Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 29.03.2022 – B 1 K 21.1173
Titel:

Unzulässigkeit einer isolierten Klage auf Akteneinsicht – Voraussetzungen der Untätigkeitsklage und Sperrwirkung des § 44a VwGO

Normenketten:
VwGO § 43 Abs. 2, § 44a ,§ 75, § 88, § 100
BayVwVfG Art. 13 Abs. 1 Nr. 2, Art. 9
VwVfG § 29
Leitsätze:
1. Eine Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO setzt stets einen Antrag auf Vornahme des begehrten Verwaltungsakts voraus. Ohne einen solchen Antrag ist die Klage nicht statthaft. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Begehren auf Akteneinsicht betrifft ein schlicht-hoheitliches Realhandeln und ist daher im Wege der allgemeinen Leistungsklage geltend zu machen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der allgemeinen Leistungsklage besteht zwar kein prozessuales Antragserfordernis wie bei der Verpflichtungsklage nach § 75 VwGO. Jedoch kann das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, wenn der Kläger sein Begehren nicht zunächst gegenüber der Behörde geltend gemacht hat oder dieses dort mittlerweile ohne gerichtliche Hilfe einfacher und kostengünstiger durchgesetzt werden kann. (Rn. 28 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
4. Nach § 44a VwGO sind behördliche Verfahrenshandlungen – wie die Entscheidung über Akteneinsicht – grundsätzlich nur zusammen mit der Sachentscheidung anfechtbar. Eine isolierte Klage hiergegen ist unzulässig, solange das Hauptverfahren noch nicht abgeschlossen ist. (Rn. 30 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
5. Ein isolierter Rechtsschutz ist nur in den gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefällen zulässig – nämlich wenn die Verfahrenshandlung vollstreckbar ist oder sich gegen einen Nichtbeteiligten richtet – sowie in eng begrenzten Fällen, in denen andernfalls Grundrechte oder das rechtliche Gehör irreversibel beeinträchtigt würden. (Rn. 33 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
6. Die Beteiligtenstellung iSv Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG kann sich bereits aus der Komplexität einer Rechtsfrage ergeben, etwa wenn die Behörde zu prüfen hat, wem ein Veräußerungserlös zusteht, und mehrere Personen Eigentum geltend machen (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Untätigkeitsklage setzt Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts voraus, Behördliche Verfahrenshandlungen können nur gleichzeitig mit Rechtsbehelfen gegen die, Sachentscheidung angegriffen werden, Aus der Komplexität einer rechtlichen Frage kann sich die Eigenschaft als Beteiligter i.S.d. Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG ergeben, Untätigkeitsklage – Antrag auf Verwaltungsakt zwingend, Allgemeine Leistungsklage – Realakte, Klagebefugnis, Rechtsschutzbedürfnis – Subsidiarität gerichtlicher Kontrolle, Akteneinsicht, Verwaltungsakt, Realakt, Beteiligtenstellung, Komplexität als Anknüpfungspunkt für Beteiligtenqualität, Verfahrensökonomie, Terminverlegung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21106

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger beantragt Akteneinsicht in die vom Beklagten geführte Behördenakte zu den Vorgängen um die Veräußerung des Rinderbestands auf dem Hof der klägerischen Familie nach dessen Auflösung.
2
Mit Bescheid vom 3. März 2017, zugestellt am 4. März 2017, wurde dem Sohn des Klägers nach einer Vielzahl von Kontrollterminen der landwirtschaftlichen Hofstelle auf dem Anwesen …, … und entsprechenden Mängelberichten das Halten und Betreuen von Rindern untersagt (Ziffer 1). Dieser wurde verpflichtet, seinen Rinderbestand bis spätestens 17. März 2017 aufzulösen (Ziffer 2).
3
Der Rinderbestand wurde am 19. April 2017 im Rahmen unmittelbaren Zwangs aufgelöst.
4
Mit Schriftsatz vom 26. April 2017 ließen der Kläger und sein Sohn vortragen, dass die beschlagnahmten Tiere zivilrechtlich an den Kläger übereignet worden seien und dieser der Tierhalter sei.
5
Der Kläger hat die Rinderhaltung am 27. April 2017 zum 18. April 2017 beim Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten angemeldet.
6
Unter dem 10. Mai 2017 teilten die Bevollmächtigten des Klägers und seines Sohnes mit, dass die Tiere gemäß „§§ 929/930 s BGB“ übertragen worden seien, nachdem sie vom Landratsamt abtransportiert worden seien.
7
Mit Bescheid vom 24. Mai 2017, zugestellt am 27. Mai 2017, wurde auch dem Kläger wegen seiner maßgeblichen Beteiligung an der Haltung der Tiere das Halten und Betreuen von Rindern untersagt. Gegen diesen Bescheid erhob er Klage (B 1 K 17.410, wiederaufgenommen unter B 1 K 21.643).
8
Das Landratsamt forderte den Kläger und seinen Sohn unter dem 14. Februar 2020 (zugestellt am 20. Februar 2020) auf, eine übereinstimmende schriftliche Erklärung über die Eigentumsverhältnisse bezüglich der Rinder des aufgelösten Bestandes zum Zeitpunkt der Wegnahme am 19. April 2017 abzugeben.
9
Der Sohn des Klägers teilte dem Landratsamt am 6. März 2020 mit, dass dieses sich bis zum Ende des Klageverfahrens B 1 K 17.410 mit einer Klarstellung gedulden müsse. In der mündlichen Verhandlung wurde das Verfahren B 1 K 21.643 mit Beschluss vom 9. November 2021 vertagt und in der mündlichen Verhandlung vom 29. März 2022 wurde die Klage abgewiesen.
10
Mit Schriftsatz vom 31. Dezember 2020 erhoben der Kläger und sein Sohn Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO und beantragten Akteneinsicht.
11
Zur Begründung führen sie aus, dass sämtliche Verwertungsunterlagen (Verkaufsunterlagen), die mit dem Vollzug des Bescheides vom 3. März 2017 (Auflösung des Rinderbestands) zusammenhingen, nicht offengelegt worden seien und ein mutmaßlicher Veräußerungserlös bis zum heutigen Tag vorsätzlich zurückbehalten worden sei. Der Beklagte sei mit der Bearbeitung des Bescheids über die Auflösung des Rinderbestands nachweislich bis heute untätig geblieben, die gesetzliche Wartezeit sei überschritten. Die vorsätzliche Zurückbehaltung betrage 3 Jahre und 8 Monate. Der Beklagte habe mit Schreiben vom 14. Februar 2020 einen halbherzigen Versuch der Weiterbearbeitung begonnen, aber die o.g. Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt. Es werde deshalb ein Antrag auf Akteneinsicht gestellt, um endlich Gewissheit über die Umstände der Verschleuderung ihres Viehvermögens und den Verbleib des erzielten Veräußerungserlöses zu erlangen.
12
Mit Schreiben vom 19. Januar 2021 schlug das Gericht dem Kläger und seinem Sohn vor, dass sie nach Rücksprache mit dem Landratsamt die Akteneinsicht aufgrund des erheblichen Aktenumfangs in den Räumen des Landratsamts wahrnehmen. Auf diesen Vorschlag ging eine Rückmeldung nicht ein. Das Gericht forderte die Akten mit Schreiben vom 11. März 2021 an. Am 17. März 2021 teilte der Sohn des Klägers telefonisch mit, dass er die Akteneinsicht bevorzugt bei Gericht nehmen wolle, um die Vollständigkeit sicherzustellen.
13
Am 19. April 2021 gingen die Originalakten bei Gericht ein, der Kläger und sein Sohn erhielten hiervon Mitteilung am 20. April 2021.
14
Der Beklagte beantragte in der mündlichen Verhandlung,
die Klage abzuweisen.
15
Der Beklagte führt aus, dass aus dem Schriftsatz des Bevollmächtigten nicht eindeutig hervorgegangen sei, zu welchem Datum die Eigentumsübertragung erfolgt sei. Das Schreiben vom 14. Februar 2020 habe die Klärung der Eigentumsverhältnisse bezweckt. Es habe nicht eindeutig festgestellt werden können, wer der Eigentümer zum Zeitpunkt der Wegnahme der Rinder gewesen sei. Folglich sei bis heute unklar, an wen der Veräußerungserlös ausgezahlt werden solle. Das Landratsamt warte auf Erklärungen des Klägers und seines Sohnes. Die Auszahlung könne nicht erfolgen, solange die Eigentumsverhältnisse nicht eindeutig dargelegt würden.
16
Unter dem 20. Mai 2021 erging eine Erinnerung an den Kläger und seinen Sohn zur Wahrnehmung der Akteneinsicht. Es wurde ihnen die Beantragung einer kostenpflichtigen Kopie freigestellt.
17
Mit am 2. August 2021 eingegangenen Schreiben beantragte der Sohn des Klägers eine Kopie der Akte. Das Gericht schlug unter dem 10. August 2021 einen Vergleich vor, wonach der Veräußerungserlös aus dem Verkauf der Rinder an den Sohn des Klägers ausgekehrt werde. Das Akteneinsichtsgesuch würde sich hiermit erledigen. Sollte der Vergleich nicht zustandekommen, werde nach erfolgter Durchsicht der Akte mitgeteilt, dass für die Frage, was nach der Fortnahme der Tiere mit diesen geschehen ist, ausschließlich die Aktennummer II relevant sei. Obwohl die Möglichkeit zur Akteneinsicht in den Räumen des Gerichts gewährleistet gewesen sei, sei dem Kläger und seinem Sohn eine Kopie freigestellt worden. Mittlerweile werde eine Akteneinsicht bei Gericht für zumutbar erachtet. Es wurde auf die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Hamburg, Beschluss vom 25. September 1995 - Bf IV 8/94 - juris hingewiesen, wonach der Anspruch auf Kopie einer Behördenakte rechtsmissbräuchlich sein kann.
18
Der Kläger und sein Sohn lehnten mit am 28. September 2021 eingegangenen Schreiben den Vergleichsvorschlag ab.
19
Mit Schreiben vom 29. Oktober 2021 wurden der Kläger und sein Sohn nochmal auf die Möglichkeit hingewiesen, beim Gericht Einsicht in die Akten zu nehmen.
20
In der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2021 wurde das hiesige Verfahren des Klägers vom Verfahren des Sohns des Klägers abgetrennt und vertagt (nunmehr B 1 K 21.1173).
21
Hinsichtlich der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2021 wird auf das Protokoll der Sitzung verwiesen. Auch hinsichtlich der mündlichen Verhandlung vom 29. März 2022 wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

22
Die Klage hat keinen Erfolg.
23
1. Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, ohne dass der Kläger an der mündlichen Verhandlung vom 29. März 2022 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO). Der Kläger ist zur mündlichen Verhandlung form- und fristgerecht geladen worden.
24
Das Fax des Klägers vom 29. März 2022 hat die Kammer nicht zur Verlegung des anberaumten Termins veranlasst. Das Schreiben beinhaltet keinen Terminverlegungsantrag. Der Kläger führt aus, dass er aus Krankheitsgründen verhindert ist, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen und dass er weder Rechtsanwalt … noch seinen Sohn bevollmächtigt hat.
25
Selbst wenn in diesem Fax des (prozessual durchaus erfahrenen) Klägers ein - wenn auch nicht ausdrücklich so bezeichneter - Antrag auf Terminverlegung gesehen wird, musste diesem nicht nachgekommen werden. Gemäß § 227 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Zivilprozessordnung - ZPO kann aus erheblichen Gründen ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Erhebliche Gründe sind insbesondere nicht das Ausbleiben einer Partei oder die Ankündigung, nicht zu erscheinen, wenn nicht das Gericht dafür hält, dass die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist oder die mangelnde Vorbereitung einer Partei, wenn nicht die Partei dies genügend entschuldigt. Eine genügende Entschuldigung liegt nicht vor. Das Gericht hat bereits am 9. November 2021 den Termin zur mündlichen Verhandlung vertagt, da der Kläger aus Krankheitsgründen nicht erschienen war. Das Gericht hat den Kläger mit Schreiben vom 23. Dezember 2021 darauf hingewiesen, dass es einem weiteren Verlegungsantrag aus Krankheitsgründen nicht nachkommen werde und ihn aufgefordert, einen Bevollmächtigten im Sinne des § 67 Abs. 2 VwGO zu benennen. Auf den Inhalt des Schreibens wird Bezug genommen. Der Kläger ist dem nicht nachgekommen.
26
2. Die von dem Kläger ausdrücklich erhobene Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO ist nicht statthaft. Danach ist eine solche Klage abweichend von § 68 VwGO zulässig, wenn über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Der Kläger hat bei der Behörde nach Aktenlage bislang keinen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts gestellt, über den diese entscheiden könnte. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass kein Antrag auf Auskehr des Erlöses gestellt worden sei. § 75 VwGO gilt bei Anfechtungswie Verpflichtungsklagen nach der VwGO (Eyermann/Rennert, 15. Aufl. 2019, VwGO § 75 Rn. 1). Für die Verpflichtungsklage ist anerkannt, dass ihre Zulässigkeit grundsätzlich von einem vorher im Verwaltungsverfahren erfolglos gestellten Antrag auf Vornahme des eingeklagten Verwaltungsakts abhängt. Diese Zulässigkeitsvoraussetzung folgt aus § 75 Satz 1 VwGO („Antrag auf Vornahme”) und zusätzlich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, nach dem es zunächst Sache der Verwaltung ist, sich mit Ansprüchen zu befassen, die an sie gerichtet werden. Sie gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob der erstrebte Verwaltungsakt auf Antrag oder von Amts wegen zu erlassen ist (BVerwG, U.v. 28.11.2007 - 6 C 42/06 - NVwZ 2008, 575), wobei letzteres hier der Fall sein dürfte.
27
3. Das Klagebegehren des Klägers wird daher nach § 88 VwGO ausgelegt. Er beantragt gleichzeitig Akteneinsicht, sodass sein Klagebegehren auf Vornahme eines Realhandelns gerichtet ist. Hierfür ist die allgemeine Leistungsklage statthaft, die in § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO vorausgesetzt wird.
28
a. Ein besonderes, dem des § 75 VwGO für die Verpflichtungsklage vergleichbares prozessuales Antragserfordernis gibt es bei der allgemeinen Leistungsklage nicht. Freilich kann für eine gerichtliche Rechtsverfolgung das als Sachurteilsvoraussetzung erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlen, wenn die Behörde noch nicht mit dem Begehren befasst war. Auch kann das jeweils einschlägige materielle Recht es gebieten, die geforderte Leistung zunächst bei der Behörde zu beantragen (BVerwG, U.v. 28.6. 2001 - 2 C 48/00 - NVwZ 2002, 97). So liegt der Fall hier. Vor Klageerhebung hat der Kläger nach Aktenlage und Auskunft des Landratsamts in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag auf Einsicht in die Unterlagen über die Veräußerung des Rinderbestands gestellt.
29
b. Darüber hinaus fehlt es dem Kläger für seinen Antrag mittlerweile am allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis, weil die hier verfolgte Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes nicht mehr erforderlich ist (vgl. BayVGH, B.v. 7.6.2021 - 9 CE 21.853 - BeckRS 2021, 16355 Rn. 14, B.v. 8.4.2019 - 7 CE 19.343 - juris Rn. 14). Das Landratsamt hat bereits in der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2021 erklärt, dass es bereit ist, Akteneinsicht in die Akten zu gewähren, die in Zusammenhang mit der Bestandsauflösung der Rinder stehen und dass auch Kopien auf eigene Kosten angefertigt werden dürfen. Die Akteneinsicht würde dem Berechtigten gewährt, wobei nach wie vor fraglich sei, ob dies der Kläger oder der Vater sei. Der Vertreter des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung vom 29. März 2022 erklärt, dass sich weder der Kläger noch sein Sohn seit der letzten mündlichen Verhandlung am 9. November 2021 diesbezüglich bei der Beklagten gemeldet und einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Für die Kammer stellt sich die Situation daher so dar, dass der Kläger sein Begehren einfacher und kostengünstiger über die Beantragung bei der Behörde erreichen kann.
30
c. Zuletzt scheitert die Klage aufgrund der Vorschrift des § 44a VwGO. Dieser stellt eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes dar.
31
Nach dieser Vorschrift können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dies gilt nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen.
32
Die Entscheidung über die Gewährung von Einsicht in Verwaltungsakten ist jedenfalls dann eine nicht selbständig anfechtbare Maßnahme i. S. von § 44a VwGO, wenn die Einsicht von einem Beteiligten innerhalb eines laufenden Verwaltungsverfahrens und für dieses begehrt wird (BayVGH, U.v. 29.10.1986 - 5 B 85 A. 1702 - NVwZ 1987, 613). Durch diese Regelung soll im Interesse der Verfahrensökonomie verhindert werden, dass der Abschluss von noch bei den Behörden anhängigen Verwaltungsverfahren durch gesonderte, lediglich auf das Verfahren bezogene Rechtsbehelfe erschwert oder verzögert wird und die Gerichte mit Streitfällen befasst werden, obwohl das behördliche Verfahren noch nicht abgeschlossen ist und noch offen ist, inwieweit die Sachentscheidung den Betroffenen beschwert. Der Zweck des § 44a VwGO greift auch hier ein. Besondere Umstände, von der herrschenden Rechtsprechung zur Auslegung des § 44a VwGO bei einem Streit um Akteneinsicht abzuweichen, sind nicht ersichtlich, insbesondere nachdem der Beklagte bereit ist, dem Kläger Akteneinsicht zu gewähren und er sich in den Räumen des Landratsamts auch Kopien anfertigen kann. Der vom Kläger erhobene Vorwurf, der Beklagte könnte die Akten nicht vollständig zur Verfügung stellen, ist durch nichts begründet. Das Gesetz mutet es mit § 44a VwGO dem Kläger zu, den Erlass der behördlichen Entscheidung in der Sache - hier den Abrechnungsbescheid - abzuwarten und den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung von Fotokopien erst in einem möglicherweise sich anschließenden Prozess durchsetzen zu können (vgl. § 100 VwGO). Der Anspruch auf Akteneinsicht steht in unmittelbarem Zusammenhang zu dem behördlich noch anhängigen Verfahren, welches die Veräußerung des Tierbestands nach der Bestandsauflösung betrifft. Allein um seine Rechte in diesen Verfahren effektiv verfolgen zu können, begehrt der Kläger Akteneinsicht (zu allem BayVGH, B.v. 18.5.1995 - 7 CE 95.1069 - juris Rn. 5 f., fortgeführt von B.v. 8.4.2019 - 7 CE 19.343 - juris Rn. 14; vgl. auch BVerwG, U.v. 22.9.2016 - 2 C 16/15 - juris Rn. 18 ff.).
33
Die Voraussetzungen für die gesetzlichen Ausnahmetatbestände in § 44a Satz 2 VwGO sind nicht erfüllt. Weder handelt es sich bei der Verweigerung von Akteneinsicht um eine vollstreckbare Entscheidung noch ist der Kläger Nichtbeteiligter im Sinne dieser Norm.
34
Verfahrenshandlungen gegen Nichtbeteiligte i.S.v. § 44a Satz 2 Alt. 2 VwGO sind alle Verfahrenshandlungen, die Personen betreffen, die in der Verwaltungssache hinsichtlich des Gegenstands des Verwaltungsverfahrens und - in diesem Sinne in der Hauptsache, die Gegenstand dieses Verfahrens ist - nicht i.S.v. § 13 Abs. 1 VwVfG oder entsprechenden Bestimmungen mit eigenen Rechten beteiligt und damit Beteiligte im Sinne dieser Vorschrift sind bzw. von der Behörde beteiligt wurden. Die ratio des § 44a Satz 2 VwGO besteht nämlich offensichtlich darin, dass für den Nichtbeteiligten in der Regel keine Möglichkeit besteht, die abschließende Sachentscheidung anzufechten und deshalb hier ein (isolierter) Rechtsschutz unmittelbar gegenüber der Verfahrensrechtsverletzung gegeben sein muss (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 44a VwGO Rn. 11).
35
Der Kläger ist jedoch Beteiligter eines beim Landratsamt anhängigen Verfahrens. Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG sind in den sog. Antragsverfahren, die nicht von Amts wegen, sondern nur auf Grund Antrags eingeleitet werden, Beteiligte der Antragsteller und Antragsgegner; die Beteiligtenstellung in den von Amts wegen unabhängig von einem Antrag durchzuführenden Verfahren (sog. Amtsverfahren) richtet sich allein nach Nr. 2 - 4. Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 sind Beteiligte am Verfahren diejenigen, an die die Behörde den Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat. Maßgebend ist, dass der Betroffene Adressat des geplanten Verwaltungsakts wäre. Umstritten ist, ob die Beteiligtenstellung des potentiellen Adressaten erst mit einer an ihn gerichteten Mitteilung beginnt, dass gegen ihn oder zu seinen Gunsten ein Verfahren eröffnet wird bzw. wurde oder schon mit einer Handlung der Behörde, die bei objektiver Betrachtung als (konkludente) Einleitung eines Verfahrens verstanden werden kann und muss. Während teilweise letzteres aus rechtsstaatlichen Gründen für geboten erachtet wird, wird auch vertreten, dass „richten wollen“ nicht bedeutet, dass jedwede - möglicherweise noch unbestimmte - Absicht der Behörde, einen Verwaltungsakt zu erlassen, ausreicht. Erforderlich sei vielmehr, dass die Behörde über bloße vorbereitende Verwaltungsinterna hinausgegangen ist und durch objektiv erkennbare Maßnahmen ein konkretes Verwaltungsverfahren i. S. d. Art. 9 BayVwVfG betreibe (zu der gleichlautenden Regelung im VwVfG: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 13 Rn 21 f.; Geis in Schoch/Schneider, VwVfG, Stand Juli 2020, § 13 Rn. 17 f.; Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 13 Rn. 13, 21). Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts kann bereits die Absendung eines Anhörungsschreibens ein selbständiges Verwaltungsverfahren im Sinne der Legaldefinition des § 9 VwVfG darstellen (BVerwG, U.v. 18.4.1986 - 8 C 81/83 - juris Rn. 9).
36
Vorliegend hat das Landratsamt dem Kläger mit Bescheid vom 24. Mai 2017 das Halten und Betreuen von Rindern untersagt. Das Landratsamt hat in der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2021 auch angegeben, dass es prüfen werde, welche Positionen bei der Abrechnung dem auszukehrenden Erlös gegenübergestellt werden können (beispielsweise Aufwendungen im Zusammenhang mit der Veräußerung und Verwaltungsgebühren). Dabei würden beim Kläger, wenn dieser Eigentümer der Rinder gewesen sei, weniger Positionen infrage kommen als beim Sohn des Klägers. Infolge des anwaltlichen Schreibens vom 10. Mai 2017, mit dem mitgeteilt wurde, dass die Tiere vom Sohn des Klägers an den Kläger übereignet worden seien, sei Unklarheit über die Eigentumsverhältnisse entstanden. Mit Schreiben vom 14. Februar 2020 und erneut unter dem 26. April 2021 seien der Kläger und sein Sohn aufgefordert worden, übereinstimmende Erklärungen zu den Eigentumsverhältnissen abzugeben. Vorher kann nach Auffassung des Landratsamts wohl keine Abrechnung erfolgen.
37
Auch aus der Komplexität der Frage, an wen der Erlös auszukehren ist, mit deren Lösung das Landratsamt bereits versucht hat zu beginnen, lässt sich für die Kammer der Schluss ziehen, dass auch der Kläger Beteiligter im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG in dem Verwaltungsverfahren ist, welches die Veräußerung der Rinder und die Auskehr des Erlöses betrifft. Denn der Kläger und sein Sohn haben gegenüber dem Beklagten behauptet, dass der Kläger nach einer Übereignung nunmehr Eigentümer der Tiere sei. Seither betraf das behördliche Verfahren - die Veräußerung und die Auskehr des Veräußerungserlöses betreffend - nicht nur den Sohn des Klägers, sondern auch den Kläger selbst. Dass Schwierigkeiten bei der Abrechnung entstehen können, wenn geltend gemacht wird, die fortgenommenen Tiere gehörten einem Dritten (in diesem Fall dem Kläger) oder seien nachträglich an diesen übereignet worden, ist nachvollziehbar.
38
Es besteht auch im Übrigen kein Anlass, im Einzelfall von der Anwendung des § 44a Satz 1 VwGO abzusehen. Dem Kläger darf kein materieller Rechtsverlust durch die erst spätere Akteneinsicht erwachsen (BayVGH, B.v. 18.5.1995 - 7 CE 95.1069 - juris Rn. 5 f.; vgl. auch BVerwG, U.v. 22.9.2016 - 2 C 16/15 - juris Rn. 18 ff.). Lediglich dann, wenn die Akteneinsicht durch den Betroffenen zur Wahrung der Grundrechte oder des rechtlichen Gehörs sofort erfolgen muss, um hinreichend effektiven Rechtsschutz zu erlangen, ist Satz 1 des § 44a VwGO vergleichbar den Fällen in Satz 2 nicht anwendbar (BayVGH, B.v. 19.12.2013 - 3 CE 13.1453 - BeckRS 2014, 45848 Rn. 24 ff.). Eine solche Ausnahmesituation, in der zur Erlangung hinreichenden Rechtsschutzes die Gewährung von Akteneinsicht für den Kläger erforderlich wäre, liegt nicht vor. Ein - auch nur teilweiser - Rechtsverlust, welcher sich in einem die abschließende Entscheidung betreffenden Verfahren nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr vollständig beheben lässt, steht hier nicht zu befürchten. Dass die Durchsicht der Akten in der eigenen Wohnung weniger beschwerlich ist als die Akteneinsicht in den Räumen des Landratsamts, trifft zwar zu, führt aber nicht dazu, im vorliegenden Fall einen selbstständigen Zwischenstreit über Art und Umfang des Akteneinsichtsrechts entgegen § 44a VwGO für zulässig zu erachten (BayVGH, B.v. 19.12.2013 - 3 CE 13.1453 - BeckRS 2014, 45848 Rn. 8), zumal dem Kläger die Akteneinsicht auch bei Gericht möglich war. Dass durch sein persönliches Erscheinen irreparable Nachteile drohten, ist nicht ersichtlich und wird auch nicht vorgetragen.
39
Spätestens nach Klageerhebung gegen den Abrechnungsbescheid wird dem Kläger Akteneinsicht gewährt werden. Es ist ihm zuzumuten, fristgerecht gerichtlich gegen den Abrechnungsbescheid vorzugehen und dies selbst dann, wenn ihm bis dahin keine Akteneinsicht gewährt wurde und das eigene Prozessrisiko bei Klageerhebung nicht konkret abzuschätzen ist. § 44a VwGO ist gerade Folge des Grundsatzes, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich nachträglichen Rechtschutz, nicht jedoch verfahrensbegleitenden Rechtschutz gewähren (VG Ansbach, B.v. 3.3.2021 - AN 17 E 21.00198 - BeckRS 2021, 3875 Rn. 31).
40
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
41
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der - wenn überhaupt anfallenden - jedenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht, zumal dieser auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.