Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 26.07.2022 – Verg 4/22
Titel:

Anwaltsverschulden durch Angabe des falschen Rechtsmittelgerichts

Normenketten:
GWB § 72, § 160 Abs. 1, § 172 Abs. 2
ZPO § 85 Abs. 2, § 233
Leitsätze:
1. Eine Ablehnung der Wiedereinsetzung durch den Vergabesenat ist nicht anfechtbar, da im Gesetz keine weitere Beschwerde gegen die Entscheidung des Vergabesenats vorgesehen ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch im Vergabeverfahren hat der Verfahrensbevollmächtigte die nicht delegierbare Pflicht, die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts selbst sorgfältig zu überprüfen. (Rn.  20) (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Im Nachprüfungsverfahren betreffend die Vergabe, Generalplanungsleistungen 2021, Neubau Hallenbad, Referenznummer der Bekanntmachung, Hellip, Nachprüfungsverfahren, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weitere Beschwerde, Prüfpflicht, Rechtsmittelgericht
Vorinstanzen:
BayObLG, Beschluss vom 13.06.2022 – Verg 4/22
Vergabekammer München, Beschluss vom 21.03.2022 – 3194.Z3-3_01-21-51
Fundstelle:
BeckRS 2022, 20975

Tenor

1. Bei dem Beschluss des Senats vom 13. Juni 2022 hat es sein Bewenden.
2. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 21. März 2022, Az. 3194.Z3-3_01-21-51, wird als unzulässig verworfen.
3. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin.
4. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 200.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit Auftragsbekanntmachung vom … 2021, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am … 2021 unter Nr. …, schrieb die Antragsgegnerin einen Dienstleistungsauftrag über Generalplanerleistungen für den Neubau eines Hallenbads im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb aus.
2
Die Antragstellerin rügte die Ausgestaltung des Vergabeverfahrens als vergabefehlerhaft. Nachdem die Antragsgegnerin nicht allen Rügen abgeholfen hatte, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 8. September 2021 einen Nachprüfungsantrag gemäß § 160 Abs. 1 GWB, der nur zum Teil Erfolg hatte. In Ziffer 1 des Tenors des Beschlusses vom 21. März 2022, der der Antragstellerin am 28. März 2022 zugestellt wurde, hat die Vergabekammer Südbayern ausgesprochen, dass der Antragsgegnerin untersagt wird, den Zuschlag zu erteilen, dass das Verfahren in den Stand vor Abgabe der Teilnahmeanträge zurückversetzt wird und dass die Antragsgegnerin bei fortbestehender Beschaffungsabsicht erneut über eine in Relation zu den geforderten Lösungsvorschlägen angemessene Vergütung zu entscheiden hat.
3
Der Beschluss enthält folgende Rechtsmittelbelehrung:
„Gegen die Entscheidung der Vergabekammer kann binnen einer Notfrist von zwei Wochen (§ 172 GWB), die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt, die sofortige Beschwerde (§ 171 GWB) schriftlich beim Bayerischen Obersten Landesgericht eingelegt werden. Die Briefanschrift lautet:
Bayerisches Oberstes Landesgericht Schleißheimer Str. 141 80797 München …“
4
Mit an das Oberlandesgericht München adressiertem Schriftsatz vom 6. April 2022 hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie die Verpflichtung der Antragsgegnerin begehrt, das Vergabeverfahren vollumfänglich, also nicht nur hinsichtlich einer angemessenen Vergütung für die geforderten Lösungsvorschläge, in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen.
5
Die sofortige Beschwerde ist von dem Oberlandesgericht München an das Bayerische Oberste Landesgericht weitergeleitet worden und hier am 12. April 2022 eingegangen.
Auf den richterlichen Hinweis vom 19. April 2022, dass die sofortige Beschwerde erst nach Fristablauf (§ 172 GWB) bei dem zuständigen Gericht eingegangen ist, hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 27. April 2022 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat ihr Verfahrensbevollmächtigter insbesondere ausgeführt, die Fristversäumung sei von der Antragstellerin nicht verschuldet. Sie beruhe vielmehr auf einem Versehen des bis dahin stets zuverlässigen Kanzleiangestellten Rechtsanwalt Dieser sei nur in untergeordneter Funktion tätig gewesen und angewiesen worden, ihm, dem Verfahrensbevollmächtigen der Antragstellerin zuzuarbeiten, da er sich vom 9. bis 11. April [2022] bei seinem 93jährigen Vater und seinen ebenfalls sehr alten Schwiegereltern aufgehalten habe.
6
Neben einer partiellen inhaltlichen Ausarbeitung sei Herr ausdrücklich angewiesen worden, „noch einmal die Rechtsbehelfsbelehrungaus dem streitgegenständlichen Nachprüfungsverfahren zu prüfen und gegebenenfalls umzusetzen, sowie die Fristen noch einmal zu kontrollieren und die Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts zu prüfen“.
7
Die abschließende - am späteren Nachmittag des 11. April 2022 erfolgte - inhaltliche Abstimmung zwischen dem am Kanzleistandort in … tätigen Rechtsanwalt und ihm, dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin, sei elektronisch und per Mobiltelefon erfolgt. Er habe Herrn insbesondere angewiesen, zu prüfen, ob das Bayerische Oberste Landesgericht für die einzulegende sofortige Beschwerde zuständig wäre und den Adresskopf für den Fall, dass dies zu bejahen sei, anzupassen. Ferner habe er Herrn angewiesen, die Gliederung des Schriftsatzes noch einmal zu überprüfen und ggf. anzupassen. Da die inhaltliche Ausarbeitung des Schriftsatzes ansonsten abgeschlossen gewesen sei und er darauf vertraut habe, dass seine Anweisungen durch den bislang stets zuverlässigen Herrn umgesetzt werden, habe er, der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin, bereits zu diesem Zeitpunkt den Schriftsatz unterzeichnet. Herr habe den bereits unterzeichneten Schriftsatz mit gegebenenfalls angepassten Gliederungspunkten und gegebenenfalls angepasster Adressierung mitsamt den zugehörigen Anlagen zum Versand in das beA-Fach stellen sollen. Herr habe die Gliederung des Schriftsatzes überprüft, aber vergessen, die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts zu prüfen. Er habe ihm per WhatsApp mitgeteilt, dass sich der Schriftsatz versandfertig in dem beA-Ausgangsfach befinde. Er, der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin, habe von der korrekten Erledigung seiner Anweisung ausgehen dürfen.
8
Nachdem der Senat mit Beschluss vom 13. Juni 2022 den Antrag der Antragstellerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen hatte, hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 28. Juni 2022 Gegenvorstellung erhoben. Die Entscheidung des Senats lasse insbesondere hinsichtlich des rechtlichen Maßstabs wesentliche Aspekte unberücksichtigt. Dadurch werde die Antragstellerin in ihrem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes „künstlich und aus formaljuristischen Gründen“ beschnitten.
9
Die Antragstellerin beantragt:
1. Der Beschluss vom 14. Juni 2022 (Anmerkung des Senats: gemeint 13. Juni 2022), Az. Verg 4/22, wird dahin abgeändert, dass der Antragstellerin auf ihren Antrag vom 27. April 2022 Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gewährt wird.
2. Unter Aufhebung des Beschlusses der Vergabekammer Südbayern vom 21. März 2022, Az. 3194.-Z3-3_01-21-51, wird die Antragsgegnerin verpflichtet, das Vergabeverfahren „Generalplanungsleistungen 2021 - Neubau Hallenbad “
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Vergabesenats vollumfänglich, also nicht nur hinsichtlich einer angemessen[en] Vergütung für die geforderten Lösungsvorschläge, in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen.
10
Die Antragsgegnerin beantragt:
1. Der Beschluss vom 13. Juni 2022, Az. Verg 4/22 wird aufrechterhalten und die Gegenvorstellung der Antragstellerin vom 28. Juni 2022 wird zurückgewiesen.
2. Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
11
Sie ist der Ansicht, die sofortige Beschwerde sei unzulässig und zudem auch unbegründet. Die Gegenvorstellung sei weder zulässig noch wäre sie in der Sache geeignet, eine Korrektur des Beschlusses betreffend die Ablehnung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu rechtfertigen. Der Senat sei an seinen Beschluss vom 13. Juni 2022 gebunden; eine gesetzliche Grundlage zur Änderung der Entscheidung sei nicht ersichtlich. Eine etwaige Verletzung eines Verfahrensgrundrechts habe die Antragstellerin nicht benannt. Die Antragsgegnerin verteidigt im Übrigen den die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ablehnenden Senatsbeschluss.
12
Ergänzend wird auf den Senatsbeschluss vom 13. Juni 2022 und auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
13
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der Frist des § 172 Abs. 1 GWB bei dem Beschwerdegericht eingelegt wurde und ihr aus den im Senatsbeschluss vom 13. Juni 2022 dargelegten Gründen nicht gemäß § 175 Abs. 2, § 72 Nr. 2 GWB i. V. m. §§ 233 ff. ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war. Die Gegenvorstellung der Antragstellerin gibt dem Senat keine Veranlassung, von seiner Auffassung abzurücken, die Antragstellerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie ohne ein ihr in entsprechender Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden ihres Verfahrensbevollmächtigten daran gehindert gewesen wäre, die Frist zur Einlegung und Begründung der sofortigen Beschwerde einzuhalten.
14
1. Die Antragstellerin hat die sofortige Beschwerde nicht fristgerecht eingelegt.
15
a) Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 1 GWB binnen einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung der Vergabekammer beginnt, schriftlich bei dem Beschwerdegericht einzulegen. Nicht fristwahrend ist der Eingang bei einem anderen Gericht (vgl. Vavra/Willner in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 2022, GWB § 172 Rn. 6; Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., Stand: 1. Oktober 2016, GWB § 172 Rn. 22).
16
b) Bei dem nach § 171 Abs. 4 GWB i. V. m. § 3 Nr. 46 DelV und § 33 Abs. 3 BayGZVJu zuständigen Bayerischen Obersten Landesgericht ist die sofortige Beschwerde gegen den den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 28. März 2022 zugestellten Beschluss der Vergabekammer am 12. April 2022 und damit nach Ablauf der nach § 172 Abs. 1 GWB mit Ablauf des 11. April 2022 um 24.00 Uhr endenden Frist eingegangen.
17
2. Der Senat hat den Antrag auf Wiedereinsetzung mit Beschluss vom 13. Juni 2022 als unbegründet zurückgewiesen.
18
Eine Ablehnung der Wiedereinsetzung durch den Vergabesenat ist nicht anfechtbar, da im Gesetz keine weitere Beschwerde gegen die Entscheidung des Vergabesenats vorgesehen ist (Vavra/Willner in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, GWB § 172 Rn. 11). Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Senat befugt wäre, seine Entscheidung aufgrund einer Gegenvorstellung abzuändern (vgl. BGH, Beschluss vom 21. September 2020, IV ZR 122/20, juris; OLG Rostock, Beschluss vom 11. November 2021, 17 Verg 5/21, juris Rn. 9) bedarf keiner abschließenden Entscheidung, da die Ausführungen der Antragstellerin im Schriftsatz vom 28. Juni 2022 zu keiner anderen Beurteilung durch den Senat führen.
19
a) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 175 Abs. 2, § 72 Nr. 2 GWB i. V. m. §§ 233 ff. ZPO setzt voraus, dass die Fristversäumung unverschuldet ist. Daran fehlt es hier. Den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin trifft ein Verschulden an der Fristversäumung, das diese sich in entsprechender Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Denn ihr Verfahrensverfahrensbevollmächtigter hat die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts nicht selbst sorgfältig überprüft, sondern lediglich den angestellten Rechtsanwalt angewiesen, zu überprüfen, welches Gericht Beschwerdegericht im Sinne des § 172 Abs. 1 GWB ist. Dass eine fristgerechte Weiterleitung der sofortigen Beschwerde im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs des angegangenen Oberlandesgerichts München möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 19. September 2017, VI ZB 37/16, juris Rn. 5 m. w. N.), hat die Antragstellerin nicht dargelegt.
20
aa) Hinsichtlich der Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bestehen im Vergleich zu anderen Prozessordnungen keine Besonderheiten (vgl. Ulbrich in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Aufl. 2020, § 172 Rn. 5). Der bereits im Schriftsatz vom 1. Juni 2022 sowie in der Gegenvorstellung geäußerten Ansicht der Antragstellerin, bei § 172 Abs. 2 GWB handele es sich um eine „Sonderkonstellation“, weil die sofortige Beschwerde innerhalb dieser Notfrist nicht nur einzulegen, sondern auch zu begründen sei, vermag der Senat nicht zu folgen. Insbesondere hinsichtlich der Pflicht des Rechtanwalts, die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts selbst sorgfältig zu überprüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2022, VI ZB 78/21, juris Rn. 9; Beschluss vom 5. Mai 2021, XII ZB 552/20, NJW-RR 2021, 998 Rn. 14; Beschluss vom 25. April 2017, VI ZB 45/16, NJW-RR 2017, 956 Rn. 6; Beschluss vom 16. September 2015, V ZB 54/15, NJW-RR 2016, 126 Rn. 9; Beschluss vom 22. Juli 2015, XII ZB 583/14, WM 2016, 142 Rn. 12), gilt nicht deshalb ein anderer Maßstab, weil die Frist des § 172 Abs. 1 GWB kürzer ist als Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist nach §§ 517, 520 Abs. 2 ZPO. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist die zitierte Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall übertragbar.
21
Der Senat verkennt nicht, dass mit der sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer erstmals ein Gericht angerufen wird. Nach der gesetzlichen Regelung in § 175 Abs. 2 i. V. m. § 72 Nr. 2 GWB sind im Beschwerdeverfahren jedoch - soweit nichts anders bestimmt ist - die Vorschriften in der Zivilprozessordnung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechend anzuwenden. Hinsichtlich des Prüfungsmaßstabs, ob eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Notfrist des § 172 Abs. 2 GWB einzuhalten, hat der Gesetzgeber, der auch bei der Ausgestaltung des Rechtsschutzes dazu berufen ist, die miteinander kollidierenden und verflochtenen Interessen in einen Ausgleich zu bringen, der allen in verhältnismäßiger Weise gerecht wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2006, 1 BvR 1160/03, BVerfGE 116, 135 [155, juris Rn. 69]), keine von § 233 ZPO abweichende Regelung getroffen.
22
bb) Ein Rechtsanwalt handelt schuldhaft, wenn er eine Rechtsmittelbegründungsschrift unterschreibt, ohne sie zuvor auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen (BGH, Beschluss vom 8. März 2022, VI ZB 78/21, juris Rn. 9: Beschluss vom 6. Mai 1992, XII ZB 39/92, VersR 1993, 79 [juris Rn. 2]). Fällt ihm dagegen bei der Überprüfung ein Fehler auf und erteilt er seiner Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelweisung zur Korrektur, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte, so darf er grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine solche Angestellte die Einzelweisung befolgt (BGH, Beschluss vom 8. März 2022, VI ZB 78/21, juris Rn. 9). Dies gilt - worauf es hier allerdings nicht ankommt - auch dann, wenn ein Schriftsatz zum zweiten Mal vorgelegt wird (BGH, a. a. O. Rn. 10). Der Einwand der Antragstellerin in der Gegenvorstellung, diese „Einschränkung“ habe der Senat nicht ausreichend berücksichtigt, geht fehl. Der Bundesgerichtshof stellt entscheidend darauf ab, ob der Rechtsanwalt seiner Kontrollpflicht bei der Unterzeichnung des Schriftsatzes nachkommt. Dies war hier nicht der Fall, denn der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin hat keine konkrete Einzelweisung zur Korrektur, sondern nur einen Prüfauftrag erteilt. Auch die Argumentation der Antragstellerin, wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls liege in der Delegation einzelner Aufgaben kein schuldhaftes Verhalten ihres Verfahrensbevollmächtigten, greift nicht durch. Die Angabe des Beschwerdegerichts ist ein nicht delegierbarer Kernbestandteil der sofortigen Beschwerde (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2009, V ZB 153/08, juris Rn. 9). Im Übrigen müsste sich die Antragstellerin auch das Verschulden des Rechtsanwalts zurechnen lassen, da es sich bei der Ermittlung des zuständigen Beschwerdegerichts nicht um eine untergeordnete Hilfstätigkeit handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Januar 2004, VI ZB 39/03, NJW-RR 2004, 993).
23
3. Der Senat kann die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ohne vorherige mündliche Verhandlung verwerfen (vgl. OLG München, Beschluss vom 4. Mai 2012, Verg 5/12, juris Rn. 12; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. März 2009, VII-Verg 1/09, juris Rn. 8; Beschluss vom 18. Januar 2000, Verg 2/00, juris Rn. 18; Vavra/Willner in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, GWB § 175 Rn. 10; von Werder in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, GWB § 175 Rn. 19; Frister in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, GWB § 175 Rn. 5). Aus § 175 Abs. 2 i. V. m. § 65 Abs. 1 Halbsatz 1 GWB ergibt sich zwar, dass die Beschwerdeentscheidung grundsätzlich aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergeht. Die Zivilprozessordnung, die § 175 Abs. 2 GWB in weitem Umfang auf das Beschwerdeverfahren für entsprechend anwendbar erklärt, sieht in § 522 Abs. 1 Satz 3 ZPO aber vor, dass eine unzulässige Berufung (ohne mündliche Verhandlung) durch Beschluss verworfen werden kann. Dies gilt erst Recht für das vom Beschleunigungsgrundsatz geprägte Vergabenachprüfungsverfahren. Gegen den entsprechenden Hinweis im Beschluss vom 13. Juni 2022 hat die Antragstellerin in der Gegenvorstellung nichts vorgebracht.
24
4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 175 Abs. 2, § 71 Sätze 1, 2 Alt. 1 GWB. Es entspricht der Billigkeit, der Antragstellerin die gesamten Kosten aufzuerlegen, da sie mit ihrer Beschwerde unterlegen ist. Bei der Kostenentscheidung der Vergabekammer hat es sein Bewenden.
25
Die Streitwertfestsetzung erfolgte nach § 50 Abs. 2 GKG. Anhaltspunkte, die es ausnahmsweise rechtfertigen könnten, abweichend von § 50 Abs. 2 GKG den Streitwert auf einen Bruchteil von 5% der Bruttoauftragssumme festzusetzen (vgl. BayObLG v. 8. November 2021, Verg 10/21, juris Rn. 26 m. w. N.), sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.