Titel:
Gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer
Normenketten:
EStG § 2a Abs. 3, § 10d Abs. 4 S. 6
EStDV § 60 Abs. 2 S. 1
AO § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Leitsatz:
Sind die ausländischen Verluste im Rahmen einer Mitunternehmerschaft angefallen, deren Einkünfte nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO gesondert und einheitlich festgestellt werden, ist über sämtliche tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des § 2a EStG 1997 zur Abziehbarkeit (Art, Herkunft, Umfang, zeitlicher Zuordnung der Verluste) im Rahmen des Feststellungsverfahrens zu entscheiden (BFH, Urteil vom 28. November 2007 - I R 25/07 -, BeckRS 2007, 25013318). (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Ausländische Einkünfte
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – I R 15/22
Fundstellen:
EFG 2022, 1686
BeckRS 2022, 20870
DStRE 2023, 513
LSK 2022, 20870
Tenor
1. Unter Abänderung des Bescheids über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.1999 vom 06.06.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.02.2020 wird der verbleibende Verlust auf ... (Erhöhung um 12.313.028) DM festgestellt.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu 2/19 und der Beklagte zu 17/19 zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der zu erstattenden Aufwendungen der Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Aufwendungen der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Streitig ist, ob ausländische Betriebsstättenverluste, die in den Jahren 1996 bis 1998 im Ergebnis die inländischen Einkünfte der Klägerin gemindert haben, im Jahr 1999 den Einkünften hinzuzurechnen sind. Verfahrensrechtlich ist zu entscheiden, ob die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.1999 noch geändert werden konnte.
2
Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung die Herstellung von Produkten.
3
Die Klägerin war an der A KG zu 40% als Kommanditistin beteiligt. Die B KG hielt den anderen Kommanditanteil von 60%. Die Funktion der Komplementärin ohne eigenen Geschäftsanteil nahm die A GmbH wahr.
4
Die A KG war im Inland ansässig, besaß aber in der EU eine Betriebsstätte.
5
In den Jahren 1996 bis 1998 erzielte die A KG u.a. mit ihrer EU-Betriebsstätte Verluste aus Gewerbebetrieb.
6
Mit notariellem Vertrag vom 08.03.1999 übertrug die Klägerin ihren Kommanditanteil an der A KG auf die B KG mit schuldrechtlicher Wirkung zum 01.01.1999 (0:00 Uhr). Gemäß Punkt III dieser Vertragsurkunde zahlte die Klägerin der Käuferin wegen zu erwartender Verluste für die Übernahme einen als Entschädigung bezeichneten Betrag von 2.500.000 DM. Von diesem Betrag ordneten die Vertragsparteien 1.470.500 DM der EU-Betriebsstätte zu.
1. Vorjahre 1996 bis 1998
7
Für die dem Streitjahr vorausgegangenen Jahre 1996 bis 1998 stellte die Klägerin weder in ihrer Steuererklärung noch durch sonstigen Schriftverkehr ausdrücklich einen Antrag auf Berücksichtigung von ausländischen Verlusten nach § 2a Abs. 3 EStG i.d.F. vom 16.04.1997. Sie wurde für die Jahre 1996 bis 1998 erklärungsgemäß und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung veranlagt. Die festgesetzte Körperschaftsteuer betrug 0 DM; der verbleibende Verlustabzug zur Körperschaftsteuer wurde im Millionenbereich festgestellt.
8
Zu den Vorgängen § 2a EStG tangierend ergibt sich aus den Steuerakten der Klägerin:
9
Am 09.12.1999 teilte das für die A KG zuständige Finanzamt 1 dem beklagten Finanzamt mit einer ESt4B-Mitteilung u.a. mit, dass „durch Feststellung der Betriebsprüfung lt. Bericht vom 22.10.1999“ der Anteil an „nach § 2a Abs. 3 EStG berücksichtigungsfähige Verlust 3.372.260 DM“ betrage. Die nächstfolgenden Änderungsbescheide bei der Klägerin vom 21.12.2000 stützten sich auf die Änderungsvorschrift § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, beließen das festgestellte zu versteuernde Einkommen auf -3.397.286 DM und erhöhten den verbleibenden Verlustabzug zur Körperschaftsteuer zum 31.12.1996 um 26.041.084 DM auf ... DM.
10
Keine Vorgänge in der Steuerakte der Klägerin.
11
Am 05.10.1999 teilte das Finanzamt 1 dem beklagten Finanzamt mit einer ESt4B-Mitteilung u.a. mit, dass für die Veranlagung 1998 der Anteil an den laufenden Einkünften -3.771.817 DM und der Anteil an „ausl. Eink. § 2a EStG 4.842.381 DM Staat EU“ betrage. Die chronologisch folgenden Änderungsbescheide bei der Klägerin vom 21.12.2000 stützten sich auf die Änderungsvorschrift § 164 Abs. 2 AO, beließen das festgestellte zu versteuernde Einkommen auf -26.171.993 DM und erhöhten den verbleibenden Verlustabzug zur Körperschaftsteuer zum 31.12.1998 um 26.041.084 DM auf ... DM.
12
Die folgenden Änderungsbescheide bei der Klägerin vom 04.12.2002 nahmen Bezug auf die durchgeführte Prüfung, stützten sich auf die Änderungsvorschrift § 164 Abs. 2 AO, erhöhten das festgestellte zu versteuernde Einkommen um 37.436.000 DM auf -188.735.993 DM und minderten den verbleibenden Verlustabzug zur Körperschaftsteuer zum 31.12.1998 um 38.617.000 DM auf ... DM.
13
Am 06.06.2006 änderte das beklagte Finanzamt die Bescheide vom 04.12.2002 gestützt auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO mit dem Erläuterungshinweis „Die Änderung betrifft die Feststellungen der Betriebsprüfung bei der Firma A KG. Auf das mit Frau B am 17.05.2006 geführte Gespräch wird Bezug genommen.“ Das zu versteuernde Einkommen wurde nunmehr mit -187.959.131 DM und der verbleibende Verlustabzug zur Körperschaftsteuer zum 31.12.1998 auf ... DM festgestellt.
2. Veranlagung Streitjahr 1999
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Die Klägerin reichte am 20.12.2000 die Körperschaftsteuererklärung 1999 ein. Die Bescheide über Körperschaftsteuer 1999 (0 DM) und über Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.1999 (... DM) ergingen am 09.01.2001 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Am 04.12.2002 wurde der Vorbehalt der Nachprüfung nach Abschluss einer Außenprüfung bei der Klägerin aufgehoben. Bis zu diesem Zeitpunkt kam es nicht zu einer Mitteilung über Besteuerungsgrundlagen, die für die Klägerin bei der A KG festgestellt wurden.
3. Klageverfahren bei der A KG 1999
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Nach Durchführung einer Außenprüfung bei der A KG stellte das für das Feststellungsverfahren der A KG zuständige Finanzamt 1 in einem Sammelfeststellungsbescheid für 1997, 1998 und 1999 am 31.01.2006 u.a. fest, dass die Entschädigungszahlung in Höhe von 1.470.500 DM als nichtabzugsfähige Betriebsausgabe zu qualifizieren sei (Anlage 18 zum Bp-Bericht der A KG). Es teilte weiterhin in der Anlage 19 mit, wie hoch nach Aktenlage die bisher nach § 2a EStG abgezogenen Verluste für die EU Betriebsstätte seien und dass die Voraussetzungen einer Hinzurechnung (der in den Vorjahren abgezogenen Verluste) (§ 2a Abs. 4 Nr. 2 i.d.F. des § 52 Abs. 3 Satz 5 EStG 1997 n.F.) erfüllt seien. Über die Höhe der Hinzurechnung habe das Veranlagungsfinanzamt zu entscheiden. Nach Aktenlage seien bisher 13.242.607 DM abgezogen worden. Zutreffend wären 12.413.028 DM.
16
Gegen den Sammelfeststellungsbescheid gegenüber der A KG führte die Klägerin als ehemalige Gesellschafterin der A KG ein Rechtsbehelfs- und ein Klageverfahren. Mit Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22. Februar 2017 (I R 2/15, BFHE 257, 120, BStBl II 2017, 709) wurde das Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 27. November 2014 (6 K 866/12, EFG 2015, 537) aufgehoben und die Klage hinsichtlich des Streitpunkts Entschädigungszahlung als nicht abziehbare Betriebsausgabe und Hinzurechnung nach § 2a Abs. 4 EStG abgewiesen.
4. Einspruchsverfahren Klägerin und Streitjahr
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Das beklagte Finanzamt änderte am 06.06.2006 die Körperschaftsteuerveranlagung 1999, indem es die Körperschaftsteuer und das zu versteuernde Einkommen mit 0 € ansetzte und den verbleibenden Verlustabzug zur Körperschaftsteuer zum 31.12.1999 auf ... DM feststellte. Im Einzelnen legte es eine Hinzurechnung nach § 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV von 12.313.028 DM (Hinzurechnung nach § 2a Abs. 4 EStG), eine Kürzung von 98.861 DM (§ 15a Abs. 2 oder Abs. 4 EStG) und eine Änderung bei den nichtabziehbaren Aufwendungen von 1.600.849 DM (u.a. nicht abziehbare Entschädigungszahlung) der Besteuerung zugrunde.
18
Eine ESt4B-Mitteilung des Finanzamts 1 findet sich nicht in der Behördenakte für die Klägerin. In der Bescheiderläuterung wird jedoch darauf verwiesen, dass die Änderung die Feststellungen der Betriebsprüfung bei der Firma A KG, insbesondere die Hinzurechnung nach § 2a Abs. 4 Nr. 2 EStG und die anteilige Ausgleichszahlung betreffe. Die Änderung des Bescheides wurde auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützt.
19
Die Klägerin legte gegen den Änderungsbescheid vom 06.06.2006 Einspruch ein. Zur Begründung bezog sie sich auf das Einspruchsverfahren bei der A KG und die Anlage 19 zum Sammelfeststellungsbescheid, wonach das Veranlagungsfinanzamt über die strittige Hinzurechnung zu entscheiden habe. In diesem Zusammenhang legte sie eine Kopie des Sammelfeststellungsbescheids vor, wonach für sie nach § 2a Abs. 3 EStG berücksichtigungsfähige Verluste aus EU-Staat von - 4.338.387 DM für 1997 und - 4.702.381 DM für 1998 angefallen seien.
20
Der Einspruch ruhte im Hinblick auf anhängige BFH-Verfahren zu dieser Thematik.
21
Nach der Entscheidung des BFH vom 22.02.2017 über das Klageverfahren der A KG teilte die Klägerin mit, dass sie weiterhin der Ansicht sei, dass die Nichtabziehbarkeit der ausländischen Betriebsstättenverluste bzw. die Hinzurechnung nicht im Einklang mit der damaligen Rechtslage stünden. Das Finanzamt wies aufgrund weiterhin anhängiger Verfahren auf die Möglichkeit des Ruhens hin. Die Klägerin lehnte dies ab. Gleichzeitig wies sie auf die unzulässige Rückwirkung der Gesetzesänderung hin.
22
Das beklagte Finanzamt wies den Einspruch am 04.02.2020 zurück.
5. Klageverfahren Klägerin und Streitjahr
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Die Klägerin hat Klage erhoben und vorgetragen, dass § 2a Abs. 3 EStG i.d.F. vom 16.04.1997 gegen die Niederlassungsfreiheit i.S.d. Art. 49 AEUV verstoße. Die Versagung des Abzugs des in der ausländischen Betriebstätte erwirtschafteten Verlusts führe - im Vergleich zum reinen Inlandsfall - zu einer Ungleichbehandlung. Die Vergleichbarkeit sei gegeben. Die Betriebsstättenverluste seien 1999 final geworden. Die Aufhebung des § 2a Abs. 3 Satz 1 EStG 1997 sei durch das Steuerentlastungsgesetz 1999 rückwirkend mit Wirkung zum 01.01.1999 erfolgt.
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Der Änderungsbescheid für 1999 vom 06.06.2006 sei verfahrensrechtlich unzulässig gewesen, da zum einen die Feststellungsfrist abgelaufen gewesen sei und zum anderen keine Änderungsvorschrift greife. Eine Ablaufhemmung für die Körperschaftsteuer 1999 sei durch die Außenprüfung bei der A KG nicht eingetreten. Die Anlage 19 zum Feststellungsbescheid der A KG sei kein Grundlagenbescheid für die Klägerin, da keine Feststellungen zu § 2a EStG getroffen worden seien. Dies sei auch konsequent, da nach Auffassung des für die gesonderte und einheitliche Feststellung zuständigen Finanzamts erst im Rahmen der nachgelagerten Veranlagung der Klägerin und nicht im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung der A KG die Entscheidungen zu erfolgen hätten. Eine Änderung sei weder nach § 173 AO noch nach § 175 AO möglich.
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Auch wenn die Entschädigungszahlung im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Feststellung bei der A KG hinsichtlich der Höhe der Einkünfte bestandskräftig sei, so müsse auf Ebene des Gesellschafters, soweit es sich um ein eigenes Steuersubjekt handle, die unionsrechtlichen Anforderungen für diesen Ansatz geprüft werden. Im Streitfall werde diese Rechtsansicht jedoch nicht weiterverfolgt.
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Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.1999 vom 06.06.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.02.2020 dahingehend zu ändern, dass der verbleibende Verlust auf ... DM (... DM + 12.313.028 DM) festgestellt wird.
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Das Finanzamt hat beantragt,
28
Hilfsweise beantragt es
die Zulassung der Revision, weil noch nicht hinreichend geklärt sei, welche Bindungswirkungen sich aus der Feststellung bei der A KG ergebe.
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Bis zum Abschluss der Außenprüfung bei der A KG seien keine Feststellungsbescheide über die ggf. berücksichtigungsfähigen ausländischen Betriebsstättenverluste oder Hinzurechnungen nach § 2a EStG ergangen. Somit handle es sich bei dem Sammelfeststellungsbescheid um einen erstmaligen Grundlagenbescheid soweit die Verluste und die Hinzurechnung nach § 2a EStG festgestellt würden. Eine Bindung ergebe sich daraus dem Grunde nach und hinsichtlich der maximalen Höhe der Abzüge und der Hinzurechnung 1999. Im Bescheid vom 31.01.2006 seien die Verluste der EU Betriebsstätte mit -12.413.028 DM verbindlich festgestellt worden, auch wenn der tatsächliche Abzug in den drei Jahren zusammen nur -12.313.028 DM betragen habe. Im Feststellungsbescheid der A KG werde verfahrensrechtlich bindend für das Folgeverfahren über den Hinzurechnungstatbestand nach § 2a EStG entschieden. Nur beim beklagten Finanzamt könne beurteilt werden, ob diese Verluste aufgrund eines Antrags und ggf. weiterer Betriebsstätten abgezogen werden könnten. Das Finanzamt sehe in der Geltendmachung des Gesamtverlustes aus der A KG einen Antrag nach § 2a Abs. 3 EStG. Dementsprechend habe es am 08.03.2022 Verlustfeststellungsbescheide nach § 2a Abs. 3, Satz 5 EStG zum 31.12.1996, 31.12.1997 und 31.12.1998 erlassen.
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Die Verjährung für die Veranlagung 1999 der Klägerin sei nach § 171 Abs. 10 AO gehemmt worden.
31
Es bestehe jedoch keine Bindungswirkung durch die Feststellungsbescheide zu § 2a EStG bei der A KG hinsichtlich der Prüfung der Unionsrechtswidrigkeit.
32
Ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit liege nicht vor, da die Situation nicht mit einer im Inland belegenen Betriebstätte vergleichbar sei, vorgetragene Verluste aus 1996 bis 1998 nicht final seien und die Klägerin nicht den Nachweis erbracht habe, dass die Verluste endgültig im Ausland nicht nutzbar seien.
33
Hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit der Entschädigungszahlung sei der Feststellungsbescheid nach § 180 Abs. 5 Nr. 1 i. V. m. § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO betreffend das Jahr 1999 Grundlagenbescheid. Die Klage gegen den Körperschaftsteuerbescheid sei daher unbegründet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Behördenakte, insbesondere den Sammelfeststellungsbescheid vom 31.01.2006 für die A KG, die Finanzgerichtsakte und das Protokoll über die mündliche Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
35
Die Klage ist begründet. Die Änderung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.1999 ist nicht zulässig.
36
1. Nach § 2a Abs. 3 EStG i.d.F. vom 16.04.1997 i.V.m. Artikel 7 und Artikel 24 Abs. 3a DBA ITA 1989 können unter weiteren Voraussetzungen Verluste aus gewerblicher Tätigkeit aus einer in der EU belegenen Betriebsstätte auf Antrag bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte abgezogen werden. Soweit diese Beträge nicht nach den Sätzen 3 und 4 des § 2a Abs. 3 EStG wieder hinzugerechnet wurden, sind sie gesondert festzustellen; § 10d Abs. 3 [nunmehr Abs. 4] EStG gilt entsprechend.
37
Nach § 2a Abs. 4 EStG i.d.F. vom 22.12.1999 sind nach Absatz 3 Satz 1 und 2 abgezogene Verluste, soweit sie nach Absatz 3 Satz 3 nicht wieder hinzugerechnet wurden, im Veranlagungszeitraum der Übertragung oder Aufgabe der Betriebsstätte in entsprechender Anwendung des Absatzes 3 Satz 3 dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzuzurechnen.
38
Sind die ausländischen Verluste im Rahmen einer Mitunternehmerschaft angefallen, deren Einkünfte nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO gesondert und einheitlich festgestellt werden, ist über sämtliche tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des § 2a EStG 1997 zur Abziehbarkeit (Art, Herkunft, Umfang, zeitlicher Zuordnung der Verluste) im Rahmen des Feststellungsverfahrens zu entscheiden (BFH, Urteil vom 28. November 2007 - I R 25/07 -, Rn. 11, juris). Eine Entscheidung darüber, ob eine dem Feststellungsverfahren nachfolgende Körperschaftsteuerfestsetzung unter Einschluss der Gewinnhinzurechnung aufgrund früherer Verluste unionsrechtlichen Maßgaben gerecht wird, ist hiermit jedoch nicht verbunden. Dies ergibt sich in verfahrensrechtlicher Hinsicht aus der sachlichen Beschränkung der Entscheidung in einem Feststellungsverfahren (BFH, Urteil vom 22. Februar 2017 - I R 2/15 - .a.a.O., Rn. 32).
39
Der erkennende Senat versteht diese Rechtsprechung dahin, dass im Verfahren zur gesonderten und einheitlichen Feststellung die Art, Herkunft, Umfang und zeitliche Zuordnung der Verluste geklärt und abschließend entschieden werden. Im nachfolgenden Verfahren zur Körperschaftsteuer kommt es dann darauf an, ob die Körperschaft die Möglichkeit des § 2a Abs. 3 EStG 1997 ergreifen kann und ergreift. Ob sie also einen Antrag auf Abzug der Verluste stellt bzw. andere Betriebsstätten in diesem Staat mit positiven Einkünften unterhält, die zu einer Saldierung führen würden. Werden die Verluste sodann vom Gesamtbetrag der Einkünfte bei der Körperschaft abgezogen, so sind diese Beträge entsprechend der Regelung des § 10d Abs. 4 EStG gesondert festzustellen.
40
Wird die Betriebsstätte - wie im Streitfall - auf einen anderen übertragen und kann somit der Nachversteuerungstatbestand des § 2a Abs. 4 EStG erfüllt sein, so hat darüber das Veranlagungsfinanzamt der Körperschaft zu entscheiden. Es obliegt diesem die Tatbestandmerkmale zu beurteilen und zu entscheiden, ob die Hinzurechnung unionsrechtlichen Maßgaben gerecht wird. Diese verfahrensrechtliche Einordnung widerspricht zwar dem BFH-Urteil vom 28. November 2007 in Randnummer 14 (unter I 1 d), wonach es sachgerecht ist, mit der Entscheidung über die Nachversteuerungspflicht gemäß § 2a Abs. 4 i.V.m. § 52 Abs. 3 Satz 5 EStG 1997 - Übertragungsvorgänge im Zusammenhang mit der Betriebsstätte - das Feststellungs-Finanzamt als „sachnähere Behörde“ zu befassen. Dieser verfahrensrechtlichen Vorgehensweise hat der BFH in seinem Urteil vom 22. Februar 2017 (a.a.O.) jedoch eine Absage erteilt. Die Prüfung der unionsrechtlichen Vorgaben der Hinzurechnung kann nur in dem Verfahren erfolgen, in dem die Norm - hier also § 2a Abs. 4 EStG - zur Anwendung kommt. Der Senat folgt der jüngeren BFH-Entscheidung, da nur beim Steuersubjekt selbst im Veranlagungsverfahren die Voraussetzung anderer Betriebsstätten in diesem Staat und vor allem der Antrag auf Verlustabzug und die Verlustfeststellung geklärt werden können. Dieser Ansicht hat sich nun wohl auch das beklagte Finanzamt angeschlossen, da es bei der Veranlagung der Klägerin meint, einen Antrag nach § 2a Abs. 3 EStG zu entdecken, und in Folge dort die Verlustfeststellungen angestoßen hat.
41
2. Nach diesen Grundsätzen kann die Hinzurechnung nach § 2a Abs. 4 EStG im Streitjahr aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr vorgenommen werden.
42
a) Es kann dahinstehen, ob die Abzüge der Verluste in den Jahren 1996 bis 1998 bei den Körperschaftsteuerveranlagungen zutreffend waren.
43
Zweifelhaft ist insbesondere, ob die Klägerin die erforderlichen Anträge nach § 2a Abs. 3 Satz 1 EStG gestellt hat. Die Körperschaftsteuererklärungen der Jahre 1996 bis 1998 enthalten in der maßgeblichen Zeile (KSt 1 A Zeile 53) jedenfalls keine Angaben. Es ist auch kein sonstiger Schriftverkehr in den Behördenakten, der als solcher Antrag im Veranlagungsverfahren zur Körperschaftsteuer ausgelegt werden könnte. Die Ansicht des Finanzamts, ein derartiger Antrag sei in der Geltendmachung des Gesamtverlustes, der auch die Verluste aus der EU Betriebsstätte umfasse, zu sehen, verkennt, dass die Einkünfte aus der A KG bei der Körperschaftsteuerveranlagung nicht geltend gemacht werden, sondern durch die gesonderte und einheitliche Feststellung in das Verfahren einfließen.
44
Die diesbezüglichen Verlustfeststellungen nach § 2a Abs. 3 EStG, die das Finanzamt nach mehr als 20 Jahren erst im Klageverfahren angestoßen hat, sind nach § 181 Abs. 5 AO nur zulässig, wenn die zuständige Finanzbehörde die Feststellung des Verlustvortrags pflichtwidrig unterlassen hat (§ 10d Abs. 4 Satz 6 EStG).
45
b) Für die Änderung der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.1999 durch den angefochtenen Bescheid vom 06.06.2006 ist jedenfalls keine Änderungsvorschrift einschlägig.
46
aa) § 175 AO, den das Finanzamt im Bescheid zitiert, erlaubt keine Hinzurechnung, da der Sammelfeststellungsbescheid für die A KG vom 31.01.2006 kein Grundlagenbescheid für die Hinzurechnung im Jahr 1999 ist.
47
Dies ergibt sich aus dem Zweck und dem Wortlaut dieser Anlage.
48
Es handelt sich um einen Auszug aus dem Betriebsprüfungsbericht, der anlässlich der Prüfung bei der A KG erstellt wurde. Der Prüfer wollte mit seinen Feststellungen zwar die zutreffende Besteuerung nach § 2a EStG erreichen, jedoch war dies nicht im Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung bei der A KG vorzunehmen. So erklären sich auch seine Formulierungen, die deutlich machen, von welchen zugeordneten (!) Verlusten er „nach Aktenlage“ ausgehe und was nach Ansicht der Betriebsprüfung (!) hinzuzurechnen sei (Konjunktiv). Die Entscheidung darüber habe das Veranlagungsfinanzamt zu treffen. Das Finanzamt 1 wird in der Anlage 19 nicht erwähnt.
49
Weiterhin werden die zugeordneten Verluste der Jahre 1996 bis 1998 aufgeführt, obwohl der Sammelfeststellungsbescheid nach seinem Kopf nur die Jahre 1997 bis 1999 umfasste.
50
Für diese Auslegung spricht auch die Systematik des § 2a EStG.
51
Über den Abzug von Verlusten, die entsprechende Verlustfeststellung und die Hinzurechnung ist im Folgeverfahren zu entscheiden. Die Anlage 19 kann auch nicht so verstanden werden, dass über die Hinzurechnung dem Grunde nach entschieden wurde und nur die Höhe offenbliebe. Verfahrensrechtlich muss eindeutig sein, wo über eine Besteuerungsgrundlage entschieden wird. Im Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung ist es die Höhe der Verluste und im Verfahren zur Körperschaftsteuerveranlagung der Umfang des tatsächlichen Abzugs und in Folge die Hinzurechnung bei Gewinnen oder Aufgabetatbeständen.
52
Der Ansatz des Finanzamts, es würden bei der A KG die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2a EStG festgestellt, ist zwar insoweit zutreffend, als dort der Rahmen gespannt wird, innerhalb dessen das Steuersubjekt sich bei seiner Veranlagung bewegen kann. Das Gericht kann darüber hinaus aber nicht nachvollziehen, dass eine Norm auf verschiedene Verwaltungsverfahren aufteilbar wäre, also der Tatbestand bei der A KG mit Bindungswirkung festgestellt, die Anwendbarkeit der Norm jedoch in das Folgeverfahren verlagert würde. Dabei bliebe ungeklärt, in welcher Norm die Rechtsfolge angesiedelt wäre. Im Streitjahr geht es ausschließlich nur noch um die Hinzurechnung nach § 2a Abs. 4 EStG. Diese ist im Veranlagungsverfahren der Klägerin zu prüfen und zu entscheiden.
53
Das Finanzamt 1 hat mit der Beifügung der Anlage 19 zum Sammelfeststellungsbescheid zwar zum Ausdruck gebracht, dass es sich die Feststellungen der Betriebsprüfung zu eigen macht, jedoch hat es dadurch die Aussagen der Betriebsprüfung inhaltlich nicht verändert. Die im Bescheidvordruck vorgesehen Spalten und Zellen für die Hinzurechnung (Anlage 1,2,3 B V Spalte 6 Buchstabe b) sind nicht ausgefüllt.
54
bb) Eine Änderung wegen neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 2 AO scheidet aus, da bei der Klägerin für 1999 eine Außenprüfung stattfand und keine leichtfertige Steuerverkürzung festgestellt werden kann.
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cc) Auch eine Änderung wegen widerstreitender Steuerfestsetzungen (§ 174 AO) ist nicht möglich.
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Auch der am ehesten in Betracht kommende § 174 Abs. 3 AO greift nicht, da er nur einschlägig wäre, wenn die Hinzurechnung nach § 2a Abs. 4 EStG bei der Klägerin erkennbar nicht angesetzt worden wäre, weil diese Hinzurechnung bei der A KG erfolgen sollte.
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Den Steuererklärungen und dem sonstigen Schriftverkehr im Veranlagungsverfahren bei der Klägerin kann nicht entnommen werden, dass die Hinzurechnung wegen bisher abgezogener Verluste für die EU Betriebsstätte jemals thematisiert wurde. Somit fand auch keine Meinungsbildung statt, die zu der Entscheidung führte, die Hinzurechnung solle bei der A KG erfolgen. Wie bei Betrieben dieser Größenordnung üblich, werden die Steuererklärungen ohne Abweichung übernommen und die endgültige Überprüfung der Außenprüfung überlassen. Auch die ESt4B-Mitteilungen wurden nur insoweit umgesetzt, als sie Auswirkungen auf den vortragsfähigen Verlust oder anrechenbaren Steuern hatten.
58
Zudem erfolgte tatsächlich bei der A KG keine Hinzurechnung im Jahr 1999. Der Sammelfeststellungsbescheid vom 31.01.2006 nennt erstmalig eine solche Hinzurechnung. Dies aber nur in der Anlage 19, die - wie ausgeführt - überhaupt keine Feststellung, sondern nur rechtliche Hinweise enthält. Auch das Finanzamt konnte, jenseits des Sammelfeststellungsbescheid vom 31.01.2006 keinen Bescheid benennen, in dem eine solche Hinzurechnung stattgefunden hat. Wäre die Zurechnung 1999 bisher bei der A KG erfolgt und wäre sie im Gesamtbetrag der anzusetzenden Einkünfte aus der Beteiligung enthalten gewesen, so hätten nach der Außenprüfung im Gegenzug die anzusetzenden Einkünfte aus der A KG um den Betrag von 12.313.028 DM bzw. 12.413.028 DM sinken müssen. Das war nicht der Fall.
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c) Im Übrigen ist die Festsetzungsfrist für die Körperschaftsteuer 1999 am 31.12.2005 abgelaufen. Ablaufhemmungen greifen nicht, insbesondere, weil der Sammelfeststellungsbescheid für die A KG kein Grundlagenbescheid für die Hinzurechnung nach § 2a Abs. 4 EStG ist.
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3. Nach alledem kommt es auf die Vereinbarkeit der Hinzurechnung mit Unionsrecht nicht mehr an.
61
Das Gericht würde aber auch hier der Rechtsprechung des BFH (zuletzt BFH, Beschluss vom 22. September 2015 - I B 83/14 -, juris) folgen, wonach finale ausländische Verluste im Inland abziehbar sind. Die Änderung der Rechtsprechung im Urteil vom 22. Februar 2017 (a.a.O.) hat der BFH mit seiner EuGH-Vorlage (BFH, EuGH-Vorlage vom 06. November 2019 - I R 32/18 -, BFHE 269, 205, BStBl II 2021, 68) selbst wieder auf den Prüfstand gestellt.
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Der Einwand des Finanzamts, die Finalität der Verluste sei nicht nachgewiesen, erscheint abwegig, da die Klägerin ihren Mitunternehmeranteil auf ein anderes Unternehmen [desselben Bundeslandes] übertragen hat, das die Verluste der Klägerin aus den Jahren 1996 bis 1998 nicht nutzen kann.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Klägerin hat ihr Begehren, die rechtskräftig als nichtabziehbare Betriebsausgabe behandelte Entschädigungszahlung, noch einmal auf den unionsrechtlichen Prüfstand zu stellen, fallen lassen.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten der Klägerin sowie die Abwendungsbefugnis, der von Amts wegen zu erfolgen hat, ergibt sich aus den §§ 151 Abs. 1 Satz 1 FGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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5. Die Revision wird zugelassen, da noch nicht hinreichend geklärt ist, welche Bindungswirkungen für die Besteuerung nach § 2a EStG sich aus einem Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung ergeben können.