Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 27.05.2022 – Au 8 E 22.995
Titel:

Erfolgloser einstweiliger Rechtsschutz gegen die Unterbringung einer weiteren Person in einer Obdachlosenunterkunft

Normenketten:
VwGO § 123
BayLStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3
Leitsätze:
1. Da die Unterbringung obdachloser Personen nur eine Notlösung sein kann, müssen sie eine weitgehende Einschränkung ihrer Wohnansprüche hinnehmen, wobei die Grenze zumutbarer Einschränkungen dort liegt, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten wird. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Sicherheitsbehörde steht bei der Auswahl der Unterkunft ein weites Ermessen zu. Der Betroffene hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Zuweisung einer bestimmten oder von ihm gewünschten Unterkunft. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Zurverfügungstellung eines Bettplatzes in einem Mehrbettzimmer ist zur Abwehr der sich aus der Obdachlosigkeit ergebenden Gefahren grundsätzlich ausreichend. Ein Anspruch auf Unterbringung in einem Einzelzimmer bzw. auf die alleinige Nutzung eines Mehrbettzimmers ist nur unter engen Voraussetzungen, etwa aufgrund einer dahingehenden zwingenden gesundheitlichen Situation, die eine alleinige Unterbringung unumgänglich macht, denkbar. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung, Obdachlosenunterbringung, Unterbringung in einem Mehrbettzimmer-zumutbar, Geltendmachung eines Anspruchs auf vorläufige weitere Unterbringung während des Zeitraums des laufenden Unterbringungsbescheids-verneint, Obdachlosigkeit, Unterbringung, Obdachlosenunterkunft, Mehrbettzimmer, Bettplatz, menschenwürdige Unterbringung, Zumutbarkeit
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21184

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt zum einen die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Unterbringung einer weiteren Person in der Obdachlosenunterkunft sowie die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners, ihn weiter in einer Obdachlosenunterkunft unterzubringen.
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1. Der Antragsteller ist seit März 2020 in einer Obdachlosenunterkunft des Antragsgegners untergebracht. Die Unterkunft, eine abgeschlossene Wohnung, besteht aus einem Wohn-/Schlafraum, der mit zwei Betten ausgestattet ist, und Sanitärräumen. Die Unterbringung wird jeweils mit (Änderungs-) Bescheid der Beklagten für die Dauer von zwei Monaten verlängert, zuletzt mit dem im vorliegenden Antragsverfahren streitgegenständlichen (Änderungs-) Bescheid vom 20. April 2022 bis letztmalig zum 20. Juni 2022 (Ziffer 1 des Bescheids). Der (jeweilige Änderungs-) Bescheid enthält als Auflage unter anderem (jeweils gleichlautend) die Verpflichtung des Klägers zur Duldung der Unterbringung einer unfreiwillig obdachlos gewordenen Person des gleichen Geschlechts in dem dem Kläger zugewiesenen Zimmer (jeweils Ziffer 4 lit. c des Bescheids).
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Gegen die Nebenbestimmung in Ziffer 4 lit. c hat der Antragsteller bereits mehrfach in den Jahren seit 2020 Klagen erhoben (Au 8 K 20.2190; Au 8 K 22.26) bzw. Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Klageverfahren gestellt (Au 8 K 21.1778) und - ebenso wie im vorliegenden Verfahren - im Wesentlichen geltend gemacht, dass es ihm unzumutbar sei, die Aufnahme einer weiteren oder mehrerer Personen in der Obdachlosenunterkunft im selben Zimmer dulden zu müssen.
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Die Klagen bzw. der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage blieben jeweils erfolglos (VG Augsburg, U.v. 26.2.2021 - Au 8 K 20.2190 sowie BayVGH, B.v. 8.4.2021 - 4 ZB 21.866; VG Augsburg, B.v. 20.10.2021 - Au 8 K 21.1778 sowie BayVGH, B.v. 5.11.2021 - 4 C 21.2721; VG Augsburg, B.v. 18.2.2022 - Au 8 K 22.26 sowie BayVGH, B.v. 7.4.2022 - 4 C 22.665; VG Augsburg, B.v. 10.5.2022 - Au 8 K 22.26).
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Auf die vorgenannten Entscheidungen wird im Einzelnen verwiesen.
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2. Mit Schreiben vom 16. April 2022, bei Gericht eingegangen am 21. April 2022, hat sich der Antragsteller (erneut) gegen die Aufnahme einer zweiten Person in der Obdachlosenunterkunft gewandt und dies, unter Wiederholung des Vorbringens aus den o.g. früheren Verfahren, als unzumutbar angesehen.
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Weiter hat er mit Schreiben vom 21. April 2022, bei Gericht eingegangen am 25. April 2022 die letztmalige Verlängerung der Unterbringung bis zum 20. Juni 2022 in Ziffer 1 des Bescheids zum Gegenstand des vorläufigen Rechtsschutzes gemacht und begehrt die weitere Unterbringung über den 20. Juni 2022 hinaus. In der näheren Umgebung seines jetzigen Aufenthaltsorts könne er keine Wohnung finden, aufnahmebereite Verwandte habe er nicht.
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Der Antragsteller beantragt (sinngemäß),
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die vorläufige Außervollzugsetzung der Ziffer 1 des Bescheids vom 20. April 2022, soweit darin die Befristung zum 20. Juni 2022 enthalten ist, sowie die vorläufige Außervollzugsetzung der Ziffer 4 lit. c.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Für die Unterbringung des Antragstellers über den 20. Juni 2022 hinaus gehe der Antragsgegner davon aus, dass bis dahin die Gründe für die Obdachlosigkeit entfallen seien, da eine Wohnungsnahme bei der Tochter des Antragstellers möglich sein könnte. Durch die Verlängerung bis zum 20. Juni 2022 sei der Antragsteller nicht beschwert, die befristete Zuweisung der Obdachlosenunterkunft sei rechtmäßig. Soweit sich der Antragsteller gegen die Duldungsverpflichtung in Ziffer 4 lit. c des Bescheids wende, sei die Rechtmäßigkeit dieser Regelung gerichtlich bereits in der Vergangenheit mehrfach bestätigt worden. Die Wohnung sei als Obdachlosenunterkunft ausreichend groß für die Unterbringung von zwei Personen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, auch in den Verfahren Au 8 K 22.26, Au 8 K 20.2190 und Au 8 K 21.1778, Bezug genommen.
II.
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Der Antrag bleibt erfolglos.
15
Die vom Antragsteller verfolgte einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO darf nur ergehen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen (vgl. § 123 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
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1. Der Antragsteller kann keinen Anspruch geltend machen, ihn ohne weitere Mitbewohner in einer Notunterkunft des Antragsgegners unterzubringen.
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Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Zuweisung einer Unterkunft zur Vermeidung von Obdachlosigkeit ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG). Danach ist die Sicherheitsbehörde zum Tätigwerden verpflichtet, um die in der Obdachlosigkeit bestehende konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Betroffenen abzuwehren. Dem kam der Antragsgegner nach, indem er dem Antragsteller einen Platz in einer, auch als Zwei-Bett-Zimmer nutzbaren Wohnung zur Verfügung gestellt hat. Diese Zuweisung erfolgte erstmals im März 2020, sie wurde vom Antragsgegner zur Abwendung der Obdachlosigkeit des Antragstellers fortlaufend verlängert. Jeweils in allen (Änderungs-) Bescheiden wurde in Ziffer 4 lit. c als Auflage zur Wohnungszuweisung die Pflicht des Antragstellers geregelt, die Unterbringung einer weiteren unfreiwillig obdachlos gewordenen Person gleichen Geschlechts zu dulden.
18
a) Die Obdachlosenfürsorge dient nicht der „wohnungsmäßigen Versorgung“, sondern der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art. Auch unter Berücksichtigung der humanitären Zielsetzung des Grundgesetzes ist es ausreichend, wenn obdachlosen Personen eine Unterkunft zugewiesen wird, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigen Lebensbedürfnisse lässt. Da ihre Unterbringung nur eine Notlösung sein kann, müssen obdachlose Personen eine weitgehende Einschränkung ihrer Wohnansprüche hinnehmen, wobei die Grenze zumutbarer Einschränkungen dort liegt, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten wird (stRspr., zuletzt etwa BayVGH, B.v. 17.2.2021 - 4 CE 21.36 - n.v. Rn. 11 des BA).
19
Der Sicherheitsbehörde steht bei der Auswahl der Unterkunft ein weites Ermessen zu. Der Betroffene hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Zuweisung einer bestimmten oder von ihm gewünschten Unterkunft. Die Zurverfügungstellung eines Bettplatzes in einem Mehrbettzimmer ist zur Abwehr der sich aus der Obdachlosigkeit ergebenden Gefahren grundsätzlich ausreichend (Ehmann, Obdachlosigkeit in Kommunen, 3. Aufl. 2019, S. 133). Ein Anspruch auf Unterbringung in einem Einzelzimmer bzw. auf die alleinige Nutzung eines Mehrbettzimmers ist nur unter engen Voraussetzungen, etwa aufgrund einer dahingehenden zwingenden gesundheitlichen Situation, die eine alleinige Unterbringung unumgänglich macht, denkbar (VG München, B.v. 5.12.2019 - M 22 E 19.5853 - juris Rn. 21; vgl. BayVGH, B.v. 17.2.2021 - 4 CE 21.36 - Rn. 12 des BA).
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b) Dass diese vorgenannten Voraussetzungen hier gegeben sind, ist nicht erkennbar.
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Der Antragsteller kann keinen Anspruch auf die Unterbringung in einem Einzelzimmer geltend machen. Die unter Ziffer 4 lit. c des angefochtenen Bescheids vom Antragsgegner verfügte Auflage ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies wurde im Übrigen bereits mit Urteil vom 26. Februar 2021 (Au 8 K 20.2190) festgestellt.
22
Die fortlaufenden Wiederholungen des Vorbringens des Antragstellers zu seinem Alter und seiner gesundheitlichen Lage bzw. der festgestellten Schwerbehinderung lässt nicht erkennen, dass die bereits - mehrfach - getroffenen gerichtlichen Feststellungen zur Zumutbarkeit der Belegung der Obdachlosenunterkunft mit zwei Personen unzutreffend geworden sind.
23
Die Wohnung ist ausreichend groß, sie bietet auch bei einer Belegung mit zwei Personen ausreichend Platz zur Gewährleistung grundlegender Wohnbedürfnisse. Dass der Antragsteller seiner Auffassung nach zu Unrecht seine vorher innegehabte Wohnung verloren hat, ändert an dieser Beurteilung unter Berücksichtigung der o.g. Maßstäbe nichts.
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2. Des Weiteren kann der Antragsteller keinen Anspruch auf die vorläufige Verlängerung der Unterbringung durch den Antragsgegner über den 20. Juni 2022 hinaus geltend machen.
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Die Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft dient der (vorübergehenden) Beseitigung konkreter Gefahren für Leib und Leben des Betroffenen (vgl. oben zu 1.). Ob diese Gefahren weiter bestehen, kann die Sicherheitsbehörde in regelmäßigen Abständen überprüfen, insbesondere auch die Frage, ob die Obdachlosigkeit weiter besteht oder ob dem Betroffenen durch zumutbare eigene Anstrengungen die Beseitigung der Obdachlosigkeit möglich ist.
26
Der Antragsgegner hat in Anwendung dieser Maßstäbe die Unterbringung des Antragstellers in der Vergangenheit vielfach verlängert, derzeit bis zum 20. Juni 2022. Dass für den Antragsteller daraus ein - bereits derzeit zu bejahender - Anspruch auf eine weitere Verlängerung erwächst, ist nicht erkennbar. Mit dem Ablauf der derzeitigen, noch andauernden Verlängerung, hat der Antragsgegner als Sicherheitsbehörde (erneut) zu prüfen, welche Maßnahmen zur Beseitigung drohender Gefahren (noch) notwendig sind. Ein Anspruch des Antragstellers auf die Verpflichtung des Antragsgegners, dies bereits im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung, durch das Gericht vorläufig vorwegzunehmen, besteht nicht.
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3. Da die vom Antragsteller verfolgten Ansprüche nicht bestehen, war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
28
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. Das Gericht hat sich dabei an Ziffer 35.3 des Streitwertkatalogs orientiert und im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Hälfte des Auffangwerts angesetzt (Ziffer 1.5. des Streitwertkatalogs).