Titel:
Ablehnung der Erteilung einer Waffenbesitzkarte wegen strafrechtlicher Vorverurteilungen
Normenketten:
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 lit. a, lit. b, § 10 Abs. 1
VwGO § 84 Abs. 1 S. 1, S. 2, § 154 Abs. 1, § 167
StGB § 44, § 52, § 54, § 240 Abs. 1, Abs. 2, § 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 2
AO § 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2
StPO § 410 Abs. 3
BZRG § 5 Abs. 1 Nr. 4, § 36 S. 1, § 46 Abs. 1 Nr. 1, § 47 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, § 51 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Behörde hat grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung auszugehen und sich auf die Prüfung zu beschränken, ob das die Verurteilung begründende Verhalten im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen die Annahme waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit rechtfertigt oder Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise ausgeräumt ist; allenfalls in Sonderfällen darf sie die strafgerichtlichen Feststellungen ihrer Entscheidung nicht oder nicht ohne weitere Ermittlungen zugrunde legen, wenn ohne weiteres erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht oder wenn sie ausnahmsweise in der Lage ist, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären (vgl. BVerwG BeckRS 1992, 31227444, Rn. 6; VGH München BeckRS 2017, 116476 Rn. 10). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Strafbefehl steht einem rechtskräftigem Strafurteil gleich, so dass vorliegend auf den im Strafbefehl erfolgten Strafausspruch abzustellen ist (vgl. VGH München BeckRS 2007, 29212 Rn. 25). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der regelhaft anzunehmenden waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG sind aufgrund wiederholter einschlägiger strafrechtlicher Verurteilungen zu Geldstrafen von jeweils weniger als 60 Tagessätzen erfüllt, auch wenn nur die letzte dieser Verurteilungen noch nicht seit fünf Jahren rechtskräftig ist (vgl. OVG Münster BeckRS 2018, 3773 Rn. 15; VGH Mannheim BeckRS 2018, 2674, Rn. 5; OVG Bremen BeckRS 2016, 112919 Rn. 22; aA VGH München BeckRS 2012, 58887 Rn. 13). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Prüfung einer Ausnahme von der Regelvermutung ist darauf zu beschränken, ob sie aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ausgeräumt ist (vgl. BVerwG BeckRS 1992, 31227444; VGH München BeckRS 2007, 29187 Rn. 5), was nicht nur die materiell-rechtliche Richtigkeit des Urteils bzw. Strafbefehls, sondern auch die Strafzumessung betrifft. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
5. Zweifel werden nicht dadurch begründet, dass der Kläger einen Einspruch gegen einen Strafbefehl verspätet eingelegt hat, denn es obliegt dem Betroffenen, seine Rechte im Instanzenzug der Strafgerichtsbarkeit wahrzunehmen (vgl. VG München BeckRS 2016, 53043). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
6. Eine Abweichung von der Regelvermutung kommt nur dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind (vgl. BVerwG BeckRS 1991, 31228034; BVerwG BeckRS 2008, 38049 Rn. 5; VGH München BeckRS 2020, 20668 Rn. 15). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
7. Der Umstand, dass die Strafe im „Mindestbereich“ angesiedelt ist, rechtfertigt nicht ohne weiteres eine Abweichung, wenn es sich bei den Taten nicht angesichts der ausgeurteilten Höhe um waffenrechtlich zu vernachlässigende Bagatelltaten handelt oder sie aufgrund von Besonderheiten im Verhalten des Klägers in einem milderen Licht erscheinen; hinsichtlich der Strafhöhe ist dabei auf die Gesamtstrafe abzustellen, ohne zwischen den zugrundeliegenden einzelnen Strafen zu differenzieren (vgl. VGH München BeckRS 2007, 28902 Rn. 5; VG Bayreuth BeckRS 2015, 41665 Rn. 18; VG Saarlouis BeckRS 2010, 45151 Rn. 57 f.). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
8. Liegen die den strafgerichtlichen Verurteilungen zugrundeliegenden Taten im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht zehn oder mehr Jahre zurück (vgl. BVerwG BeckRS 1990, 1791) und sind besondere Umstände des Einzelfalls nicht ersichtlich, die eine kürzere „Wohlverhaltensfrist“ begründen könnten, wird die Regelvermutung nicht allein durch den Zeitablauf entkräftet. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erteilung einer Waffenbesitzkarte, Rechtskräftige Verurteilung wegen Nötigung, fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und Steuerhinterziehung, Keine Ausnahme von der Regelvermutung, Unzuverlässigkeitsvermutung, Waffenbesitzkarte, fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs, Nötigung, Steuerhinterziehung, Regelvermutung, Gesamtstrafe, Ausnahmefall, Wohlverhaltensfrist
Fundstelle:
BeckRS 2022, 20665
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung der beantragten Erteilung einer Waffenbesitzkarte mit Bescheid der Beklagten vom 20. November 2019.
2
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts München (Az. … vom … Februar 2014, mit Ausnahme des Rechtsfolgenausspruchs rechtskräftig seit dem 20. Mai 2014, wurde gegen den Kläger wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Nötigung gemäß §§ 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 2, 240 Abs. 1, Abs. 2, 44, 52 StGB eine Geldstrafe in Höhe von 45 Tagessätzen verhängt und dem Kläger für die Dauer von 3 Monaten verboten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen. Laut Strafbefehl sei der Kläger am … Mai 2013 gegen 11:30 Uhr mit dem PKW Jaguar, amtliches Kennzeichen … …, auf der BAB A8 Richtung Salzburg zwischen den Anschlussstellen Hohenbrunn und Ottobrunn gefahren. Zur gleichen Zeit habe der Geschädigte K. dort mit dem Pkw Skoda, amtliches Kennzeichen … …, den linken Fahrstreifen mit etwa 130 km/h befahren, um mehrere Fahrzeuge zu überholen. Der Kläger sei dem Pkw des Geschädigten so dicht aufgefahren, dass dieser das Kennzeichen des klägerischen Fahrzeugs nicht mehr habe sehen können, und habe die Lichthupe betätigt. Dabei habe der Kläger den Geschädigten zum Ausweichen oder Beschleunigen zwingen wollen. Der Geschädigte habe das ihm vom Kläger aufgezwungene Verhalten nicht durch Ausweichen oder Überholen vermeiden können. Nachdem der Geschädigte den Überholvorgang abgeschlossen und auf den mittleren Fahrstreifen gewechselt gehabt habe, sei der Kläger an diesem vorbeigefahren und habe unter grober Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vom ganz linken auf den ganz rechten von drei Fahrstreifen gewechselt, bevor er ausreichend Abstand zum Pkw Skoda gehabt habe. Der Kläger habe aus Gleichgültigkeit gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern und um seines schnellen Fortkommens willen von vorneherein keine Bedenken gegen die eigene Fahrweise aufkommen lassen. Dies habe für den Kläger vorhersehbar und vermeidbar zur Folge gehabt, dass der Geschädigte einen Zusammenstoß nur durch eine Lenkbewegung und eine starke Bremsung habe verhindern können. Sein Pkw sei dadurch kurzzeitig ins Schlingern geraten.
3
Auf Einspruch des Klägers, der nachträglich auf die Rechtsfolgen beschränkt wurde, wurde die Tagessatzhöhe mit Urteil des Amtsgerichts München vom ... Juli 2014, rechtskräftig seit 9. Juli 2014, von 70,00 Euro auf 35,00 Euro reduziert und dem Kläger nurmehr für die Dauer von 2 Monaten verboten, Kraftfahrzeuge aller Art auf öffentlichen Straßen zu führen.
4
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts München - Abteilung für Wirtschaftsstraftaten - vom ... Februar 2018 (Az. …), rechtskräftig seit 24. März 2018, wurde gegen den Kläger wegen drei sachlich zusammentreffender Vergehen der Steuerhinterziehung gemäß §§ 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO, § 54 StGB eine Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen verhängt, wobei der Gesamtstrafenbildung Einzelstrafen von 25 Tagessätzen für die Umsatzsteuer 2012, 20 Tagessätzen für die Umsatzsteuer 1. Quartal 2013 und 25 Tagessätzen für die Umsatzsteuer 4. Quartal 2013 zugrunde gelegt wurden. Eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit der o.g. Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Nötigung sei unterblieben, da die Geldstrafe aus dieser Verurteilung bereits am 13. Mai 2015 vollständig vollstreckt gewesen sei und die Voraussetzungen des § 55 StGB mithin nicht vorlägen. Laut Strafbefehl sei der Kläger in den betroffenen Jahren 2012 und 2013 als Buchhalter gewerblich tätig gewesen und habe hieraus steuerliche Umsätze i.S.d. § 1 UStG erzielt. Der Kläger sei daher nach §§ 149, 150 AO i.V.m. § 18 UStG verpflichtet gewesen, bis zum 31. Mai eines jeden Jahres für das vorangegangene Kalenderjahr Steuererklärungen beim zuständigen Finanzamt D. … abzugeben und darin die Umsätze vollständig zu erklären. Des Weiteren habe die Verpflichtung bestanden, jeweils bis zum 10. des darauffolgenden Monats die im vorangegangenen Quartal erzielten Umsätze in den entsprechenden Voranmeldungen anzumelden. Diesen dem Kläger bekannten Verpflichtungen sei er bewusst nicht nachgekommen, indem er die Steuererklärungen für das Jahr 2012 zu spät sowie die Umsatzsteuervoranmeldungen für die Zeiträume 1. und 4. Quartal 2013 gar nicht beim Finanzamt D. … abgegeben habe. Folgende Umsätze seien vom Kläger nicht erklärt worden: Im Jahr 2021 Umsätze und unentgeltliche Wertabgaben i.H.v. 58.314,00 Euro. Im Voranmeldungszeitraum 1. Quartal 2013 Umsätze i.H.v. 19.965,00 Euro und im Voranmeldungszeitraum 4. Quartal 2013 Umsätze i.H.v. 20.728,00 Euro. Durch sein Verhalten habe der Kläger insgesamt Steuern i.H.v. 15.276,40 Euro verkürzt. Unter Berücksichtigung der Vorsteuerbeträge ergebe sich ein wirtschaftlicher Schaden i.H.v. 9.445,74 Euro. Der Kläger sei den ihm bekannten steuerlichen Verpflichtungen bewusst nicht nachgekommen, um hierdurch die von ihm erzielten Umsätze der Besteuerung zu entziehen und die daraus resultierenden Steuernachzahlungen zu vermeiden. Der Kläger habe dadurch vorsätzlich gehandelt.
5
Der gegen den, dem Kläger am 9. März 2018 ausgehändigten Strafbefehl am 25. März 2018 eingelegte Einspruch wurde mangels Wahrung der Einspruchsfrist mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 27. März 2018 als unzulässig verworfen.
6
Am 30. August 2019 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Erteilung einer Waffenbesitzkarte zum Erwerb von Schusswaffen sowie einer Berechtigung zum Munitionserwerb.
7
Mit Schreiben vom 24. September 2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass in der im Rahmen der Zuverlässigkeitsüberprüfung gemäß § 5 WaffG eingeholten Auskunft aus dem Bundeszentralregister die Eintragungen der beiden o.g. Verurteilungen enthalten seien. Im Hinblick auf § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a bzw. b WaffG - was näher ausgeführt wurde - sei beabsichtigt, die beantragte Erteilung einer Waffenbesitzkarte zu versagen. Es wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
8
Mit Schreiben der bereits im Verwaltungsverfahren Bevollmächtigen des Klägers vom 20. November 2019 wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass es grundsätzlich richtig sei, dass der Kläger zweimal rechtskräftig verurteilt worden sei. Vorliegend liege jedoch eine Ausnahme von der Regelvermutung der Unzuverlässigkeit vor. Vorliegend sei nach einer Gesamtschau der Tatumstände von einem atypischen Fall auszugehen, bei dem es ausnahmsweise gerechtfertigt sei, von der Regelvermutung abzuweichen. Den „Strafbefehl 2“ habe der Kläger vollumfänglich akzeptiert, den „Strafbefehl 1“ im Hinblick auf die Dauer des Fahrverbots juristisch angegriffen. Dies sei ein Indiz dafür, dass der Kläger den Unrechtsgehalt seiner Taten einsehe. Hinsichtlich des „Strafbefehls 1“ sei auch eine Entschuldigung seitens des Klägers erfolgt. Wiederholt habe sich das zugrundeliegende Verhalten seit 2014 und damit seit 5 Jahren nicht. Weitere strafrechtliche Verfehlungen seien dem Kläger nicht zur Last zu legen. Ferner könne für den Kläger berücksichtigt werden, dass die dem „Strafbefehl 2“ zugrundeliegenden Sachverhalte bereits im Jahr 2012/2013 erfolgt seien und damit bereits vor 7 bzw. 6 Jahren. Auch der Grad der kriminellen Energie, namentlich die Umstände des „Strafbefehls 2“, sei zu berücksichtigen. Ferner auch, dass die Umsatzsteuerzahlungen bereits erfolgt seien und insofern kein Schaden verblieben sei. Dem „Strafbefehl 2“ hätten auch besondere Umstände zugrunde gelegen, die berücksichtigt werden müssten. Ende 2012 habe der Kläger die Steuererklärung 2011 beim Finanzamt D. … eingereicht. Mit der zuständigen Sachbearbeiterin hätte daraufhin eine juristische Meinungsverschiedenheit begonnen. Diese habe die Betriebsausgaben i.H.v. 11.000,00 Euro für ein betrieblich genutztes Kraftfahrzeug nicht steuerlich berücksichtigen wollen. Dies hätte für den Kläger einen großen Schaden bedeutet und ferner auch eine große Steuernachzahlung zur Folge gehabt. Gegen die Entscheidung habe der Kläger Einspruch eingelegt. Die entsprechende Entscheidung habe lange Zeit in Anspruch genommen. Da die dauerhaften Betriebsausgaben des Klägers überwiegend aus den vorgenannten Fahrzeugkosten bestünden, habe der Kläger die dem verfahrensgegenständlichen Urteil zugrundeliegenden Umsatzsteueranmeldungen nicht abgegeben. Insofern habe er sich in einer wirtschaftlichen Zwangslage befunden, die daher gerührt habe, dass die Betriebsausgaben insofern nicht anerkannt worden sein. Letztlich habe im Jahr 2013 eine Umsatzsteuerprüfung des Finanzamts F. … stattgefunden. Ergebnis sei insofern gewesen, dass die vorgenannten Betriebsausgaben anerkannt und die Vorsteuer erstattet worden sei, gleichzeitig aber aufgrund der nicht rechtzeitig abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen eine Strafanzeige gestellt worden sei, die dann im Ergebnis zu der Verurteilung aus dem Jahr 2018 geführt habe. Jedenfalls in Summe sei deshalb von einem atypischen Fall auszugehen. Namentlich sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die den Verurteilungen zugrundeliegenden Sachverhalte jeweils bereits über 5 Jahre, teils sogar 7 Jahre, zurücklägen und insbesondere im Hinblick auf den „Strafbefehl 2“ die vorgenannten besonderen Umstände vorlägen. Zudem wurde ein Schreiben des …-Schützen A. … e.V. vom 8. Oktober 2019 vorgelegt, wonach die Erteilung der waffenrechtlichen Genehmigung an den Kläger befürwortet werde, damit der Kläger seine bisher mit einer Vereinswaffe erzielten Ergebnisse mit einer an seine Bedürfnisse angepassten Sportwaffe weiter verbessern könne.
9
Mit Bescheid vom 20. November 2019 - zugestellt am 22. November 2019 - versagte die Beklagte dem Kläger die beantragte Erteilung einer Waffenbesitzkarte (Nr. 1). Dem Kläger wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt und es wurde eine Gebühr i.H.v. 25,00 Euro und Auslagen i.H.v. 2,19 Euro festgesetzt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a bzw. b WaffG besäßen Personen, die wegen einer vorsätzlichen Straftat oder einer fahrlässigen gemeingefährlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen oder mindestens zweimal zu geringeren Geldstrafen rechtskräftig verurteilt worden seien, in der Regel nicht die erforderliche Zuverlässigkeit, wenn seit Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung 5 Jahre noch nicht verstrichen seien. Der Kläger sei am 1. Juli 2014 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Nötigung zu 45 Tagessätzen, am 5. Februar 2018 wegen Steuerhinterziehung in drei tatmehrheitlichen Fällen zu 40 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt worden. Das letztgenannte Urteil sei rechtskräftig seit 24. März 2018. Nötigung und Steuerhinterziehung seien vorsätzliche Straftaten, Vergehen der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs aufgrund der Zuordnung unter den 28. Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs als gemeingefährliche Straftaten zu werten. Gründe, die eine Ausnahme von der Regelvermutung der Unzuverlässigkeit rechtfertigen könnten, seien weder ersichtlich noch würden solche vorgetragen. Die Vermutung der Unzuverlässigkeit könne nur bei Vorliegen solcher Umstände als ausgeräumt erachtet werden, welche die Annahme eines Ausnahmefalls rechtfertigten. Da das Gesetz auf die Verurteilung wegen einer Straftat abstelle, komme es vor allem darauf an, ob die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung des Betroffenen ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen ließen, dass die nach der Wertung des Gesetzes in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen nicht gerechtfertigt seien. Die Prüfung, ob die Regelvermutung entkräftet sei, erfordere eine Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck komme. Danach sei gegebenenfalls zu prüfen, ob die der strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegende Tat lediglich Bagatellcharakter habe. Handele es sich hingegen um einen typischen Fall, so fehlten grundsätzlich besondere Tatumstände, die ausnahmsweise die Regelvermutung entkräften könnten. Soweit die Unzuverlässigkeitsvermutung wegen mindestens zweimaligen einschlägigen Verurteilungen zu Geldstrafen von weniger als 60 Tagessätzen ausgelöst werde, habe der Gesetzgeber die Eintrittsschwelle nochmals niedriger angesetzt. Bei nicht nur einmaligem strafbarem Fehlverhalten solle die Unzuverlässigkeitsvermutung bereits schon bei relativ geringfügigen strafbaren Handlungen eingreifen. Auch lägen die Tatzeitpunkte nur 6 bzw. 7 Jahre zurück. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung seien rechtskräftige Verurteilungen dann nicht mehr vorzuhalten, wenn die zugrundeliegenden Taten länger als 10 Jahre zurücklägen. Einsicht in den Unrechtsgehalt einer strafbaren Handlung sei nicht geeignet, um die Unzuverlässigkeitsvermutung zu widerlegen, sondern sei eine Selbstverständlichkeit. Die Frist von 5 Jahren seit Rechtskraft der letzten Verurteilung sei noch nicht verstrichen. Da der Kläger aus diesem Grunde unzuverlässig i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a bzw. b WaffG sei, sei die beantragte Erteilung einer Waffenbesitzkarte zu versagen gewesen. Die Kostenentscheidung beruhe auf den - im Einzelnen genannten - einschlägigen Vorschriften des Kostengesetzes.
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Hiergegen haben die Klägerbevollmächtigten am 11. Dezember 2019 Klage erhoben. Zur Begründung wird im Wesentlichen das Vorbringen aus dem Schreiben an die Beklagte vom 20. November 2019 wiederholt.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 20. November 2019 verpflichtet, die mit Antrag vom 30. August 2019 begehrte Waffenbesitzkarte dem Kläger zu erteilen.
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Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen auf den Inhalt der vorgelegten Waffenakte, insbesondere auf die Begründung des angefochtenen Bescheids verwiesen und ergänzend ausgeführt, es sei unerheblich, dass die den Verurteilungen zugrundeliegenden Sachverhalte über 5 bzw. 7 Jahre zurücklägen, da das Gesetz hinsichtlich der Fünfjahresfrist auf den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft der letzten Verurteilung, in diesem Fall 24. März 2018, abstelle. Die Aussage, dass der Kläger ansonsten strafrechtlich in negativer Hinsicht nicht in Erscheinung getreten sei, könne die Unzuverlässigkeitsvermutung nicht widerlegen. Strafrechtliches Wohlverhalten stelle keine Besonderheit dar, sondern müsse bei Waffenbesitzern als selbstverständliche Grundvoraussetzung für den Umgang mit Waffen angesehen werden.
14
Die Parteien wurden mit Schreiben vom 26. Januar 2022 zu einer Entscheidung mittels Gerichtsbescheid angehört. Die Bevollmächtigten des Klägers erklärten sich mit Schriftsatz vom 18. Februar 2022 mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden. Die Beklagte äußerte sich nicht.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie die beigezogenen Strafakten Az. … … … und Az. … … … Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid ergehen, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Parteien wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO angehört.
17
Die zulässige Klage ist unbegründet.
18
Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keinen Anspruch auf die Erteilung einer Waffenbesitzkarte (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Die Voraussetzungen für die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis - hier einer Waffenbesitzkarte i.S.d. § 10 Abs. 1 WaffG - sind in § 4 Abs. 1 WaffG festgeschrieben. Danach ist eine waffenrechtliche Erlaubnis insbesondere zu versagen, wenn der Antragsteller nicht die nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 i.V.m. § 5 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit besitzt.
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Nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG besitzen die erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel Personen nicht, die wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen oder mindestens zweimal zu einer geringeren Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind. Entsprechendes gilt nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b WaffG bei einer Verurteilung (u.a.) wegen einer fahrlässigen gemeingefährlichen Straftat.
21
Das Gesetz stellt für die in der Regel anzunehmende Unzuverlässigkeit in § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG auf die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung wegen bestimmter Straftaten ab. Nach Sinn und Zweck des § 5 Abs. 2 WaffG soll das mit jedem Waffenbesitz vorhandene Sicherheitsrisiko möglichst gering gehalten werden. Es soll nur bei Personen hingenommen werden, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit der Waffe jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen (vgl. BT-Drs. 14/7758, S. 54). Die Behörde darf dabei grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen und sich auf die Prüfung beschränken, ob das die Verurteilung begründende Verhalten im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen die Annahme waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit rechtfertigt oder ob die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise ausgeräumt ist. Sinn und Zweck des Gesetzes ergeben danach, dass die Behörde allenfalls in Sonderfällen die strafgerichtlichen Feststellungen ihrer Entscheidung nicht oder nicht ohne weitere Ermittlungen zugrunde legen darf, etwa dann, wenn für sie ohne weiteres erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht oder wenn sie ausnahmsweise in der Lage ist, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären (st. Rspr. BVerwG, vgl. z.B. BVerwG, B.v. 22.4.1992 - 1 B 61/92 - juris Rn. 6; st. Rspr. BayVGH, vgl. z.B. B.v. 5.7.2017 - 21 CS 17.856 - juris Rn. 10).
22
Gegen den Kläger wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts München (… vom 14. Februar 2014 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Nötigung gemäß §§ 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 2, 240 Abs. 1, Abs. 2, 44, 52 StGB eine Geldstrafe in Höhe von 45 Tagessätzen verhängt. Der hiergegen erhobene Einspruch hat nicht zu einer Reduktion der Tagessatzhöhe geführt (vgl. Urteil des Amtsgerichts München vom 1. Juli 2014, rechtskräftig seit 9. Juli 2014). Mit Strafbefehl des Amtsgerichts München - Abteilung für Wirtschaftsstraftaten - vom 5. Februar 2018 (…), rechtskräftig seit 24. März 2018, wurde gegen den Kläger zudem wegen drei sachlich zusammentreffender Vergehen der Steuerhinterziehung gemäß §§ 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO, § 54 StGB eine Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen verhängt, wobei der Gesamtstrafenbildung Einzelstrafen von 25 Tagessätzen für die Umsatzsteuer 2012, 20 Tagessätzen für die Umsatzsteuer 1. Quartal 2013 und 25 Tagessätzen für die Umsatzsteuer 4. Quartal 2013 zugrunde gelegt wurden. Der Strafbefehl steht dabei nach § 410 Abs. 3 StPO einem rechtskräftigem Strafurteil gleich, sodass vorliegend auf den im Strafbefehl erfolgten Strafausspruch abzustellen ist (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2007 - 19 CS 06.2210 - juris Rn. 25). Der Kläger wurde mithin im Hinblick auf die vorsätzliche Nötigung sowie die vorsätzliche Steuerhinterziehung jeweils wegen einer vorsätzlichen Straftat, im Hinblick auf die fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs - bei dem Delikt der Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c StGB handelt es sich um eine gemeingefährliche Straftat, wie bereits aus der Stellung im 28. Abschnitt „Gemeingefährliche Straftaten“ des Strafgesetzbuches (§§ 306 bis 323c StGB) folgt - wegen einer fahrlässigen gemeingefährlichen Straftat insgesamt zweimal zu einer geringeren Geldstrafe als 60 Tagessätze rechtskräftig verurteilt. Da seit Rechtskraft der letzten strafgerichtlichen Verurteilung am 24. März 2018 im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind, ist der Tatbestand der Regelunzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a und b WaffG erfüllt.
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Dem steht es vorliegend insbesondere auch nicht entgegen, dass seit dem Eintritt der Rechtskraft des Rechtsfolgenausspruchs der ersten Verurteilung am 9. Juli 2014 - wegen Nötigung und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs - inzwischen mehr als fünf Jahre verstrichen sind. Hinsichtlich des Vorliegens mehrerer Verurteilungen zu einer Geldstrafe von weniger als 60 Tagessätzen ist nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Norm auf den Zeitraum zwischen der Rechtskraft der letzten Verurteilung und dem Beurteilungszeitpunkt der Zuverlässigkeit abzustellen. Denn nach der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich das erkennende Gericht anschließt, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der regelhaft anzunehmenden waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG aufgrund wiederholter einschlägiger strafrechtlicher Verurteilungen zu Geldstrafen von jeweils weniger als 60 Tagessätzen erfüllt, auch wenn nur die letzte dieser Verurteilungen noch nicht seit fünf Jahren rechtskräftig ist (vgl. OVG NW, B.v. 7.2.2018 - 20 B 704/17 - juris Rn. 15; VGH BW, B.v. 20.2.2018 - 1 S 2749/17 - juris Rn. 5; OVG Bremen, B.v. 10.5.2016 - 1 B 22/16 - juris Rn. 22; Gade, WaffG, 2. Aufl. 2018, § 5 Rn. 22a; Adolph in Adolph/Brunner/Bannach, Waffenrecht, Stand: Oktober 2021, § 5 WaffG Rn. 63; a.A. BayVGH, B.v. 25.10.2012 - 21 ZB 12.539 - juris Rn. 13). Dies widerspricht auch weder dem Sinn noch der Systematik des Waffenrechts noch dem Willen des Gesetzgebers. Der Gesetzesbegründung zu § 5 Abs. 2 WaffG lässt sich lediglich allgemein entnehmen, dass der Gesetzgeber von „Wohlverhaltensfristen“ ausging (vgl. BT-Drs. 14/7758, S. 55). Es findet sich dort jedoch keinerlei Beleg dafür, dass die dargestellte Konsequenz, dass frühere Straftaten wieder berücksichtigungsfähig werden, nicht gewollt war. Ein Widerspruch zur Regelung in § 5 Abs. 1 Nr. 1 WaffG, der für die dort genannten schweren Straftaten eine Wohlverhaltensfrist von zehn Jahren vorsieht, besteht nicht. Denn auch diese Wohlverhaltensfrist knüpft an den Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung an. Diese Auslegung führt auch nicht zu mit dem Gesetzeszweck unvereinbaren, unverhältnismäßigen Folgen. Unangemessene, dem Inhaber einer Waffenbesitzkarte nicht zumutbare Folgen werden zum einen dadurch vermieden, dass länger zurückliegende Taten gemäß den Vorschriften der §§ 46, 51 Abs. 1 BZRG einem auch von der Waffenbehörde zu beachtenden Verwertungsverbot unterliegen. Zum anderen ist eine Ausnahme von der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 WaffG zu prüfen, wenn zwar die Fünfjahresfrist seit Rechtskraft der strafrechtlichen Verurteilung noch nicht verstrichen ist, der Zeitpunkt der Begehung der Straftat aber sehr lange zurückliegt und der Betroffene sich seither straffrei geführt hat; zu einer solchen Prüfung besteht bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vor allem Anlass, wenn die Tat bei Erlass des Widerspruchsbescheids bereits zehn oder mehr Jahre zurückliegt (vgl. VGH BW, B.v. 20.2.2018 - 1 S 2749/17 - juris Rn. 7 m.w.N.). Im Übrigen wäre vorliegend aber die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG auch nach der Auslegung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 25.10.2012 - 21 ZB 12.539 - juris Rn. 12) anzunehmen, wonach Geldstrafen von weniger als 60 Tagessätzen wegen einer Katalogstraftat des § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG nach dem Gesetz nur dann die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit begründen sollen, wenn sie mindestens zweimal rechtskräftig innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren verhängt werden. Denn die Rechtskraft beider Verurteilungen des Klägers - 9. Juli 2014 und 24. März 2018 - liegt innerhalb eines Fünfjahreszeitraums. Anders als in dem der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zugrundeliegende Fall, besteht im vorliegenden Fall auch nicht die Gefahr, dass eine rechtskräftige Verurteilung, die für die Dauer von zehn bzw. fünf Jahren die gesetzliche Unterstellung oder Regelvermutung der Unzuverlässigkeit herbeigeführt hat, auch nach Ablauf dieser Zeiträume über den Umweg einer weniger schwerwiegenden weiteren Verurteilung zu einer geringeren Geldstrafe als 60 Tagessätzen, die allein nicht ausreichen würde, erneut zur Begründung der Unzuverlässigkeit herangezogen wird. Denn die seit 9. Juli 2014 rechtskräftige Verurteilung des Klägers wegen Nötigung und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu 45 Tagessätzen, ist für sich allein genommen gerade nicht geeignet, die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit zu begründen. Insoweit kann vorliegend die erstmalige Berücksichtigung dieser Verurteilung zur Begründung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit angesichts der Strafhöhe von unter 60 Tagessätzen nicht zu einer „Doppelverwertung“ einer bereits alleine die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit auslösenden Verurteilung nach Ablauf der hierfür vorgesehenen Wohlverhaltensfrist führen.
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Die Verwertbarkeit der Erstverurteilung scheitert vorliegend auch nicht im Hinblick auf § 51 Abs. 1 BZRG. Danach dürfen die Tat und die Verurteilung der betroffenen Person im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden, wenn die diesbezüglichen Eintragungen aus dem Zentralregister getilgt oder zu tilgen sind. Diese Voraussetzungen sind jedoch im Hinblick auf die Verurteilungen des Klägers nicht erfüllt. Sind - wie beim Kläger - mehrere Verurteilungen im Zentralregister eingetragen, so ist die Tilgung einer Eintragung erst zulässig, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen (vgl. § 47 Abs. 3 Satz 1 BZRG). Die fünfjährige Tilgungsfrist der Verurteilung des Klägers wegen Steuerhinterziehung mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 5. Februar 2018 hat am Tag der Unterzeichnung durch den Richter - mithin am 5. Februar 2018 - begonnen (vgl. § 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BZRG i.V.m. §§ 47 Abs. 1, § 36 Satz 1, § 5 Abs. 1 Nr. 4 BZRG). Die beiden bei Bescheiderlass am 20. November 2019 im Bundeszentralregister eingetragenen Verurteilungen des Klägers sind mithin frühestens mit Ablauf des 4. Februar 2023 zu tilgen. Somit ist auch die Erstverurteilung wegen Nötigung und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch zu berücksichtigen und begründet zusammen mit der weiteren Verurteilung wegen Steuerhinterziehung die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit.
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Ein Ausnahmefall, der vorliegend ein Absehen von der Regelvermutung rechtfertigen könnte, ist nicht gegeben.
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Zunächst ist bei einer rechtskräftigen Verurteilung - wie bereits ausgeführt - ohnehin von der Richtigkeit der Verurteilung auszugehen und die Prüfung dahingehend zu beschränken, ob die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Satz 1 WaffG aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ausgeräumt ist (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2007 - 21 ZB 06.2540 - juris Rn. 5 mit Verweis auf BVerwG, B.v. 22.4.1992 - 1 B 61/92 - zum früheren § 5 Abs. 2 Satz 1 WaffG 1976). Dies betrifft nicht nur die materiell-rechtliche Richtigkeit des Urteils bzw. Strafbefehls, sondern auch die Strafzumessung. Nur in besonderen Ausnahmefällen, wenn ohne weiteres erkennbar ist, dass die strafrechtliche Beurteilung auf einem Irrtum beruht oder die Verwaltungsbehörde und das Verwaltungsgericht im Stande sind, den Vorfall besser und richtiger zu beurteilen, kommt eine Abweichung von einem rechtskräftigen Urteil bzw. Strafbefehl in Betracht (vgl. BVerwG, B.v. 22.4.1992 - 1 B 61/92 - juris Rn. 6).
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Vorliegend besteht kein Anlass, an der Richtigkeit des Strafbefehls, insbesondere an der festgesetzten Tagessatzhöhe, zu zweifeln. Insbesondere vermag das Vorbringen der Bevollmächtigten des Klägers keinen Ausnahmefall zu begründen, wonach im Hinblick auf die vom Kläger begangene Steuerhinterziehung besondere Umstände zugrunde gelegen hätten, der Kläger sich insbesondere in einer wirtschaftlichen Zwangslage befunden habe und der zunächst entstandene Schaden durch Begleichung der Umsatzsteuerschulden bereinigt worden sei. Denn der Kläger hätte ohne weiteres die Möglichkeit gehabt, diese Umstände im Rahmen des Einspruchsverfahrens gegen den Strafbefehl vorzutragen und, mitunter auch unter Ausschöpfung des Instanzenzuges, von den Strafgerichten überprüfen zu lassen. Hiervon hat der Kläger - der seinen Einspruch gegen den Strafbefehl vom 5. Februar 2018 verspätet eingelegt hat - jedoch keinen Gebrauch gemacht. Es obliegt jedoch dem Betroffenen selbst, seine Rechte im Instanzenzug der Strafgerichtsbarkeit wahrzunehmen (vgl. z.B. VG München, B.v. 4.11.2015 - M 7 S 15.4236 - juris Rn. 20).
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Des Weiteren kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (st. Rspr. BVerwG, vgl. z.B. B.v. 21.7.2008 - 3 B 12/08 - juris Rn. 5 m.w.N.; auch st. Rspr. BayVGH, vgl. z.B. B.v. 20.7.2020 - 24 ZB 19.1204 - juris Rn. 15) eine Abweichung von der Regelvermutung nur dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. Maßstab für das Vorliegen eines Ausnahmefalls, der die Verfehlung des Betroffenen in einem milderen, von der waffenrechtlichen Regelwertung abweichenden Licht erscheinen lassen kann, ist allein die Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen wie sie in seinem damaligen Verhalten zum Ausdruck kommt (vgl. BVerwG, B.v. 18.9.1991 - 1 CB 24.91 - juris Rn. 5). Darauf, dass der Kläger außerhalb der den Strafbefehlen zugrundeliegenden Sachverhalte nie strafrechtlich in Erscheinung getreten sei und sich die Auffälligkeit im Straßenverkehr seit 2014 nicht wiederholt habe, kann es somit in diesem Zusammenhang nicht ankommen. Auch, dass der Kläger sich im Hinblick auf die Nötigung und die fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs entschuldigt habe, seine Steuerschuld im Nachhinein beglichen habe und die mit den Strafbefehlen verhängten Strafen im Wesentlichen akzeptiert habe, stellt entgegen der Ausführungen der Klägerbevollmächtigten jeweils keinen Umstand dar, der geeignet ist, die Verfehlung des Klägers in einem milderen Licht erscheinen zu lassen. Denn diese Umstände stellen lediglich eine Reaktion auf die bereits erfolgte Verfehlung dar und spiegeln mithin nicht die Persönlichkeit des Klägers wider, wie sie in seinem damaligen Verhalten zum Ausdruck gekommen ist.
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Auch im Übrigen lässt sich in Bezug auf die vom Kläger begangene Straftat, wie sie der Verurteilung zu Grunde gelegt wurde, kein Ausnahmefall feststellen. Zwar entspricht die zweimalige Verurteilung zu einer geringeren Geldstrafe („mindestens“) gerade noch dem Rahmen, den § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG insoweit fordert. Allein, dass die Strafe in diesem „Mindestbereich“ angesiedelt ist, rechtfertigt aber ausweislich der Gesetzessystematik nicht ohne weiteres eine Abweichung. Weder handelt es sich bei den Taten angesichts der ausgeurteilten Höhe von 45 bzw. 40 Tagessätzen - vorliegend ist bezüglich der späteren Verurteilung auf die Gesamtstrafe abzustellen, ohne zwischen den zugrundeliegenden einzelnen Strafen zu differenzieren (vgl. VG Bayreuth, U.v. 27.9.2007 - B 1 K 07.464 - juris Rn. 18; VG Saarlouis, U.v. 15.12.2009 - 1 K 50/09 - juris Rn. 57 f. m.w.N.; vgl. auch zu § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG BayVGH, B.v. 10.1.2007 - 21 ZB 06.3007 - juris Rn. 5) - um waffenrechtlich zu vernachlässigende Bagatelltaten noch erscheinen sie - wie bereits ausgeführt - aufgrund von Besonderheiten im Verhalten des Klägers in einem milderen Licht. Der Kläger hat vielmehr bereits dadurch, dass er am 19. Mai 2013 bei einer Geschwindigkeit des vorausfahrenden Fahrzeugs von etwa 130 km/h, diesem unter Betätigung der Lichthupe so dicht aufgefahren ist, dass dessen Fahrer das Kennzeichen des klägerischen Fahrzeugs nicht mehr sehen konnte, und anschließend an diesem vorbeigefahren ist und unter grober Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vom ganz linken auf den ganz rechten von drei Fahrstreifen gewechselt hat, bevor er ausreichend Abstand zum überholten Pkw gehabt hat, deutlich aufgezeigt, dass er mit Gefahren, die von seinem Verhalten für Leben, Gesundheit oder Eigentum Dritter ausgehen, zu sorglos umgeht. Die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, sind aber nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen. Auch im Hinblick auf die vorsätzliche Steuerhinterziehung ist im Hinblick auf die verkürzte Gesamtsumme von 15.276,40 Euro sowie den entstandenen wirtschaftlichen Schaden i.H.v. 9.445,74 Euro keine andere Bewertung angezeigt. Insbesondere ist es im Rahmen der hier anzustellenden Bewertung - wie ausgeführt - auch unbeachtlich, dass der Kläger die Steuerschuld - wozu er ohnehin verpflichtet war - nachträglich beglichen hat.
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Da die den strafgerichtlichen Verurteilungen zugrundeliegenden Taten im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch noch nicht zehn oder mehr Jahre zurückliegen (vgl. BVerwG, U.v. 24.4.1990 - 1 C 56/89 - juris Rn. 18) und im Falle des Klägers besondere Umstände des Einzelfalls, die eine kürzere „Wohlverhaltensfrist“ begründen könnten, nicht ersichtlich sind, vermag vorliegend auch der Zeitablauf allein die Regelvermutung nicht zu entkräften.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.