in mehreren Untersuchungen geprüft und keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt. Es liegen mehrere amtliche Auskünfte des KBA aus Parallelverfahren vor, in denen das KBA erklärt, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen gefunden worden seien (vgl. die gegenüber dem OLG Köln erteilte amtliche Auskunft des KBA vom 14. Dezember 2020 zum Motor mit den hier ebenfalls maßgeblichen Motorkennbuchstaben CLAA sowie die gegenüber dem LG Ingolstadt am 15. Dezember 2020, Az. 53 O 611/19, gegenüber dem LG Magdeburg am 17. Dezember 2020, Az. 10 O 113/20 und gegenüber dem OLG Stuttgart am 11. September 2020, 16a U 194/19, erteilten Auskünfte des KBA).
34
Soweit die Klagepartei sich auf einen Bescheid des KBA vom 15. Oktober 2015 beruft, mit dem Rückrufe verschiedener Dieselfahrzeuge angeordnet worden seien, legt sie bereits die Betroffenheit des klägerischen Fahrzeuges nicht dar. Die ursprüngliche Behauptung, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug ein von einem entsprechenden Rückruf betroffener Motor EA 189 verbaut sei (vgl. Protokoll der Sitzung vor dem LG Regensburg vom 12. März 2019) hält die Klagepartei in der Berufung nicht mehr aufrecht. Senatsbekannt wurde die Bezeichnung EA 189 von den Motorenherstellern (Audi AG / VW AG) nicht für 3,0 Liter-Sechszylinder-Motoren verwendet.
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(2) Aus dem Umstand, dass der Motortyp EA 189 mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen war, kann nicht im Sinne eines Generalverdachts abgeleitet werden, dass auch im hiesigen Motortyp eine unzulässige Abschalteinrichtung enthalten ist, vgl. ebenso OLG Koblenz, Urteil vom 18. Juni 2019, Az. 3 U 416/19, Rn.33 bei juris.
36
(3) Auch das Ansprechen eines „freiwilligen Software-Updates“, das für das streitgegenständliche Fahrzeug nach dem Schreiben der Beklagten vom 4. Dezember 2018 zur Verfügung stehen soll und zu dessen Hintergründen nicht vorgetragen wird, stützt den Vorwurf der Klagepartei nicht. Die angesprochenen Servicemaßnahmen lassen nicht den Schluss zu, dass sie der nachträglichen Ausschaltung einer „Umschaltlogik“ dienen sollten (ebenso OLG Hamm, Urteil vom 1. Juni 2021 - 34 U 81/20, Rn. 101 bei juris). Es ist senatsbekannt, dass die Automobilhersteller im Rahmen des sog. Nationalen Forums Diesel im August 2017 mit der Bundesregierung vereinbart haben, unabhängig von Verstößen gegen Bestimmungen zur Abgasreduzierung solche Maßnahmen durchzuführen. Deswegen kann aus dem Angebot eines Updates nicht auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung geschlossen werden (ebenso OLG Schleswig, Urteil vom 21. Januar 2022 - 1 U 37/21, Rn. 53 bei beckonline).
37
(4) Die Abweichung von Testergebnissen aus dem Prüfstand zu solchen aus dem Straßenbetrieb ist, selbst wenn die Unterschiede der gemessenen Werte deutlich ausgefallen sein sollten, ohne hinreichende Aussagekraft für die allein maßgebliche Frage, ob das Emissionskontrollsystem des streitgegenständlichen Motortyps mittels einer „Umschaltlogik“ auf den jeweiligen Betriebsmodus (Prüfstand oder Straße) mit unterschiedlichen Verfahrensabläufen bei der Abgasemission reagiert (so auch OLG Frankfurt, Urteil vom 7. Oktober 2020 - 4 U 171/18, Rn. 44 bei juris; OLG Bamberg, Urteil vom 26. November 2020 - 1 U 368/19, Rn. 41 bei juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 19. Januar 2021 - 16a U 196/19, Rn. 60 ff. bei juris; OLG Hamm, Urteil vom 22. Juni 2021 - 13 U 194/20, Rn. 75 bei juris). Es ist gerichtsbekannt, dass - als Folge der gesetzlich vorgegebenen Prüfbedingungen - die Emissionswerte im normalen Fahrbetrieb regelmäßig höher sind als auf dem Prüfstand. In diesem Sinne hat auch der Bundesgerichtshof klargestellt, dass es nur darauf ankommen kann, ob die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand „unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand etc.)“ entspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, Rn. 18 bei juris). Da der europäische Gesetzgeber für die Schadstoffnormen Euro 5 und Euro 6 im Jahr 2013 eine Messung allein im Prüfstandbetrieb festgelegt hatte (und erst seit dem Jahr 2017 für Neufahrzeuge auch Messungen im Realbetrieb in den WLTP-Standard einschließt), ist es im hier interessierenden Zusammenhang nicht von Bedeutung, wenn ein betroffenes Fahrzeug im Realbetrieb die der Zulassung zugrunde liegenden NEFZ-Werte nicht einhält (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 7. Oktober 2020 - 4 U 171/18, Rn. 44 bei juris). Dem Senat ist kein bestimmter Faktor bekannt, ab dem sich eine GrenzwertÜberschreitung im Realbetrieb nicht mehr allein durch unterschiedliche Begleitumstände erklären lässt (so auch OLG Stuttgart, Urteil vom 19. Januar 2021 - 16a U 196/19, Rn. 63 bei juris).
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(5) Soweit sich die Klagepartei auf das Urteil des OLG Naumburg vom 18. September 2020 (Az. 8 U 39/20) beruft, ist dem entgegenzuhalten, dass diesem ein Motor EA 896 Gen 2 mit der Schadstoffklasse Euro 6 zugrunde lag, für den andere Grenzwerte einzuhalten waren. Neben der Abgasrückführung verfügen Fahrzeug der Schadstoffklasse Euro 6 im Unterschied zu solchen der Klasse Euro 5 in der Regel über eine Abgasnachbehandlung mittels Katalysator. Die der Entscheidung zugrundeliegenden Abschalteinrichtungen betreffen den SCR-Katalysator, der im streitgegenständlichen Fahrzeug nicht verbaut ist.
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c) Auch das sonstige Vorbringen der Klagepartei enthält keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten.
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Bei dem erstmals in der Berufungsreplik erfolgten Vortrag, dass bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine Motoraufwärmfunktion installiert sei, handelt sich um eine prozessual unbeachtliche Behauptung „aufs Geratewohl“. Die vom KBA als unzulässige Abschalteinrichtung eingestufte sog. „Aufheizstrategie“, auf die sich die klägerseits zitierte Entscheidung des OLG Naumburg, a.a.O. stützt, findet im klägerischen Fahrzeug mangels SCR-Katalysator keine Anwendung. Ohnehin wäre die Klagepartei mit diesem neuen (streitigen) Vorbringen nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Die Klagepartei hat keinerlei Rechtfertigungsgründe im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO für die Verspätung des Vortrags angeführt. Eine Rechtfertigung nach § 531 Abs. 2 ZPO ist vorliegend auch nicht entbehrlich, da es sich nicht um unstreitigen Vortrag handelt.
41
II. Deliktische Ansprüche - die in der vorliegenden Konstellation einzig in Betracht kommen - ergeben sich auch nicht unter sonstigen Gesichtspunkten.
42
1. Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB nicht schlüssig dargetan. An die obigen Ausführungen anknüpfend ist festzuhalten, dass keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine bewusste, der Beklagten zurechnende Täuschung und für eine auf eine rechtswidrige Bereicherung abzielenden Absicht vorliegen. Im Übrigen würde der in Rede stehende Anspruch, da es hier um einen Gebrauchtwagenkauf geht, auch am Fehlen der erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden scheitern (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, Rn. 17 bei juris; Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, Rn. 40 bei juris).
2. Die Beklagte haftet insbesondere nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder den Normen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Die Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 2. Juni 2022 in der beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Rechtssache C-100/21 ändern nichts an der Bewertung, dass es sich bei den einschlägigen Bestimmungen des EG-Typgenehmigungsrechts nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handelt, mit denen ein Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts einzelner Fahrzeugerwerber bezweckt wird. Aus Sicht des Senats bedarf es keines Zuwartens auf die ausstehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.
43
a) Schon aus formalen Gründen erscheint zweifelhaft, ob die Schlussanträge des Generalanwalts für sich genommen einen hinreichenden Anlass bieten, eine neue Beurteilung vorzunehmen (oder von einem Festhalten an der bisherigen Beurteilung vorübergehend abzusehen).
44
aa) Der Bundesgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Rechtslage im hier interessierenden Punkt eindeutig ist („acte clair“).
45
In seinem Grundsatzurteil vom 25. Mai 2020 hatte der 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs ausgeführt, dass es letztlich nicht darauf ankomme, ob den Vorschriften der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV (und den zugrunde liegenden Vorgaben des EG-Typgenehmigungsrechts) grundsätzlich ein Schutzgesetzcharakter abzusprechen sei, denn jedenfalls liege ein Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der vom „Dieselskandal“ betroffenen Käufer nicht im Aufgabenbereich der Normen; wegen der Eindeutigkeit der Rechtslage stelle sich diesbezüglich keine entscheidungserhebliche, der einheitlichen Auslegung bedürfende Frage des Unionsrechts, die (anderenfalls) ein Vorabentscheidungsersuchen im Sinne des Art. 267 Abs. 3 AEUV erforderlich mache (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, Rn. 72 ff., 77 bei juris). Andere Senate haben sich der Beurteilung des 6. Zivilsenats in der Folge angeschlossen (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 14. Februar 2022 - VIa ZR 204/21, juris; Beschluss vom 24. November 2021 - VII ZR 217/21, Rn. 1 ff bei juris).
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bb) Die Eindeutigkeit (in der vorgenannten Reichweite) würde nicht zwingend schon dadurch in Frage gestellt, dass der Generalanwalt - wenn dies in der Sache der Fall wäre - mit seinen Schlussanträgen auf eine maßgebliche Änderung dieser Rechtsprechung abzielt.
47
Der Europäische Gerichtshof selbst hat sich - soweit ersichtlich - in der hier thematisierten Rechtssache noch nicht positioniert. Aus dem Umstand, dass bestimmte Schlussanträge vorliegen, kann nicht einfach abgeleitet werden, dass die ausstehende gerichtliche Entscheidung diesen Anträgen folgen wird. Verfahrens-, zeit- und sachübergreifende statistische Überlegungen sind in diesem Zusammenhang fehl am Platze; unabhängig von der Frage, ob und inwieweit solche Überlegungen überhaupt auf belastbaren Daten beruhen, kann eine wenig greifbare Wahrscheinlichkeitsthese, dass der Europäische Gerichtshof eine bestimmte Aussage treffen könnte, nicht ausreichen, um der „acte clair“-Rechtsprechung in Vorwegnahme einer mutmaßlichen zukünftigen Entscheidung den Boden zu entziehen.
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b) Jedenfalls aber ist - in der Sache selbst - den Schlussanträgen des Generalanwalts gerade nicht zu entnehmen, dass aus seiner Sicht das Unionsrecht den inländischen Gerichten zwingend vorgeben könnte, den vom „Dieselskandal“ betroffenen Klägern für die Durchsetzung der von ihnen erhobenen Ansprüche (auch) den Weg über § 823 Abs. 2 BGB zu eröffnen.
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aa) Selbst wenn den Bestimmungen des EG-Typgenehmigungsrechts (auch) eine gewisse drittschützende Wirkung (zugunsten der Fahrzeugerwerber) innewohnt, fehlt es an einer tragfähigen Argumentation in die Richtung, dass ihnen - weitergehend - ein umfassender Schutzgesetzcharakter nach inländischem Recht positiv zugeschrieben werden müsste.
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(1) Um der Argumentation willen soll im Folgenden unterstellt werden, dass die vom Generalanwalt in seinem abschließenden Antwortvorschlag in Bezug genommenen europarechtlichen Regelungen dahin auszulegen sind, dass sie zum einen (siehe Nr. 1 des Vorschlags) „die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung … ausgestattet ist“ und zum anderen (siehe Nr. 2 des Vorschlags) „die Mitgliedstaaten [verpflichten], vorzusehen, dass ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung … ausgestattet ist“.
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(2) Diese Auslegungen stehen indes einem gleichzeitigen Festhalten an der zitierten inländischen Rechtsprechung, die einen Schutzgesetzcharakter nicht bejaht (sondern die Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit von § 823 Abs. 2 BGB offen lässt), nicht entgegen:
52
(i) Eine Rechtsnorm ist (nur) dann ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie dasjenige der Allgemeinheit im Auge haben. Nicht ausreichend ist aber, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm nur als ihr Reflex objektiv erreicht wird; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Außerdem muss die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen, wobei in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, zu prüfen ist, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen (st. Rspr.; vgl. statt vieler: BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, Rn. 73 bei juris m.w.N.).
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(ii) Die Bestimmungen des EG-Typgenehmigungsrechts erfüllen diese engeren Voraussetzungen nicht, denn der Antwortvorschlag des Generalanwalts enthält - zu Recht - nicht (auch nicht in der Zusammenschau mit den seinem Vorschlag vorangestellten Erwägungen) die klare Aussage, dass der Individualschutz nicht bloß ein abgeleitetes Ergebnis, sondern gerade (auch) der konkrete Zweck der von ihm thematisierten Normen ist.
54
Die Ausführungen des Generalanwalts stellen nicht in Frage, dass den in der RL 2007/46/EG getroffenen Regelungen als solchen von vornherein keine unmittelbare Geltung in den Mitgliedsstaaten zukommt (Art. Abs. 3 AEUV). Auch hält der Generalanwalt selbst fest, dass die einschlägigen Bestimmungen der VO (EG) Nr. 715/2007 - konkret: Art. 5 Abs. 1 u. 2 - nicht auf den Schutz von Individualinteressen abzielen. Einen Individualschutz vermag er nur insoweit - und damit nur sehr indirekt - zu bejahen, als die Verordnung „in ihrem Kontext zu sehen“ sei, der durch die Richtlinie geprägt werde. Die Richtlinie stelle über die in ihrem Art. 3 Nr. 36 definierte sog. Übereinstimmungsbescheinigung eine „ausdrückliche Verbindung zwischen dem Kraftfahrzeughersteller und dem individuellen Erwerber eines Fahrzeugs“ her. Dies geschehe über den Erwägungsgrund Nr. 0 im Anhang IX, „wonach die Übereinstimmungserklärung eine Erklärung des Fahrzeugherstellers darstellt, in der der dem Fahrzeugkäufer versichert, dass das von ihm erworbene Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung mit den in der Europäischen Union geltenden Rechtsvorschriften übereinstimmt“ (siehe Rn. 41 ff. der Schlussanträge).
55
Die bloß mittelbare Verknüpfung der Verordnung mit den Interessen individueller Erwerber von Kraftfahrzeugen, wie sie der Generalanwalt aus der zitierten Zielbestimmung im Anhang IX der Richtlinie herausliest, reicht nicht für die Feststellung aus, dass der europäische Gesetzgeber einen Rechtsschutz zugunsten von Einzelpersonen konkret im Auge gehabt hat. Zu deutlich steht hier die Möglichkeit im Raum, dass die mit der Übereinstimmungserklärung abgegebene Versicherung des Fahrzeugherstellers den Erwerber nur faktisch - reflexartig - schützt. Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Argumentation des Generalanwalts mit dem Erwägungsgrund Nr. 0 im gegebenen Kontext noch zusätzlich an Gewicht verliert, weil dieser gar nicht auf den europäischen Gesetzgeber zurückgeht, wie die Ursprungsfassung der Richtlinie vom 5. September 2007 zeigt, deren Anhang IX noch keine Zielbestimmungen kannte (vgl. ABl. L 263 vom 9. Oktober 2007, S. 1). Die Zielbestimmungen sind erst im Nachgang von der Kommission eingefügt worden, als diese mit der VO (EG) Nr. 385/2009 vom 7. Mai 2009 den Anhang IX der Richtlinie durch eine Neu-Fassung ersetzt hat (vgl. ABl. L 118 vom 13. Mai 2009, S. 13).
56
(iii) Auch zwingen weder der „Effektivitätsgrundsatz“ (im Allgemeinen) noch eine - gemäß dem Antwortvorschlag Nr. 2 unterstellte - Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gewährleistung eines Ersatzanspruchs der Fahrzeugerwerber gegen den Fahrzeughersteller (im Konkreten) die inländischen Gerichte zu einer Anwendung von § 823 Abs. 2 BGB.
57
Zwar sind die nationalen Gerichte verpflichtet, das Gemeinschaftsrecht möglichst wirksam anzuwenden („effet utile“), weshalb sie - in Befolgung des Umsetzungsgebots (Art. 288 Abs. 3 AEUV) und des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue (Art. 4 Abs. 3 EUV) die Auslegung des nationalen Rechts unter Ausschöpfung von Beurteilungsspielräumen möglichst weitgehend am Wortlaut und Zweck einer einschlägigen Richtlinie auszurichten haben, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2020 - C-735/19, Rn. 75 bei juris; BGH, Urteil vom 18. November 2020 - VIII ZR 78/20, Rn. 25 bei juris m.w.N.).
58
Aktuelle Änderungen zur Umsetzung im vorgenannten Sinne sind freilich nur dann geboten, wenn die Auslegung des nationalen Rechts dem Richtlinienauftrag noch nicht (oder nicht mehr) genügt.
59
Dies ist in Ansehung der von der deutschen Rechtsordnung bereitgestellten Haftungsvorschriften des Vertrags- und des Deliktsrechts und der Auslegung, die diese in der Gerichtspraxis erfahren, nicht der Fall. Der Generalanwalt zeigt auch kein diesbezügliches (vermeintliches) Defizit auf. Sein schlichter Verweis darauf, dass der Einzelrichter des Landgerichts Ravensburg in seiner Vorlageentscheidung seinerseits die Auffassung vertreten habe, dass (erstens) ein Fahrzeughersteller „nach derzeitigem Rechtsstand keine Inanspruchnahme zu befürchten und somit auch keinen Anreiz [habe], die Unionsvorschriften penibel einzuhalten“ (siehe Rn. 58 der Schlussanträge) und (zweitens) „die einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften … wohl nur dann durchschlagskräftig wären, wenn auch fahrlässige Verstöße durch deliktische Schadensersatzansprüche der Erwerber gegen den Hersteller sanktioniert würden und die Hersteller dies von vornherein einkalkulieren müssten“ (siehe Rn. 59 der Schlussanträge), enthält ausdrücklich keine eigene Positionierung und gibt nur die subjektive Unzufriedenheit des vorlegenden Einzelrichters mit dem Verhältnis von Klageabweisungen und Verurteilungen im „Dieselskandal“ weiter.
60
Das bestehende Recht hält zahlreiche - abgestufte - Instrumente bereit, die sowohl das Interesse der Betroffenen, kein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben, in ausreichendem Umfang schützen, als auch wirksame Sanktionen für Verstöße von Motorenhersteller gegen die einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften vorsehen. Auch wenn das Zuerkennen eines Schadensersatzanspruchs gegen den Motorenhersteller wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB von der Erfüllung strenger Voraussetzungen abhängt, ist dies bereits in vielen Tausenden von Fällen geschehen. Überdies stehen den Erwerbern in aller Regel vertragliche - verschuldensunabhängige - Ansprüche gegen den Verkäufer zu, die insbesondere auf Nacherfüllung gerichtet sind und gegebenenfalls - soweit der Verkäufer nicht der Motorenhersteller ist - zu Regressansprüchen gegen den Hersteller (und damit wiederum zu dessen Haftung) führen. Schließlich sind auch die nach deutschem Recht vorgesehenen Strafen und Bußgelder (vgl. z.B. § 37 Abs. 1 EG-FGV) und die hoheitlichen Befugnisse der Aufsichtsbehörden (vgl. § 25 EG-FGV) in Rechnung zu stellen (vgl. zum Ganzen ebenso schon: OLG Stuttgart, Urteil vom 28. Juni 2022 - 24 U 115/22, Rn. 96 ff. bei juris).
61
Die Ausführungen in den Schlussanträgen lassen nicht erkennen, dass die inländische Rechtslage (vermittelt durch die Gesetzeslage und die Rechtsprechungspraxis) ein unionsrechtlich vorgegebenes Rechtsschutzniveau konkret unterschreitet. Dies gilt insbesondere für die Frage einer etwaigen deliktischen Haftung des Herstellers für ein bloß fahrlässiges Fehlverhalten. Die Frage einer Fahrlässigkeitshaftung wird vom Generalanwalt als solche - unter inhaltlichen (wertenden) Gesichtspunkten - gar nicht behandelt; sie gerät überhaupt nur indirekt in den Blick, indem sie, unter Berufung auf den vorlegenden Einzelrichter, als schlichte faktische Folge der Bejahung einer umfassenden Anwendbarkeit des § 823 Abs. 2 BGB angeführt wird. Dass der Antwortvorschlag des Generalanwalts zu Nr. 2 so eng zu verstehen sein könnte, dass der geforderte Ersatzanspruch des Fahrzeugerwerbers gegen den Hersteller nicht an weitergehende (einschränkende) Voraussetzungen geknüpft werden darf (wie es beim Haftungsregime des § 826 BGB der Fall ist), sondern auch schon bei fahrlässigen Verstößen (oder gar verschuldensunabhängig) greifen muss, lässt sich den Schlussanträgen im Gesamtbild nicht entnehmen.
62
bb) Keinesfalls jedoch - unabhängig von der Frage eines Schutzgesetzcharakters der Bestimmungen des EG-Typgenehmigungsrechts - folgt aus den Schlussanträgen des Generalanwalts, dass die Kläger des „Dieselskandals“ ihren regelmäßig verfolgten Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags auf eine Fahrlässigkeitshaftung stützen können.
63
Der Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags, der typischerweise mit einem Dritten geschlossen worden ist, findet seine spezielle Rechtfertigung (allein) darin, dass das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Käufers verletzt worden ist, das unter anderem auch seinen (des Käufers) Schutz vor einem „ungewollten Vertragsschluss“ bewirken soll. Der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags fällt indes - rechtsfolgenbezogen - von vornherein nicht in den Schutzbereich der einschlägigen unionsrechtlichen Regelungen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, Rn. 76 bei juris; Beschluss vom 1. September 2021 - VII ZR 59/21, Rn. 3 bei juris; Urteil vom 10. Februar 2022 - III ZR 87/21, Rn. 14 bei juris). Konkrete Überlegungen, die darauf hinauslaufen könnten, diese Rechtsprechung in Frage zu stellen, enthalten die Schlussanträge des Generalanwalts nicht.
64
c) Im Ergebnis sieht der Senat - eine Entscheidungserheblichkeit verneinend - keinen Anlass, das vorliegende Verfahren bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der eingangs genannten Rechtssache auszusetzen (in analoger Anwendung des § 148 ZPO) oder wegen derselben (oder ähnlicher) Fragen ein eigenes Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 AEUV zu betreiben. Auch eine sonstige gezielte Zurückstellung des Verfahrens unterbleibt.
65
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
66
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 31. August 2022.