Inhalt

LG Landshut, Endurteil v. 16.02.2022 – 83 O 512/21
Titel:

Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines Opel-Diesel-Fahrzeugs (hier: Opel Insignia 2.0 CDTI)

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6, § 27
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu Diesel-Fahrzeugen von Opel: OLG München BeckRS 2021, 52557; BeckRS 2021, 52562; OLG Bamberg BeckRS 2021, 52538; BeckRS 2022, 19980; OLG Schleswig BeckRS 2022, 8917; OLG Frankfurt BeckRS 2022, 10556; OLG Köln BeckRS 2022, 12855; OLG Koblenz BeckRS 2022, 10605; LG Landshut BeckRS 2021, 53844; LG Memmingen BeckRS 2022, 12853. (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Inverkehrbringen eines mit einem Thermofenster ausgestatteten Fahrzeugs ist nicht als sittenwidrige Handlung zu bewerten. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wenn die Bedingungen im Straßenbetrieb von den für den Prüfstand bestimmten standardisierten Bedingungen (NEFZ) abweichen und dies zu erhöhten Schadstoffwerten oder einem erhöhten Kraftstoffverbrauch führt, kann allein aus den erhöhten Werten im Normalbetrieb nicht auf eine Täuschungsabsicht oder ein Rechtswidrigkeitsbewusstsein der Herstellerin geschlossen werden. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Opel, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, Prüfstand, Normalbetrieb, „ins Blaue hinein“
Fundstelle:
BeckRS 2022, 20735

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 29.059,81 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit dem sogenannten „Diesel-Abgas-Skandal“.
2
Am 02.07.2015 kaufte die Klagepartei den streitgegenständlichen Pkw bei ... Die Übergabe des Fahrzeugs fand am 06.11.2015 statt. Die Laufleistung zu diesem Zeitpunkt betrug 3811 km. Der Kaufpreis betrug 34.700 Euro brutto.
3
In dem Fahrzeug, dessen Herstellerin die Beklagte ist, ist ein R4-Dieselmotor 2.0 l (Euro-Norm 6) mit der Motorkennung LVL verbaut, dessen Herstellerin die Beklagte ist.
4
Für das streitgegenständliche Fahrzeug existiert ein Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes.
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Am 16.01.2022 wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 106.958 km auf.
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Die Klagepartei behauptet, in dem Motor seien mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen, insbesondere ein sog. „Thermofenster“, verbaut, die insbesondere dazu führen würden, dass die Abgaswerte nur unter den Bedingungen des NEFZ eingehalten würden. Im normalen Straßenbetrieb würden die Nox-Emissionen die festgelegten Grenzwerte jedoch um ein Vielfaches überschreiten.
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Die Klagepartei meint, sie sei von der Beklagten vorsätzlich und sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB geschädigt worden, indem diese im streitgegenständlichen Fahrzeug vorsätzlich mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut und das Fahrzeug trotzdem und unter Verschweigen deren Funktionsweise in Verkehr gebracht habe. Die Beklagte habe positive Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der verwendeten Abschaltvorrichtung und damit Schädigungsabsicht gehabt. Des Weiteren habe die Beklagte u.a. auch gemäß § 831 BGB für den entstandenen Schaden einzustehen.
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Die Klagepartei beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 34.700,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in EUR pro gefahrenen km seit dem 06.11.2015 die sich nach folgender Formel berechnet: (34.700,00 EUR x gefahrene Kilometer) : (350.000 km - 3.811 km) Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeuges Opel Insignia 2.0 CDTI, Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN), nebst Fahrzeugschlüssel.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.474,89 EUR freizuhalten.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges Opel Insignia 2.0 CDTI, Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN), in Annah meverzug befindet;
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klagepartei Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeuges Opel Insignia 2.0 CDTI, Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN), mit einer unzulässigen Ab schaltvorrichtung resultieren.
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Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
10
Die Beklagte behauptet, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei.
11
Für die Erlangung der EG-Typengenehmigung sei der - nicht bestandskräftige - Rückruf ohne Relevanz gewesen. Das Fahrzeug sei auch nicht „manipuliert“ und bei dem Fahrzeug würden keine Zulassungsprobleme gleich welcher Art drohen. Insofern sei dem Kläger kein Schaden entstanden.
12
Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
13
Hinsichtlich des weiteren Parteivortrags wird auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig aber unbegründet
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Die Klagepartei kann aus keinem Rechtsgrund von der Beklagten Erstattung des Kaufpreises oder sonstigen Schadensersatz verlangen.
16
1. Ein Anspruch nach § 826 BGB wegen eines im Fahrzeug verbauten Thermofensters scheitert daran, dass das Inverkehrbringen des mit einem Thermofenster ausgestatteten Fahrzeugs nicht als sittenwidrige Handlung zu bewerten ist (OLG München, Beschluss vom 10.02.2020 - 3 U 7524/19).
17
Sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist ein Verhalten, das aus seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dabei genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, welche die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, a.a.O.).
18
Danach stellt das Verhalten der Beklagten, ein mit einem sogenannten Thermofenster ausgestattetes Fahrzeug in den Verkehr zu bringen unabhängig davon, ob es sich um eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung handelt, jedenfalls keine sittenwidrige Handlung dar. Bei dem Thermofenster, das grundsätzlich im normalen Fahrbetrieb gleichermaßen arbeitet wie auf dem Prüfstand, und bei dem Motor- und Bauteilschutz als Rechtfertigung ernsthaft in Erwägung gezogenwerden können, kann ohne konkrete Anhaltspunkte nicht einfach angenommen werden, dass die Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt hatten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. In Anbetracht der kontroversen Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a VO (EG) 2007/715 muss eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (wenn es sich bei dem Thermofenster überhaupt um eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung handeln sollte). Eine Sittenwidrigkeit käme daher hier nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung eines Thermofensters hinaus zugleich Anhaltspunkte dafür ersichtlich wären, dass die Beklagte dabei einen Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hatte. Sollte die Beklagte die Rechtslage jedoch fahrlässig verkannt haben, würde es ihr an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit fehlen (vgl. OLG München aaO).
19
Die diesbezüglichen Ausführungen in der Klageschrift sind lediglich pauschal und differenzieren insbesondere nicht zwischen der Kenntnis eines Thermofensters, die ggf. unterstellt werden kann, und dem Bewusstsein einer Rechtswidrigkeit, welches nicht ohne weitere Anhaltspunkte angenommen werden kann. Insbesondere ist eine Täuschung über das Thermofenster, welches im Prüfstand gleichermaßen arbeitet wie im Normalbetrieb, nicht erkennbar. Dass sich Schadstoffausstoß und Kraftstoffverbrauch im Prüfstand und Normalbetrieb ggf. trotzdem unterscheiden, ist dabei ohne Belang. Der Gesetzgeber hat sich dazu entschieden, für den Prüfstand bestimmte standardisierte Bedingungen (NEFZ) vorzugeben. Wenn die Bedingungen im Straßenbetrieb hiervon abweichen und dies zu erhöhten Schadstoffwerten oder einem erhöhten Kraftstoffverbrauch führt, das Thermofenster aber im Straßenbetrieb wie im Prüfstand gleichermaßen arbeitet, kann von den erhöhten Werten im Normalbetrieb nicht auf eine Täuschungsabsicht oder ein Rechtswidrigkeitsbewusstsein der Beklagten geschlossen werden.
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Soweit die Klagepartei neben den vorbenannten Abschalteinrichtungen noch weitere in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Abschalteinrichtungen behauptet, welche zwischen Rollenprüfstand und normalen Fahrbetrieb unterscheiden und abhängig davon den Schadstoffausstoß unterschiedlich gestalten würden, scheitern etwaige Ansprüche der Klagepartei (etwa aus § 826 BGB, § 823 Abs. 2 i.V.m § 263 StGB bzw. § 27 EG-FVG) bereits daran, dass das Gericht nicht vom Vorhandensein einer entsprechenden Abschalteinrichtung überzeugt ist.
21
Der diesbezügliche Vortrag der Klagepartei erfolgte letztlich pauschal und „ins Blaue hinein“, so dass eine Beweiserhebung über diese Behauptungen der Klagepartei auf einen in der ZPO nicht vorgesehenen Ausforschungsbeweis hinausliefe. Zwar ist bei der Annahme eines willkürlichen Sachvortrags Zurückhaltung geboten und ein solcher nur im Ausnahmefall anzunehmen, da es einer Partei auch möglich sein muss, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genaue Kenntnis besitzt, die sie nach Lage der Dinge aber für wahrscheinlich hält. Eine unzulässige Ausforschung ist aber dennoch gegeben, wenn eine Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich auf's Geratewohl Behauptungen aufstellt (BGH, Urteil vom 20.09.2002 - V ZR 170/01, NJW-RR 69, 70). Solche greifbaren Anhaltspunkte für die von der Klagepartei behauptete illegale Abschalteinrichtung liegen jedoch nicht vor.
22
Ein solcher greifbarer Anhaltspunkt läge auch diesbezüglich allenfalls mit einem behördlich angeordnetem Rückruf vor. Ein solcher ist vorliegend hinsichtlich dieser weiteren behaupteten Abschalteinrichtungen - neben dem Thermofenster - aber bisher nach gerichtlicher Überzeugung nicht erfolgt, zumal die Beklagte dargelegt hat, dass der Rückruf aufgrund des sog. Thermofensters ergangen ist.
23
Selbst wenn der Rückrufbescheid des KBA auch andere Abschalteinrichtungen als unzulässig eingestuft hätte, wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur gerechtfertigt, wenn zu dem - unterstellten - Verstoß weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des jeweiligen Systems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Dabei trägt die Darlegungsund Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchsteller Diesen Beweis kann der Kläger zur Überzeugung des Gerichts gerade nicht führen, so dass der subjektive Tatbestand einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung im Sinne des § 826 BGB nicht gegeben ist.
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2. Aus den vorgenannten Gründen kommt auch ein Anspruch gemäß § 831 BGB nicht in Betracht.
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3. Im Übrigen kommt ein denkbarer Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV deshalb nicht in Betracht, weil den Vorschriften bereits der Schutzcharakter fehlt (OLG München, Beschluss vom 10.01.2020 - 3 U 5980/19). Eine Norm ist dann als Schutzgesetz anzusehen, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Bei diesen Vorschriften handelt es sich nicht um Normen mit Drittschutzwirkung für den Autokäufer. Bei Vorschriften, die wie hier Richtlinien umsetzen, kommt es nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung insofern maßgeblich auf den Inhalt und Zweck der Richtlinie - hier also RL 2007/46/EG - an. Diese zielt nicht auf den Schutz der Vermögensinteressen der Fahrzeugkäufer ab, sondern auf die Harmonisierung des Binnenmarktes und in diesem Zusammenhang auf hohe Verkehrssicherheit, hohen Schutz der Umwelt und der Gesundheit, rationale Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung.
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4. Ein ebenfalls theoretisch möglicher Anspruch der Klagepartei nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 2, 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007 scheitert im Übrigen daran, das diesen Vorschriften der Schutzgesetzcharakter fehlt (OLG München, Beschluss vom 10.01.2020 - 3 U 5980/19). Ziel der VO (EG) 715/2007 ist nämlich die Harmonisierung des Binnenmarktes bzw. die Vollendung des Binnenmarktes durch Einführung gemeinsamer technischer Vorschriften zur Begrenzung von Fahrzeugemissionen. Soweit auch ein hohes Umweltschutzniveau und die Reinhaltung der Luft bezweckt werden, geht es ausweislich der Ausführungen unter (7) der Verordnung nicht um individuelle Interessen, sondern um umwelt- und gesundheitspolitische Ziele. Dies ergibt sich auch daraus, dass unter (7) die Ziele in Beziehung gesetzt werden zu den Auswirkungen der Emissionsgrenzwerte auf die Märkte und die Wettbewerbsfähigkeit von Herstellern (OLG München, aaO).
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5. Mangels Hauptanspruchs waren auch sämtliche Nebenanträge abzuweisen.
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6. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 S. 1, 3 ZPO, 48 GKG.