Titel:
Erfolgreicher Eilantrag auf Duldung für drei Monate
Normenketten:
AufenthG § 58 Abs. 1, § 59 Abs. 2, § 60a Abs. 2 S. 1, § 61 Abs. 1d
AsylG § 34 Abs. 1
GG Art. 6
BayVwVfG § 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a
ZustVAuslR § 6
VwGO § 123
SGB I § 30 Abs. 3 S. 2
Leitsätze:
1. Die Ausländerbehörde, für deren Zuständigkeitsbereich die Wohnsitzauflage nach § 61 Abs. 1d S. 1 AufenthG besteht, ist Ausländerbehörde des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a BayVwVfG iVm § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Abschiebung eines Antragstellers ist rechtlich unmöglich, wenn keine Abschiebungsandrohung mit Zielstaatsbestimmung hinsichtlich seines Herkunftslandes existiert und kein anderer möglicher Zielstaat einer Abschiebung im Raum steht. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nach § 61 Abs. 1d S. 4 AufenthG besteht die rechtlich zulässige Möglichkeit, den durch die Wohnsitzauflage festgelegten Ort ohne Erlaubnis vorübergehend - worunter auch drei Monate fallen - zu verlassen, etwa um die familiäre Lebensgemeinschaft mit Lebensgefährtin und Tochter in einem anderen Bundesland zu festigen (aA OVG Schleswig BeckRS 2020, 19260 Rn. 33). (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eilrechtsschutz, Duldung für 3 Monate gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, Änderung der Wohnsitzauflage, Zuständigkeit der Ausländerbehörde bei länderübergreifendem Sachverhalt, Nachholung des Visumverfahrens, Eilantrag, Duldung, Unmöglichkeit, Abschiebung, Wohnsitzauflage, Änderung, Zuständigkeit, Ausländerbehörde
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21121
Tenor
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller eine Duldung gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG für drei Monate zu erteilen.
2. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
3. Der Antragssteller und der Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
4. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Erteilung einer Duldung und die Änderung einer Wohnsitzauflage.
2
Der Antragsteller ist gambischer Staatsangehöriger und reiste am 23.03.2015 ins Bundesgebiet ein. Mit Bescheid vom 23.03.2015 wies die Regierung von … den Antragsteller ab dem 26.03.2015 dem Landkreis … (Wohnsitz …, …, …*) zu und benannte als zuständige Behörde für die Unterbringung das Landratsamt … Der am 05.10.2015 gestellte Asylantrag wurde am 25.10.2016 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) abgelehnt, verbunden mit der Feststellung, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen. Zudem wurde die Abschiebung nach Mali angedroht, weil sich der Antragsteller im Asylverfahren als malischer Staatsangehöriger ausgegeben hat. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Der Antragsteller ging nicht gegen diesen Bescheid vor. Der Antragsteller wurde von Amts wegen am 30.11.2016 in der Unterkunft in … abgemeldet, weil er sich dort nicht mehr aufhielt, sondern nach unbekannt verzogen ist. Wo sich der Antragsteller im Laufe des Jahres 2016 und in den folgenden Jahren aufhielt, lässt sich nicht eindeutig bestimmen, teilweise hielt er sich in Berlin auf (wie u.a. dem Strafurteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 18.08.2016 zu entnehmen ist, Bl. 56 ff. der Behördenakte), teilweise hielt er sich nach Angaben seiner deutschen Lebensgefährtin vom 19.01.2022 (Bl. 168 der Behördenakte) in Italien auf. Am 17.06.2020 wurde das gemeinsame Kind - … - des Antragstellers und seiner Lebensgefährtin geboren, das die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Am 03.11.2020 erkannte der Antragsteller vor dem Jugendamt Berlin- … die Vaterschaft an und erklärte die gemeinsame Sorge. Seit 08.01.2021 ist der Antragsteller in Berlin gemeldet und wohnt in häuslicher Lebensgemeinschaft mit seiner Tochter und der Kindesmutter.
3
Am 25.03.2021 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner - vertreten durch das Landratsamt …, Ausländeramt - die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, nahm diesen Antrag jedoch einige Wochen später zurück und beantragte beim Landesamt für Einwanderung in Berlin die Aussetzung der Weiterleitung nach … sowie die Erteilung einer Duldung. Den diesbezüglich erhobenen Eilantrag wies das VG Berlin mit Beschluss vom 08.12.2021 (Az. VG 30 L 435/21) mit der Begründung zurück, dass die Zuweisungsentscheidung vom 23.03.2015 weiterhin wirksam und somit der Antragsgegner weiterhin zuständig sei.
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Mit Schreiben vom 26.01.2022 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner die Erteilung einer Duldung und die Änderung der Wohnsitzauflage. Zudem bat er um einen Vorsprachetermin sowie eine Zusicherung, dass eine Abschiebung bis zur Entscheidung über den Duldungsantrag unterbleibe.
5
Mit Schreiben vom 07.02.2022 teilte der Antragsgegner im Wesentlichen mit, dass er sich nicht mehr für zuständig erachte, weil der Antragsteller nach unbekannt verzogen sei. Bis zum Fortzug nach unbekannt habe die örtliche Zuständigkeit des Landratsamtes … gem. § 7 Abs. 1 ZustVAuslR aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts im Landkreis … und aufgrund der Wohnsitzzuweisung in der Unterkunft im Landkreis bestanden. Zwar bleibe die örtliche Zuständigkeit gem. § 7 Abs. 3 Nr. 2 ZustVAuslR bestehen, wenn der Ausländer unerlaubt in den Bezirk einer anderen Kreisverwaltungsbehörde wechsle. Die Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebung und über die Ausstellung der Duldungsbescheinigung setze dennoch voraus, dass sich der Ausländer auch in dem Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde aufhalte. Es sei nicht zulässig, für einen sich unerlaubt im Bezirk einer anderen Ausländerbehörde aufhaltenden Ausländer eine Duldungsbescheinigung auszustellen, wenn feststehe, dass sich der Ausländer gar nicht im Zuständigkeitsbereich der adressierten Ausländerbehörde aufhält oder künftig aufhalten will. Der Antragsteller verfüge seit seinem Fortzug nach unbekannt über keinen angemeldeten Wohnsitz mehr.
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Daraufhin bat der Antragstellerbevollmächtigte mit E-Mail vom 09.02.2022 um Übermittlung eines Vorsprachetermins, um sich im Zuständigkeitsgebiet des Antragsgegners melden zu können.
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Mit Schreiben vom 17.02.2022 teilte der Antragsgegner mit, dass ihm nicht klar sei, welchen Wohnsitz der Antragsteller im Landkreis … beziehen wolle, dass alle Unterkünfte voll seien und es sich wegen des auch zukünftig geplanten Aufenthalts in Berlin um eine Scheinanmeldung handele.
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Mit Schreiben vom 24.02.2022 teilte der Antragsgegner im Wesentlichen mit, dass die Luftabschiebung eingeleitet worden sei, weil der Antragsteller einen gültigen Reisepass habe. Es sei ein Amtshilfeersuchen an die Ausländerbehörde des Landes Berlin ergangen; die Abschiebung habe aber in den letzten Monaten nicht vollzogen werden können, weil die gambische Regierung weiteren Abschiebungen nicht zugestimmt habe. Da Luftabschiebungen nach Gambia nun wieder möglich seien, werde dem Antragsteller nochmals zur freiwilligen Ausreise geraten.
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Am 02.03.2022 bat der Antragstellerbevollmächtigte den Antragsgegner um die Erteilung einer Duldung bis zum 09.03.2022 und um einen Vorsprachetermin, damit der Antragsteller seinen Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners nehmen könne. Mit Schriftsatz vom selben Tag wandte er sich an das Landesamt für Einwanderung Berlin und bat innerhalb derselben Frist um Mitteilung, ob für den Fall einer freiwilligen Ausreise eine Vorabzustimmung zur Wiedereinreise erteilt würde.
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Mit Antrag vom 18.03.2022 ließ der Antragsteller einen Antrag auf Eilrechtsschutz erheben und beantragen,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller - ggf. nach vorheriger Terminvergabe zur persönlichen Vorsprache - eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 (hilfsweise § 60a Abs. 2 Satz 3) AufenthG für drei Monate zu erteilen sowie den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die in der vorgenannten Duldung enthaltene Wohnsitzauflage sodann vorläufig dahingehend zu ändern, dass dieser seinen Wohnsitz bei seiner Tochter in Berlin zu nehmen hat.
11
Als Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen: Die Abschiebung sei aus rechtlichen Gründen gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG unmöglich. Dies ergebe sich aus Art. 6 GG, weil der Antragsteller mit seinem deutschen Kind im Säuglings- und Kleinkindalter in familiärer Hausgemeinschaft wohne. Der Antragsteller sei jedenfalls zu dulden, bis ein Termin für die Erteilung eines Visums bei der zuständigen Auslandsvertretung stattfinden könne. Termine bei der Deutschen Botschaft in Dakar seien derzeit nicht verfügbar. Daher sei es völlig unabsehbar, wie lange der Antragsteller im Falle einer Abschiebung oder freiwilligen Ausreise von seiner Tochter getrennt wäre. Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht hätten die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein sehr kleines Kind betroffen sei, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen könne und diese als endgültigen Verlust erfahre. Der Antragsgegner sei für die Ausstellung der Duldungsbescheinigung zuständig, auch wenn der Antragsteller sich nicht in seinem Zuständigkeitsbereich aufhalte. Die örtliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde sei nach der Rechtsprechung des BVerwG in zwei Schritten zu bestimmen: Zunächst sei festzustellen, welches Bundesland die Verbandskompetenz zur Sachentscheidung besitze. Sodann sei auf Grundlage des Landesrechts des zur Entscheidung befugten Bundeslandes zu ermitteln, welche Behörde innerhalb des Landes örtlich zuständig sei. Den gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 3a VwVfG habe jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhalte, die erkennen ließen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweile. Die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts setze eine aufgrund tatsächlicher Umstände zu treffende Prognose voraus, wofür nicht allein der auf ein dauerhaftes Verweilen gerichtete Wille des Betroffenen genüge. Hinzukommen müsse auch die Möglichkeit, auf unabsehbare Zeit an dem gewählten Ort bleiben zu können. Der Antragsgegner sei die weiterhin örtlich zuständige Ausländerbehörde, weil der Antragsteller gem. § 61 Abs. 1d Satz 1 und 2 AufenthG verpflichtet sei, seinen Aufenthalt im Landkreis … zu nehmen. Die asylrechtliche Zuweisungsentscheidung vom 23.03.2015 bestehe fort. Andernfalls wäre letztlich keine Ausländerbehörde in der Bundesrepublik zuständig. Dies widerspräche der Regelungssystematik, weil eine Abschiebung und eine Legalisierung des Aufenthalts zu keinem Zeitpunkt möglich sei. Hieran ändere auch eine fehlende persönliche Vorsprache des Antragstellers nichts. Der Antragsteller habe einen Anspruch auf Änderung der Wohnsitzauflage gem. § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG, weil eine Ermessensreduzierung auf Null vorliege. Es bestehe eine familiäre Lebens- und Haushaltsgemeinschaft, der Antragsteller habe elterliches Sorgerecht. Im Rahmen der zu treffenden Abwägungsentscheidung könne eine Änderung der Wohnsitzauflage zum Zwecke der Herstellung der Familieneinheit mit Blick auf Art. 6 GG nicht ermessensfehlerfrei abgelehnt werden. Eines Einvernehmens des Berliner Landesamtes für Einwanderung bedürfe es nicht. Insbesondere ergebe sich ein solches nicht aus § 72 Abs. 3a bzw. § 72 Abs. 3 AufenthG. Die gem. § 61 Abs. 1d Satz 4 AufenthG eingeräumte Möglichkeit, den in der Wohnsitzauflage festgelegten Ort ohne Erlaubnis vorübergehend zu verlassen, genüge nicht zur Wahrung der Interessen des Antragstellers. Die dauerhafte Aufrechterhaltung und Verfestigung der von Art. 6 Abs. 1 und 2 GG geschützten Vater-Kind-Beziehung sei nur durch eine Änderung der Wohnsitzauflage realisierbar, weil die Entfernung zwischen dem Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners und der gemeinsamen Wohnadresse in Berlin 350 km betrage. Der persönliche Kontakt des Kindes zu beiden Elternteilen diene gerade im Kleinkindalter der persönlichen Entwicklung. Für Brief- oder Telefonkontakte sei die Tochter des Antragstellers offensichtlich zu jung. Der Antragsteller habe nicht die notwendigen finanziellen Mittel, um regelmäßig zwischen … und Berlin zu pendeln. Der Anordnungsgrund ergebe sich daraus, dass der Antragsteller keine andere rechtlich zulässige Möglichkeit habe, den Umgang und eine familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner Tochter aufrechtzuerhalten. Der familiäre Schutz des Art. 6 GG und das Kindeswohl geböten eine vorläufige Regelung bis zur Rechtskraft einer Hauptsacheentscheidung, um einem fortschreitenden Entfremdungsprozess zwischen Vater und Tochter vorzubeugen.
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Mit Schriftsatz vom 28.03.2022 beantragt der Antragsgegner, den Eilantrag abzulehnen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Der Antragsteller sei im Jahr 2016 aus der ihm zugewiesenen Unterkunft in … nach unbekannt verzogen. Aus den Mitteilungen der Polizei in Berlin lasse sich erahnen, dass er sich dort aufgehalten habe, weil er dort in einschlägig als Drogenhandelsplätzen bekannten Parkanlagen angetroffen worden sei. Versuche, den Antragsteller festzusetzen, um für ihn ein Passersatzbeschaffungsverfahren für die Beschaffung eines malisischen Passersatzdokumentes einzuleiten, seien gescheitert. Dem Antragsgegner sei nicht bekannt geworden, dass sich der Antragsteller zwischenzeitlich in Italien aufgehalten und dort ein Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen erhalten habe. Er habe keinen Aufenthaltstitel einer italienischen Behörde vorgelegt. Im Sommer 2020 habe der Antragsteller bei der Ausländerbehörde in Berlin einen neu ausgestellten Reisepass vorgelegt, aus dem sich eine gambische Staatsangehörigkeit ergebe. Grundsätzlich bestehe die Zuweisung an einen Wohnort auch nach dem rechtskräftigen Ende des Asylverfahrens fort. Insofern werde auf die Zuständigkeitsregel des § 7 Abs. 3 Nr. 2 ZustVAuslR verwiesen. Diese Norm gründe auf der grundsätzlichen Festlegung der örtlichen Zuständigkeit gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 ZustVAuslR. Diese Regelung setze voraus, dass sich der Ausländer auch tatsächlich an dem ihm zugewiesenen Wohnort aufhalte bzw. dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Da der Antragsteller Ende 2016 aus der Unterkunft in … nach unbekannt verzogen sei und sich bis zum Sommer 2020 an unbekannten Orten aufgehalten habe, liege der gewöhnliche Aufenthalt nicht im Landkreis … Die fortbestehende örtliche Zuständigkeit des Landratsamts … müsse in tatsächlicher Hinsicht durch den gewöhnlichen Aufenthalt des Ausländers ergänzt werden. Durch die dauerhafte Abwesenheit des Antragstellers werde aber gerade kein gewöhnlicher Aufenthalt im Landkreis … mehr begründet. Auch der beantragte Vorsprachetermin beim Landratsamt … sei nicht dazu geeignet, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Eine auch nur kurzfristige Wieder-Einweisung in eine Asylunterkunft im Landkreis … scheitere daran, dass seit Herbst 2021 jeder Unterkunftsplatz in dortigen Unterkünften belegt sei. Eine nur pro forma vorgenommene Einweisung käme einer Scheinanmeldung gleich und könne nicht verlangt werden. Im Falle einer Entscheidung über den Antrag käme es zu der Situation, dass das Landratsamt … über den Aufenthalt eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers entscheide, bei dem nicht im Ansatz die Absicht bestehe, sich dort aufzuhalten, wo er sich aufzuhalten habe. Dies entspreche nicht dem Sinn und Zweck von Wohnsitzauflagen. Zu der Frage, ob bei dem Antragsteller eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung vorliege, werde keine Stellung genommen.
14
Mit Schriftsatz vom 01.04.2022 brachte der Antragstellerbevollmächtigte vor, dass es für die Bewertung der Frage der Zumutbarkeit einer vorübergehenden Trennung von Verfassungs wegen insbesondere einer tragfähigen Prognose der zu erwartenden Dauer des Visumsverfahrens bedürfe, die bislang völlig fehle.
15
Aufgrund eines gerichtlichen Amtshilfeersuchens teilte die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Dakar mit E-Mail vom 05.04.2022 mit, dass sich die Terminwartezeit für ein Visum zur Familienzusammenführung auf ca. sechs bis acht Wochen belaufe. Termine würden ca. zwei bis drei Monate vorher freigeschaltet. Die Bearbeitungszeiten betrügen mit Vorabzustimmung ohne Urkundenüberprüfungsverfahren ca. eine Woche und im Falle der Vorabzustimmung mit Urkundenüberprüfungsverfahren ca. sechs Monate. In gleichgearteten Verfahren sei das Urkundenüberprüfungsverfahren bereits im Vorfeld durch die inländischen Behörden im Rahmen der Amtshilfe eingeleitet und der Termin zur Beantragung des Visums erst im Anschluss gebucht worden, um die Gesamtbearbeitungszeit so kurz wie möglich zu halten. Es komme derzeit nicht zu pandemiebedingten Verzögerungen.
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Anlässlich eines gerichtlichen Amtshilfeersuchens äußerte das Landesamt für Einwanderung Berlin am 06.04.2022, dass die Erteilung einer Vorabzustimmung im Fall des Antragstellers nicht in Betracht komme. Vorabzustimmungen könnten nach der Weisungslage nur in sehr wenigen Ausnahmefällen erteilt werden; etwa wenn humanitäre oder familiäre Notlagen vorlägen, die sich gravierend von einer Vielzahl anderer gleich gelagerter Fälle abhöben. Es werde keine Veranlassung gesehen, insbesondere vor dem Hintergrund der erheblichen Wartezeiten in einigen deutschen Auslandsvertretungen, mit der Erteilung von Vorabzustimmungen in das reguläre Sichtvermerksverfahren einzugreifen. Vorabzustimmungen führten nicht zwingend zu einer Verfahrensbeschleunigung, da regelmäßig trotzdem mehrfache Vorsprachen bei den Auslandsvertretungen erforderlich seien. Zudem läge ein Eingriff in die Reihenfolge der Visabeantragungen vor, der gegenüber anderen Betroffenen, die die Einreisebestimmungen der BRD einhalten und entsprechende Wartezeiten in Kauf nehmen, angesichts des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes nur schwer zu rechtfertigen wäre. Im Übrigen ersetze die Vorabzustimmung nicht die abschließende Entscheidung über die Erteilung eines Visums, die gem. § 71 Abs. 2 AufenthG ausschließlich der zuständigen deutschen Auslandsvertretung obliege.
17
Im Zuge eines weiteren gerichtlichen Amtshilfeersuchens gab die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Dakar mit E-Mail vom 07.04.2022 an, dass sich die Bearbeitungszeit erheblich verlängere, wenn keine Vorabzustimmung vorliege. Ohne Urkundenüberprüfungsverfahren betrage die Bearbeitungszeit ca. drei Monate, je nach Dauer der Rückmeldung der inländischen Behörde. Mit Urkundenüberprüfungsverfahren müsse mit einer Verfahrensdauer von mindestens sechs bis neun Monaten gerechnet werden.
18
Mit Schriftsatz vom 08.04.2022 führte der Antragstellerbevollmächtigte aus, dass die Unzumutbarkeit des Visumverfahrens angesichts der Verweigerung der Vorabzustimmung auf der Hand liege. Es sei für ihn nicht verständlich, ob die Wartezeit auf einen Termin sechs bis acht Wochen oder zwei bis drei Monate betrage; es gebe keine Warteliste und der Webseite sei nicht zu entnehmen, zu welchen Zeiten neue Termine freigeschaltet würden. Selbst wenn ein Termin im Voraus der Ausreise gebucht und man punktgenau ausreisen würde, stelle sich das Problem der Urkundenüberprüfung. Diese erscheine wegen der Aliaspersonalie des Antragstellers naheliegend. Die Anregung der Botschaft, diese Überprüfung im Vorfeld vornehmen zu lassen, scheitere daran, dass es keine Behörde gebe, die eine solche Überprüfung in Amtshilfe veranlassen würde. Weder der Antragsgegner, noch die Berliner Ausländerbehörde sähen sich dafür zuständig. Der Antragsteller könne ein solches Verfahren ohne behördliche Beteiligung nicht einleiten. Die Auskunft der Botschaft, die Bearbeitungszeit liege ohne Urkundenüberprüfungsverfahren und Vorabzustimmung bei ca. drei Monaten sei nicht hilfreich, weil sie keine belastbare Prognose über die Dauer des Verfahrens erlaube. Die Befassung der Ausländerbehörde durch die Botschaft erfolge regelmäßig erst nach weitgehendem Abschluss der eigenständigen Prüfung des Antrages durch die Auslandsvertretung, da durch diese Angaben zum Antragsteller und ggf. der Bezugsperson im Inland umfassend übermittelt würden. Die sich daran anschließende Weiterleitung der Anfrage dauere nochmals zwei bis drei Wochen. Die Berliner Ausländerbehörde sei derart überlastet, dass sie erfahrungsgemäß frühestens zwei Monate nach Eingang der Anfrage gem. § 31 Abs. 1 AufenthV beginne. Durch die pandemiebedingt eingetretenen Rückstände und die zusätzlichen Herausforderungen durch die Bearbeitung der Flüchtlinge aus der Ukraine dürfte die Bearbeitungszeit tatsächlich deutlich höher liegen. Im besten Fall würde das Visumverfahren nicht unter drei bis vier Monaten dauern. Vielmehr erscheine eine Dauer von neun bis zwölf Monaten realistisch. Ein solcher Trennungszeitraum sei angesichts der engen familiären Bindung zwischen dem Antragsteller und seiner nicht mal zwei Jahre alten Tochter unzumutbar lang, weil die erhebliche Gefahr bestünde, dass die Tochter eine derart lange Trennung als endgültigen Verlust begreife.
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Mit Schriftsatz vom 14.04.2022 trug der Antragstellerbevollmächtigte ergänzend vor, dass die Kindesmutter seit dem 11.04.2022 eine Teilzeittätigkeit aufgenommen habe. Die Bedeutung des Betreuungsbeitrages des Antragstellers sei damit nochmals gewachsen, entsprechend weniger verzichtbar sei seine Anwesenheit für die Familie.
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Mit Schriftsatz vom 22.05.2022 legte der Antragstellerbevollmächtigte - auf gerichtliche Aufforderung hin - eine eidesstattliche Versicherung der Kindesmutter vor, in welcher die konkreten Betreuungsleistungen des Antragstellers und der Familienalltag beschrieben werden. Insbesondere geht daraus hervor, dass die Kindesmutter die Tochter üblicherweise auf dem Weg zur Arbeit in die Kita bringe und abends abhole; der Antragsteller habe dann bereits gekocht und es werde zusammen gegessen. Sofern die Kindesmutter ganztags arbeite, bringe der Antragsteller die Tochter zur Kita und hole sie abends wieder ab. Jeden zweiten Samstag arbeite die Kindesmutter; an diesen Tagen verbringe die Tochter den Tag mit dem Antragsteller. Er koche meistens gambische Gerichte, bade die Tochter und bringe sie ins Bett. Die Kindesmutter gehe ca. drei Mal die Woche zum Sport; während dessen kümmere sich der Antragsteller um die Tochter und spiele mit ihr. Sonntags sei Familientag und der Tag werde zu dritt verbracht. Auf dem Spielplatz spiele meistens der Antragsteller mit seiner Tochter, die Mutter lese ein Buch oder etwas auf ihrem Smartphone. Der Antragsteller habe sehr viel Geduld und Einfühlungsvermögen und berichte der Mutter jeden Entwicklungsschritt, z.B. das Erlernen neuer Worte oder Fortschritte beim Roller- oder Laufradfahren. Der Antragsteller achte sehr auf die Haar- und Hautpflege der Tochter und creme sie jeden Morgen und Abend ein, weil sie Neurodermitis habe. Im Haushalt erledige der Antragsteller den Abwasch, das Einkaufen, die Wäsche und was sonst noch anfalle. Das Zusammenleben sei sehr harmonisch und von gegenseitiger Unterstützung geprägt.
21
Mit Schreiben vom 07.06.2022 sicherte der Antragsgegner zu, dass vor Abschluss des Verfahrens keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bzgl. des Antragstellers vorgenommen würden.
22
Auf gerichtliche Nachfrage hin gab der Antragsgegner mit Schreiben vom 14.06.2022 an, dass Abschiebungen nach Gambia seit Mai 2022 möglich, die Maschinen jedoch derzeit für die Abschiebung inhaftierter Straftäter vorbehalten seien. Im Oktober 2022 sei eine Luftabschiebung des Bayerischen Landesamt für Asyl und Rückführungen geplant, nach dessen Aussage bei dieser Abschiebung auch nicht-inhaftierte gambische Staatsangehörige eingeplant werden könnten.
23
Mit Schriftsatz vom 15.06.2022 trug der Antragstellerbevollmächtigte vor, es bestehe im Hinblick auf die Auskunft des Antragsgegners bereits in tatsächlicher Hinsicht ein Duldungsgrund, weil für die nächsten dreieinhalb Monate aus Kapazitätsgründen keine Abschiebung erfolgen könne. Wenn die Abschiebung nicht ohne Verzögerungen durchgeführt werden könne, sei eine Duldung zu erteilen. Da der Antragsteller nicht abgeschoben werden könne, habe er auch einen Anspruch auf Entscheidung gem. § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG zur Herstellung der familiären Einheit.
24
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
25
Der zulässige Antrag hat in der Sache teilweise Erfolg. Das Landratsamt …, Ausländeramt ist die für die Anträge des Antragstellers zuständige Ausländerbehörde (2.2.). Ferner hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund i.S.d. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auf Erteilung einer Duldung gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG für die Dauer von drei Monaten (2.3. und 2.4.) glaubhaft gemacht. Ob der Antragsteller einen Anspruch auf vorläufige Änderung der Wohnsitzauflage gem. § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG glaubhaft gemacht hat, bedarf keiner abschließenden Klärung, weil jedenfalls kein Anordnungsgrund vorliegt (2.5.). Über den Antrag ist im Rahmen einer summarischen Prüfung zu entscheiden.
26
1. Obwohl sich der Antragsteller nach eigenem Vortrag bereits seit dem Jahr 2020 tatsächlich in Berlin aufhält, ist das Rechtsschutzbedürfnis i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG auch hinsichtlich Ziff. 2 des Antrags zu bejahen. Denn das Begehren, die Änderung des Wohnsitzes nach Berlin rechtlich abzusichern, verbessert im Erfolgsfalle seine Rechtsstellung (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Vor §§ 40-53 Rn. 11).
27
2. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch gegen den Antragsgegner auf Erteilung einer Duldung gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG für die Dauer von drei Monaten glaubhaft gemacht, der durch eine entsprechende einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zu sichern ist.
28
Gem. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Gestalt der Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden.
29
2.1. Passivlegitimiert ist vorliegend der Freistaat Bayern als Rechtsträger des Landratsamtes … Der Antrag wurde antragstellerbegünstigend gem. §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO dahingehend ausgelegt, weil der Antragsgegner lediglich falsch bezeichnet wurde und erkennbar war, dass sich der Eilantrag gegen den Freistaat Bayern richtet (vgl. W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 78 Rn. 16).
30
2.2. Das Landratsamt …, Ausländeramt ist sachlich und örtlich für die Erteilung der beantragten Duldung gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG für die Dauer von drei Monaten sowie für die Änderung der Wohnsitzauflage gem. § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG zuständig.
31
Bei länderübergreifendem Sachverhalt bestimmt sich die Zuständigkeit der Ausländerbehörde mangels entsprechender Regelung im AufenthG nach allgemeinem Verfahrensrecht. Es ist zunächst die Verbandskompetenz des Landes und sodann die örtliche Zuständigkeit innerhalb des Landes zu ermitteln (BVerwG, U.v. 22.03.2012 - 1 C 5.11 - juris Rn. 17).
32
Die Verbandskompetenz liegt gem. Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a BayVwVfG, der mit § 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a VwVfG übereinstimmt, beim Freistaat Bayern. Danach wird die örtliche Zuständigkeit durch den gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Der Antragsteller ist gem. § 61 Abs. 1d Satz 1 und 2 AufenthG kraft Gesetzes verpflichtet, seinen Aufenthalt im Landkreis … zu nehmen. Ein anderer Ort als der der asylrechtlichen Zuweisungsentscheidung vom 23.03.2015 wurde nicht i.S.d. § 61 Abs. 1d Satz 2 AufenthG angeordnet. Es liegt zwar keine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach Abschluss des Asylverfahrens i.S.d. Norm vor; gleichwohl hätte der Antragsteller Anspruch auf eine solche gehabt (u.a. weil der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt keine Heimreisedokumente hatte). Der Umstand, dass ein Ausländer über keine förmliche Duldung verfügt, entbindet ihn gleichwohl nicht von der Wohnsitzauflage (VG Bayreuth, U.v. 16.03.2016 - B 4 K 14.504 - juris Rn. 29).
33
Es ist deshalb nicht von Relevanz, ob sich der Antragsteller angesichts seiner familiären Bindungen in Berlin tatsächlich überwiegend an dem ihm zugewiesenen Wohnort im Landkreis … aufhält. Denn es entspricht dem Zweck der gesetzlichen Wohnsitzauflage für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, deren Lebensunterhalt nicht gesichert ist, dass die Ausländerbehörde, für deren Zuständigkeitsbereich die Wohnsitzauflage nach § 61 Abs. 1d Satz 1 AufenthG besteht, Ausländerbehörde des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a BayVwVfG i.V.m. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I ist und bleibt. Die Wohnsitzauflage soll dadurch, dass Sozialleistungen lediglich an dem Wohnort erbracht werden, auf den sich die Wohnsitzauflage bezieht (vgl. § 10a AsylbLG), die gerechte Verteilung der Sozialkosten zwischen den Ländern gewährleisten. Diesem Ziel entspricht auch die Tatsache, dass geduldete Ausländer, die unter Verstoß gegen eine Wohnsitzauflage in ein anderes Bundesland umziehen, dort keine Ansprüche nach dem AsylbLG geltend machen können (vgl. BT-Drs. 18/3144, S. 9 f.). Dieser Zweck würde gleichwohl nicht erreicht, wenn (geduldete) Ausländer durch einen auflagewidrigen Aufenthalt in einem anderen Bundesland selbst die Zuständigkeit der Ausländerbehörde des tatsächlichen Aufenthaltsorts begründen und ihren Aufenthalt selbst verfestigen könnten (VG Augsburg, U.v. 26.05.2020 - Au 1 K 19.943 - juris Rn. 29 rek. auf VG Aachen, U.v. 23.05.2015 - 4 K 317/14 - juris Rn. 60 f. m.w.N.). Dieses Ergebnis unterstreicht auch der Rechtsgedanke des § 6 Abs. 3 Nr. 2 ZustVAuslR, wonach eine begründete Zuständigkeit fortbesteht, wenn der Ausländer unerlaubt in den Bezirk einer anderen Kreisverwaltungsbehörde wechselt.
34
Innerhalb Bayerns ist gem. § 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Nr. 2 ZustVAuslR nach wie vor das Landratsamt …, Ausländeramt zuständig.
35
Hervorzuheben ist an dieser Stelle im Übrigen noch einmal, dass sich der Antragsteller im Vorfeld bereits erfolglos an die Berliner Ausländerbehörde gewandt und vor dem Verwaltungsgericht Berlin um Rechtsschutz nachgesucht hatte, jedoch mit Beschluss vom 08.12.2021 (Az. VG 30 L 435/21) auf die Zuständigkeit des Landratsamtes … verwiesen wurde.
36
2.3. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG für die Dauer von drei Monaten.
37
Die Abschiebung des Antragstellers ist derzeit rechtlich unmöglich, weil keine Abschiebungsandrohung mit Zielstaatsbestimmung hinsichtlich seines Herkunftslandes Gambia - das derzeit allein als möglicher Zielstaat einer Abschiebung im Raum steht - existiert (vgl. Bescheid des Bundesamts vom 25.10.2016, Bl. 64 der Behördenakte). Die Voraussetzungen für die Abschiebung gem. § 58 Abs. 1 AufenthG liegen daher nicht vor.
38
Gem. § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 Abs. 2 AufenthG soll in einer vom Bundesamt erlassenen Abschiebungsandrohung der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist.
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Der Hinweis auf einen anderen als den ausdrücklich bezeichneten Zielstaat hat selbst keinen Regelungscharakter, sondern soll den Ausländer lediglich schützen und warnen, indem er ihm verdeutlicht, dass er ohne erneute Abschiebungsandrohung in einen später noch zu bezeichnenden anderen Staat abgeschoben werden kann (Gordzielik in Huber/Mantel, AufenthaltsG/AsylG, 3. Aufl. 2021, § 59 AufenthG Rn. 22). Solange das ausschließlich dafür zuständige Bundesamt keinen anderen Staat durch Konkretisierung des Hinweises als Zielstaat der Abschiebung ordnungsgemäß bezeichnet hat, darf der Ausländer nicht in einen anderen als den ausdrücklich bezeichneten Zielstaat abgeschoben werden (VG Bayreuth, B.v. 09.09.2019 - B 6 K 19.496 - juris Rn. 45 rek. auf VGH Mannheim, B. v. 13.09.2007 - 11 S 1684/07 - juris Rn. 7 ff.). Dementsprechend müsste das Bundesamt zunächst Gambia als Zielstaat einer Abschiebung des Antragstellers bestimmen.
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Unabhängig davon ist die Abschiebung derzeit auch tatsächlich nicht (zeitnah) möglich.
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Das Tatbestandsmerkmal der tatsächlichen Unmöglichkeit i.S.d. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist dahingehend zu verstehen, dass die Abschiebung für einen vorhersehbaren Zeitraum ausgeschlossen ist; denn der Gesetzgeber geht von der zügigen Durchführung der Abschiebung aus. Vor diesem Hintergrund hat die Ausländerbehörde einen vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen entweder unverzüglich abzuschieben oder ihn zu dulden. Ist der Zeitraum ungewiss, ist eine Duldung zu erteilen (VG Augsburg, B.v. 12.08.2021 - Au 9 E 21.1546 - BeckRS 2021, 23964 - Rn. 20 rek. auf BVerwG, U.v. 25.09.1997 - 1 C 3/97 - juris Rn. 23 f.). Für einen ungeregelten Aufenthalt lässt die Systematik des Aufenthaltsgesetzes hingegen keinen Raum. Vielmehr sieht das Gesetz die tatsächliche Hinnahme des Aufenthalts außerhalb förmlicher Duldung, ohne dass die Vollstreckung der Ausreisepflicht erfolgt, gerade nicht vor (VG Augsburg, B.v. 12.08.2021 - Au 9 E 21.1546 - BeckRS 2021, 23964 - Rn. 21).
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Unter Anwendung dieser Grundsätze ist dem Antragsteller die beantragte Duldung zu erteilen. Der Antragsgegner trägt im Schriftsatz vom 14.06.2022 selbst vor, dass der Antragsteller frühestens im Oktober 2022 für eine Abschiebung nach Gambia - so diese für den Antragsteller überhaupt nach Gambia möglich wäre - eingeplant werden könnte. Demnach ist eine Abschiebung des Antragstellers - auch unabhängig von den rechtlichen Voraussetzungen - nicht zeitnah, insbesondere nicht innerhalb des beantragten dreimonatigen Duldungszeitraums, für den üblicherweise Duldungen ausgestellt werden, durchführbar (vgl. BayVGH, B.v. 02.08.2021 - 10 CE 21.1427 - juris Rn. 24 f.).
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Zum jetzigen Zeitraum ergibt sich nach Auffassung der Kammer für die begehrte dreimonatige Duldung darüber hinaus auch ein Duldungsanspruch aus Art. 6 GG. Der Antragsteller hat die tatsächliche Beziehung zu seiner deutschen Tochter glaubhaft gemacht. In der aktuellen Rechtsprechung zur Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens wird betont, dass der Ausländer einerseits selbst im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht dazu beizutragen hat, dass sich die Abwesenheit so kurz wie möglich gestaltet und andererseits die Ausländerbehörde gehalten ist, ihrerseits dazu beizutragen, an einer möglichst familienfreundlichen Gestaltung der Nachholung des Visumverfahren mitzuwirken (BayVGH, U.v. 07.12.2021 - 10 BV 21.1821 - juris Rn. 41 f.). In diesem Zusammenhang kann - neben der Frage der Vorabzustimmung zur Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels - von besonderer Relevanz sein, ob die Ausländerbehörde bereit ist, den Ausländer zu dulden, bis er zur Wahrnehmung eines Botschaftstermins ausreist, um seine Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten (BayVGH, U.v. 07.12.2021 - 10 BV 21.1821 - juris Rn. 41).
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Dies ist im Falle des Antragstellers bisher nicht im Ansatz gewährleistet. Vielmehr sieht sich keine Ausländerbehörde als zuständig an, über eine Duldung des Antragstellers zu entscheiden. Der Antragsteller hat daher keine Möglichkeit, die Ausreisemodalitäten und den Ausreisezeitpunkt in Absprache mit der zuständigen Ausländerbehörde so familienverträglich wie möglich zu gestalten (siehe dazu BayVGH, B.v. 16.03.2020 - 10 CE 20.326 - BeckRS 2020, 6745 Rn. 20 m.w.N.). Bei der Berliner Ausländerbehörde beantragte er eine Duldung, wurde jedoch auf die Zuständigkeit der Ausländerbehörde des Landratsamt … verwiesen (vgl. VG Berlin, B.v. 08.12.2021 - VG 30 L 435/21). Das Landratsamt … hingegen verneint vehement die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebung (vgl. Schreiben vom 07.02.2022, Bl. 183 der Behördenakte und Schriftsatz vom 28.03.2022), erklärt aber gleichzeitig, die Abschiebung des Antragstellers zu betreiben (Schreiben vom 24.02.2022, Bl. 188 ff. der Behördenakte). Dementsprechend sieht sich die Kammer nach aktuellem Sachstand - auch bei Einbeziehung der vorliegenden Äußerungen der deutschen Botschaft in Dakar - nicht in der Lage, die von Verfassungs wegen geforderte gültige Prognose (ausführlich dazu BVerfG, B.v. 09.12.2021 - 2 BvR 1333/21 - juris Rn. 51 ff.; kritisch Dietz, NVwZ-Extra, Juni 2022, 1, 6 ff.) zum Zeitraum der Abwesenheit des Antragstellers zu treffen. Vor diesem Hintergrund kann der Antragsteller jedenfalls die beantragte Duldung für drei Monate beanspruchen. Über eine darüber hinausgehende Duldung für einen längeren Zeitraum hat die Kammer nach §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO nicht zu entscheiden. Sie lässt die Frage nach einem längerfristigen Duldungsanspruch aufgrund von Art. 6 GG daher im vorliegenden Fall ausdrücklich offen, zumal die Erteilung einer Duldung gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG unter dem Vorbehalt steht, dass „keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird“, was nur bei entsprechender Antragstellung geprüft werden kann (§ 81 Abs. 1 AufenthG).
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2.4. Der Antragsteller hat auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes hinsichtlich Ziffer 1 seines Antrags glaubhaft gemacht. Denn er hat ein berechtigtes dringliches Interesse daran, nicht weiter in einem ausländerrechtlich ungeregelten Status zu verbleiben.
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2.5. Ob der Antragsteller einen vorläufigen Anspruch auf Änderung der Wohnsitzauflage in der vorgenannten Duldung gem. § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG glaubhaft gemacht hat, bedarf keiner abschließenden Klärung, denn ihm steht jedenfalls kein Anordnungsgrund zur Seite.
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Vorsorglich ist jedoch anzumerken, dass ein Anordnungsanspruch, der schon im Eilverfahren im Ergebnis zumindest auf eine langfristig angebahnte, dauerhafte Zuständigkeitsverlagerung durch Änderung der Wohnsitzauflage zielt, durchaus zweifelhaft erscheint. Dies allemal dann, wenn das beantragte Begehren nicht einmal in der Hauptsache durch Klage geltend gemacht wird.
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Festzuhalten ist an dieser Stelle weiterhin, dass auch die Abänderungsbefugnis des § 61 Abs. 1d Satz 3 AufenthG der Ausländerbehörde des bisherigen Wohnortes und nicht der Zuzugsbehörde zusteht (statt Vieler BayVGH, B.v. 15.09.2020 - 10 ZB 20.1593 - juris Rn. 4 m.w.N.). Insbesondere ergibt sich nichts anderes aus dem Umstand eines länderübergreifenden Wohnsitzwechsels, weil sich die Zuständigkeit in diesem Fall nach dem allgemeinen Verfahrensrecht unter den oben genannten Grundsätzen (2.2.) ergibt.
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Der Antragsteller ist für die Dauer der abschließenden Klärung der Änderung der Wohnsitzauflage gem. § 61 Abs. 1d Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG, die einer Hauptsacheentscheidung vorbehalten bleibt, nicht schutzlos. Es ergeben sich keine wesentlichen Nachteile für den Antragsteller i.S.d. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, weil für ihn gem. § 61 Abs. 1d Satz 4 AufenthG die rechtlich zulässige Möglichkeit besteht, den durch die Wohnsitzauflage festgelegten Ort ohne Erlaubnis vorübergehend zu verlassen und so die familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter in Berlin zu festigen (a.A. OVG Schleswig, B.v. 30.07.2020 - 4 MB 23/20, 4 O 20/20 - BeckRS 2020, 19260 Rn. 33). Zwar hat § 61 Abs. 1d Satz 4 AufenthG lediglich deklaratorischen Charakter (BT-Drs. 18/3144, S. 14), gleichwohl trägt die Regelung dem Schutz des Art. 6 GG ausreichend Rechnung. Dies gilt insbesondere im vorliegenden Fall, in dem der Antragsteller in Ziffer 1 seines Antrags eine vorläufige Duldung für die Dauer von drei Monaten und in Ziffer 2 eine in der vorgenannten Duldung enthaltene vorläufige Änderung der Wohnsitzauflage beantragt. Denn auch ein Zeitraum von drei Monaten lässt sich dem Wortsinn nach als „vorübergehend“ i.S.d. § 61 Abs. 1d Satz 4 AufenthG begreifen. Es ist dem Antragsteller demnach von Gesetzes wegen erlaubt, sich vorübergehend in Berlin aufzuhalten und der in der eidesstattlichen Versicherung vom 21.05.2022 glaubhaft und detailliert geschilderten zentralen Rolle bei der Betreuung und der Sorge der gemeinsamen Tochter nachzukommen. Insbesondere wird auf diese Weise auch einem fortschreitenden Entfremdungsprozess zwischen Vater und Tochter vorgebeugt, ohne dass es hierfür einer vorläufigen Änderung der Wohnsitzauflage bis zur Klärung in der Hauptsache - die vorliegend mangels erhobener Klage nicht entschieden werden kann - bedürfe (a.A. OVG Schleswig, B.v. 30.07.2020 - 4 MB 23/20, 4 O 20/20 - BeckRS 2020, 19260 Rn. 33). Hierfür spricht auch ein systematischer Gleichlauf mit der räumlichen Beschränkung i.S.d. § 61 Abs. 1 bis 1c AufenthG und der Möglichkeit der Beantragung von Verlassenserlaubnissen gem. § 12 Abs. 5 AufenthG: Im Wege der Erteilung von Verlassenserlaubnissen nach § 12 Abs. 5 AufenthG kann ein vorläufig Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG genügender Kontakt unter Familienmitgliedern sichergestellt werden, bis über einen Anspruch auf Zuzug entschieden worden ist. In Anwendung dieser Vorschrift können enge Kontakte zwischen den Familienmitgliedern bis zur Grenze der faktisch dauerhaften Verlassenserlaubnis, die nicht überschritten werden darf, ermöglicht werden (OVG Hamburg, B.v. 27.08.2012 - 5 Bs 178/12 - juris Rn. 20 rek. auf BVerfG, B.v. 26.08.2008 - 2 BvR 1942/07 - juris Rn. 11). Vor diesem Hintergrund erschließt sich ohne weiteres, dass dem Schutz des Art. 6 GG in § 61 Abs. 1d Satz 4 AufenthG hinreichend Rechnung getragen wird, weil der Ausländer gerade keinen Antrag bei der Behörde stellen muss, sondern kraft Gesetzes die Erlaubnis erhält, den in der Wohnsitzauflage festgelegten Wohnort vorübergehend zu verlassen.
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Abschließend weist die Kammer noch einmal darauf hin, dass vorliegend kein Anlass und auch keine Möglichkeit besteht, im einstweiligen Rechtsschutz eine - seinem Wesen fremde - dauerhafte Regelung hinsichtlich der Zuständigkeit der Ausländerbehörde Berlin herbeizuführen, weil der Antragsteller insofern eine Klage in der Hauptsache zu erheben hat, um abschließende Klärung zu erhalten, und nach dem Gesagten durch § 61 Abs. 1d Satz 4 AufenthG ausreichend geschützt ist. Zudem hat der grundsätzlich zukunftsorientierte einstweilige Rechtsschutz nicht den Zweck, dem Antragsteller nachträglich rechtlich abzusichern, was er in der Vergangenheit faktisch geschaffen hat. 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m Ziffer 1.1.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.