Titel:
Obdachlosenrecht, Keine Abgabe einer prozessbeendenden Erklärung, Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses
Normenkette:
VwGO § 42 Abs. 1
Schlagworte:
Obdachlosenrecht, Keine Abgabe einer prozessbeendenden Erklärung, Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21196
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger, Geburtsjahrgang 1946, wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem sein Antrag auf Obdachlosenunterbringung zunächst abgelehnt wurde.
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Der Kläger wurde von zwei Passanten am 9. Dezember 2021 gegen 23:45 Uhr stark alkoholisiert und mit einer großen Wunde am Fuß bei einem Übergangswohnheim der Beklagten vorbeigebracht. Aufgrund eines Schutzes vor Kälte wurde der Kläger zum 10. Dezember 2021 dort vorübergehend untergebracht.
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Am 10. Dezember 2021 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Unterbringung in einer Obdachlosenunterbringungsmöglichkeit der Beklagten.
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Mit Schreiben vom 3. Januar 2022 wurde der Kläger zur Prüfung seines Antrags von der Beklagten aufgefordert, einen Einkommensnachweis (aktuellen Rentenbescheid) bis zum 7. Januar 2022 beizubringen, und darauf hingewiesen, dass sein Antrag auf Unterbringung andernfalls abgelehnt werden kann.
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Mit Bescheid vom 10. Januar 2022 wurde der Antrag des Klägers auf Unterbringung gemäß § 11 der Obdachlosenunterbringungssatzung der Beklagten abgelehnt. Zur Begründung des Bescheids wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger verpflichtet sei, wahrheitsgemäße Auskünfte sowohl über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse als auch über seine aktuelle Wohnverhältnisse zu erteilen sowie diese auch zu belegen. Seit dem Tag der Antragstellung sei der Kläger mehrfach durch die Heimleitung aufgefordert worden, den zur Prüfung der Aufnahme nötigen Einkommensnachweis (Rentenbescheid) abzugeben. Ihm sei auch Unterstützung zur Beibringung des Rentenbescheides angeboten worden. Der Kläger habe die notwendige Unterschrift auf der Schweigepflichtentbindung verweigert. Mit Schreiben vom 3. Januar 2022 wurde der Kläger von der Beklagten insoweit schriftlich aufgefordert und ihm eine Frist bis zum 7. Januar 2022 gesetzt. Bis zum heutigen Tage liege der Beklagten ein Einkommensnachweis des Klägers nicht vor. So sei es nicht möglich, seinen Unterbringungsanspruch zu prüfen. Die Aufnahmevoraussetzungen nach § 1 Abs. 2 der Obdachlosenunterbringungssatzung der Beklagten und § 4 Nr. 1 der Hausordnung - ob der Kläger in der Lage wäre, sich aus eigenen Kräften eine andere Unterkunft zu verschaffen - könnten nicht geklärt werden.
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Auf den Bescheid wird im Einzelnen verwiesen.
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Am 13. Januar 2022 legte der Kläger über die Heimleitung einen Nachweis des Renten Service der D. P. AG über einen Vorschussbetrag der Rente für den Monat Mai 2021 in Höhe von 1.394,19 EUR vor.
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Daraufhin wurde mit Bescheid vom 19. Januar 2022 der Ablehnungsbescheid vom 10. Januar 2022 mit sofortiger Wirkung zurückgenommen und dem Kläger u.a. im Übergangswohnheim der Beklagten ein Platz im Mehrbettzimmer mit Spind zur Verfügung gestellt, das Benutzungsverhältnis beginnend am 10. Dezember 2021 und endend am 28. Februar 2022 festgelegt sowie dem Kläger aufgegeben, seine Obdachlosenunterbringungsmöglichkeit zum 1. März 2022 zu räumen sowie seinen Platz im Mehrbettzimmer mit Spind und Bett vollständig geräumt und sauber zurückzugeben.
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Auf den Bescheid und seine Begründung wird im Einzelnen verwiesen.
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Unter Beifügung des Bescheids vom 10. Januar 2022 erhob der Kläger am 11. Februar 2022 Klage und beantragt (sinngemäß),
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den Bescheid der Beklagten vom 10. Januar 2022 aufzuheben.
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Wegen stark eingeschränkter Gehfähigkeit sei ihm zurzeit die Suche nach einer neuen Unterkunft nicht möglich. Über die Rentenhöhe sei die Heimleitung bereits Ende Dezember 2021 informiert worden.
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Die Beklagte beantragt,
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Der vom Kläger benannte Klagegegenstand, der Bescheid vom 10. Januar 2022, habe zum Zeitpunkt der Klageeinreichung am 11. Februar 2022 nicht mehr existiert. Insofern wäre bereits kein Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Aus dem Klagebegehren und nach der Interessenslage des Klägers gehe hervor, dass es sein Rechtsschutzziel sei, in der Obdachlosenunterbringung verbleiben zu dürfen. Insofern müsse das Klagebegehren des Klägers so ausgelegt und umgedeutet werden, dass er sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 19. Januar 2022 wende. Die Beklagte habe die Aufnahme in die Obdachlosenunterkunft jedoch zu Recht befristet, da der Kläger über einen Betrag von knapp 1.400 EUR monatlich verfüge. Bei den Einkommensverhältnissen des Klägers sei es finanziell möglich, sich z.B. ein Monteurzimmer ab 300 EUR monatlich zu mieten. Dem Kläger seien ab dem Zeitpunkt der Verbescheidung sechs Wochen zur Verfügung gestanden, um eine Unterkunft zu finden. Diese Frist erscheine angemessen. Nachweise oder Atteste, die belegen, dass dem Kläger die Suche aufgrund seines Gesundheitszustandes derzeit nicht möglich seien, seien nicht vorgelegt worden. Bei der Suche nach einem Pensionszimmer o.ä. handele es sich um eine sehr niederschwellige Suche, die relativ unkompliziert und kurzfristig möglich und auch bei schlechterem Gesundheitszustand zuzumuten sei. Die Beklagte werde die gesetzte Frist überprüfen und ggf. anpassen, wenn entsprechende Nachweise vorgelegt würden, aus welchen ersichtlich sei, dass auch eine Pensionssuche nicht möglich sei. Der Kläger verweigere jegliche Unterstützung durch die Heimleitung. Der Kläger habe seit Einzug im Übergangswohnheim der Beklagten keinerlei Unterkunftsgebühren beglichen. Der Schuldenstand zum 23. Februar 2022 belaufe sich auf 820,00 EUR. Auch seine letzte Unterkunft habe der Kläger verlassen müssen, da er keine Zahlungen geleistet habe.
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In der Sache wurde am 25. März 2022 mündlich vor Gericht verhandelt. Auf das dabei gefertigte Protokoll wird Bezug genommen, ebenso wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unzulässig.
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Die Klage ist unstatthaft. Der Bescheid vom 10. Januar 2022 hat sich infolge Aufhebung (Bescheid vom 19. Januar 2022) erledigt (Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG). Dadurch fehlt dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis für ein Klageverfahren, wenn und weil eine erstrebte Aufhebung des erledigten Verwaltungsakts keine Verbesserung der Rechtsstellung mit sich zu bringen vermag (vgl. hierzu etwa BVerwG, U.v. 17.12.1980 - 6 C 139/80; B.v. 28.8.1987 - 4 N 3/86; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Vor §§ 40-53 Rn. 16; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 42 Rn. 58; Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, Vor § 40 Rn. 94).
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Selbst wenn man davon ausgeht (vgl. §§ 86 Abs. 3, 88 VwGO), dass der Kläger (über die bloße Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids vom 10. Januar 2022) eine dahingehende Verpflichtung der Beklagten in der Form einer Versagungsgegenklage begehrt, ihn in einer Obdachlosenunterkunft der Beklagten unterzubringen, ist eine so verstandene Klage ebenfalls unzulässig. Es fehlt an einem Rechtsschutzbedürfnis, weil die Beklagte die Versagung aufgehoben und den Antrag des Klägers vom 10. Dezember 2021 auf Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft der Beklagten mit Bescheid vom 19. Januar 2022 dergestalt verbeschieden hat, dass dem Kläger u.a. im Übergangswohnheim der Beklagten einen Platz im Mehrbettzimmer samt Spind zur Verfügung gestellt sowie das Benutzungsverhältnis beginnend am 10. Dezember 2021 und endend am 28. Februar 2022 festgelegt wurde (vgl. Schoch/Schneider, VwGO, Vor § 40 Rn. 94); die begehrte Leistung (Unterbringung) hat sich insoweit erledigt. Die u.a. (etwaig) isoliert anfechtbare Befristung des Nutzungsverhältnisses ist vorliegend nicht Verfahrensgegenstand (vgl. §§ 86 Abs. 3, 88 VwGO); den Streitgegenstand hat der Kläger vorliegend eindeutig auf den Bescheid vom 10. Januar 2022 beschränkt.
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Der Kläger hätte dieser prozessualen Situation dergestalt Rechnung tragen können, dass er den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 25. März 2022 trotz gerichtlichen Hinweises abgelehnt und explizit an seinem sinngemäßen schriftsätzlichen Klageantrag festgehalten. Die Klage war daher bereits als unzulässig abzuweisen.