Titel:
Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung einer längerfristigen Observation nicht auf dem Verwaltungsrechtsweg
Normenketten:
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1, § 88, § 93 S. 1
GVG § 17a Abs. 2 S. 1
BayPAG Art. 36 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 S. 1, Art. 92 Abs. 1 S. 1 (idF bis zum 31.7.2021)
Leitsätze:
1. Wird die Feststellung der Rechtswidrigkeit und die Aufhebung der Anordnung einer längerfristigen Observation nach Art. 36 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 S. 1 PAG aF begehrt, ist gem. Art. 92 Abs. 1 S. 1 PAG aF der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO nicht eröffnet. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Verwaltungsgerichte haben nicht die Kompetenz, Entscheidungen des Amtsgerichts zu überprüfen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verwaltungsrechtsweg, Feststellungsklage, längerfristige Observation, abdrängende Sonderzuweisung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 21017
Tenor
1. Soweit die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung der längerfristigen Observation des Klägers und hilfsweise die Aufhebung dieser Anordnung begehrt wird, wird das Verfahren von dem Verfahren AN 15 K 21.01257 abgetrennt und unter dem neuen Aktenzeichen AN 15 K 22.00852 weitergeführt.
2. Der Verwaltungsrechtsweg ist hinsichtlich des Verfahrens AN 15 K 22.00852 unzulässig.
3. Der Rechtsstreit im Verfahren AN 15 K 22.00852 wird an das Oberlandesgericht … verwiesen.
Gründe
1
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnungen der längerfristigen Observation, der verdeckten Bildaufnahmen und/oder -aufzeichnungen und der polizeilichen Beobachtung und hilfsweise die Aufhebung dieser Anordnungen.
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1. Nach § 93 VwGO kann das Gericht anordnen, dass mehrere in einem Verfahren erhobene Ansprüche in getrennten Verfahren verhandelt werden. Das Gericht macht von dem in dieser Norm normierten Ermessen hinsichtlich der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung der längerfristigen Observation des Klägers mit Beschluss des Amtsgerichts … vom 8. Januar 2020 und der hilfsweise beantragten Aufhebung dieser Anordnung Gebrauch und trennt das Verfahren insoweit vom Verfahren AN 15 K 21.01257 ab.
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2. Nach notwendiger und sachgerechter Auslegung (§ 88 VwGO) bezieht sich das Feststellungsund Aufhebungsbegehren hinsichtlich der Anordnung der längerfristigen Observation des Klägers auf den Beschluss des Amtsgerichts … vom 8. Januar 2020, mit welchem die längerfristige Observation gemäß Art. 36 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 Abs. 4 Satz 1 PAG a.F. angeordnet wurde. Für dieses Anliegen des Klägers ist nicht der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Art. 92 Abs. 1 Satz 1 PAG in der Fassung vom 25. Mai 2018 (GVBl. S. 301) normiert eine abdrängende Sonderzuweisung und verweist auf die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), soweit Vorschriften des PAG eine gerichtliche Entscheidung vorsehen. Für die Anordnung der längerfristigen Observation normiert Art. 36 Abs. 4 Satz 1 PAG a.F. die Notwendigkeit einer gerichtlichen Entscheidung.
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Anzumerken ist zunächst, dass Art. 98 Abs. 1 PAG in der Fassung vom 1. August 2021 (GVBl. S. 418) hier nicht heranzuziehen ist (§ 17 Abs. 1 Satz 1 GVG), da die Klage am Verwaltungsgericht Ansbach bereits am 8. Juli 2021 eingegangen ist.
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Die Vorschrift des Art. 92 Abs. 1 Satz 1 PAG a.F. findet nach dem Willen des Gesetzgebers in Feststellungskonstellationen grundsätzlich keine Anwendung. Hintergrund ist die Regelung des Art. 92 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 PAG a.F., die den einzigen gesetzlichen Sonderfall normiert, in dem die Rechtmäßigkeit einer nach dem PAG getroffenen präventivpolizeilichen Maßnahme - die Ingewahrsamnahme - von einem Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit überprüft wird. In allen übrigen Fällen ist ausschließlich die (Fortsetzungs-)Feststellungsklage statthaft, über welche die Verwaltungsgerichte im Verfahren nach der VwGO entscheiden (LT-Drs. 17/20425, S. 92). Die Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2021 (GVBl. S. 418) stützt diese Auffassung. Denn der neue IX. Abschnitt „Richtervorbehalte; gerichtliches Verfahren“ wurde aus Transparenzgründen geschaffen und soll die Anwenderfreundlichkeit des PAG und die Rechtssicherheit für von präventiven Polizeimaßnahmen Betroffene erhöhen (LT-Drs. 18/13716, S. 37). Deshalb war eine Neuregelung damit nicht verbunden. Auf Seite 38 wird ebenfalls auf die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs verwiesen, handelt es sich um eine (Fortsetzungs-)Feststellungskonstellation. Etwas anderes gilt nur dann, sobald eine Entscheidung durch die ordentlichen Gerichte bereits ergangen ist. Die längerfristige Observation des Klägers wurde mit Beschluss des Amtsgerichts … vom 8. Januar 2020 (Az.: …) angeordnet, sodass statthafter Rechtsbehelf hiergegen die Beschwerde gemäß §§ 58 ff. FamFG ist. Denn die Verwaltungsgerichte haben nicht die Kompetenz, Entscheidungen des Amtsgerichts zu überprüfen (Ehlers/Schneider in Schoch/Schneider, VerwaltungsR, Stand: 41. EL Juli 2021, VwGO § 40 Rn. 616 und 619), welche die Erlaubnis zur Durchführung der Maßnahme geben (vgl. BVerfG, U.v. 20.4.2016 - 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09 - NJW 2016, 1781 Rn. 267).
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Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts … folgt aus §§ 58 Abs. 1, 62, 69 FamFG als Beschwerdegericht i.S.v. § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) GVG. Zwar ist die Beschwerde bei dem Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, einzulegen (§ 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG; VG Augsburg, B.v. 16.3.2021 - Au 8 K 21.202 - BeckRS 2021, 10771 Rn. 9). Jedoch hat die Verweisung gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das zuständige Gericht zu erfolgen, wobei vom verweisenden Gericht das in funktioneller, sachlicher und örtlicher Hinsicht zuständige Gericht herauszusuchen ist (Pabst in MüKO ZPO, 6. Aufl. 2022, GVG § 17a Rn. 14).
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Die Streitsache ist deshalb gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das zuständige Oberlandesgericht … zu verweisen. Beide Beteiligten wurden hierzu mit Schreiben vom 15. Februar 2022 angehört. Die Beklagtenseite hat telefonisch am 23. Februar 2022 mitgeteilt, keine Stellungnahme abzugeben. Eine Äußerung klägerseits erfolgte nicht.
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Die Kostenentscheidung bleibt dem Oberlandesgericht … vorbehalten, § 17b Abs. 2 Satz 1 GVG.