Titel:
Behandlung von Grundrenten-Entgeltpunkten im Versorgungsausgleich
Normenketten:
FamFG § 58 Abs. 1, § 59 Abs. 1
SGB VI § 76g, § 97a, § 120f Abs. 2 Nr. 3, § 307
VersAusglG § 18 Abs. 2, Abs. 3
Leitsätze:
Anrechte aus Entgeltpunkten und aus Grundrenten-Entgeltpunkten sind aufgrund der gebotenen Einkommensanrechnung nicht gleichartig iSd § 18 I VersAusglG. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Grundrentenzuschlag ist ähnlich wie zB erworbene Entgeltpunkte (Ost) als eigenständiges Anrecht gesondert auszugleichen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei den nach §§ 76g, 307e SGB VI ermittelten Grundrenten-Entgeltpunkten handelt es sich um eine besondere Entgeltpunkteart gem. § 120f Abs. 2 Nr. 3 SGB VI, die nicht mit den übrigen Entgeltpunktearten verrechnet werden darf. Sofern einem Ehegatten in der Ehezeit Grundrenten-Entgeltpunkte zuzuordnen sind, werden diese in den Auskünften gesondert dargestellt und sind auch gesondert auszugleichen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Absehen vom Ausgleich wegen Unterschreitens des Grenzwerts nach § 18 Abs. 3 VersAusglG kommt in Betracht, weil bei der Übertragung von Grundrenten-Entgeltpunkten ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand entsteht. Bei der Abwägung nach § 18 Abs. 2 VersAusglG überwiegt die Verwaltungseffizienz jedenfalls dann, wenn es um sehr geringe Mengen an Entgeltpunkten (hier: 0,0165) geht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Lebenspartnerschaft, Versorgungsausgleich, Deutsche Rentenversicherung, Entgeltpunkte, Zuschlag an Entgeltpunkten, langjährige Versicherung, Grundrenten-Entgeltpunkte, besondere Entgeltpunkteart, Bagatellklausel
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Endbeschluss vom 24.05.2022 – 110 F 2649/20
Fundstellen:
FamRZ 2023, 126
MDR 2022, 1288
FuR 2023, 33
LSK 2022, 20864
BeckRS 2022, 20864
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Deutschen Rentenversicherung B. wird der Tenor zu 2 des Endbeschlusses des Amtsgerichts Nürnberg - Abteilung für Familiensachen -110 F 2649/20 vom 24.05.2022 abgeändert und nach dem vierten Absatz folgender Absatz eingefügt:
„Ein Ausgleich des Anrechts des Antragsgegners bei der Deutschen Rentenversicherung B. (Vers. Nr. …) findet bezüglich der von ihm erworbenen GrundrentenEntgeltpunkte nicht statt.“
II. Von einer Erhebung der Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
III. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
1
Auf den am 08.10.2020 zugestellten Antrag hat das Amtsgericht - Familiengericht - Nürnberg mit Endbeschluss vom 24.05.2022 die am 13.12.2001 begründete Lebenspartnerschaft aufgehoben und den Versorgungsausgleich durchgeführt.
2
Der Entscheidung des Familiengerichts ist eine Auskunft der Deutschen Rentenversicherung B. vom 17.01.2022 (Bl. 47/51 d. Sonderheftes VA) vorausgegangen. An zweiter Stelle dieser Auskunft wird ein Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung des Antragsgegners von 0,0330 Entgeltpunkten angegeben, als Ausgleichswert 0,0165 Entgeltpunkte vorgeschlagen und der korrespondierende Kapitalwert mit 124,45 Euro angegeben.
3
Das Amtsgericht hat nur einen Teil der Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung des Antragsgegners, die Entgeltpunkte, ausgeglichen. Auf den Zuschlag an Grundrenten-Entgeltpunkten geht der Endbeschluss nicht ein.
4
Gegen den der Deutschen Rentenversicherung B. am 07.06.2022 zugestellten Endbeschluss wendet sich die Versorgungsträgerin nach Hinweis auf die Unzulässigkeit ihres zuvor eingelegten Rechtsmittels mit ihrer am 05.07.2022 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde. Das Familiengericht habe beim Versorgungsausgleich keine Entscheidung über den Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherungen getroffen, obgleich sie in der Auskunft vom 07.01.2022 ausgewiesen worden seien. Der unterbliebene Ausgleich werde weder in der Beschlussformel noch in den Entscheidungsgründen erläutert.
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Die übrigen Beteiligten haben Gelegenheit erhalten, zur Beschwerde Stellung zu nehmen. Einwendungen gegen die zuletzt eingelegte Beschwerde sind nicht vorgebracht worden.
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Gegen die Absicht des Senats, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wurden von den Beteiligten keine Einwände erhoben.
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1. Die Beschwerde der Deutschen Rentenversicherung B. ist statthaft (§ 58 Abs. 1 FamFG) und auch im Übrigen zulässig, da sie - nach Hinweis des Senats - form- und fristgerecht eingelegt wurde (§ 63 Abs. 1, Abs. 3; § 64 Abs. 1, Abs. 2 FamFG) und die Deutsche Rentenversicherung B. durch die Entscheidung des Amtsgerichts bezüglich des bei ihr bestehenden Anrechts auch beschwert ist, § 59 Abs. 1 FamFG. Die Rechtsstellung eines Versorgungsträgers ist bereits immer dann betroffen, wenn in Bezug auf das bei ihm bestehende Anrecht eine dem Gesetz nicht entsprechende Entscheidung ergangen ist.
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Auf den Beschwerdewert kommt es gem. § 228 FamFG nicht an, da es sich um keine Anfechtung einer Kostenentscheidung handelt.
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Der Senat hat von einer mündlichen Erörterung abgesehen, da die Beteiligten rechtliches Gehör hatten und der Sachverhalt hinreichend geklärt ist (§ 68 Abs. 3, § 221 Abs. 1 FamFG).
10
Die Teilanfechtung des Versorgungsausgleichs ist zulässig (BGH FamRZ 2016, 794; 2011, 547). Der Überprüfung durch den Senat unterliegt daher die Entscheidung des Amtsgerichts nur in Bezug auf das von der Beschwerde erwähnte noch auszugleichende Anrecht. Der Grundrentenzuschlag ist dabei ähnlich wie z. B. erworbene Entgeltpunkte (Ost) als eigenständiges Anrecht gesondert auszugleichen. Dementsprechend beschränkt sich die dem Senat angefallene Beschwerde auch auf diesen Ausgleich.
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2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Deutsche Rentenversicherung B. weist zutreffend darauf hin, dass der in ihrer Auskunft mitgeteilte Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung in der Entscheidung des Amtsgerichts unberücksichtigt geblieben ist. Der angefochtene Endbeschluss ist daher um eine Entscheidung über den Ausgleich dieses Anrechts zu ergänzen.
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a) Bei den nach §§ 76 g, 307 e SGB VI ermittelten Grundrenten-Entgeltpunkten handelt es sich um eine besondere Entgeltpunkteart gemäß § 120 f Abs. 2 Nr. 3 SGB VI, die nicht mit den übrigen Entgeltpunktearten verrechnet werden darf. Sie basieren auf dem Gesetz zur Einführung der Grundrente für langjährige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung mit unterdurchschnittlichem Einkommen und für weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Alterseinkommen (Grundrentengesetz) vom 12.08.2020. Sofern einem Ehegatten in der Ehezeit Grundrenten-Entgeltpunkte zuzuordnen sind, werden diese in den Auskünften gesondert dargestellt und sind auch gesondert auszugleichen (vgl. Bachmann/Borth, FamRZ 2020, 1609, 1611 f.). Nur auf diese Weise kann der Versorgungsträger die besondere Einkommensanrechung nach § 97 a SGB VI auch bei dem Ausgleichsberechtigten umsetzen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 06.05.2022 - 11 UF 283/22 Rn. 8, beck-online.de).
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b) Im vorliegenden Fall ist das Anrecht aufgrund seines geringen Ausgleichswerts nicht auszugleichen, § 18 Abs. 2 VersAusglG.
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Anrechte aus Entgeltpunkten und aus Grundrenten-Entgeltpunkten sind aufgrund der gebotenen Einkommensanrechnung nicht gleichartig im Sinne des § 18 Abs. 1 VersAusglG.
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Vergleichbar mit Entgeltpunkten (Ost) ist hinsichtlich der Grundrenten-Entgeltpunkte eine eigenständige Ermessensentscheidung nach § 18 Abs. 2 VersAusglG zu treffen, da der Ausschluss von Bagatellanrechten grundsätzlich auch für einzelne Anwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung gilt (zu Entgeltpunkten (Ost): BGH FamRZ 2012, 192 Rn. 39). Mehrere Anrechte mit unterschiedlichen wertbildenden Faktoren bei demselben Versorgungsträger sind für den Versorgungsausgleich gesondert zu behandeln (BGH FamRZ 2012, 189 Rn. 13). Gegen eine eigenständige Bewertung der Anrechte könnte § 66 SGB VI sprechen, wonach die persönlichen Entgeltpunkte auch aus den Zuschlägen an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 SGB VI) zu ermitteln sind und mit dem Zugangsfaktor vervielfältigt werden. Persönliche Entgeltpunkte nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 sind gemäß dessen Satz 2 für die Anwendung von § 97 a SGB VI aber - anders als z. B. die Mindestentgeltpunkte bei geringem Arbeitsentgelt nach § 262 SGB VI - von den übrigen persönlichen Entgeltpunkten getrennt zu ermitteln, indem der Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung mit dem Zugangsfaktor vervielfältigt wird. Sie sind deshalb als selbstständiger Teil (hierzu Norpoth/Sasse, in: Erman, BGB, 16. Aufl., § 18 VersAusglG Rn. 5) des bei der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anrechts anzusehen (vgl. OLG Nürnberg, a.a.O. Rn. 10).
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Mit der Bagatellklausel des § 18 Abs. 2 VersAusglG soll bei den Versorgungsträgern ein unverhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand vermieden werden (BT-Drs. 16/10144 S. 45 u. 60). Zugleich werden die Ehegatten vor einer Zersplitterung ihrer in der Ehezeit erworbenen Anrechte geschützt. Es sind aus diesem Grunde in erster Linie die Belange der Verwaltungseffizienz auf Seiten der Versorgungsträger gegen das Interesse des Ausgleichsberechtigten an der Erlangung auch geringfügiger Anrechte abzuwägen (vgl. BGH FamRZ 2016, 1658 Rn. 7). Andererseits ist der Halbteilungsgrundsatz bestimmender Maßstab des Versorgungsausgleichsrechts. Der Ausschluss eines Ausgleichs von geringwertigen Anrechten zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung findet seine Grenze daher in einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Halbteilungsgrundsatzes (BGH FamRZ 2017, 97 Rn. 14).
17
Im vorliegenden Verfahren wird der Grenzwert nach § 18 Abs. 3 VersAusglG von 3.822 Euro unterschritten. Bei der nach § 18 Abs. 2 VersAusglG vorzunehmenden Abwägung ist vor allem zu berücksichtigen, dass der ausgleichsberechtigte Antragsteller, wie sich aus seinen Einkommens- und Vermögensangaben im Scheidungsverfahren und aus seiner Rentenauskunft ergibt, in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt. Die nach § 97 a SGB VI durchzuführende jährliche Einkommensanrechnung wäre also geboten. Anders als bei der Übertragung von Entgeltpunkten (Ost), bei denen als Verwaltungsaufwand im Wesentlichen nur der Umbuchungsaufwand zu berücksichtigen ist, wenn der Ausgleichsberechtigte weitere Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben hat (vgl. BGH FamRZ 2012, 192 Rn. 48), wird bei der Übertragung von Grundrenten-Entgeltpunkten deshalb ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand verursacht, wenngleich die Einkommensanrechnung im Wesentlichen auf der Grundlage der zu versteuernden Einkünfte durchgeführt wird, deren Daten von der Finanzverwaltung automatisiert abgerufen werden können. Angesichts des Ausgleichs von nur 0,0165 Entgeltpunkten, also einer Monatsrente von derzeit 56 Cent, sieht der Senat hier die Belange der Verwaltungseffizienz als überwiegend an, so dass dieses Anrecht nach § 18 Abs. 2 VersAusglG vom Versorgungsausgleich auszuschließen ist.
18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 150 FamFG, § 20 FamGKG. Der Senat hat von der Erhebung von Kosten abgesehen, weil die Beschwerde auf einer unvollständigen Erfassung bzw. Verbescheidung der mitgeteilten Anrechte durch das Amtsgericht beruhte.
19
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG zuzulassen, weil die vorliegende Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage, ob der Grundrentenzuschlag nicht nur gesondert zu tenorieren, sondern auch eine gesonderte Bagatellprüfung durchzuführen ist, betrifft eine Vielzahl von Fällen und bedarf einer höchstrichterlichen Klärung, zumal sie bislang noch nicht Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung war.