Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 13.06.2022 – Verg 4/22
Titel:

Kontrollpflichten des Rechtsanwalts bei Übertragung der Erstellung von Rechtsmittelschriften auf sein Büropersonal

Normenketten:
GWB § 171 Abs. 4, § 172 Abs. 1, Abs. 2
ZPO § 85 Abs. 2, § 233
BayGZVJu § 33 Abs. 3
Leitsatz:
Überträgt ein Verfahrensbevollmächtigter die Erstellung fristwahrender Rechtsmittel seinem angestellten Büropersonal, hat er das Arbeitsergebnis auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen. Hierzu gehört bei einer bundesrechtlichen Zuständigkeitsregelung, die abweichende Regelungen durch das Landesrecht zulässt, auch die Prüfung, ob das betreffende Land hiervon Gebrauch gemacht hat. Diese Aufgabe hat der Verfahrensbevollmächtigte selbst vorzunehmen und darf sie nicht einem angestellten Rechtsanwalt überlassen. Fällt dem Verfahrensbevollmächtigten bei der Überprüfung des Rechtsmittelgerichts ein Fehler auf, hat er seine Angestellten mittels einer schriftlichen Anweisung dazu anzuhalten, die falsche Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts zu korrigieren. (Rn. 18 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wiedereinsetzung, Verschulden, Rechtsmittelgericht, Zuständigkeit, Rechtsanwalt, Büropersonal, Überprüfung, Kontrollpflicht, Anweisung, fristwahrend
Vorinstanz:
Vergabekammer München, Beschluss vom 21.03.2022 – 3194.Z3-3_01-21-51
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 26.07.2022 – Verg 4/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 20974

Tenor

1. Der Antrag der Antragstellerin vom 27. April 2022 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin erhält Gelegenheit, bis 1. Juli 2022 mitzuteilen, ob sie die sofortige Beschwerde aufrechterhält.
3. Die Beteiligten erhalten die Möglichkeit, sich bis zum 1. Juli 2022 zum Wert des Beschwerdeverfahrens zu äußern.

Gründe

I.
1
Mit Auftragsbekanntmachung vom 13. Juli 2021, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am 16. Juli 2021 unter Nr. 2021/S. 136-361557, schrieb die Antragsgegnerin einen Dienstleistungsauftrag über Generalplanerleistungen für den Neubau eines Hallenbads im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb aus.
2
Die Antragstellerin rügte die Ausgestaltung des Vergabeverfahrens als vergabefehlerhaft. Nachdem die Antragsgegnerin nicht allen Rügen abgeholfen hatte, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 8. September 2021 einen Nachprüfungsantrag gemäß § 160 Abs. 1 GWB, der nur zum Teil Erfolg hatte. In Ziffer 1 des Tenors des Beschlusses vom 21. März 2022, der der Antragstellerin am 28. Mai 2022 zugestellt wurde, hat die Vergabekammer Südbayern ausgesprochen, dass der Antragsgegnerin untersagt wird, den Zuschlag zu erteilen, dass das Verfahren in den Stand vor Abgabe der Teilnahmeanträge zurückversetzt wird und dass die Antragsgegnerin bei fortbestehender Beschaffungsabsicht erneut über eine in Relation zu den geforderten Lösungsvorschlägen angemessene Vergütung zu entscheiden hat.
3
Der Beschluss enthält folgende Rechtsmittelbelehrung:
„Gegen die Entscheidung der Vergabekammer kann binnen einer Notfrist von zwei Wochen (§ 172 GWB), die mit der Zustellung der Entscheidung beginnt, die sofortige Beschwerde (§ 171 GWB) schriftlich beim Bayerischen Obersten Landesgericht eingelegt werden. Die Briefanschrift lautet:
Bayerisches Oberstes Landesgericht Schleißheimer Str. 141 80797 München …“
4
Mit an das Oberlandesgericht München adressiertem Schriftsatz vom 6. April 2022 hat die Antragstellerin sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie die Verpflichtung der Antragsgegnerin begehrt, das Vergabeverfahren vollumfänglich, also nicht nur hinsichtlich einer angemessenen Vergütung für die geforderten Lösungsvorschläge, in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen.
5
Die sofortige Beschwerde ist von dem Oberlandesgericht München an das Bayerische Oberste Landesgericht weitergeleitet worden und hier am 12. April 2022 eingegangen.
6
Auf den richterlichen Hinweis vom 19. April 2022, dass die sofortige Beschwerde erst nach Fristablauf (§ 172 GWB) bei dem zuständigen Gericht eingegangen ist, hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 27. April 2022 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat ihr Verfahrensbevollmächtigter insbesondere ausgeführt, die sofortige Beschwerde sei - allerdings adressiert an das Oberlandesgericht München - am 11. April 2022 eingelegt worden, die Fristversäumung sei von der Antragstellerin nicht verschuldet. Denn die Fristversäumung habe allein auf einem Versehen des bis dahin stets zuverlässigen Kanzleiangestellten Rechtsanwalt Baumhaus und der Rechtsanwaltsfachangestellten Hilbig beruht. Die Kanzleiangestellten seien ausdrücklich dauerhaft angewiesen, jeden gerichtlichen oder sonst förmlichen Posteingang auf Rechtsbehelfsbelehrungen und sonstige Hinweise zu prüfen, sowie diese umzusetzen, das heißt insbesondere, das zuständige Gericht als Beteiligte in der Akte anzulegen. Frau Hilbig habe beim Anlegen der elektronischen Akte versehentlich statt des in der Rechtsbehelfsbelehrunggenannten Bayerischen Obersten Landesgerichts das Oberlandesgericht München eingetragen, sodass dessen Adresse in den Schriftsatz übernommen worden sei. Daneben sei auch dem in der Kanzlei angestellten Rechtsanwalt Baumhaus ein Fehler unterlaufen, der die Eingaben aus dem Beteiligtenfeld der e-Akte in den Schriftsatz übernommen und diese anschließend überprüft habe. Die übernommenen Eingaben würden regelmäßig durch ihn, den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin, und gegebenenfalls durch einen weiteren Rechtsanwalt überprüft. Wahrscheinlich aufgrund früherer Vergabenachprüfungsverfahren, in denen das Oberlandesgericht München noch zuständiges Beschwerdegericht gewesen sei, habe Rechtsanwalt Baumhaus die fehlerhafte Adressierung an das Oberlandesgericht München nicht bemerkt. Die Angestellten des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin - insbesondere auch die angestellten Rechtsanwälte - seien dauerhaft dazu angewiesen, die übernommenen Angaben aus der e-Akte in „Rechtsbehelfsangelegenheiten“ anhand der ergangenen Rechtsbehelfsbelehrungen zu überprüfen. Fehler bei dem Prüfen und Einpflegen der formellen Anforderungen seien dem stets zuverlässigen Rechtsanwalt Baumhaus hierbei bislang noch nicht unterlaufen.
7
Rechtsanwalt Baumhaus sei nur in untergeordneter Funktion tätig gewesen und angewiesen worden, ihm, dem Verfahrensbevollmächtigen der Antragstellerin zuzuarbeiten, da er sich vom 9. bis 11. April [2022] bei seinem 93-jährigen Vater und seinen ebenfalls sehr alten Schwiegereltern aufgehalten habe. Neben einer partiellen inhaltlichen Ausarbeitung sei Herr Baumhaus ausdrücklich angewiesen worden, „noch einmal die Rechtsbehelfsbelehrungaus dem streitgegenständlichen Nachprüfungsverfahren zu prüfen und gegebenenfalls umzusetzen, sowie die Fristen noch einmal zu kontrollieren und die Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts zu prüfen“. Die abschließende - am späteren Nachmittag des 11. April 2022 erfolgte - inhaltliche Abstimmung zwischen dem am Kanzleistandort in Lübeck tätigen Rechtsanwalt Baumhaus und ihm, dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin, sei elektronisch und per Mobiltelefon erfolgt. Er habe Herrn Baumhaus insbesondere angewiesen, zu prüfen, ob das Bayerische Oberste Landesgericht für die einzulegende sofortige Beschwerde zuständig wäre und den Adresskopf für den Fall, dass dies zu bejahen sei, anzupassen. Ferner habe er Herrn Baumhaus angewiesen, die Gliederung des Schriftsatzes noch einmal zu überprüfen und ggf. anzupassen. Da die inhaltliche Ausarbeitung des Schriftsatzes ansonsten abgeschlossen gewesen sei und er darauf vertraut habe, dass seine Anweisungen durch den bislang stets zuverlässigen Herrn Baumhaus umgesetzt werden, habe er, der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin, bereits zu diesem Zeitpunkt den Schriftsatz unterzeichnet. Herr Baumhaus habe den bereits unterzeichneten Schriftsatz mit gegebenenfalls angepassten Gliederungspunkten und gegebenenfalls angepasster Adressierung mitsamt den zugehörigen Anlagen zum Versand in das beA-Fach stellen sollen. Herr Baumhaus habe die Gliederung des Schriftsatzes überprüft, aber vergessen die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts zu prüfen. Er habe ihm per WhatsApp mitgeteilt, dass sich der Schriftsatz versandfertig in dem beA-Ausgangsfach befinde. Er, der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin, habe von der korrekten Erledigung seiner Anweisung ausgehen dürfen. Es habe also das Zusammenspiel von zwei Versehen der sonst stets zuverlässigen Angestellten sowie die fehlende Umsetzung der direkten Arbeitsanweisung durch ihn an Herrn Baumhaus dazu geführt, dass die sofortige Beschwerde an das unzuständige Oberlandesgericht München adressiert worden sei. Das Verhalten der beiden Angestellten sei der Beschwerdeführerin nicht zurechenbar, da sowohl die Rechtsanwaltsfachangestellte Hilbig als auch der Rechtsanwalt Baumhaus lediglich in untergeordneter Funktion tätig gewesen seien. Ihn, den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin, treffe auch kein Organisationsverschulden.
8
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag der Antragstellerin und Beschwerdeführerin gegen die Versäumung der Beschwerdefrist nach § 172 GWB auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zurückzuweisen.
9
Sie ist der Ansicht, das Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ergebe sich daraus, dass er keine eigene Sichtung der Rechtsbehelfsbelehrungbzw. Kontrolle der ordnungsgemäßen Erfassung des zuständigen Gerichts vorgenommen habe, dass er einen nicht finalen Schriftsatz trotz Kenntnis weiterer Korrekturen und einer unklaren Zuständigkeit des Gerichts signiert, dass er vor der Versendung eine eigene abschließende Kontrolle dieser Punkte versäumt habe und dass die Einreichung der Beschwerdefrist per beA erst sehr kurzfristig vor dem Ablauf der Notfrist erfolgt sei.
10
Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
11
Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor, da die Fristversäumung auf einem Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin beruht, das sie sich nach § 175 Abs. 2, § 72 Nr. 2 GWB i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
12
1. Die Antragstellerin hat die sofortige Beschwerde nicht fristgerecht eingelegt.
13
a) Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 1 GWB binnen einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung der Vergabekammer beginnt, schriftlich bei dem Beschwerdegericht einzulegen. Nicht fristwahrend ist der Eingang bei einem anderen Gericht (vgl. Vavra/Willner in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 2022, GWB § 172 Rn. 6; Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., Stand: 1. Oktober 2016, § 172 GWB Rn. 22).
14
2. Bei dem nach § 171 Abs. 4 GWB i. V. m. § 3 Nr. 46 DelV und § 33 Abs. 3 BayGZVJu zuständigen Bayerischen Obersten Landesgericht ist die sofortige Beschwerde gegen den den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 28. März 2022 zugestellten Beschluss der Vergabekammer am 12. April 2022 und damit nach Ablauf der nach § 172 Abs. 1 GWB mit Ablauf des 11. April 2022 um 24.00 Uhr Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist zulässig, aber unbegründet.
15
a) Nach § 175 Abs. 2, § 72 Nr. 2 GWB i. V. m. §§ 233 ff. ZPO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dies setzt allerdings voraus, dass die Fristversäumung unverschuldet ist; die Beteiligten müssen sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO ein Verschulden ihrer Bevollmächtigten zurechnen lassen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 13. August 2004, Verg 017/04, juris Rn. 6; Vavra/Willner in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, GWB § 172 Rn. 11).
16
Hinsichtlich der Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bestehen im Vergleich zu anderen Prozessordnungen keine Besonderheiten (vgl. Ulbrich in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Aufl. 2020, § 172 Rn. 5). Der im Schriftsatz vom 1. Juni 2022 geäußerten Ansicht der Antragstellerin, bei § 172 Abs. 2 GWB handele es sich um eine „Sonderkonstellation“, vermag der Senat nicht zu folgen.
17
b) Die Antragstellerin hat weder glaubhaft gemacht, dass sie ohne ein ihr in entsprechender Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden ihres Verfahrensbevollmächtigten daran gehindert gewesen wäre, die Frist zur Einlegung und Begründung der sofortigen Beschwerde einzuhalten, noch dass sich das Verschulden ihres Verfahrensbevollmächtigten wegen einer nachfolgenden Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch das Gericht nicht mehr ausgewirkt hätte.
18
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört es zu den Aufgaben eines Verfahrensbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Dabei gehört die Erstellung fristwahrender Rechtsmittel oder Rechtsmittelbegründungen zu den Aufgaben, die ein Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit, darunter auch auf die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts, selbst sorgfältig zu überprüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2022, VI ZB 78/21, juris Rn. 9; Beschluss vom 5. Mai 2021, XII ZB 552/20, NJW-RR 2021, 998 Rn. 14; Beschluss vom 25. April 2017, VI ZB 45/16, NJW-RR 2017, 956 Rn. 6; Beschluss vom 16. September 2015, V ZB 54/15, NJW-RR 2016, 126 Rn. 9; Beschluss vom 22. Juli 2015, XII ZB 583/14, WM 2016, 142 Rn. 12). Zu der erforderlichen rechtlichen Prüfung der Zuständigkeit gehört bei einer bundesrechtlichen Zuständigkeitsregelung, die abweichende Regelungen durch das Landesrecht zulässt, auch die Prüfung, ob das betreffende Land hiervon Gebrauch gemacht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2010, V ZB 224/09, NJW-RR 2010, 1096 Rn. 12). Ein Rechtsanwalt handelt daher schuldhaft, wenn er eine Rechtsmittelbegründungsschrift unterschreibt, ohne sie zuvor auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen (BGH, Beschluss vom 8. März 2022, VI ZB 78/21, juris Rn. 9; Beschluss vom 6. Mai 1992, XII ZB 39/92, VersR 1993, 79 [juris Rn. 2]). Fällt ihm dagegen bei der Überprüfung ein Fehler auf und erteilt er seiner Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelweisung zur Korrektur, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte, so darf er grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine solche Angestellte die Einzelweisung befolgt. Er ist unter diesen Umständen im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. Den Prozessbevollmächtigten trifft somit kein Verschulden an der Fristversäumung, wenn er seine bisher zuverlässige Angestellte nicht nur mündlich, sonders mittels einer auf dem Schriftsatz vermerkten Anweisung dazu anhält, die falsche Bezeichnung des Berufungsgerichts zu korrigieren, und er die Rechtsmittelschrift vor der von ihm für erforderlich gehaltenen Korrektur unterzeichnet hat (vgl. BGH, NJW-RR 2017, 956 Rn. 6; NJW-RR 2016, 126 Rn. 11; Beschluss vom 13. April 2010, VI ZB 65/08, NJW 2010, 2287 Rn. 5 ff. jeweils m. w. N.).
19
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen trifft den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ein Verschulden an der Fristversäumung, das diese sich in entsprechender Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Denn ihr Verfahrensverfahrensbevollmächtigter hat die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts nicht selbst sorgfältig überprüft, sondern lediglich den angestellten Rechtsanwalt Baumhaus angewiesen, zu überprüfen, welches Gericht Beschwerdegericht im Sinne des § 172 Abs. 1 GWB ist. Die Aufgabe der Anfertigung einer Rechtsmittelschrift darf in einem so bedeutenden Teil wie der Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts auch gut geschultem und erfahrenem Personal eines Rechtsanwalts nicht überlassen werden (BGH, NJW-RR 2017, 956 Rn. 6). Dass er die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts - beispielsweise anhand der Rechtsmittelbelehrungkonkret überprüft hätte, hat der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin nicht dargelegt. Er hat im Schriftsatz vom 27. April 2022 lediglich anwaltlich versichert, er überprüfe die aus dem Beteiligtenfeld der e-Akte in einem Schriftsatz übernommenen Eingaben „regelmäßig“ und ihm sei während des Gesprächs am 11. April 2022 am späteren Nachmittag eingefallen, dass in Bayern neben den Oberlandesgerichten auch ein Bayerisches Oberstes Landesgericht eingerichtet worden sei, ohne jedoch sofort sagen zu können, ob dies für den Fall von Bedeutung wäre.
20
Der Einwand, ihm werde von der Antragsgegnerin im Wesentlichen der Vorwurf gemacht, während der „letzten Handgriffe“ an dem Schriftsatz ortsabwesend gewesen zu sein und vor Betätigung des Sendebefehls keine erneute detaillierte Prüfung des gesamten Schriftsatzes vorgenommen zu haben, geht fehl. Eine eigenständige Prüfung der Bezeichnung des Beschwerdegerichts hat der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin nicht - jedenfalls nicht mit der gebotenen Sorgfalt - vorgenommen. Aus welchen Gründen der Verfahrensbevollmächtige am 11. April 2022 nicht in der Kanzlei war, ist irrelevant.
21
Ohne Erfolg beruft sich die Antragstellerin auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. April 2017, denn in den dort (NJW-RR 2017, 956 Rn. 6) zitierten Entscheidungen war dem Rechtsanwalt ein Fehler hinsichtlich der Bezeichnung des Berufungsgerichts aufgefallen (BGH, NJW-RR 2016, 126 Rn. 6; Beschluss vom 13. April 2010, VI ZB 65/08, juris Rn. 6; Beschluss vom 30. Oktober 2008, III ZB 54/08, juris Rn. 9, vgl. auch Beschluss vom 17. August 2011, I ZB 21/11, juris Rn. 13).
22
Zudem hat der Bundesgerichtshof hervorgehoben, dass ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen werden müssen, dass die Erledigung nicht in Vergessenheit gerät, wenn die Anweisung nur mündlich erteilt wird (BGH, NJW-RR 2016, 126 Rn. 11). Aus der eidesstattlichen Versicherung des Rechtsanwalts Baumhaus ergibt sich, dass ihm die Weisung, zu überprüfen, ob das Bayerische Oberste Landesgericht zuständig sein könnte, telefonisch erteilt wurde.
23
cc) Dass eine fristgerechte Weiterleitung der sofortigen Beschwerde im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs des angegangenen Oberlandesgerichts München möglich gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 19. September 2017, VI ZB 37/16, juris Rn. 5 m. w. N.), hat die Antragstellerin nicht dargelegt.
24
3. Der Senat kann die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ohne vorherige mündliche Verhandlung verwerfen (vgl. OLG München, Beschluss vom 4. Mai 2012, Verg 5/12, juris Rn. 12; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. März 2009, VII-Verg 1/09, juris Rn. 8; Beschluss vom 18. Januar 2000, Verg 2/00, juris Rn. 18; Vavra/Willner in Burgi/Dreher/Opitz, Beck'scher Vergaberechtskommentar, GWB § 175 Rn. 10; von Werder in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, GWB § 175 Rn. 19; Frister in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, GWB § 175 Rn. 5). Aus § 175 Abs. 2 i. V. m. § 65 Abs. 1 Halbsatz 1 GWB ergibt sich zwar, dass die Beschwerdeentscheidung grundsätzlich aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergeht. Die Zivilprozessordnung, die § 175 Abs. 2 GWB in weitem Umfang auf das Beschwerdeverfahren für entsprechend anwendbar erklärt, sieht in § 522 Abs. 1 Satz 3 ZPO aber vor, dass eine unzulässige Berufung (ohne mündliche Verhandlung) durch Beschluss verworfen werden kann. Dies gilt erst Recht für das vom Beschleunigungsgrundsatz geprägte Vergabenachprüfungsverfahren.
25
Der Senat regt daher eine Rücknahme der sofortigen Beschwerde an.