Inhalt

VG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 02.05.2022 – B 1 K 21.625
Titel:

Keine selbständige Anfechtung der Ermahnung des Fahrerlaubnisinhabers wegen wiederholter Verkehrsverstöße

Normenketten:
StVG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1
FeV § 41
BayVwVfG Art. 35 S. 1
VwGO § 44a
Leitsatz:
Bei der Ermahnung des Fahrerlaubnisinhabers wegen wiederholter Verkehrsverstöße gemäß § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 StVG handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne von Art. 35 Satz 1 BayVwVfG, sondern um eine dem eigentlichen Verwaltungsverfahren vorgeschaltete Maßnahme, die selbst nicht verwaltungsgerichtlich überprüft werden kann. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ermahnung wegen wiederholter Verkehrszuwiderhandlungen, kein Verwaltungsakt, Ermahnung nicht selbständig anfechtbar, § 44a VwGO, Ermächtigungsgrundlage nicht vollständig aufgeführt, Fahreignungs-Bewertungssystem, wiederholte Verkehrsverstöße, Ermahnung, selbständige Anfechtbarkeit, Verwaltungsakt, vorgeschaltete Maßnahme
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21107

Tenor

1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.  

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Aufhebung einer Ermahnung wegen wiederholter Verkehrszuwiderhandlung durch den Beklagten.
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Mit Schreiben vom 23. April 2021 wurde der Kläger von der Beklagten wegen bisheriger Verkehrsverstöße gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG, § 41 FeV zu künftigem verkehrsgerechten Verhalten ermahnt. Am 29. September 2019 habe der Kläger die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km/h überschritten (1 Punkt). Am 2. Dezember 2019 habe der Kläger das Kraftfahrzeug mit einer Alkoholmenge im Körper, die zu einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l oder mehr geführt habe (konkret: 0,44 mg/l), ein Kraftfahrzeug geführt (2 Punkte). Am 30. November 2020 habe der Kläger die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h überschritten (1 Punkt). Bei der Begehung der letzten Tat habe der Kläger 4 Punkte gehabt. Für diese Ermahnung werde eine Gebühr in Höhe von 17,90 EUR festgesetzt. An Auslagen seien 4,11 EUR angefallen, sodass sich ein Gesamtbetrag von 22,01 EUR ergebe. Dies folge aus §§ 1 bis 4 Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr i.V.m. dem Gebührentarif. Dem Ermahnungsschreiben war eine Kostenrechnung (Rechnungsnumer: …*) beigefügt, in der angegeben wurde, dass die vom Kläger zu entrichtenden Beiträge aus „§ 6a StVG/ §§ 1,2 u. 4 GebOSt / § 9 VwKostG“ folgten.
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Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2021 erhob der Kläger Klage mit dem Antrag,
den Bescheid der Beklagten vom 23. April 2021 aufzuheben.
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In der Klagebegründung vom 22. November 2021 ließ der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte ausführen, dem Kläger seien für die Ermahnung wegen wiederholter Verkehrszuwiderhandlungen rechtswidrig Kosten in Höhe von 22,01 EUR in Rechnung gestellt worden. Die Kostenrechnung sei rechtswidrig, da aus ihr für den Kläger nicht ersichtlich werde, woraus sich der Betrag für die Gebühr in Höhe von 17,90 EUR ergebe. Zwar seien die §§ 1 bis 4 GebOSt angegeben worden, für den Kläger sei daraus jedoch nicht ersichtlich, dass die Gebühr 17,90 EUR betrage. Insbesondere habe die Beklagte es unterlassen anzugeben, dass sich die Höhe der Gebühr aus der Nr. 209 der Anlage zu § 1 GebOSt ergebe. Für den Kläger sei deshalb nicht hinreichend bestimmt, woraus sich die geforderte Höhe ergebe. Ferner sei es so, dass ein gegen den Kläger anhängiges Strafverfahren (Az. …*), in welchem ihm zur Last gelegt worden sei, am 14. Mai 2021 gegen 18:45 Uhr unter dem Einfluss berauschender Mittel mit seinem Fahrzeug (Kennzeichen …*) gefahren zu sein, mit Verfügung vom 22. Juli 2021 eingestellt worden sei. Dies sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, weshalb für die Ermahnung und Gebührenerhebung zu keinem Zeitpunkt ein Anlass bestanden habe. Die Kostenrechnung verletzte den Kläger in seinen Rechten.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Im Schreiben vom 24. April 2021 werde die Rechtsgrundlage für die Gebührenerhebung, die §§ 6a StVG, 1, 2 und 4 GebOSt und 9 VwKostG genannt. § 1 Abs. 1 Satz 2 weise darauf hin, dass sich die gebührenpflichtigen Tatbestände und die Gebührensätze aus dem Gebührentarif für Maßnahmen im Straßenverkehr ergäben. Nr. 209 dieser Anlage setze dafür eine Festgebühr von 17,90 EUR fest. Die Rechtsgrundlage für die Gebührenerhebung sei deshalb in zutreffender und ausreichender Weise angegeben worden. Inwiefern die Einstellung des Strafverfahrens vom 22. Juli 2021 hier überhaupt eine Rolle spielen sollte, sei völlig unverständlich. Diese habe nichts mit der Ermahnung wegen wiederholter Verkehrszuwiderhandlungen zu tun.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 30. März 2022 wurden die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 84 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
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1. Die Klage hat keinen Erfolg.
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a. Sofern sich die Klage auch gegen die Ermahnung des Klägers wegen wiederholter Verkehrszuwiderhandlung richtet, so scheitert diese bereits an § 44a VwGO. Diese Norm stellt eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes dar. Nach dieser Vorschrift können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Durch diese Regelung soll im Interesse der Verfahrensökonomie verhindert werden, dass der Abschluss von noch bei den Behörden anhängigen Verwaltungsverfahren durch gesonderte, lediglich auf das Verfahren bezogene Rechtsbehelfe erschwert oder verzögert wird und die Gerichte mit Streitfällen befasst werden, obwohl das behördliche Verfahren noch nicht abgeschlossen ist und noch offen ist, inwieweit die Sachentscheidung den Betroffenen beschwert. Der Zweck des § 44a VwGO greift auch hier ein. Bei der Ermahnung handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne von Art. 35 Satz 1 BayVwVfG, sondern um eine dem eigentlichen Verwaltungsverfahren vorgeschaltete Maßnahme, die selbst nicht verwaltungsgerichtlich überprüft werden kann (vgl. Koehl in Bachmor/Koehl/Krumm, Verfahrens- und Prozesstaktik im Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2019, § 4 StVG Rn. 69). Die Voraussetzungen für die gesetzlichen Ausnahmetatbestände in § 44a Satz 2 VwGO sind nicht erfüllt. Weder handelt es sich bei der Ermahnung wegen wiederholter Verkehrszuwiderhandlungen um eine vollstreckbare Entscheidung noch ist der Kläger Nichtbeteiligter im Sinne dieser Norm.
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b. Die Klage gegen die Kostenentscheidung des Ermahnungsschreibens vom 23. April 2021 ist im Übrigen zwar zulässig, aber unbegründet. Anders als die Ermahnung wegen wiederholter Verkehrszuwiderhandlungen stellt die Kostenfestsetzung hierfür einen anfechtbaren Verwaltungsakt dar. Die streitgegenständliche Kostenfestsetzung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
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aa. Ermächtigungsgrundlage für die Gebühren- und Auslagenfestsetzung ist §§ 6a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG), §§ 1, 2 und 4 Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) i.V. m. Nr. 209 der Anlage zu § 1 GebOSt.
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bb. Die Kostenfestsetzung ist formell rechtmäßig. Dass die Nr. 209 der Anlage 1 zu § 1 GebOSt nicht explizit genannt wurde, macht den Bescheid insbesondere nicht unbestimmt im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Danach muss der Entscheidungsinhalt so gefasst sein, dass der Adressat ohne weiteres erkennen kann, was genau von ihm gefordert wird (Tiedemann in BeckOK, VwVfG, Stand: 1.1.2022, § 37 Rn. 19). Dem Kostenbescheid lässt sich entnehmen, dass der Kläger eine Gebühr in Höhe von 17,90 EUR zu zahlen und Auslagen in Höhe von 4,11 EUR zu erstatten hat. Die Kostenfestsetzung war mit dem Ermahnungsschreiben verknüpft, sodass für den Kläger auch ersichtlich war, dass er die Kosten für die vom Landratsamt vorgenommene Ermahnung zu entrichten hat. Aus der u.a. angegebenen Rechtsgrundlage des § 1 Abs. 1 Satz 2 GebOSt ergibt sich außerdem, dass sich die gebührenpflichtigen Tatbestände und die Gebührensätze aus dem Gebührentarif für Maßnahmen im Straßenverkehr (Anlage) ergeben. Dem Kläger war es folglich möglich, anhand der Anlage zu § 1 GebOSt die Höhe der Gebühren für eine Ermahnung (vgl. Nr. 209 der Anlage zu § 1 GebOSt) nachzuvollziehen.
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cc. Die Kostenfestsetzung ist auch materiell rechtmäßig. Ein Kostenbescheid ist materiell nur rechtmäßig, wenn das Verwaltungshandeln rechtmäßig war, der richtige Kostenschuldner ausgewählt wurde und die Kosten im vollen Umfang erstattungsfähig sind.
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1) Gemäß § 14 Abs. 2 Verwaltungskostengesetz (VwKostG), welcher durch § 6 GebOSt für anwendbar erklärt wird, werden Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht erhoben. Deshalb dürfen keine Kosten für Amtshandlungen erhoben werden, wenn diese rechtswidrig erfolgt sind. Die Ermahnung wegen wiederholter Verkehrszuwiderhandlungen gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG war aber (formell und materiell) rechtmäßig. Das Landratsamt … war für die Ermahnung des Klägers als Kreisverwaltungsbehörde, in deren Zuständigkeitsbereich der Kläger seine Wohnung hat, sachlich und örtlich zuständig, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG, §§ 41 Abs. 1, 73 Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV), Art. 37 Abs. 1 Satz 2 Landkreisordnung für den Freistaat Bayern (Landkreisordnung - LKrO) und Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a BayVwVfG. Insbesondere erfolgte die Ermahnung schriftlich unter Angabe der begangenen Verkehrszuwiderhandlungen, § 41 Abs. 1 FeV. Das behördliche Schreiben vom 23. April 2021 enthielt eine Auflistung der Verkehrsverstöße des Klägers. Am 29. September 2019 hat der Kläger die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km/h überschritten (1 Punkt). Am 2. Dezember 2019 hat der Kläger das Kraftfahrzeug mit einer Alkoholmenge im Körper, die zu einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l oder mehr geführt hat (konkret: 0,44 mg/l), ein Kraftfahrzeug geführt (2 Punkte). Am 30. November 2020 hat der Kläger die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h überschritten (1 Punkt). Sofern die Bevollmächtigte des Klägers vorträgt, es müsse zu Gunsten des Klägers Berücksichtigung finden, dass ein anhängiges Strafverfahren, welches sich u.a. auf eine Fahrt unter Einfluss berauschender Mittel am 14. Mai 2021 bezog, eingestellt worden sei, so ist dem entgegenzuhalten, dass die für die Kostenfestsetzung maßgebliche Ermahnung nicht auf diesen Vorfall gestützt wurde. Auch die Voraussetzungen der Ermahnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG lagen vor. Danach ist der Fahrerlaubnisinhaber bei Erreichen von vier oder fünf Punkten zu ermahnen. Beim Kläger ergaben sich im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses vier Punkte, sodass er rechtmäßig ermahnt werden konnte. Die Ermahnung enthielt außerdem den Hinweis nach § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG, dass der Kläger die Möglichkeit hat, an einem Fahreignungsseminar gemäß § 4a StVG teilzunehmen, um sein Verkehrsverhalten zu verbessern.
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2) Der Kläger ist auch der richtige Kostenschuldner. Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt ist richtiger Kostenschuldner, wer die Amtshandlung veranlasst hat. Aufgrund des Erreichens von vier Punkten für Verkehrszuwiderhandlungen, hatte das Landratsamt den Kläger zu verkehrsgerechtem Verhalten zu ermahnen, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG.
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3) Die festgesetzten Kosten sind auch in vollem Umfang erstattungsfähig. Die Nr. 209 der Anlage zu § 1 GebOSt sieht für Verwarnungen nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem (§ 4 Absatz 5 Satz 1 Nummer 1 oder 2 StVG) - wie von dem Beklagten vorliegend festgesetzt - eine Gebühr von 17,90 EUR vor. Auch die Auslagen in Höhe von 4,11 EUR für die Zustellung des Bescheides durch die Post mit Postzustellungsurkunde sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt voll erstattungsfähig.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung basiert auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V. m. § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung (ZPO).