Inhalt

OLG München, Endurteil v. 08.08.2022 – 21 U 34/21
Titel:

Restschadensersatzanspruch nach § 852 S. 1 BGB in einem Diesel-Fall

Normenketten:
BGB § 31, § 195, § 199 Abs. 1, § 826, § 852 S. 1
ZPO § 167, § 287
Leitsätze:
1. Zum Anspruch aus § 852 BGB bei verjährten "Diesel-Fällen" vgl. auch BGH BeckRS 2022, 4174; BeckRS 2022, 4153; BeckRS 2022, 4167; BeckRS 2022, 38006; BeckRS 2022, 42085 sowie BGH BeckRS 2022, 38891 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); BGH BeckRS 2022, 32458 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25067 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Bleibt die Anforderung des Gerichtskostenvorschusses durch das Gericht aus, darf die Klagepartei - um sich auf § 167 ZPO berufen zu können - nicht länger als angemessen untätig bleiben, sondern sie muss nachfragen, einzahlen oder Antrag nach § 14 GKG stellen; das Abwarten einer gerichtlichen Anforderung erst rund sechs Wochen nach Klageeinreichung und parallelem Ablauf der Verjährungsfrist ist nicht mehr "demnächst". (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die mögliche Gesamtlaufleistung kann auf 200.000 km geschätzt werden, wenn das Fahrzeug in derart geringem Umfang genutzt wird, dass es deutlich älter als 20 Jahre werden müsste, um eine Lebenslaufleistung über 200.000 km zu erreichen. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
4. Für den Restschadensersatzanspruch nach § 852 S. 1 BGB sind vom gezahlten Kaufpreis die Händlermarge und die Nutzungsentschädigung in Abzug zu bringen. (Rn. 51 – 54) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 189, unzulässige Abschalteinrichtung, Verjährung, demnächst, Anforderung des Gerichtskostenvorschusses, Neuwagen, Restschadensersatzanspruch, Händlermarge, Gesamtlaufleistung
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 02.12.2020 – 33 O 3503/19
Fundstelle:
BeckRS 2022, 20973

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 02.12.2020, Az. 33 O 3503/19, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 22.025,23 € Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs,, FIN … zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Klagepartei hat von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz 60%, die Beklagte 40% zu tragen.
II. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
III. Die Klagepartei hat von den Kosten des Berufungsverfahrens 38%, die Beklagte 62% zu tragen.
IV. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts, in der Fassung, die es in Ziffer I. erhalten hat, sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klagepartei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klagepartei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Entscheidungsgründe

I.
1
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die die Klagepartei gegen die Beklagte wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend macht.
2
Die vorsteuerabzugsberechtigte Klagepartei erwarb am 11.07.2012 zu einem Preis von 38.100,00 € netto von einem Dritten auf Bestellung ein Neufahrzeug, … 130 kw, Erstzulassung 07.11.2012. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor EA189 ausgestattet. Die Händlermarge betrug 2.266,95 €. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Beklagte ist die Herstellerin des Pkws. Der Kilometerstand bei Erwerb betrug 0 km, zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 21.10.2020 65.786 km und zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 25.07.2022 72.482 km.
3
Zur Abgasreinigung wird im streitgegenständlichen Fahrzeug die Abgasrückführung eingesetzt. Das Fahrzeug ist betroffen von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt mit der Begründung „unzulässige Abschalteinrichtung“. Die im Zusammenhang mit dem Motor (zunächst) verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
4
Die Klagepartei ließ das vom Kraftfahrtbundesamt freigegebene und zur weiteren Nutzbarkeit des Fahrzeugs erforderliche Softwareupdate am 15.02.2017 aufspielen.
5
Mit anwaltlicher Mahnung vom 19.12.2019 forderte die Klagepartei unter Fristsetzung bis zum 27.12.2019 die Erstattung des Kaufpreises unter Abzug einer Nutzungsentschädigung mit Angabe von Kilometerleistungen (Laufleistung von 60.730 km) Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs.
6
Mit Klage vom 30.12.2019, anhängig am gleichen Tag, der Beklagten zugestellt am 23.03.2020, forderte die Klagepartei zuletzt die Erstattung des vollen Bruttokaufpreises zuzüglich Verzugszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung von Annahmeverzug der Beklagten mit der Rücknahme des Fahrzeugs und die Verurteilung zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Die gerichtliche Vorschussanforderung erfolgte mit Verfügung vom 14.02.2020, der Klagepartei zugestellt am 21.02.2020.
7
Zahlungseingang erfolgte am 26.02.2020 und unter dem 11.03.2020 wurde die Klagezustellung gerichtlich verfügt.
8
Die Beklagte beruft sich auf Verjährung.
9
Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
10
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 02.12.2020 teilweise zugesprochen, nämlich verurteilt zur Zahlung in Höhe von 35.405,31 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs und im Übrigen die Klage abgewiesen bei einer Kostenverteilung von 22% zu Lasten der Klagepartei und 78% zu Lasten der Beklagten.
11
Hiergegen richtet sich die von der Beklagten eingelegte Berufung.
12
Die Beklagte beantragt (Schriftsatz vom 02.03.2021, Bl. 252 ff. d.A.),
das am 02.12.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Ingolstadt, 33 O 3503/19 im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
13
Die Klagepartei beantragt die Zurückweisung der Berufung der Beklagten.
14
Der Senat hat über den Rechtsstreit am 25.07.2022 mündlich verhandelt und die Klagepartei formlos angehört. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird weiter Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
II.
15
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache teilweise Erfolg. Die Beklagte haftet gleichwohl wegen des Erwerbs des hier streitgegenständlichen Diesel-Pkws durch die Klagepartei, allerdings in geringerem Umfang. Denn sie haftet nicht (mehr) unmittelbar nach §§ 826, 31 BGB, sondern aufgrund von Verjährung in der Gestalt des Restschadensersatzanspruchs nach § 852 BGB. Abzuziehen sind daher die Händlermarge und - im Verhältnis zur ersten Instanz - auch die durch die Klagepartei weiter gezogenen Nutzungen. Im Einzelnen:
16
1. Die Beklagte haftet vorliegend grundsätzlich gem. §§ 826, 31 BGB aufgrund eigenen deliktischen Handelns. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass sie die - u.a. im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzten - Motoren EA189 samt Motorsteuerungssoftware nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt hat. Sie handelte durch die ihr zuzurechnenden Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB, indem sie entschied, Motoren EA189 in Kenntnis der dazu programmierten Umschaltlogik als Software zur Erschleichung der Typgenehmigung in die von ihr hergestellten Fahrzeuge serienweise einzubauen, um diese anschließend in den Verkehr zu bringen. Mindestens ein Repräsentant der Beklagten im Sinne von § 31 BGB hat die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht.
17
Sittenwidrig ist nach der nunmehr auch speziell in Bezug auf Dieselfälle seitens des BGH gefestigten Rechtsprechung ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft.
18
Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 14 f.).
19
Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 16 ff.).
20
Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt voraus, dass es in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer - billigend in Kauf genommenen - Unrechtmäßigkeit geschieht (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 21, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 19, vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, Rdnr. 28).
21
a) Ein derartiges Vorstellungsbild steht zur Überzeugung des Senats fest im Hinblick auf Personen, für deren Verhalten die Beklagte einzustehen hat. Der Senat ist überzeugt i.S.v. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten i.S.v. § 31 BGB von der - evident unzulässigen - Umschaltlogik gewusst hat bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten.
22
Soweit die Beklagte einwendet, eine Überzeugungsbildung i.S.v. § 286 ZPO verstoße gegen BGH, Urteil vom 26.04.1989, Az.: IVb ZR 52/88, ist festzuhalten, dass sich der BGH in seiner Urteilsserie vom 25.11.2021 u.a. explizit mit der Prüfung der Feststellungen auf der Grundlage einer Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO in den Ausgangsentscheidungen befasst und seine Beurteilung ausführlich begründet hat (Az.: VII ZR 238/20, Rdnr. 29 ff., VII ZR 243/20, Rdnr. 28 ff., VII ZR 257/20, Rdnr. 30 ff. und VII ZR 38/21, Rdnr. 28 ff. deutlich dazu: BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 256/20, Rdnr. 18, und vom 09.02.2022, Az.: VII ZR 255/20, Rdnr. 18, Az.: VII ZR 258/20, Rdnr. 17 und Az.: VII ZR 26/21, Rdnr. 23, vom 23.03.2022, Az.: VII ZR 139/21, Rdnr. 19). Der BGH hat insbesondere auch klargestellt, dass die Tatsachenfeststellung in Dieselfällen nicht beschränkt ist auf Feststellungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urteil vom 25.11.2021, Az.: VII ZR 243/20, Rdnr. 35).
23
Die Beklagte führt aus, im Rahmen der grundsätzlichen Entscheidung über die Verwendung des Motors EA189 in Fahrzeugen ihrer Herstellung durch das Produkt-Strategie-Komitee im Jahr 2005/2006, das sich aus einzelnen Mitgliedern des Vorstands sowie einzelnen Mitgliedern aus den Fachabteilungen zusammensetzte, und der fortlaufenden nochmaligen Entscheidung zum Einsatz des Motors EA189 jeweils in Bezug auf das konkret entwickelte Modell (Bl. 266 ff. d.A.), habe man lediglich den serienmäßigen Einsatz des Motors EA189 beschlossen, sich dabei aber nicht mit der konkreten technischen Ausstattung einschließlich der Umschaltlogik befasst, man habe insbesondere im Produkt-Strategie-Komitee nur über den Einsatz des Motorentyps entschieden und dabei nur finanzielle und zeitliche Planungsaspekte einbezogen, nicht jedoch technische Details der streitgegenständlichen Software (Schriftsatz vom 15.07.2022, dort S. 15 ff.). Der Senat ist aber davon überzeugt, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten i.S.v. § 31 BGB bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten von der - evident unzulässigen - Umschaltlogik gewusst hat, unabhängig von der Frage der ausdrücklichen Besprechung der Umschaltlogik innerhalb der Erörterungen des Produkt-Strategie-Komitees. Die Beweisangebote der Beklagten insofern (Schriftsatz vom 15.07.2022, S. 15 ff.) sind daher irrelevant.
24
Beim Motor eines Fahrzeugs handelt es sich um dessen „Kernstück“, nicht bloß um ein untergeordnetes Zuliefererteil. Dies bestätigen auch die Ausführungen der Beklagten, wonach die Entscheidung über den in einen neuen Fahrzeugtyp einzusetzenden Motor im Rahmen des 60-monatigen Zeitraums zur Entwicklung eines neuen Fahrzeugmodells einen „Meilenstein“ darstellt (Bl. 266 ff. d.A.). Bei den Emissionswerten eines Fahrzeugs handelt es sich wiederum nicht um bloße technische Details und damit Fragen von vollkommen untergeordneter Bedeutung, im Gegenteil. Gleichzeitig handelt es sich um eine Entscheidung von großer Tragweite mit erheblichen, auch persönlichen, Haftungsrisiken für die Entscheider.
25
Hinzu kommt, dass das Spannungsverhältnis zwischen kostengünstiger Produktion und den durch die nach den gesetzgeberischen Vorgaben zu den Euro-Schadstoffklassen stets strengeren Anforderungen an die Begrenzung der Stickoxidemissionen seinerzeit bei Automobilherstellern allgemein bekannt war. Die Einhaltung der relevanten Stickoxidgrenzwerte für den Motor EA189 stellte unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Verbots von Abschalteinrichtungen eine Herausforderung dar, die jedem Kraftfahrzeughersteller, der sich wie die Beklagte selbst mit der Entwicklung von Dieselmotoren befasste, bekannt war. Die Beklagte selbst räumt auch ein, dass bei der Entscheidung über den Einsatz des Motors EA189 finanzielle Aspekte einbezogen wurden.
26
In diesem Zusammenhang nicht zu überzeugen vermag der Einwand der Beklagten, bei den von ihr entwickelten und hergestellten Dieselmotoren handele es sich um ganz andere Motoren. Zwar mögen diese Motoren leistungsstärker und die Zylinder anders angeordnet sein. Das grundlegende Problem der Entstehung von Stickoxiden aufgrund höherer Verbrennungstemperaturen - auf die Ausführungen der Beklagten Bl. 341 ff. d.A., wird Bezug genommen - stellt sich aber bei jedem Dieselverbrennungsmotor. Auch gelten für alle diese Motoren die gleichen gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte. Nach dem Beklagtenvortrag arbeitet die Automobilindustrie bereits seit den 1970er Jahren an Strategien zur Optimierung des Ausstoßes von Stickoxiden, und zwar zunächst im Wesentlichen durch eine Herabsenkung der Verbrennungstemperaturen durch Abgasrückrückführung; dem sind jedoch nach dem Vortrag der Beklagten Grenzen gesetzt, denen durch die Verwendung von sog. Thermofenstern - nach dem Beklagtenvortrag in sämtlichen Dieselfahrzeugen bei allen Herstellern in der EU - begegnet wird (Bl. 107 ff. d.A., dort S. 12, 341 ff. d.A.).
27
Ferner sind der Beklagten ausweislich ihres Vortrags durchaus Aspekte der Abgasreinigung im Zusammenhang mit dem Motor EA189 bekannt: sie weiß, dass bei den für den deutschen Markt bestimmten Fahrzeugen mit Motor EA189 der Euroschadstoffnorm 4 bis 6 die Abgasreinigung durch Hochdruck-Abgasrückführung, durch einen Dieseloxidationskatalysator und Dieselpartikelfilter („Hardwarekomponenten“) stattfindet, aber eine Abgasnachbehandlung durch Stickstoffspeicherkatalysator wie bei den für den USamerikanischen Markt bestimmten Fahrzeugen nicht zum Einsatz kommt; mit den unterschiedlichen Hardwarekomponenten gingen Unterschiede bei der Motorsteuerungssoftware einher (Schriftsatz vom 15.07.2022, S. 11). Die Beklagte führt außerdem aus, vor der Verwendung der Motoren EA189 habe sie von der … AG Motoren EA188 erworben - die beiden Motoren unterschieden sich, da die … AG den Motortyp EA188 weiterentwickelt und die Technik von der Pumpe-Düse-Einspritzung auf die innovative Common-Rail-Einspritzung mit dem Ergebnis des Motortyps EA189 umgestellt habe (Bl. 268 d.A.). Die Einspritzcharakteristik ist aber wesentlich für die Optimierung des Verbrennungsprozesses und steht damit im Zusammenhang mit der Abgasreinigung durch Abgasrückführung, auf die Ausführungen der Beklagten zur Funktionsweise des Softwareupdates wird Bezug genommen (Bl. 107 ff. d.A., dort S. 9).
28
Auch angesichts des von der Beklagten beschriebenen ausgeklügelten Systems von Kontroll- und Berichtspflichten (Bl. 288 ff. d.A.) erscheint es nicht plausibel, dass diese sämtlich gerade bei der hier inmitten stehenden Kenntnis von der Umschaltlogik - einer Software, die die Zulassungsfähigkeit hinsichtlich einer maßgeblichen Eigenschaft des Motors, nämlich seiner Abgasemissionen zumal bei Kenntnis der Schwierigkeit zur Lösung des Problems, überhaupt erst ermöglichte - versagt haben sollen.
29
Zwar hat die Beklagte ihren Vortrag zur von ihr behaupteten Unkenntnis in Bezug auf die Umschaltlogik von Personen, deren Handeln sie sich nach § 31 BGB zurechnen lassen muss, mittlerweile vertieft. Sie trägt vor, mittlerweile seien die internen Untersuchungen abgeschlossen. Danach hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass Vorstände im aktienrechtlichen Sinn bzw. andere Repräsentanten die für eine Haftung nach § 826 BGB maßgeblichen Kenntnisse gehabt hätten, und führt dies auch konkret aus in Bezug auf von der Klagepartei benannte Personen.
30
Dies überzeugt den Senat jedoch nicht. Nach den Angaben der Beklagten gehörten zur Ebene der Bereichsleiter im „Zeitraum von 2006 bis 2015 eine Vielzahl von Personen“. Befragungen sämtlicher dieser Einzelpersonen seien aber weder erforderlich noch praktisch umsetzbar (Bl. 284 d.A.). Das teilt der Senat nicht, der nicht erkennen kann, dass die Anhörung dieser Personen zur Aufklärung dieses für die Beklagte aus dem Tagesgeschäft herausragend bedeutsamen Sachverhalts nicht praktisch umsetzbar sein soll, zumal es nach dem Vortrag der Beklagten auch der zur Untersuchung im … Konzern eingesetzten Kanzlei … möglich war, mehr als 700 Befragungen durchzuführen einschließlich einer Sicherung von über 21.000 elektronischen Datenträgern bei weltweit über 3.500 Mitarbeitern (Bl. 277 d.A.). Dies gilt umso mehr, als die Beklagte nach ihren eigenen Ausführungen im Zeitraum von 2006 bis 2015 streng hierarchisch organisiert war mit Berichts- und Kontrollpflichten. Danach sei die Beklagte von sieben Vorständen geleitet worden und sei in sieben Vorstandsbereiche gegliedert gewesen, welche die erste Berichtsebene darstellten. Der Vorstandsebene nachgelagert gewesen seien Untergliederungen, die als Bereiche bezeichnet worden seien und welche die zweite Berichtsebene darstellten. An ihrer Spitze standen bereits die Bereichsleiter (Bl. 288 ff., 292 d.A.). Die Notwendigkeit ihrer Befragung drängt sich auf, zumal der BGH bereits in der Entscheidung vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 33) dem restriktiven Begriffsverständnis des Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB der dortigen Beklagten (und der hiesigen Beklagten explizit in Bezug auf Bereichsleiter, Bl. 280 ff. d.A., denen aber selbst die Beklagte gleichwohl „eine dem Tätigkeitsprofil der Vorstandsmitglieder angenäherte Funktion innerhalb der Organisationsstruktur der Beklagten“ zubilligt) nicht gefolgt ist. Ob überhaupt wenigstens einzelne und ggfls. welche Bereichsleiter befragt wurden, bleibt aber unklar.
31
Eine Indizwirkung im Sinne der Beklagten vermag der Senat schließlich nicht in dem Umstand zu sehen, dass die internen Ermittlungen nicht zu Schadensersatzansprüchen der Beklagten gegen ihre Verantwortlichen bzw. zu weiteren staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren geführt hätten. Nach den Ausführungen der Beklagten bezogen sich die nach Darstellung der Beklagten umfangreichen internen Ermittlungen der Kanzlei … in Zusammenarbeit mit Deloitte zur Beklagten im Schwerpunkt ohnehin nicht auf den hier inmitten stehenden Sachverhalt der Verwendung der Motoren EA189, sondern auf Manipulationen bei den von der Beklagten selbst entwickelten 3-l-V6-Motoren (Bl. 277 ff. d.A., Anlagen B3 u. B4) und die Befragung der Bereichsleiter bleibt unklar. Die Ausführungen zu den Untersuchungen durch die Kanzlei … bleiben allgemein. Die Staatsanwaltschaft München II hat gegenüber der Beklagten wegen Aufsichtspflichtverletzungen im Bereich „Abgas Service / Zulassung Aggregate“ bei der Prüfung von Fahrzeugen auf ihre regulatorische Konformität u.a. wegen des Einsatzes des Motors EA189 in Fahrzeugen weltweit ein Ordnungswidrigkeitenverfahren geführt und ein Bußgeld verhängt (Anlage K13). Dies allein und der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig kein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, lässt keinen Rückschluss zu auf die dort jeweils bestehenden Kenntnisse und Entscheidungsmotive - erst recht nicht allein im Sinne des Beklagtenvortrags. Die Beklagte selbst legt überdies als Anlage B5 das „Statement of Facts“ vor, aus dem sich ergibt, dass es im Hinblick auf die Vorgänge in den USA u.a. durch Angestellte der Beklagten zur Vernichtung von Unterlagen gekommen ist mit dem Ziel der Vermeidung rechtlicher Konsequenzen (ebenda, Nr. 73).
32
Die umfänglichen Ausführungen - teilweise einschließlich von Beweisangeboten - der Beklagten zur fehlenden Kenntnis ihrer Vorstände im aktienrechtlichen Sinne und sonstiger Repräsentanten mit der Begründung, sie habe den Motor nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt, sei am Homologationsprozess nicht beteiligt gewesen und habe aufgrund des bestehenden Baukastenprinzips mit automatisierten Produktionsprozessen ohne Einwirkungsoder Überprüfungsmöglichkeit beim Aufspielen der Motorsteuerungssoftware bzw. später bei der Überwachung der Produktion keine Kenntnisse erlangen können, verfangen nicht, da der Senat - bei Wahrunterstellung des Vortrags der Beklagten insoweit - in der Entscheidung über die Verwendung des Motors EA189 in Kenntnis der Umschaltlogik das deliktische Handeln sieht.
33
Diese Wertung liegt bereits den Entscheidungen des Senats zugrunde, zu denen durch den BGH unter dem 25.11.2021 bestätigende Entscheidungen (Az.: VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21) ergangen sind. Der Senat hat hierauf mit Verfügung vom 22.12.2021 (Bl. 442 f. d.A.) und erneut, nochmals ausführlicher, mit Beschluss vom 04.07.2022, dort insbesondere Ziffer 1 (Bl. 455 ff. d.A.), hingewiesen. Eine inhaltliche Ergänzung des Vortrags im Sinne dieser Hinweise erfolgte weder schriftsätzlich noch im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat; die Beklagte hat nach wie vor - auch mit Schriftsatz vom 15.07.2022, S. 15 ff. - nicht die in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug über den Zukauf des Motors inklusive Software entscheidenden Personen benannt und ebenso wenig konkret zu deren Kenntnisstand - ggfls. nach Befragung im Rahmen der internen Ermittlungen - vorgetragen. Dementsprechend war auch den Beweisangeboten im Schriftsatz vom 15.07.2022, S. 15 ff., nicht nachzugehen.
34
b) Letztlich ist damit das Bestreiten der Beklagten auch unzureichend im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO.
35
Wer einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, trägt im Grundsatz die volle Darlegungsund Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. In bestimmten Fällen ist es Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungslast zu den Behauptungen der beweisbelasteten Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierung des Bestreitens zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner - hier die Klagepartei - vorgetragen hat. In der Regel genügt ein einfaches Bestreiten. Eine sekundäre Darlegungslast kann den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei treffen, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (z.B. BGH, Urteil 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 25 ff.). Nach diesen Grundsätzen setzt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer Repräsentanten von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, jedenfalls voraus, dass das Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 28).
36
Die möglichen Anhaltspunkte sind nicht beschränkt auf die im Urteil des BGH vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 30, genannten Umstände. Maßgeblich bleibt der Vortrag im Einzelfall, was bestätigt wird durch BGH, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 52/21, Rdnr. 24 ff. und Urteil vom 26.04.2022, Az.: VI ZR 965/20, Rdnr. 14 f.
37
Nach diesen Grundsätzen traf die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den serienmäßigen Einsatz der Motoren EA189 in (Un-)Kenntnis der Umschaltlogik getroffen hat. Die Umstände, nach denen vorliegend eine Kenntnis der für die Beklagte handelnden und dieser zuzurechnenden Personen naheliegt, ergeben sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen. Das Spannungsverhältnis zwischen der Herstellung kostengünstiger Motoren bei gleichzeitiger Einhaltung der gesetzlich weiter verschärften Stickoxidgrenzwerte sowie grundsätzlichem Verbot des Einsatzes von Abschalteinrichtungen war bei Automobilherstellern bekannt. Die Beklagte selbst entwickelt Dieselmotoren. Gleichzeitig waren der Beklagten die Hardwarekomponenten wie auch Aspekte der Funktion der Abgasreinigung im Zusammenhang mit dem Einsatz der Motoren EA189 (im Vergleich zu dem bis dahin verwendeten …motor EA188) bekannt. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten betraf eben nicht bloß ein untergeordnetes Zuliefererteil, sondern den Motor als „Kernstück“ des Fahrzeugs; die Emissionseigenschaften des Fahrzeugs sind für dieses wesentlich und nicht bloß ein technisches Detail. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten war mit erheblichen, auch persönlichen, Haftungsrisiken der entscheidenden Personen verbunden. Eine Unkenntnis des Einsatzes der Umschaltlogik auf Ebene von Personen, die der Beklagten zuzurechnen sind nach § 31 BGB, erscheint ausgeschlossenen, zumal in Anbetracht des ausgeklügelten und streng hierarchischen Kontroll- und Berichtswesen innerhalb der Beklagten. Dem ist die Beklagte, wie sich ebenfalls aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, nicht hinreichend entgegengetreten; insbesondere blieben ihre Angaben zu ihren internen Ermittlungen, auf deren negatives Ergebnis die Beklagte sich beruft, unzureichend, jedenfalls im Hinblick auf die Befragung der Bereichsleiter, und der Vortrag zum Kenntnisstand der Beteiligten im Rahmen des Produkt-Strategie-Komitees blieb pauschal.
38
2. Vor diesem Hintergrund ist auch der Schädigungsvorsatz zu bejahen. Dieser enthält ein Wissens- und Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchsstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben und mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben; Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in Kenntnis der Umschaltlogik den serienmäßigen Einsatz der Motoren in ihren Fahrzeugen anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.
39
3. Die Einwände der Beklagten gegen das Bestehen der haftungsbegründenden Kausalität greifen nicht durch.
40
Schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die Klagepartei den streitgegenständlichen Pkw nicht gekauft hätte, wenn sie um die unzulässige Software und die davon ausgehende Gefahr der Betriebsuntersagung gewusst hätte; der Schaden liegt in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 47 ff.). Kein vernünftiger Käufer hätte in Kenntnis dieses Sachverhalts, insbesondere der Gefahr der Betriebsuntersagung, den Pkw erworben, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht die Möglichkeit bestanden hätte, mittels des erst später entwickelten Softwareupdates die Manipulation am Motor zu beseitigen. Der Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt erfolgte erst später.
41
Auch aufgrund der Angaben der Klagepartei persönlich im Rahmen ihrer Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat und des hierbei von ihr gewonnenen Eindrucks ist der Senat vom Bestehen der Kausalität überzeugt. Die Beklagte hat auf die förmliche Parteieinvernahme verzichtet.
42
4. Der Anspruch ist bereits verjährt. Die Klage wurde zwar noch am 30.12.2019 anhängig, ihre Zustellung und damit Rechtshängigkeit, § 253 Abs. 1 ZPO, erfolgte indes erst am 23.03.2020. Vorliegend trat die Verjährung bereits mit Ablauf des 31.12.2019 ein; die Klageerhebung erst im Jahr 2020 erfolgte nicht mehr rechtzeitig, 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Anhängigkeit gem. § 167 ZPO ist zu verneinen. Im Einzelnen:
43
a) Die Verjährung trat hier bereits mit Ablauf des 31.12.2019 ein.
44
Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Vorliegend ist der Senat überzeugt, dass die Voraussetzungen der Verjährung noch im Jahr 2016 vorlagen und Verjährung mithin mit Ablauf des 31.12.2019 eingetreten ist.
45
Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es hinsichtlich der Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Dieselfällen darauf an, dass der Käufer Kenntnis erlangt hat vom „Dieselskandal“ allgemein, von der konkreten Betroffenheit seines Wagens hiervon sowie von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung, wobei von letzterem naturgemäß auszugehen ist (BGH, Urteil vom 17.12.2020, Az.: VI ZR 739/20, Rdnr. 5, 8, 17, vom 29.07.2021, Az.: VI ZR 1118/20, Rdnr. 14 ff., Beschluss vom 15.09.2021, Az. VII ZR 294/20, Rdnr. 8 f., Urteilsserie vom 10.02.2022, Az.: VII ZR 692/21, Rdnr. 24, Az.: VII ZR 717/21, Rdnr. 24, Urteil vom 21.02.2022, Az.: VIa ZR 8/21, Rdnr. 37). Der Senat hat die Klagepartei hierzu im Termin zur mündlichen Verhandlung befragt. Zwar hat der Kläger angegeben, dass er die Pressemitteilungen der … AG zunächst nicht auf die Beklagte bezogen hat, dass er aber im Jahr 2016 bereits vom Hersteller angeschrieben worden sei; es sei dann ein weiteres Schreiben gekommen zum Softwareupdate. Dies hatte die Klagepartei auch schon schriftsätzlich ausgeführt (Bl. 167 ff. d.A., dort S. 58). Damit hat der Kläger zur Überzeugung des Senats noch im Jahr 2016 positive Kenntnis erlangt nicht nur vom Dieselskandal allgemein, sondern auch von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs.
46
Zum Einwand der Klagepartei, Verjährung sei zu verneinen wegen der Unzumutbarkeit der Klageerhebung, nimmt der Senat Bezug auf die Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil vom 17.12.2020, Az.: VI ZR 739/20, Rdnr. 9 ff., vom 19.10.2021, Az.: VI ZR 189/20, Rdnr. 14). Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Klagepartei vorwerfbar von einer rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten worden wäre; der Senat nimmt Bezug auf die Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil vom 21.02.2022, Az.: VIa ZR 8/21, Rdnr. 48 ff., vom 10.02.2022, Az.: VII ZR 692/21, Rdnr. 37 ff., und Az.: VII ZR 717/21, Rdnr. 31 ff.). Anders als die Klagepartei einwendet, steht der Verjährung auch nicht ein fortgesetzt sittenwidriges Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit dem Aufspielen des Softwareupdates entgegen; es bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine erneute Täuschung über die Implementierung einer erneuten unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters bei gleichzeitig fortgesetzter Nichteinhaltung der erforderlichen Grenzwerte und negativen Auswirkungen auf Leistung, Verbrauch und Verschleiß (BGH, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 294/20, Rdnr. 13). Der Senat nimmt Bezug auf die Rechtsprechung des BGH zu der insoweit parallelen Argumentation zu Sachverhalten nach Bekanntwerden des Dieselskandals (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, Rdnr. 23 ff., 30, Urteil vom 28.10.2021, Az.: III ZR 261/20, Rdnr. 21 ff., vom 23.11.2021, Az.: VI ZR 839/20, Rdnr. 19 ff., Beschluss vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 222/21, Rdnr. 27, Urteil vom 13.01.2022, Az.: III ZR 205/20, Rdnr. 21 ff., vom 08.02.2022, Az.: VI ZR 543/20, vom 21.04.2022, Az.: VII ZR 70/21, Rdnr. 14, 20).
47
b) Wie die Berufung zutreffend rügt (Bl. 313 d.A.) erfolgte die Klagezustellung am 23.03.2020 nicht „demnächst“ i.S.v. § 167 ZPO mit der Folge einer Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Anhängigkeit noch im Jahr 2019.
48
Nach § 167 ZPO treten die Wirkungen der Zustellung bereits mit Eingang der Klage ein, wenn die Zustellung „demnächst“ erfolgt. Dabei ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH der Begriff „demnächst“ im Sinne dieser Vorschrift im Wege einer wertenden Betrachtung auszulegen. Es darf nicht auf eine rein zeitliche Betrachtungsweise abgestellt werden. Vielmehr sollen, weil die Klage von Amts wegen zuzustellen ist, die Parteien vor Nachteilen durch Verzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs bewahrt werden, denn diese Verzögerungen können von ihnen nicht beeinflusst werden. Es gibt deshalb keine absolute zeitliche Grenze, nach deren Überschreitung eine Zustellung nicht mehr als „demnächst“ anzusehen ist. Dies gilt auch dann, wenn es zu mehrmonatigen Verzögerungen kommt. Denn Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht sind, muss sich die Partei, der die Fristwahrung obliegt, grundsätzlich nicht zurechnen lassen. Der Partei sind jedoch solche nicht nur geringfügigen Verzögerungen zurechenbar, die sie oder ihr Prozessbevollmächtigter (§ 85 Abs. 2 ZPO) bei gewissenhafter Prozessführung hätten vermeiden können. Verzögerungen sind mithin dann zurechenbar, wenn die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter durch nachlässiges - auch leicht fahrlässiges - Verhalten zu einer nicht bloß geringfügigen Zustellungsverzögerung beigetragen haben. Maßgeblich ist hierbei, um wie viele Tage sich der für die Zustellung der Klage ohnehin erforderliche Zeitraum infolge der Nachlässigkeit verzögert hat. Dem Zustellungsveranlasser zuzurechnende Verzögerungen von bis zu vierzehn Tagen, gerechnet vom Tag des Ablaufs der Verjährungsfrist, sind regelmäßig geringfügig und bleiben deshalb außer Betracht. Wird eine Klage bereits vor Ablauf einer durch Zustellung zu wahrenden Frist eingereicht, die Klage aber erst nach Ablauf der Frist zugestellt, sind bis zum Fristablauf eingetretene Versäumnisse nicht mit einzurechnen, weil eine Partei die ihr eingeräumte Frist bis zum letzten Tag ausnutzen darf (BGH, Urteil vom 21.03.2022, Az.: VIa ZR 275/21, Rdnr. 17 f.).
49
Danach ist die Klage - Ablauf der Verjährungsfrist mit dem Ende des Jahres 2019 - nicht „demnächst“ zugestellt worden. Die Klagepartei hat Verzögerungen im Zusammenhang mit der Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses zu verantworten, die eine Rückwirkung i.S.v. § 167 ZPO ausschließen. Die Klage vom 30.12.2019 wurde noch am gleichen Tag anhängig. Zwar ist es nicht erforderlich, dass die Klagepartei den Gerichtskostenvorschuss i.S.v. § 12 GKG von sich aus mit der Klage einzahlt; sie kann vielmehr die Anforderung des Gerichts abwarten. Bleibt die Anforderung aber aus, darf die Klagepartei nicht länger als angemessen untätig bleiben, sondern sie muss nachfragen, einzahlen oder Antrag nach § 14 GKG stellen. Als angemessen werden in der Rechtsprechung jedenfalls drei Wochen ab Ablauf der durch die Klage zu wahrenden Frist angesehen (Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 167 Rdnr. 15). Vorliegend erfolgte die gerichtliche Anforderung erst mit Verfügung vom 14.02.2020 und damit rund sechs Wochen (vgl. BGH, Beschluss vom 02.05.2017, Az.: VI ZR 85/16, Rdnr. 18, wonach ein Zeitraum von genau fünf Wochen „noch knapp innerhalb jenes Zeitraums liegen [dürfte], der noch keine Nachfrageobliegenheit begründet“) nach Ablauf der Verjährungsfrist. Nachfragen der Klagepartei bzw. ihres anwaltlichen Vertreters sind nicht ersichtlich und von der Klagepartei auch nicht dargetan.
50
5. Es handelt sich vorliegend ausweislich der als Anlage K1 vorgelegten Auftragsbestätigung - bestätigt durch die Angaben des Klägers persönlich im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat - um einen Neuwagenkauf auf Bestellung vom Händler (die Beklagte hat dies ohnehin nicht bestritten), weshalb ein Anspruch nach § 852 BGB grundsätzlich zu bejahen ist. Die von der Beklagten insoweit erhobenen Einwendungen und zum Anspruchsinhalt greifen nicht durch; der Senat nimmt Bezug auf die Rechtsprechung des BGH (Urteile vom 21.02.2022, Az.: VIa ZR 8/21, Rdnr. 51 ff., 73 ff., und Az.: VIa ZR 57/21, Rdnr. 13 ff., 15 ff.). Danach umfasst der Anspruch den Händlereinkaufspreis und es findet eine Vorteilsanrechnung statt, wegen der das streitgegenständliche Fahrzeug herauszugeben und das Eigentum zu übertragen sowie ein Ersatz der gezogenen Nutzungen vorzunehmen sind.
51
a) Nach entsprechendem Hinweis des Senats (Verfügung vom 02.03.2022, Bl. 444 f. d.A., und Beschluss vom 04.07.2022, Ziff. 5, Bl. 457 d.A.) hat die Klagepartei unter Beweisangebot vorgetragen zur Händlermarge (Bl. 480 d.A.). Dieser Vortrag wurde von der Beklagten nicht bestritten. Die Marge beträgt danach 2.266,95 €; der Ersatzanspruch daher vorbehaltlich der Vorteilsanrechnung 35.833,05 €.
52
b) Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Der Senat schätzt in Anbetracht des festgestellten Fahrzeugtyps, des Datums seiner Erstzulassung sowie der konkreten Nutzung die mögliche Gesamtlaufleistung auf 200.000 km. Mit dieser Schätzung bewegt sich der Senat innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der gesamten Laufleistung (u.a. BGH, Urteil vom 27.07.2021, Az.: VI ZR 480/19, Rdnr. 26). Die Schätzung liegt innerhalb der Bandbreite am unteren Rand, da das Fahrzeug in derart geringem Umfang genutzt wird, dass es deutlich älter als 20 Jahre werden müsste, um eine Lebenslaufleistung über 200.000 km zu erreichen; der Senat ist aber überzeugt, dass Fahrzeuge nach 20 Jahren in der Regel verbraucht sind. Weitere aussagekräftige Umstände, welche die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs beeinflussen, sind nicht dargetan (vgl. BGH, Urteil vom 29.09.2021, Az.: VIII ZR 111/20, Rdnr. 52 ff., 58).
53
Der Senat stellt in ständiger Rechtsprechung auf die nach der Rechtsprechung des BGH gebilligte lineare Berechnung des Nutzungsersatzes ab. Aus der grundsätzlichen Billigung einer linearen Berechnungsmethode folgt zwar nicht zwingend, dass andere Berechnungsmethoden unzulässig wären, da dem Tatrichter nach § 287 ZPO ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt wird. Da der Schaden aber in dem ungewollten Vertragsschluss liegt, ist der vom Bundesgerichtshof erfolgte Rückgriff auf die Wertung des Nutzungsersatzes nach § 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB aber folgerichtig. Der Senat folgt ausdrücklich nicht dem Ansatz, den Wert der Nutzung eines Neuwagens höher anzusetzen als den eines älteren Fahrzeugs. Die lineare Berechnung ist dem Geschädigten zumutbar und entlastet die Schädigerin nicht unangemessen. Sie entspricht schon vom Wortlaut den „gezogenen Nutzungen“. Entgegen dem Einwand der Beklagten ist eine Ausweitung der Vorteilsanrechnung - etwa wegen des Wertverlusts des Fahrzeugs - nicht angezeigt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 36, vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 15, vom 20.07.2021, Az.: VI ZR 533/20, Rdnr. 33, vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 46).
54
Danach errechnet sich bei Berücksichtigung der Nutzung des Fahrzeugs bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat mit einer Kilometerleistung von insgesamt 72.482 km ein Erstattungsanspruch i.H.v. 22.025,23 €.
III.
55
Die Kostenentscheidung erster Instanz beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die erhobene Forderung von Deliktszinsen ist zu Lasten der Klagepartei zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az.: VII ZR 266/20, Rdnr. 32). Deliktszinsen sind nicht geschuldet (auf die ständige Rechtsprechung des BGH wird Bezug genommen: BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 17 ff., vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 21 ff.).
56
Die Kostenentscheidung zweiter Instanz beruht auf §§ 97, 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.
57
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
58
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die maßgeblichen Rechtsfragen zur Haftung in Dieselfällen, insbesondere im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit i.S.v. § 826 BGB wie auch die Anforderungen an den Vortrag der Parteien sind mittlerweile höchstrichterlich geklärt (deutlich u.a.: BGH, Beschluss vom 29.09.2021, Az.: VII ZR 223/20, Rdnr. 8, vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, Rdnr. 4, 24). Dies gilt auch in Bezug auf eine Haftung der Beklagten bei Fahrzeugen ihrer Herstellung mit Motoren EA189 (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 52/21, Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Urteilsserie vom 25.11.2021: Az.: VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21, Urteil vom 21.12.2021, Az.: VI ZR 875/20, Beschluss vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 256/20, vom 27.01.2022, Az.: III ZR 195/20, vom 09.02.2022, Az.: VII ZR 255/20, Az.: VII ZR 258/20 und Az.: VII ZR 26/21, Urteil vom 24.03.2022, Az.: VII ZR 266/20, vom 26.04.2022, Az.: VI ZR 965/20, vom 10.05.2022, Az.: VI ZR 838/20, Beschluss vom 23.03.2022, Az.: VII ZR 139/21). Es ist Aufgabe der Instanzgerichte, diese Rechtsgrundsätze auf den jeweils vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Divergierende Ergebnisse aufgrund der Würdigung des jeweils vorgetragenen Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht begründen indes keine Divergenz i.S. des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO. Von einer Divergenz in diesem Sinne ist vielmehr nur dann auszugehen, wenn den Entscheidungen sich widersprechende abstrakte Rechtssätze zugrunde liegen (BGH, Beschluss vom 09.07.2007, Az.: II ZR 95/06, Rdnr. 2, deutlich: Beschluss vom 13.10.2021, Az.: VII ZR 99/21, Rdnr. 28).