Titel:
unbegründete Asylklage (Iran)
Normenketten:
VwGO § 104 Abs. 3 S. 2
AsylG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 28 Abs. 1
Qualifikations-RL Art. 4 Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Im Iran sind staatliche oder nichtstaatliche Repressionen nur für solche konvertierten Christen festzustellen, die in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten wie etwa Gottesdiensten teilnehmen oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr vom Islam - nach außen zeigen wollen. (Rn. 84) (redaktioneller Leitsatz)
2. Von einem erwachsenen Asylsuchenden kann im Regelfall erwartet werden, dass dieser schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für seine Konversion machen und im Rahmen seiner Persönlichkeit und intellektuellen Disposition darlegen kann, dass er mit den Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist. (Rn. 87) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asyl, Iran, nicht glaubhafte Vorverfolgung, Vorlage elektronischer Dokumente ohne, Sana-Zugang, Nachfluchtgründe, Verbreitung über WhatsApp, Telegram, Instagram, nicht glaubhafte Konversion, Attest über psychische Erkrankung, Flüchtlingseigenschaft, Richtlinie 2011/95/EU, mangelnde Glaubhaftigkeit, Konversion
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Urteil vom 06.08.2024 – 14 B 23.30024
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21132
Tenor
1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger, geb. am …1968, ausgewiesen durch einen iranischen Personalausweis, ist iranischer Staatsangehöriger mit aserbeidschanischer Volkszugehörigkeit und inzwischen getaufter Christ. Er begehrt im Wesentlichen seine Anerkennung als Asylberechtigter bzw. Flüchtling. Er verließ sein Heimatland eigenen Angaben zufolge am 29.06.2019 (= 08.04.1398 iranischer Zeitrechnung) zu Fuß und mit dem Auto, setzte am 09.07.2019 mit dem Schlauchboot nach Griechenland über und reiste auf dem Landweg am 18.09.2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 09.10.2019 stellte er einen Asylantrag.
2
Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erklärte er am 28.10.2019, dass sich sein Reisepass noch im Iran befinde. Er habe die Schule mit dem Abitur beendet und vier Jahre an der Universität Management studiert und mit einem Diplom abgeschlossen. In der mündlichen Verhandlung ergänzt er, anschließend als Selbständiger in der Metallbranche gearbeitet und zwei Läden im Iran betrieben zu haben. Er sei für die Firma … tätig gewesen. Dort sei er für den Export von Handarbeitsarbeiten, die Erweiterung des Tourismus, die Auszahlung von Prämien für Exporte, sowie mit einer Aufsehertätigkeit für die Durchführung von Ausstellungen, als auch als Vorsitzender des Ausschusses für die Begleitung von Personen ins Ausland bzw. den Empfang von Personen bei ihrer Einreise betraut und tätig gewesen. Damit seien häufiger Auslandsaufenthalte verbunden gewesen. So habe er auch Ausstellungen im Ausland begleitet, zuletzt 1396/1397 (entspricht etwa März 2017 bis März 2018).
3
Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, bereits seit 1367 iranischer Zeitrechnung politisch aktiv und mit dem politischen System im Iran sehr unzufrieden zu sein. Iran werde von einer totalitären Regierung regiert; die Infrastruktur sei kaputt und insbesondere sei die medizinische Versorgung im Land sehr schlecht. Er sei wegen verschiedener Themen (Export von Holz, Korruption, Schlagen von Frauen auf der Straße durch die Sittenpolizei, Frauen dürften keinen Sport betreiben, Anzeige einer Person, die in der Koranschule tätig gewesen sei wegen sexuellen Missbrauchs) im Internet tätig gewesen und habe seine Unzufriedenheit öffentlich geäußert. Vor allem da er keine Medikamente für seinen Sohn finden und kaufen habe können, habe er seine Unzufriedenheit auf Telegram veröffentlicht. Er sei dabei einer der Hauptadministratoren einer Gruppe auf Telegram gewesen. Im 7. Monat 1374 (= 23.09. - 22.10.1995) sei er bereits von Sicherheitskräften aufgrund seiner politischen Aktivitäten für 20 Tage inhaftiert worden. Seine Familie habe seine politische Einstellung geteilt. Nur sein Bruder sei nicht seiner Meinung gewesen.
4
Er sei öfter von der Sicherheitsabteilung seiner Firma verwarnt worden, weswegen er zudem nicht befördert worden sei. In seiner Firma sei ihm auch vorgeworfen worden, Streiks organisiert zu haben.
5
Im 10. Monat 1397 (= 22.12.2018 - 20.01.2019) habe er bei seiner Arbeit bemerkt, dass sein Telefon abgehört worden sei. Ein befreundeter Arbeitskollege habe ihm das Anfang des 10. Monats 1397 gesagt. 2-3 Tage danach habe er keinen Zugang zum Internet mehr gehabt und deshalb sei ihm mitgeteilt worden, dass sein PC zum Durchführen von Updates abgeholt werden müsse.
6
Er habe auch bemerkt, dass er von jemandem mit einem schwarzen Helm auf einem Motorrad, einer roten Honda, verfolgt worden sei.
7
Sein Freund …, Führungskraft in der Firma, habe ihm einen Zettel zugesteckt, wonach sie sich um 9:00 Uhr abends in einem Café treffen sollten. Dort habe dieser ihm erzählt, dass Sicherheitskräfte ihn verhaften wollten; er wisse allerdings nicht weshalb. Dies sei Mitte des 11. Monat 1397 (= etwa 04.02.2019) gewesen. Da er seiner Frau nichts über seine Aktivitäten erzählt gehabt habe, habe er dieser erklärt, dass sie aufgrund medizinischer Möglichkeiten ins Ausland gehen sollten. Ein Visumsantrag beim italienischen Konsulat sei leider abgelehnt worden. Daraufhin habe er mit der Begründung, sich um seinen Sohn kümmern zu müssen, 6 Monate Urlaub beantragt. Weil er Angst vor Verhaftung gehabt habe, sei er nach Genehmigung des Urlaubs zu seinem Freund in die Stadt … gegangen; er sei ca. 4 Monate bei seinem Freund gewesen.
8
Den Kontakt zu seiner Familie habe er aus Sicherheitsgründen abgebrochen. Kontakt zur Familie seiner Frau habe nur seine Frau.
9
Zu dieser Zeit habe auch seine Frau Probleme mit seiner Familie bekommen. Dies habe er über einen Freund erfahren. Auch seine Frau habe das Land verlassen und sei in die Türkei gereist. Vor 7 Jahren habe seine Frau einmal gesehen, dass sein Vater die gemeinsame älteste Tochter im Alter von damals 7 Jahren vergewaltigt habe. Später habe er auch erfahren, dass sein Vater, ein sehr religiöser Mensch, auch die anderen Kinder seiner Familie missbraucht habe. Deshalb habe seine Frau die Religion wechseln wollen. Nachdem sein Bruder eine Bibel in seinem Haus gefunden habe, habe er seine Frau sexuell belästigt und seine Töchter zwangsverheiraten wollen. Seinen Sohn habe er in die Psychiatrie stecken wollen. Da sein Bruder bei den Sicherheitskräften arbeite, habe er seine Frau unter Druck gesetzt, um seinen Standort ausfindig zu machen. Er habe ihn wegen seiner Aktivitäten verhaften wollen. Vor dem Ereignis mit seinem Kind seien sie wie Brüder gewesen; danach hätten sie keinen Kontakt mehr gehabt. Grund sei gewesen, dass sich seine Geschwister auf die Seite seines Vaters gestellt hätten.
10
Vor 2 Jahren habe er das letzte Mal Kontakt zu seiner Familie gehabt, als sein Vater im Krankenhaus gewesen sei.
11
Er habe zwar keine Vorladung zum Gericht erhalten und Sicherheitskräfte seien auch nicht bei ihm zu Hause gewesen. Trotzdem denke er, dass er wegen seiner Administratoreneigenschaft in der Gruppe auf Telegram verfolgt werde.
12
In der Bundesrepublik Deutschland sei er sehr aktiv bei Telegram; er veröffentliche Nachrichten des persischen BBC, die im Iran nicht veröffentlicht werden dürften. Er habe auch Kontakte in die USA, von wo aus ihm mitgeteilt werde, was er veröffentlichen solle. Er habe etwa 300 - 800 Follower auf Telegramm.
13
In den Akten befindet sich ein Attest des Klinikums … vom 22.10.2019. Als Diagnosen sind für den Kläger aufgeführt: Leistenhernie beidseits, Z.n. Varicocele-OP bds.; die Operation (TAPP beidseits) finde am 17.12.2019 statt.
14
Auf die ärztlichen Schreiben der Kinderpraxen … zum Gesundheitszustand des Sohnes des Klägers, …, geboren …2009, vom 09.10.2019 und 18.11.2019 wird Bezug genommen. In den Akten befinden sich auch ärztliche Schreiben aus dem Iran in englischer Sprache vom 24.11.2019 und 17.03.2019; sie betreffen ebenfalls den Gesundheitszustand des oben genannten Sohnes.
15
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte mit Bescheid vom 18.12.2019 die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1), die Anerkennung als Asylberechtigter (Ziffer 2) sowie die Gewährung des subsidiären Schutzes (Ziffer 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen zu verlassen, widrigenfalls wurde ihm die Abschiebung in den Iran angedroht (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6).
16
Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass sich aus dem Vorbringen des Klägers keine flüchtlingsrelevante Verfolgungshandlung ergebe. Auch lägen die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzstatus nicht vor. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Auf die Ausführungen im Bescheid wird Bezug genommen.
17
Dieser Bescheid wurde ausweislich der Empfangsbestätigung dem Kläger am 20.12.2019 persönlich übergeben.
18
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger zur Niederschrift des Gerichts am 23.12.2019 Klage. Er beantragt,
- 1.
-
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18.12.2019 wird aufgehoben.
- 2.
-
Die Beklagte wird verpflichtet, mich als Asylberechtigten anzuerkennen, mir den Flüchtlingsstatus und hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zu zuerkennen sowie festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
19
Zur Begründung nimmt er Bezug auf seine Angaben in der Anhörung beim Bundesamt.
20
Mit Schriftsatz vom 10.01.2020 beantragt die Beklagte die
21
Zur Begründung bezog sie sich auf die angegriffene Entscheidung.
22
Mit Schriftsatz vom 16.01.2020 zeigte sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Vorlage einer Vollmacht an.
23
Sie legte im gerichtlichen Verfahren ein Attest der Praxis für Psychotherapie, …, vom 17.02.2020 für den Kläger vor. Der Kläger befinde sich seit 01.12.2020 in psychotherapeutischer Behandlung. Es handele sich um ein langjähriges chronifiziert-rezidivierendes Störungsbild, dass sich bis 1995 zurückverfolgen lasse. Diese Beschwerden seien in der Folgezeit durch psychosoziale Belastungsfaktoren wie politische Verfolgung im Iran, Inhaftierung und durch die Flucht erneut reaktualisiert worden. Dieses Ereignis sei Auslöser für wiederkehrende Panikattacken mit schwerer Luftnot. Unter „Tavor“ und antidepressiver medikamentöser Behandlung sei es nur zu einer unvollständigen Besserung der Symptomatik gekommen. Es bestünden Ein- und Durchschlafstörungen sowie ein morgendliches Früherwachen. Langfristig resultiere hieraus, dass der Patient einerseits nicht lernen könne, sich seinen Ängsten zu stellen und diese zu bewältigen. Dadurch komme es zur Chronifizierung der Angstproblematik und es ergäben sich erhebliche Einschränkungen im Alltag des Patienten. Ziel der verhaltenstherapeutischen Behandlung sei der Abbau der depressiven Beschwerden und Ängste sowie der verbesserte Umgang mit Panikgefühlen. Als Diagnosen sind angegeben: F 32.1 mittelgradigen depressiven Episode, F 41.0 Panikstörung.
24
Vorgelegt wurden auch eine Bestätigung des katholischen Pfarramt … vom 18.03.2001 sowie die Tauf- und Firmurkunde dieser Gemeinde vom 11.01.2021 über die Taufe am 26.09.2021.
25
Mit Beschluss vom 13.04.2022 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin zur Entscheidung als Einzelrichterin übertragen.
26
Mit Schriftsatz vom 02.05.2022 legte die Prozessbevollmächtigte folgende Unterlagen vor:
- K 1 Bescheinigung Pfarrer … v. 21.04.22
- K 2 Ablauf Gottesdienst mit Bestätigung der Eheschließung
- K 3 Schreiben Hr. … v. 10.09.21
- K 4 Vorladung vom 24.01.2019 - K 5 Vorladung vom 13.02.2019 - K 6 Haftbefehl vom 13.04.2019 - K 7 Screenshots (Farsi)
- K 9 Reden (Übersetzung)
27
Die Beschaffung der Dokumente, die Übersendung nach Deutschland und die Übersetzung habe einige Zeit in Anspruch genommen, so dass diese erst jetzt übergeben werden könnten. Der Kläger sei sowohl im Internet, als auch außerhalb des Internets politisch aktiv. Er verbreite seine politischen Ansichten mittels sozialer Medien wie Instagram, WhatsApp und Telegramm. Er poste politische Bilder und äußert seine kritische Meinung hierzu. Der Kläger sei außerhalb des Internets politisch aktiv, indem er an Demonstrationen teilnehme und Reden halte. Er habe bei Demonstrationen vor dem … und dem … teilgenommen und Reden gehalten. Anbei würden die niedergeschriebenen Reden übersandt, welche der Kläger am …2021 vor dem … und am …2020 vor dem … gehalten habe. Der Unterfertigenden lägen auch Videos zu den Reden vor.
28
In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, ein Sana-System nicht zu kennen und auch über keinen Zugang zum Portal der Justiz (Sana-System) zu verfügen. Wegen des weiteren Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
29
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes wird gemäß § 117 Abs. 3 S. 2 VwGO analog auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
30
Die zulässige Klage, über die auch ohne einen Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg.
31
Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO (Antrag vom 24.05.2022) war nicht angezeigt. Die Niederlegung des Urteilstenors erfolgte am 23.05.2022 und steht damit dem zeitlich nachfolgenden Antrag auf Wiedereröffnung vom 24.05.2022 im Weg.
32
Nach § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO kann das Gericht nach Schließung der mündlichen Verhandlung die Wiedereröffnung beschließen. Allerdings ist eine Wiedereröffnung nach Wirksamwerden einer die Instanz abschließenden Entscheidung nicht mehr möglich (BayVGH, U.v. 07.12.2017 - 13 A 17.329 und 13 A 17.331 NVwZ-RR 2018, 374 Rn. 28; Eyermann/Schübel-Pfister, 15. Aufl. 2019, VwGO § 104 Rn. 14). Wirksam ist eine auf einer mündlichen Verhandlung beruhende Entscheidung dann, wenn sie nach § 116 Abs. 1 VwGO verkündet wurde oder wenn nach § 116 Abs. 2 i.V.m. § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO der Geschäftsstelle die vollständige Entscheidung bzw. zumindest der von den Richtern unterschriebene Tenor förmlich übergeben wurde (VGH Mannheim B.v. 12.03.1999 - A 14 S 1361/97 -, NVwZ-RR 2000, 125; BayVGH B.v. 24.07.1998 - 25 ZB 98.32972 -, BayVBl. 1998, 733). Ab diesem Zeitpunkt der Verkündung bzw. Übergabe ist die Entscheidung auch im Innenverhältnis bindend (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m § 318 ZPO), das Gericht ist an die Entscheidung gebunden und kann diese nicht mehr abändern; damit scheiden die weitere Berücksichtigung von Parteivorbringen bzw. eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung aus (BVerfG B.v. 04.08.1992 - 2 BvR 1129/92, NJW 1993 S. 51; BayVGH, U.v. 07.12.2017 a.a.O.). Nicht erforderlich ist, dass der Tenor den Beteiligten telefonisch oder per Telefax mitgeteilt wurde (a.A. Redeker/v. Oertzen, Kommentar zur VwGO § 104 Rn. 7).
33
Eines gesonderten Beschlusses über die Ablehnung des Antrags auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bedurfte es nicht. Wird die Wiedereröffnung abgelehnt, genügt es, wenn in den Gründen der Schlussentscheidung dargelegt wird, weshalb eine Wiedereröffnung nicht erforderlich war (Eyermann/Schübel-Pfister, 15. Aufl. 2019, VwGO § 104 Rn. 15 m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 104 Rn. 13).
34
1. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG sowie des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16a GG ist nicht gegeben, da die im Wesentlichen gleichen Voraussetzungen wie bei der Prüfung des Flüchtlingsschutzes vorliegen müssten, was nicht der Fall ist (siehe unten). Darüber hinaus reiste der Kläger auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein, was nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG die Anerkennung als Asylberechtigter ausschließt, da die Bundesrepublik Deutschland von Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften umgeben ist, in denen die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist.
35
1.1 Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
36
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
37
Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt Folgendes:
38
Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss, ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.04.1985 - 9 C 109.84 - BVerwGE 71, 180 ff.). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.04.1985 a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67 ff.; VG Augsburg, U.v. 11.07.2016 - Au 5 K 16.30604 - juris Rn. 20).
39
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einer solchen Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
40
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.
41
Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es - unter Angabe genauer Einzelheiten - einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.08.2013 - A 12 S 2023/11 - juris Rn. 35; HessVGH, U.v. 04.09.2014 - 8 A 2434/11.A - juris Rn. 15).
42
Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Gericht verweist zunächst auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheides (§ 77 Abs. 2 AsylG).
43
Auch nach einer umfassenden Anhörung des Klägers zu seinen Fluchtgründen und den Umständen seiner Flucht konnte die Einzelrichterin sich - wie auch zuvor das Bundesamt - nicht von einer relevanten Vorverfolgung des Klägers überzeugen. Der Kläger vermochte auch in der mündlichen Verhandlung nach deren Verlauf und dem persönlichen Eindruck, den das Gericht erhielt, keine sonstigen Verfolgungsgründe glaubhaft zu machen. Insbesondere waren Abweichungen und Steigerungen seines Vortrags in wesentlichen Details zu verzeichnen.
44
Weder die Krankheit/Behinderung seines Sohnes noch das von ihm geschilderte Vergehen gegenüber seiner Tochter stellen einen Rechtsgrund für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzes oder ein sonstiges asylrechtliches Bleiberecht für den Kläger dar. Es ist insbesondere nicht dargelegt oder sonst erkennbar, dass der Kläger selbst deswegen im Iran eine Verfolgung erfahren hatte oder eine solche im Falle einer Rückkehr zu befürchten hat. Die entsprechenden Befindlichkeiten bzw. Vorfälle sind vielmehr im Asylverfahren der betroffenen Personen zu prüfen.
45
Auch ist festzuhalten, dass die im 7. Monat 1374 erfolgte Verhaftung des Klägers nicht Grund für die erst viele Jahre später am 08.04.1398 (= 29.06.2019 abendländischer Kalender) erfolgte Ausreise gewesen ist und damit die Voraussetzungen für die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG nicht erfüllt.
46
Eine im Iran bereits erlittene Vorverfolgung ist nicht glaubhaft dargelegt. Die vom Kläger beim Bundesamt geschilderten Situationen im Iran lassen keine Rückschlüsse auf eine bereits erlittene Vorverfolgung zu.
47
So hat er eigenen Angaben zufolge keine Verfolgungssituation erlebt. Seine Angaben hierzu beruhen vielmehr auf Vermutungen: dass sein Telefon abgehört worden sein soll, will er über Dritte erfahren haben; dass ihm eine Verhaftung drohen soll, will er ebenfalls über Dritte erfahren haben. Dass sein Zugang zum Internet gestört gewesen sein soll, kann viele unterschiedliche Ursachen haben und lässt keine Rückschlüsse auf eine Verfolgungssituation zu. Vergleichbares gilt hinsichtlich seiner Darstellung, auf der Straße von einem Motorrad verfolgt worden zu sein; allein eine solche Verfolgung würde zudem nicht die Schwelle einer Verfolgungshandluch gemäß § 3a AsylG erreichen. Zudem wäre der Zweck einer solchen Verfolgung wenig nachvollziehbar, da seine Aufenthaltsorte, Wohnort als auch Dienstort, bekannt waren.
48
Eine Verwarnung durch seinen Arbeitgeber, soweit dieser ein Akteur i.S.v. § 3c Nr. 3 AsylG ist, wegen angeblicher Organisationen von Streiks erreicht ebenfalls nicht die Schwelle einer Verfolgungshandlung nach § 3a AsylG.
49
Der Glaubhaftmachung einer drohenden Verfolgungsgefahr durch den Arbeitgeber stehen zudem die Einlassungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung entgegen, seine Vorgesetzten hätten ihn wegen seiner hervorragenden Arbeit mehrfach für eine Beförderung vorgeschlagen und ihm sei ein überlanger sechsmonatiger, unbezahlter Urlaub sofort genehmigt worden.
50
Eine Verfolgungssituation durch den Ettelaat und den iranischen Staat ist ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Soweit der Ettelaat seine vom Arbeitgeber vorgeschlagene Beförderungen verhindert haben sollte, erreicht dies nicht die Schwelle einer Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a AsylG. Gegen die Annahme einer Verfolgung durch den Ettelaat bzw. den iranischen Staat spricht zudem, dass dem Kläger verantwortungsvolle Tätigkeiten wie begleitende und von ihm sogar zu beaufsichtigende Auslandsreisen von exportierenden Firmenvertretern möglich gewesen sind.
51
(Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende) Verfolgungshandlungen seitens des Staates oder des Arbeitgebers selbst sind ebenfalls nicht erkennbar, da der Kläger sich nach seinem angegebenen Verschwinden am 01.12.1397 (= 20.02.2019) noch etwa vier Monate bis zur Ausreise am 29.06.2019 unbehelligt aufhalten konnte und nicht offiziell gesucht wurde.
52
Eine Vorverfolgung im Iran wird durch die kurz vor der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 02.05.2022 vorgelegten Dokumente, mit denen er seine Vorverfolgung nunmehr glaubhaft machen möchte, völlig unglaubhaft. Insofern sind seine Angaben unaufklärbar widersprüchlich und damit erscheint der Kläger - auch wegen der nicht erklärbaren Steigerung seines Vorbringens - unglaubwürdig.
53
Den vorgelegten Dokumenten ist zweifelsfrei zu entnehmen, dass sie elektronische Dokumente sind (Mahnung v. 24.01.2019: „elektronische Mitteilung/Zustellung“), die auch elektronisch zugestellt wurden („Die Mitteilung wurde am 24.01.2019 an das Zustellsystem versendet.“). Entsprechendes gilt hinsichtlich der „Mitteilung“ vom 13.02.2019 sowie des elektronischen Blattes zur Festnahme/Vorführung vom 13.04.2019, die kein Zustellungsdatum enthält. Da der Kläger allerdings in der mündlichen Verhandlung unmissverständlich erklärte hat, nie einen Zugang zu diesem elektronischen System beantragt bzw. je gehabt zu haben, widerspricht dies der Echtheit der vorgelegten Dokumente.
54
Die Erstellung elektronischer Dokumente und deren elektronischer Zustellung setzt einen vorherigen Zugang zum System für elektronische Gerichtsmitteilung und einen persönlichen Account voraus. Da man den Zugang zum System für elektronische Gerichtsmitteilungen und einen persönlichen Account erst nach persönlicher Anmeldung erhält (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport 46, Iran „Digitalisierung im Justizapparat“, Stand 12/2021, Seite 3), erscheint die Erstellung eines elektronischen Dokuments und eine elektronische Zustellung ohne jegliche vorherige Freischaltung unmöglich. Zudem erschiene die Annahme lebensfremd, eine andere Person hätte ohne sein Wissen aber in Verwendung seiner ID-Karte und Shenasnameh für ihn den Zugang zum System freischalten lassen. Andernfalls, d.h. wenn der Adressat/die Adressatin der Vorladung noch nicht im System registriert ist und daher auch keine Handynummern o. ä. vorliegt, wird wie früher verfahren. D.h., in diesem Fall wäre vom zuständigen Beamten ein Schreiben aufgesetzt und per Post zugestellt worden (Seite 11 a.a.O.).
55
Selbst wenn es die vorgelegten Dokumente gegeben haben sollte, wären die weiteren Einlassungen des Klägers dazu keinesfalls glaubhaft. Die Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, diese Mitteilungen hätten ihn im Iran gar nicht mehr erreicht, wären nach Überzeugung des Gerichts vorgeschoben. Da er erst am 20.02.2019 untergetaucht sein will, hätten ihn, selbst wenn er anlässlich des Untertauchens sein Handy ausgeschaltet haben sollte, die elektronischen Mitteilungen vom 24.01.2019 und vom 13.02.2019 noch erreichen müssen. Zudem hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, nach seiner Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland sein Handy wieder aktiviert zu haben, so dass ihn spätestens zu diesem Zeitpunkt die elektronischen Mitteilungen hätten erreichen müssen.
56
Dann allerdings ist es unverständlich, warum er beim Bundesamt am 28.10.2019 über etwaige Verfolgungsmaßnahmen des iranischen Staates kein Wort verliert, sondern vielmehr auf Nachfrage deutlich gemacht hatte, dass nach seiner Verhaftung im Jahr 1374 „nie etwas passiert“ sei (Seite 7 Mitte des Anhörungsprotokolls vom 28.10.2019) und er „keine Vorladung zum Gericht erhalten und die Sicherheitskräfte nicht bei ihm zu Hause“ gewesen seien (Seite 11 unteres Drittel des Anhörungsprotokolls).
57
Unglaubhaft und ersichtlich den Vorhaltungen des Gerichts wegen des fehlenden Zugangs zum elektronischen Portal der iranischen Justiz (Sana-Zugang) geschuldet sind auch seine nachträglichen Einlassungen in der mündlichen Verhandlung zu Zustellungsversuchen im Februar/März 2019 in seinem Geschäft im Iran. Auch solches hatte er mit keinem Wort im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt erwähnt. Vielmehr drängte sich in der mündlichen Verhandlung der Eindruck auf, dass der Kläger in der Situation der mündlichen Verhandlung, in dem das Gericht seine Zweifel zu erkennen gab, schnell eine Erklärung für einen Zustellversuch auf herkömmliche Weise gesucht hat. Ein solcher macht jedoch die Existenz einer elektronischen Mitteilung, die elektronisch zur Verfügung gestellt worden sein soll, keineswegs glaubhafter.
58
Auch wenn mangels eines „Originaldokuments“ eine Überprüfung auf eine Echtheit nicht möglich ist, wird ergänzend erwähnt, dass das Gericht grundlegende Zweifel an der Echtheit der vorgelegten verschriftlichten elektronischen Dokumente hat.
59
So ist beispielsweise der elektronischen Mitteilung vom 24.01.2019 nicht zu entnehmen, was vom Kläger eigentlich erwartet wird; denn dort ist lediglich zu lesen, dass es um „einige Erklärungen im Zusammenhang mit Kontakt zu Anti-System-Netzwerken“ geht und er aufgefordert wird, „innerhalb der angegebenen Frist“ (von 5 Tagen nach Systemeintragung der Zustellung) „zu handeln“. Es fehlt eine konkrete Fragestellung, zu der er hätte Stellung nehmen können. Darüber hinaus irritiert, dass zur „Identitätsfeststellung … die Mitnahme des nationalen Ausweises erforderlich“ sein soll, wenn überhaupt kein Datum zu einem persönlichen Erscheinen, sondern nur eine Erklärung gefordert ist.
60
Der Mitteilung vom 13.04.2019 sind entgegen aller Gepflogenheiten eine große Anzahl von vorgeworfenen strafrechtlichen Vergehen zu entnehmen. Aber auch hier fehlt eine konkrete Handlungsaufforderung oder die Vorladung zu einem konkreten Erscheinungstermin. Trotzdem ist auch hier der gleichlautende und unpassende Mitteilungstext zu lesen, dass zur Identitätsfeststellung … die Mitnahme des nationalen Ausweises erforderlich“ ist.
61
Beim elektronischen Dokuments zur Festnahme/Vorführung vom 13.04.2019 irritiert, dass es lediglich an diesem Tag gültig sein soll („gültig bis 13.04.2019“). Bei einem Dokument, dass seine Festnahme ermöglichen soll, ist diese Beschränkung nahezu sinnlos und lässt eine Festnahme (nur) am 13.04.2019 aussichtslos erscheinen.
62
Auch der zeitliche Ablauf seiner Verfolgungsgeschichte lässt Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Geschichte aufkommen. Denn wenn ihm bereits Mitte des 11. Monats 1397 (= etwa Anfang Februar 2019) seine drohende Verhaftung bekannt gewesen sein soll, erschließt sich dem Gericht nicht, warum er dann noch kurz vor seinem Untertauchen am 01.12.1397 noch einen sechsmonatigen Urlaub beantragt haben will. Wenn er wegen einer drohenden politischen Verhaftung plant unterzutauchen, dann erscheint ein Urlaubsantrag vollkommen nachrangig und auch nicht sinnvoll. Denn damit kündigt er offiziell bei seinem (dem iranischen Staat nahestehenden) Arbeitgeber seine geplante Abwesenheit auch noch an. Gleiches gilt hinsichtlich seines Visumantrags. Wäre er tatsächlich in diesem Zeitraum einer Verfolgungsgefahr unterlegen, erschließt sich auch die Sinnhaftigkeit eines vorherigen Visumantrags nicht; vielmehr wäre es vordringlich gewesen, sich selbst in Sicherheit zu bringen.
63
Eine Verfolgung durch den Bruder des Klägers, der bei den Sicherheitskräften tätig sein soll, ist nicht glaubhaft dargelegt. Beim Bundesamt erwähnte er dazu zunächst nur, dass sein Bruder seine politische Meinung nicht geteilt habe (Bl. 9 des Protokolls der Anhörung beim Bundesamt). Soweit er später erklärt hatte, dass er durch seinen Bruder, der Teil der Sicherheitskräfte sei (Bl. 8 a.a.O.), „bestimmt verhaftet“ hätte werden sollen (Bl. 11 a.a.O.), bleibt dies auch angesichts der obigen Ausführungen eine nicht weiter glaubhaft gemachte Vermutung des Klägers.
64
Aufgrund der Gesamtheit der oben genannten Widersprüchlichkeiten, des gesteigerten Vorbringens und der massiven Zweifel an der Echtheit des Ausdruckes der elektronischen Dokumente sowie des Ablaufs der mündlichen Verhandlung und des persönlichen Eindrucks des Klägers ist das Gericht nicht von der Glaubhaftigkeit der Verfolgungsgeschichte des Klägers überzeugt; vielmehr wirkt der Kläger insofern unglaubwürdig. Nach Überzeugung des Gerichts ist der Kläger deshalb unverfolgt aus dem Iran ausgereist.
65
Der Kläger kann sich nicht auf beachtliche Nachfluchtgründe berufen.
66
Gemäß § 28 Abs. 1 wird ein Ausländer in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung.
67
Gemäß § 28 Abs. 1a AsylG kann die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG zu erleiden, auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. § 3 Abs. 1 AsylG greift deshalb beispielsweise auch dann ein, wenn ein Nachfluchtgrund gemäß § 28 Abs. 1 AsylG hinsichtlich der Frage einer Asylanerkennung (Art. 16a Abs. 1 GG) im Raum steht.
68
Eine exilpolitische Betätigung eines iranischen Staatsangehörigen ist dann asyl- bzw. abschiebungsrechtlich relevant, wenn sie in einem nach außen hin in exponierter Weise für eine regimefeindliche Organisation erfolgtem Auftreten besteht. Welche Anforderungen tatsächlicher Art an eine exilpolitische Tätigkeit gestellt werden müssen, damit sie in diesem Sinne als exponiert anzusehen ist, lässt sich nicht allgemein beantworten. Maßgeblich sind insoweit die konkret-individuellen Umstände des Einzelfalls. Entscheidend ist, ob die Aktivitäten den jeweiligen Asylsuchenden aus der Masse der mit dem Regime in Teheran Unzufriedenen herausheben und als ernsthaften und gefährlichen Regimegegner erscheinen lassen. An Aktivitäten im Internet bzw. sozialen Netzwerken ist in gleicher Weise der Maßstab der Herausgehobenheit und Exponiertheit anzulegen, wie er für sonstige politische Aktivitäten gilt. Regimekritische Veröffentlichungen im Internet, insbesondere in sozialen Medien, können eine asylerhebliche Verfolgungsgefahr begründen, wenn nach den konkret-individuellen Umständen des Einzelfalles damit zu rechnen ist, dass sie den iranischen Sicherheitsbehörden bekannt werden und der Betreffende als ein in exponierter Weise auftretender Regimegegner erscheint, von dem aus Sicht der iranischen Behörden eine ernsthafte Gefahr für den Staat ausgeht (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 07.12.2012 - 14 ZB 12.30385 - juris; B. v. 29.07.2013 - 14 ZB 13.30084 - juris; OVG NW B.v. 16.01.2017 - 13 A 1793/16.A - juris).
69
Den im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen lässt sich zwar eine gewisse politische Betätigung des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland entnehmen. Dabei kann offenbleiben, ob sich seine exilpolitische Betätigung als Fortsetzung und Ausdruck seiner nach seinen unglaubwürdigen Angaben (s.o.) bereits in seinem Herkunftsland bestehenden Überzeugung und Parteizugehörigkeit darstellt, denn das Gericht kann jedenfalls keine asylerheblichen Nachfluchttatbestände in Gestalt exponierter, herausgehobener exilpolitischer Tätigkeiten des Klägers feststellen.
70
Die vom Kläger geltend gemachten regimekritischen Internetaktivitäten erreichen allerdings das oben ausgeführte asyl- bzw. abschiebungsrechtlich relevante Niveau nicht. Ein derart exponiertes politisches Engagement lässt sich in Bezug auf die von ihm eigenen Angaben zufolge auf der Plattform Instagram auch in Verbindung mit radiofarda (ein persischsprachiger Hörfunksender aus Prag) oder voafarsi (staatlicher Auslandssender der Vereinigten Staaten in persischer Sprache) geposteten Inhalte nicht feststellen. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass er Posts mit ähnlichen Inhalten auch bei Whats App und Telegram eingestellt hat. Den dem Gericht vorgelegten sehr kurzen Textbeiträgen kann jedenfalls nicht entnommen werden, dass seine Posts tiefgreifende Informationen enthalten (können), die der iranische Staat als Gefahr ansehen könnte, auch wenn er die jeweiligen Kanäle unter seinem eigenen Namen betrieben würde.
71
Auch angesichts der in den jeweiligen sozialen Netzwerken bzw. Internetforen verfügbaren Masse an Mitteilungen ist eine herausragende und exponierte Funktion des Klägers nicht festzustellen.
72
Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich seiner politischen Inhalte auf die Verdächtigungen gegen den ehemaligen Justizchefs Sadegh Laridschani wegen der Führung von Konten auf seinen Namen, auf die dem iranischen Staat gehörende Gelder von iranischen Staatsbürgen überwiesen worden sei, Bezug genommen hat, so sind diese Information keineswegs neu. Im Iran selbst sind diese Informationen über den Internet-TV-Kanal DorrTV bereits seit dem 23.10.2016 bekannt (DeWiki > Sadegh Laridschani), wie der Kläger auch selbst angab (vgl. auch Iranische Elite häuft Vermögen an - USA heizt Debatte an | Kölnische Rundschau (rundschau-online.de v. 31.07.2018). Auch hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass er diese Nachricht bereits vor einigen Jahren über Ahmad News erhalten habe. Aus diesem Grund ist nicht dargelegt, wie dem Kläger deshalb nunmehr eine Verfolgungsgefahr drohen könnte.
73
Soweit der Kläger auf Ruhollah Zam, den Gründer von Ahmad News (Anm. einem Telegram Kanal) verweist, der am 12.12.2020 hingerichtet wurde (Ruhollah Zam: Iran richtet Journalisten hin, die beschuldigt werden, Unruhen zu schüren - BBC News), so ist nicht dargelegt, in welchem Zusammenhang ihm selbst deshalb eine Verfolgung drohen könnte.
74
Auch das vom Kläger in der mündlichen Verhandlung angesprochene beispielhafte Thema eines neuen allgemeinen Referendums zur Bestimmung des politischen Systems hat allgemein im Iran und im Ausland an Beliebtheit gewonnen (vgl. Referendum im Iran: Ein Verfassungsrecht, das aber auf große Hindernisse stoßen würde - Zentrum für Menschenrechte im Iran (https://www.iranhumanrights.org/2021/04/referendum-in-iran-a-constitutional-right-but-would-face-huge-obstacles/) vom 09.04.2021). Aus diesem Grund ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sich der Kläger durch Wiederholung dieses Themas aus der Vielzahl der Befürworter abhebt und als eine Gefahr für das iranische System wahrgenommen werden könnte.
75
An dieser Einschätzung ändert sich auch nichts, wenn der Kläger in der mündlichen Verhandlung weiter darauf verweist, in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor politisch aktiv zu sein, und dass seine Posts Millionen Menschen zugänglich seien. Denn einerseits bedeutet eine potentielle Zugänglichkeit nicht, dass tatsächlich Millionen Menschen diese Posts lesen und mit weiteren anderen Menschen oder Gruppen teilen, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung mitzuteilen versuchte. Andererseits erschlösse sich daraus, auch wenn dem Kläger regelmäßig etliche Hundert Follower auf seinen jeweiligen Accounts oder Kanälen in den verschiedenen Socialmedia Plattformen folgen sollten, nicht, ob und wie er sich aus der Vielzahl an oppositionellen Veröffentlichungen heraushebt und er deshalb als ein in exponierter Weise auftretender Regimegegner erscheint, von dem aus Sicht der iranischen Behörden eine ernsthafte Gefahr für den Staat ausgeht.
76
Im Übrigen handelt es sich bei den Nachrichten und politischen Aktivitäten um ein niedrig profiliertes, unorganisiertes und nicht professionelles Vorgehen, das sich nicht aus der Masse im Internet verfügbarer regimekritischer Inhalte dergestalt hervorhebt, dass ernstlich zu besorgen wäre, die iranischen Sicherheitsbehörden nähmen den Kläger als gefährlichen Regimekritiker wahr. Seine im gerichtlichen Verfahren und beim Bundesamt benannten Inhalte seiner Posts sowie der Inhalt seiner Reden sind mit den in der mündlichen Verhandlung genannten Inhalten nicht ungewöhnlich und knüpfen im Wesentlichen an vergangene Ereignisse an, die allgemein bekannt sind und von einer Vielzahl von Iranern - nicht nur im Exil - diskutiert bzw. kritisiert werden (s.o.). Dies gilt hinsichtlich von Texten zur medikamentösen Versorgungsengpässen anlässlich der Erkrankung seines Sohnes, der Export von Holz und die allgemeine Unzufriedenheit mit dem politischen System, die er im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt angeführt hat.
77
Gleiches gilt hinsichtlich der verschriftlichen und dem Gericht vorgelegten Reden vor dem … in München am …2020 und in … am …2021. Auch wenn der Vortrag seiner vorgelegten Reden als wahr unterstellt würde, beschränkten sich deren Inhalte im Wesentlichen auf Vorkommnisse im Jahr 2009 sowie auf ein damit verbundenes Zitat einer Mutter der Märtyrerin des Novemberaufstandes 2009.
78
Dem Gericht ist im Übrigen bekannt, dass zunehmend iranische Asylbewerber versuchen, durch derartige Aktivitäten in sozialen Netzwerken ihre Asylverfahren mit Gründen anzureichern. Die vom Kläger benannten Aktivitäten entfalten deshalb keine besondere Breitenwirkung, die ihn als oppositionellen Aktivisten in hervorgehobener Position erscheinen lassen, an dem iranische Behörden ein individualisiertes Verfolgungsinteresse haben könnten. Hinzu kommt, dass der Kläger offenbar nicht über Verbindungen zu oppositionellen Organisationen verfügt, für deren Zwecke er seine Internetaktivitäten einsetzt und wodurch eine Verfolgungsgefahr gesteigert werden könnte. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass iranischen Behörden bekannt ist, dass eine große Zahl iranischer Asylbewerber aus wirtschaftlichen oder anderen unpolitischen Gründen versucht, im wesentlichen Ausland einschließlich Deutschlands dauernden Aufenthalt zu finden, und das im Verlauf hierzu betriebener Asylverfahren bestimmte Asylgründe geltend gemacht werden und diesbezügliche Bestätigungen stattfinden, die häufig, wenn nicht vorwiegend dazu dienen, Nachfluchtgründe zu belegen (BayVGH, B.v. 02.03.2010 - 14 ZB 10.30050 -, B.v. 07.11.2016 - 14 ZB 16.30380 - beide juris). Geklärt ist weiterhin, dass seitens der iranischen Behörden Nachfluchtaktivitäten iranischer Asylbewerber in Deutschland realistisch eingeschätzt werden und aus einer Asylantragstellung kein Rückschluss auf die politische Einstellung oder religiöse Gesinnung des Asylbewerbers gezogen wird (BayVGH, B.v. 07.11.2016 - 14 ZB 16.30380 - juris).
79
An dieser Einschätzung vermag auch der mit Schriftsatz vom 10.09.2021 vom Kläger vorgelegte Brief der Alliance of a new Iran etwas zu ändern. Ungeachtet der fehlenden Überprüfbarkeit der Echtheit dieses Briefes, da nur eine Kopie vorgelegt worden ist, erachtet das Gericht diesen Brief als nicht echt, weil die darin enthaltenen Ausführungen zu wiederholten Verhaftungen und Inhaftierungen („frequent arrests an imprisonment“) nicht mit den eigenen Angaben des Klägers zu lediglich einer Verhaftung mit Gefängnisaufenthalt übereinstimmen. Auch im Übrigen ist der Inhalt dieses Briefes auffällig allgemein gehalten und enthält keine weiteren konkreten Aussagen zur politischen Betätigung des Klägers im Iran. Auch politische Aktivitäten des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland sind im Brief vom 10.09.2021 nicht erwähnt, obwohl sich der Kläger seit Oktober 2019 hier aufhält.
80
Der Kläger vermochte es in der mündlichen Verhandlung auch nicht, Verfolgungsgründe hinsichtlich seiner in der Bundesrepublik Deutschland erfolgten Konversion zum Christentum zur vollen Überzeugung des Gerichts darzulegen.
81
Gemäß § 28 Abs. 1a AsylG kann die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG zu erleiden, auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. § 3 Abs. 1 AsylG greift deshalb beispielsweise auch dann ein, wenn ein Nachfluchtgrund gemäß § 28 Abs. 1 AsylG hinsichtlich der Frage einer Asylanerkennung (Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes - GG) im Raum steht.
82
Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es - unter Angabe genauer Einzelheiten - einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.08.2013 - A 12 S 2023/11; Hess. VGH, U.v. 04.09.2014 - 8 A 2434/11.A).
83
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, U.v. 25.2.2019 - 14 B 17.31462) kommt es für die Frage einer Verfolgungsgefahr wegen einer Zuwendung zum Christentum maßgeblich darauf an, ob im Fall einer Rückkehr einer konvertierten Person in den Iran davon auszugehen ist, dass diese ihren neu aufgenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr vom Islam - aktiv im Iran ausüben (BayVGH, B.v. 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 - juris Rn. 6 m. w. N.; v. 7.11.2016 - 14 ZB 16.30380 - juris Rn. 7) oder nur erzwungener Maßen, unter dem Druck drohender Verfolgung, auf eine Glaubensbetätigung verzichten wird (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - NVwZ 2015, 1678, Rn. 11 m.w.N.; BayVGH, U.v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 - juris Rn. 22).
84
Denn es gibt keine Erkenntnisse dahingehend, dass allein wegen einer bisherigen religiösen Betätigung im Ausland oder in Deutschland oder gar schon wegen eines bloß formalen Glaubenswechsels zum christlichen Glauben einem Übergetretenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran eine asylrechtlich relevante Verfolgung drohen könnte. Staatliche oder nichtstaatliche Repressionen sind nur für solche konvertierten Christen festzustellen, die in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten wie etwa Gottesdiensten teilnehmen oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr vom Islam - nach außen zeigen wollen (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 - juris Rn. 5 f. m.w.N.; v. 7.11.2016 - 14 ZB 16.30380 - juris Rn. 7). Diese Erkenntnislage bezieht sich auch auf das Recht der Scharia (vgl. BayVGH, B.v. 29.10.2020 - 14 ZB 19.32048 - juris Rn. 22).
85
Wenn - wie hier - eine Verfolgung in einem Land nicht ausschließlich an der Kirchenzugehörigkeit anknüpft, ist nach der Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts auf der etwaigen Rechtstatsache der Kirchenmitgliedschaft aufbauend bei der Beurteilung der Schwere einer drohenden Verletzung der Religionsfreiheit des Betroffenen zu prüfen, ob die Verfolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis für diesen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Da bereits der unter dem Druck drohender Verfolgung erzwungene Verzicht auf eine Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG erreichen kann, ist für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund drohender religiöser Verfolgung in diesem Fall maßgeblich, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (vgl. zu all dem BVerfG, B.v. 3.4.2020 - 2 BvR 1838/15 - juris Rn. 26 ff.; BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - NVwZ 2015, 1678, Rn. 11 m. w. N.).
86
Bei der Prüfung der inneren Tatsache, ob der Kläger die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung seiner religiösen Identität empfindet, dürfen sich die Verwaltungsgerichte nicht auf eine Plausibilitätsprüfung hinreichend substantiierter Darlegung beschränken, sondern haben insoweit das Regelbeweismaß der vollen Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - NVwZ 2015, 1678, Rn. 13 m.w.N.).
87
Die religiöse Identität lässt sich als innere Tatsache nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Es unterliegt der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, auf welche Weise der Tatrichter versucht, sich die erforderliche Überzeugungsgewissheit vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsache der Wahrung der religiösen Identität des Asylbewerbers zu verschaffen. Insbesondere überspannt es die Beweisanforderungen nicht, von einem Erwachsenen im Regelfall zu erwarten, dass dieser schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann und im Rahmen seiner Persönlichkeit und intellektuellen Disposition mit den Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist (vgl. BVerfG, B.v. 3.4.2020 - 2 BvR 1838/15 - juris Rn. 26 ff.; BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - NVwZ 2015, 1678 Rn. 14 m.w.N.; BayVGH, B.v. 29.10.2020 - 14 B 19.32048 - juris Rn. 21).
88
Gemessen an diesen Maßstäben ist dem Kläger nicht gelungen, zur vollen Überzeugung des Gerichts seine religiöse Identität glaubhaft darzulegen, die im Iran zur Verfolgung führen würde. Dem Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist kein solcher, das unglaubwürdige Vorfluchtvorbringen und die oben ausgeführten zusätzlichen Widersprüchlichkeiten (s.o. Nr. 1.1.1) überlagernder Strang zu einem identitätsprägenden, inneren Einstellungswechsel zu entnehmen. Eine identitätsprägende innere christliche Glaubensprägung hat er nicht dargelegt, insbesondere hat er keine vom unglaubhaften Vorfluchtgeschehen und den zusätzlichen Widersprüchlichkeiten in der mündlichen Verhandlung unabhängigen inneren Beweggründe für eine innere Überzeugung zum christlichen Glauben geschildert.
89
Die Einzelrichterin kommt in der Gesamtschau und aufgrund des persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung vielmehr zu dem Ergebnis, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran keine religiösen Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen würden oder dass der Verzicht auf solche Handlungen eine unzulässige Einschränkung seiner religiösen Identität bedeuten würde. Das Gericht ist insbesondere aufgrund obigen Ausführungen zu seinen (unglaubhaften) Fluchtgründen, der Aktenlage, der Erkenntnismittel und dem Verlauf der mündlichen Verhandlungen (siehe unten) davon überzeugt, dass der Kläger sich aus Opportunitätsgründen dem Christentum zugewandt hat.
90
Diese Einschätzung beruht auf folgenden Erwägungen:
91
Dass der Kläger getauft ist, belegt die vorgelegte Taufurkunde vom 11.10.2021 und das ins Verfahren eingebrachten Schreiben des katholischen Pfarramts vom 21.04.2022. Damit ist objektiv der Anschein erweckt, dass er zum christlichen Glauben konvertiert ist. Da dies alleine als Anlass für eine beachtlich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr im Falle einer Rückkehr nicht ausreicht (s.o.), ist zu prüfen, ob die gegenständlichen objektiven Gesichtspunkte einer Konversion zum Christentum beim Kläger zu einer inneren Verfestigung seines neuen Glaubens dergestalt geführt habe, dass der christliche Glaube seine persönliche Identität prägt und er auch im Falle einer Rückkehr seinen Glauben nach außen erkennbar praktizieren wird.
92
Soweit der Kläger sich hinsichtlich seiner Abwendung vom Islam auf einen sexuellen Übergriff seines Vaters auf seine minderjährige Tochter bezieht, ist kein religiöser Bezug nur schwerlich erkennbar. In allen Religionen werden Straftaten verübt; die Straftat einer Person lässt allerdings keinen Rückschluss auf die Wertigkeit einer Religion zu. Darüber hinaus bleiben nach den Erkenntnissen des Gerichts sexuelle Übergriffe auf Minderjährige auch im Iran nicht straflos: „Damit zusammenhängende Verbrechen würden entweder in die Kategorie Kindesmissbrauch fallen oder in die Kategorie des Ehebruchs. Das Gesetz behandle sexuelle Belästigung nicht direkt und es nenne auch keine Strafe dafür. Unter Bezugnahme auf das Center for Human Rights in Iran (CHRI) erläutert USDOS, dass die Unklarheit hinsichtlich der rechtlichen Definitionen von Kindesmissbrauch und sexueller Belästigung dazu führen könnten, dass sexuelle Belästigung von Kindern unter dem Gesetz für Ehebruch strafrechtlich verfolgt werden. Es gebe zudem zwar keine gesonderten Bestimmungen zu Kindesvergewaltigung, unabhängig vom Alter des Opfers werde Vergewaltigung an sich potentiell jedoch mit der Todesstrafe bestraft (USDOS, 30. März 2021, Section 6)“ (so Accord, Anfragebeantwortung zu Iran: Gewaltschutz von Kindern und Jugendlichen, Früh- und Zwangsverheiratungen … vom 25.03.2022). Zudem lag der von ihm genannte Missbrauch seiner Tochter zum Zeitpunkt seiner Anhörung bereits sieben Jahre zurück und erklärt somit nicht, weshalb die endgültige Abkehr vom Islam erst in der Bundesrepublik Deutschland zum Tragen gekommen ist.
93
Darüber hinaus ist seinen Angaben zufolge dieses Ereignis mit seiner Tochter bereits etwa 2012 erfolgt, so dass eine deshalb erfolgte Abwendung vom islamischen Glauben und die Zuwendung zum christlichen Glauben in der Bundesrepublik Deutschland erst nach Ablehnung seines Asylantrags durch das Bundesamt schon zeitlich nicht plausibel ist. Denn bei seiner Anhörung beim Bundesamt am 28.10.2019 hat er weder eine Abwendung vom Islam noch eine Zuwendung zum christlichen Glauben erwähnt.
94
Auch die weiteren Gründe, die der Kläger für die Abwendung vom Islam anführt, überzeugen nicht. Dies betrifft im Wesentlichen seine Schilderung, dass er seinem (dem iranischen Staat nahestehenden) Arbeitgeber, der offensichtlich Wert auf seine Teilnahme am Mittagsgebet legte, auf konkrete Nachfrage nach seiner Nichtteilnahme am Mittagsgebet als Grund ausgerechnet eine persönliche Kritik am Imam, dieser nehme Geld dafür, genannt haben will. Dies erachtet das Gericht als nicht glaubhaft, weil nicht lebensnah. Wenn er seinen bisherigen eigenen Angaben wenig Erfolg beimisst und deshalb zusätzliche, allerdings wenig glaubhafte Gründe für notwendig erachtet, um sein Asylbegehren erfolgreich zu gestalten, so orientieren sich seine diesbezüglichen Angaben nach dem Eindruck des Gerichts eher am asylrechtlichen Erfolg.
95
Darüber hinaus vermochte der Kläger Gründe für seine Zuwendung zum Christentum trotz konkreter Nachfrage des Gerichts nicht zu benennen. Seine ausweichende Antwort, das Christentum habe ihn auserwählt, sowie seine Erklärung auf weitere Nachfrage, dass er andere Religionen nur mit dem Namen kenne, lässt nicht erkennen, dass er sich mit anderen Religionen überhaupt, geschweige denn ernsthaft auseinandergesetzt hat. Seinen Angaben (seine Frau habe die Kirche in … kennengelernt und mit ihm darüber gesprochen) lässt sich vielmehr entnehmen, dass der bestehende Kontakt seiner Frau zur Kirche in … wohl ausschlaggebend für seine Zuwendung zum christlichen Glauben gewesen ist und keine eigene Überzeugung dazu geführt hat. Dies macht deutlich, dass es dem Kläger an einer tiefergehenden und auch kritischen Auseinandersetzung mit christlichen Glaubensinhalten auch im Vergleich zu anderen Glaubensbekenntnissen fehlt. Eine solche wäre allerdings angesichts seines sehr hohen Bildungsstandes (Studium sowie zuletzt eine besondere Vertrauensstellung in einer dem iranischen Staat nahestehenden Einrichtung im Iran) zu erwarten gewesen, denn bei einem Religionswechsel im Erwachsenenalter, der auf einer bewussten Entscheidung beruht, werden im Vorfeld entsprechende Informationen im Sinne einer vergleichenden und vertiefenden Auseinandersetzung über die neue Religion eingeholt, weshalb an einen Konvertiten im Erwachsenenalter, welcher mit dem moslemischen Glauben sozialisiert wurde, ein strengerer Maßstab anzulegen ist, als bei einem „gebürtigen Christen“. Seine Antwort verstärkt vielmehr den Eindruck, dass dieser Entscheidung weniger eine innere Überzeugung, sondern Opportunitätserwägungen hinsichtlich der Erfolgsaussichten im Asylverfahren zugrunde liegen. Anhaltspunkte dafür, dass eine Auseinandersetzung mit anderen Glaubensrichtungen dem Kläger nicht möglich gewesen sein sollte, sind nicht ersichtlich.
96
Das Gericht nimmt dem Kläger zwar ab, dass er sich mit den christlichen, katholischen Glaubensinhalten beschäftigt hat und in den vergangenen Jahren sich auch einige Kenntnisse der katholischen Glaubenslehre angeeignet hat. Dies lässt sich seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung zu mehreren biblischen Geschichten und Gleichnissen entnehmen, auch wenn die Einlassung zur Taufe von Neugeborenen, die die katholische Kirche im Gegensatz zu anderen Religionen durchführe, wenig durchdacht wirkte. Angeeignetes Wissen ist zwar eine notwendige Voraussetzung für ein religiöses Leben innerhalb und vor allen außerhalb einer größeren christlichen Gemeinschaft, aber für eine identitätsprägende religiöse Einstellung allein nicht ausreichend. Seine Darlegungen von biblischen Geschichten, Bildern und Gleichnissen lassen zudem nicht erkennen, was sie für den Kläger selbst bedeuten und inwieweit sie ihn in seiner Persönlichkeit beeinflussen und prägen. Zwar vermochte er in einigen Bereichen noch einen persönlichen Bezug herzustellen, indem er z.B. die Schlussfolgerung für sich zog, nicht über andere urteilen zu sollen und andere Menschen so zu lieben, wie sich selbst; doch verharren auch diese Konsequenzen im Allgemeinen und bleiben oberflächlich.
97
Auch konnte seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung nur wenig entnommen werden, was ihm am Christentum wichtig sei und welchen Einfluss es auf sein Alltagsleben hat. Seine diesbezüglichen Ausführungen blieben rudimentär und sehr plakativ, wenn er erklärte, dass das Christentum weniger einer Religion, denn ein Weg zum Leben darstelle und er von der Kreuzigung, die für ihn eine neue Geburt darstelle, von der Befreiung von den Sünden und von der Liebe Gottes zu den Menschen, von der Vergebung sowie von der Liebe, Freundlichkeit und Freundschaft, mit der sie in … empfangen worden seien, erzählte.
98
Auch diese Erklärungen blieben insgesamt oberflächlich und lassen keine tiefergehende Auseinandersetzung mit christlichen Glaubensinhalten im konkreten Alltag und in der Welt erkennen. Seine weiteren Antworten, dass das Lesen in der Bibel, der Besuch der Kirche sowie die Weitergabe der christlichen Botschaft einen besonderen Stellenwert einnehme, blieben gleichfalls vage und phrasenhaft. Das Gericht konnte deshalb nicht die Überzeugung einer identitätsprägenden Hinwendung zu einem neuen Glauben gewinnen.
99
Soweit er erklärte, dass ihm das Zusammenleben mit den Gemeindemitgliedern im Falle einer Rückkehr in den Iran fehlen würde, ist dies nachvollziehbar und plausibel, stellt aber keine identitätsprägende religiöse Einstellung dar.
100
Die informatorische Anhörung des katholischen Pfarrers sowie die Erklärung der katholischen Kirche in … vom 21.04.2022 legen zwar glaubhaft die soziale Eingliederung des Klägers mit seiner Familie in die Pfarrgemeinde sowie ihr soziales Engagement in der Kirchengemeinde dar, doch vermögen diese Eindrücke Dritter sowie äußerliche Aktivitäten die fehlende Auseinandersetzung des Klägers mit den Inhalten des Islam, anderen Glaubensrichtungen und dem Christentum als Voraussetzung für eine glaubhafte identitätsprägende Zuwendung zum Christentum nicht zu ersetzen. Dagegen ist es durchaus nachvollziehbar, dass er sich in einem fremden Land von sozialen, ihm freundlich zugewandten Kontaktmöglichkeiten angezogen fühlt. Soweit dem Kläger bestätigt wird, ein wissbegieriger, ehrlicher und engagierter Mensch zu sein, der in der Pfarrgemeinde sehr geschätzt werde und der sich sehr gut eingelebt habe, lassen diese positiven menschlichen Eigenschaften nicht denknotwendig auf eine christliche Glaubensüberzeugung schließen.
101
Ausgehend hiervon hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck gewonnen, dass der Kläger sich mit christlichen Glaubensinhalten und Inhalten der Bibel tatsächlich, ernsthaft und inhaltlich auseinandergesetzt hat, so dass nicht von einer Konversion als eine innere, tatsächliche Hinwendung zum Christentum im Sinne einer Identitätsprägung ausgegangen werden kann, sondern von einer Konversion, die den Erfolg des Asylverfahrens zum Gegenstand hat. Aus den genannten Gründen kann in weiterer Folge auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr Glaubensinhalte weitergeben und die christliche Glaubenslehre verbreiten wird.
102
Anhaltspunkte dafür, dass für einen Rückkehrer in den Iran allein der Umstand, dass er den Iran illegal verlassen und in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, verfolgungsauslösend wäre, liegen weder vor, noch hat der Kläger dies so geltend gemacht (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28.01.2022 (Stand: 23.12.2021), S. 21).
103
Eine Verfolgung durch iranische Sicherheitsbehörden ist damit insgesamt nicht beachtlich wahrscheinlich. Die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter bzw. als Flüchtling sind damit nicht gegeben.
104
1.2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG bzw. auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG zu. Das Gericht verweist insoweit auf die obigen Ausführungen und auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid.
105
Krankheiten, die einer Abschiebung entgegenstünden, machte der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht geltend. Die der Akte des Bundesamts zu entnehmende Diagnose einer Leistenhernie wurde nach dem ärztlichen Attest der Sozialstiftung … vom 22.11.2019 offenbar bereits Ende 2019 einer Operation zugeführt, so dass davon ausgegangen werden kann, dass diese Problematik nunmehr behoben ist. Gegenteiliges wurde nicht vorgetragen. Im Übrigen wird davon ausgegangen, dass eine entsprechende ärztliche Versorgung auch im Iran möglich und erreichbar ist.
106
Das im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Attest der Praxis für Psychotherapie, …, vom 17.02.2020, wonach sich der Kläger wegen eines langjährigen chronifiziert-rezidivierenden Störungsbildes, dass sich bis 1995 zurückverfolgen lasse, seit 01.12.2020 in psychotherapeutischer Behandlung befinde, ist nicht geeignet, eine aktuelle relevante psychische Erkrankung darzulegen, die einer Abschiebung entgegen der gesetzlichen Vermutung in § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG entgegenstehen könnte.
107
Ein vor etwa 1,5 Jahren erstelltes Attest lässt keine Erkenntnis auf den psychischen Zustand des Klägers zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu.
108
Darüber hinaus erfüllt es die gesetzlichen Voraussetzungen in § 60a Abs. 2c Sätze 2 und 3 AufenthG nicht.
109
Danach muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Wird zudem das Vorliegen einer psychischen auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatlang gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist.“.
110
Diesem Attest ist nicht zu entnehmen, auf welchen Grundlagen die Diagnosen einer mittelgradigen depressiven Episode (ICD 10 F32.1) und der Panikstörung (ICD 10 F41.0) ermittelt worden sind. Vielmehr reduzieren sich die im Attest genannten Tatsachengrundlagen im Wesentlichen auf die Wiederholung von Angaben des Klägers, wie die Verwendung der indirekten Rede deutlich zeigt.
111
Wenn sich zudem die gesundheitliche Störung bereits bis ins Jahr 1995 zurückverfolgen lassen, so erstaunt, dass der Kläger solche nicht bereits beim Bundesamt angegeben hat (vgl. zu PTBS BVerwG U.v. 11.2.2007 - 10 C 8/07 - juris Rn. 15). Im Übrigen lässt sich den Angaben des Klägers zu seinen beruflichen Anforderungen nicht entnehmen, dass er bereits im Iran unter vergleichbaren Symptomen gelitten haben könnte. Immerhin war er offensichtlich in der Lage, im Iran bis zuletzt einer verantwortungsvollen Tätigkeit nachzugehen. Wenn allerdings die geschilderten Symptome erst in der Bundesrepublik Deutschland aufgetreten sein sollten, so steht dies mit den Angaben des Attestes in Widerspruch. Eine schlüssige Begründung dafür, warum der Kläger erst am 01.12.2020 eine Behandlung wegen der Depression und Panikattacken, die mit erheblichen Einschränkungen des Klägers im Alltag verbunden seien, begann, obwohl er sich bereits seit Oktober 2019 in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, wurde nicht gegeben. Ergänzend anzumerken ist, dass die „erheblichen Einschränkungen im Alltag“ nicht näher dargelegt sind.
112
Im Übrigen ist im Iran eine medizinische Behandlung entsprechender Krankheitsbilder möglich (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Iran: Behandlung einer chronischen Depression v. 20.11.2008); Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Iran, aus dem COI-CMS v. 29.01.2021, S. 80 ff.). Auch die genannten Medikamente Tavor oder die im Attest nicht näher bezeichneten Antidepressiva sind im Iran erhältlich (vgl. EUAA, Medical Country of Origin Information ACC 7618 vom 01.04.2022 bezüglich Citalopram; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Iran, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation IRAN, Posttraumatische Belastungsstörung, schwergradige depressive Episode; Medikamente Quetiapin und Mirtazipin).
113
Auch die Covid-19-Pandemie erfüllt nicht die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Durch diese Pandemie bedingte Widrigkeiten sind im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts jedenfalls nicht im Sinne einer konkreten Gefahr ersichtlich oder vom Kläger vorgetragen worden.
114
Die Pandemie herrscht im Iran ebenso wie in der Bundesrepublik Deutschland. Auch medizinische Gründe, wie z.B. an Covid-19 zu erkranken, führen nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Diese Gefahr droht nicht nur dem Kläger im Iran, sondern unterschiedslos allen Bewohnern dieser Welt. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind derartige Gefahren darüber hinaus (nur) bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Ein Abschiebungsverbot wäre demnach nur gegeben, wenn der Betroffene ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. OVG NW, B.v. 17.12.2014 a.a.O. - juris Rn. 10 ff.; BVerwG, U.v. 29.06.2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226, und v. 29.09.2011 - 10 C 24.10 -, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 41, S. 86 f, jeweils zu § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 3 AufenthG (a.F.)).
115
Dass der Kläger im Falle einer Rückkehr durch eine schwerwiegende Erkrankung am Corona-Virus mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre, ist nach der Erkenntnislage nicht anzunehmen. Die Gefahr einer Infektion ist in der Bundesrepublik Deutschland als auch im Iran vorhanden, nicht jedoch eine konkrete Gefahr für Leib und Leben. In den meisten Fällen ist der Krankheitsverlauf der Covid-19 Patienten allgemein und auch im Iran nicht lebensgefährlich. Die Wahrscheinlichkeit für schwere und auch tödliche Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu.
116
Dass der Kläger zum gefährdeten Personenkreis (hohes Alter, maßgebliche Vorerkrankungen) zählt, ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Bisher ist weiterhin nicht bekannt, dass Personen, die sich ohne entsprechende Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe mit dem Virus infizieren, im Allgemeinen einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wären.
117
Soweit die Bundesamtsakte medizinische Attest zum Gesundheitszustand eines seiner Söhne enthält, kann sich der Kläger darauf nicht berufen. Solche möglichen Abschiebungshindernisse sind im Verfahren des Kindes selbst zu prüfen.
118
1.3. Auch die gegenüber dem Kläger erlassene Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung begegnet keinen rechtlichen Zweifeln (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG). Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit des von der Beklagten festgesetzten Einreise- und Aufenthaltsverbots und der Befristung sprechen, wurden nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich.
119
Die Klage war nach alledem insgesamt abzuweisen.
120
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83 b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.