Titel:
Erfolgloser einstweiliger Rechtsschutz: Entlassung von der Schule
Normenketten:
BayEUG Art. 56 Abs. 4, Art. 86, Art. 88
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsätze:
1. Zur Sicherung des Bildungs- und Erziehungsauftrags oder zum Schutz von Personen und Sachen können, soweit andere Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichen, nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit förmliche Ordnungsmaßnahmen gegenüber einzelnen Schülern getroffen werden (Art. 86 Abs. 1 BayEUG), wobei ein außerschulisches Verhalten dafür nur Anlass sein darf, soweit es die Verwirklichung der Aufgabe der Schule gefährdet (Art. 86 Abs. 3 Nr. 5 BayEUG). (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nicht jedes Verhalten, das sich außerhalb der Unterrichtszeit und außerhalb des Schulgeländes abspielt, ist bereits ein „außerschulisches“ Verhalten. Entscheidend für die Qualifizierung als schulischer Vorfall ist, ob dieser einen engen Bezug zur Schule hat. Ein solcher enger Schulbezug ist etwa dann zu bejahen, wenn ein Vorgang in engem räumlichem, zeitlichem oder personellen Zusammenhang mit Schule und Unterricht steht. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
3. Denn der Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schulen hat keine geografischen Grenzen; vielmehr kommt es darauf an, ob das Fehlverhalten störend in den Schulbetrieb hineinwirkt. Schulbezogenes Verhalten ist daher nicht ausschließlich räumlich und zeitlich, sondern auch inhaltlich bestimmt. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
4. Auch wenn Art. 86 Abs. 2 BayEUG die Ordnungsmaßnahmen ihrer Eingriffsintensität nach aufzählt, besteht keine Rangfolge zwischen den einzelnen Ordnungsmaßnahmen in dem Sinn, dass eine schwerere Ordnungsmaßnahme erst verfügt werden dürfte, wenn bereits eine mildere Ordnungsmaßnahme vorausgegangen wäre. (Rn. 49) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entlassung von der Schule, Mitglied einer Jugendbande, Sachbeschädigung, Fehlverhalten an fremder Schule, außerschulisches Verhalten, Eingriffsintensität, Rangfolge zwischen einzelnen Ordnungsmaßnahmen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 20652
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die Ordnungsmaßnahme der Entlassung von der Schule.
2
Der Antragsteller besucht im Schuljahr 2021/22 die 8. Jahrgangsstufe der Städtischen E.Realschule (im Folgenden: die Schule).
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Gegenüber dem Antragsteller wurden u.a. bereits folgende Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen erlassen:
- Verschärfter Verweis vom 9. Oktober 2020 wegen Diebstahls u.a (Bl. 22 der Behördenakte).
- Sozialdienst vom 28. Oktober 2020 wegen Fehlverhaltens im Sportunterricht (Bl. 23 der Behördenakte)
- Verweis vom 7. Dezember 2020 wegen Fälschens der Unterschrift der Erziehungsberechtigten auf Schulaufgabe (Bl. 24 der Behördenakte)
- Hinweis vom 8. Februar 2021 wegen Schwänzen des Unterrichts (Bl. 17 der Behördenakte)
- Verweis vom 22. Juni 2021 wegen Unterrichtsstörung (Bl. 25 der Behördenakte)
4
Am 19. Januar 2022 war der Antragsteller an der großflächigen Beschriftung der Wände in der Toilettenanlage des benachbarten Gymnasiums mit Parolen und Ähnlichem beteiligt; am 20. Januar 2022 wurden in einer Toilette der Schule dieselben Beschriftungen entdeckt, die großflächig über alle Oberflächen verteilt waren (s. Fotos Bl. 9-13 der Behördenakte und Bl. 53-56 (Gymnasium) und Bl. 59-72 (Schule) der Ermittlungsakte).
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Mit Schreiben vom 18. März 2022 (Bl. 26 ff. der Behördenakte) wurde die Mutter des Antragstellers zur Sitzung des Disziplinarausschusses geladen, nahm aber aufgrund einer Erkrankung des Antragstellers genauso wie der Antragsteller selbst nicht an der Sitzung teil. Sie äußerte sich schriftlich (Bl. 31 der Behördenakte) sowie telefonisch gegenüber der Schulleitung (Bl. 35 der Behördenakte).
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Mit Bescheid vom 9. Mai 2022 wurde durch die Schule die Ordnungsmaßnahme der Entlassung von der Schule verhängt (vgl. für den Inhalt Bl. 37 ff. der Behördenakte).
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Am 25. Mai 2022 erhob der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid; hinsichtlich der Begründung wird auf Bl. 47 ff. der Behördenakte Bezug genommen. Weiter wurde beim Bayerischen Verwaltungsgericht München mit Schriftsatz vom 7. Juli 2022 beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 25. Mai 2022 gegen den Bescheid vom 9. Mai 2022 anzuordnen.
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Zur Begründung wird vorgetragen, dass für den Bescheiderlass die Lehrerkonferenz und nicht der Disziplinarausschuss zuständig sei. Der Hinweis auf das Verhalten des Antragstellers im Einladungsschreiben genüge nicht für eine Entscheidung über die Wahrnehmung der Rechte aus Art. 88 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 BayEUG. Die Anhörung der Mutter vor dem Disziplinarausschuss sei unterblieben. Es fehle im Bescheid eine Begründung, weshalb mildere Maßnahmen nicht ausreichend gewesen seien. Das Ansehen der Schule sei eine sachfremde Erwägung. Der zugrunde gelegte Sachverhalt halte einer sachlichen Überprüfung nicht stand.
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Die Antragsgegnerin legte die Akten vor und beantragt,
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Sie tritt dem Vorbringen des Antragstellers umfangreich entgegen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten sowie die beigezogene staatsanwaltliche Ermittlungsakte Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist unbegründet.
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Entfaltet ein Rechtsbehelf wie vorliegend von Gesetzes wegen (Art. 88 Abs. 8 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 414, 632, BayRS 2230-1-1-K), das zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 5. Juli 2022 (GVBl. S. 308) geändert worden ist) keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung anordnen. Das Gericht trifft hierbei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es - unter Beachtung der vom Gesetzgeber in Art. 88 Abs. 8 BayEUG getroffenen Entscheidung zur sofortigen Vollziehbarkeit - abzuwägen hat zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts und dem Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Maßgebliche Bedeutung kommt bei der Abwägung den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts zunächst verschont zu bleiben, regelmäßig zurück. Erweist sich der angefochtene Bescheid dagegen bei vorläufiger Prüfung als rechtswidrig, wird das Gericht die aufschiebende Wirkung in der Regel anordnen, da kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines voraussichtlich rechtswidrigen Bescheids besteht. Ist der Ausgang des Verfahrens offen, bleibt es bei der allgemeinen Interessenabwägung, bei der insbesondere auch die gesetzgeberische Entscheidung, die aufschiebende Wirkung einer Klage auszuschließen, zu berücksichtigen ist.
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Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war der Antrag abzulehnen. Ausgehend von der Sach- und Rechtslage, wie sie sich dem Gericht im Eilverfahren darstellt, bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids, sodass die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren als gering anzusehen sind und im Rahmen der allgemeinen Interessenabwägung folglich das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt.
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Die Ordnungsmaßnahme der Entlassung von der Schule, die ihre Rechtsgrundlage in Art. 86 Abs. 2 Nr. 10 BayEUG findet, darf nur bei schulischer Gefährdung verhängt werden, d.h. bei Gefährdung von Rechten Dritter oder der Aufgabenerfüllung der Schule durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten (vgl. Art. 86 Abs. 2 Nr. 6 BayEUG).
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Im Hinblick darauf, dass die Entlassung die schwerwiegendste Ordnungsmaßnahme darstellt, die die Schule selbst verhängen kann, hat sich die Entscheidung, ob diese oder eine weniger einschneidende Ordnungsmaßnahme ausgesprochen wird, daran zu orientieren, ob ein Verbleiben des Schülers an der Schule im Hinblick auf die unbeeinträchtigte Erfüllung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags oder wegen des Schutzes Dritter nicht mehr hingenommen werden kann und dem Schüler in dieser Deutlichkeit und Konsequenz vor Augen geführt werden muss, dass sein Verhalten nicht geduldet werden kann. Diese Beurteilung entzieht sich einer vollständigen Erfassung nach rein rechtlichen Kriterien und bedingt sachnotwendig einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren pädagogischen Wertungsspielraum. Trotz dieser Grenzen der gerichtlichen Kontrolle haben die Gerichte aber den gegen die Entlassung erhobenen Einwendungen nachzugehen und die pädagogische Bewertung der Schule auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. Sie haben insbesondere zu kontrollieren, ob die Entlassung gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstößt. Der gerichtlichen Überprüfung unterliegt es ferner, ob die Schule frei von sachfremden Erwägungen entschieden hat und ob sie ihre Entscheidungen auf Tatsachen und Feststellungen gestützt hat, die einer sachlichen Überprüfung standhalten (stetige Rechtsprechung vgl. bereits BayVGH, B. v. 2.9.1993 - 7 CS 93.1736 - BayVBl 1994, 346).
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Für die Wahl der Ordnungsmaßnahme unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kommt es vor allem darauf an, ob und in welchem Maße die Erfüllung des Anstaltszwecks gestört oder gefährdet und die Erziehungsverantwortung der Schule beeinträchtigt wurde, wie sie in Art. 131 BV, Art. 1, 2 BayEUG niedergelegt ist (vgl. BayVGH v. 2.9.1993 - 7 CS 93.1736 - BayVBl 1994, 346). Die Wahl der Ordnungsmaßnahme erweist sich damit als eine pädagogische Ermessensentscheidung. Hierbei hat die Lehrerkonferenz bzw. der Disziplinarausschuss als deren Unterausschuss darauf zu achten, dass die Ordnungsmaßnahme der Entlassung zur Schwere des zu ahndenden oder zu unterbindenden Verhaltens eines Schülers nicht außer Verhältnis steht.
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Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen erweist sich die von der Schule getroffene Ordnungsmaßnahme bei der im vorliegenden Verfahren ausreichenden summarischen Überprüfung als rechtmäßig.
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1. Durchgreifende formelle Fehler im Rahmen des Entlassungsverfahrens sind nicht ersichtlich.
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a) Gemäß Art. 58 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 88 Abs. 1 Nr. 3 BayEUG fiel die Entscheidung in die Zuständigkeit des - insoweit die Aufgaben der Lehrerkonferenz wahrnehmenden - Disziplinarausschusses der Schule. Den vorgelegten Unterlagen ist zu entnehmen, dass er - wie vorgeschrieben - gemäß § 7 Abs. 5 der Bayerischen Schulordnung vom 1. Juli 2016 (GVBl. S. 164, 241, BayRS 2230-1-1-1-K), die zuletzt durch § 1 der Verordnung vom 4. April 2022 (GVBl. S. 158) geändert worden ist, mit der vollen Zahl seiner neun Mitglieder entschieden und mit der Mehrheit der Stimmen die Entlassung beschlossen hat.
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b) Der Antragsteller und die allein sorgeberechtigte Mutter wurden auch ordnungsgemäß im Verfahren bezüglich der verhängten Ordnungsmaßnahme beteiligt. Ihnen wurde vor Erlass des Bescheids mit Schreiben vom 18. März 2022 Gelegenheit zur persönlichen Äußerung bezüglich des vorgeworfenen Fehlverhaltens gegeben. In dem Schreiben wurde zudem auf die gemäß Art. 88 Abs. 3 Satz 2 und 3 BayEUG eröffneten Möglichkeiten hingewiesen.
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c) Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers genügt das Schreiben vom 18. März 2022 auch hinsichtlich der Informationspflicht der Schule gegenüber dem Antragsteller und seiner Erziehungsberechtigten den gesetzlichen Vorgaben.
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Art. 88 Abs. 3 Satz 1 und 2 BayEUG enthalten Spezialregelungen hinsichtlich des anzuhörenden Personenkreises, im Übrigen gilt Art. 28 BayVwVfG. Impliziter Bestandteil der dort geregelten Anhörungspflicht ist die Pflicht zur substantiellen Information über den Verfahrensgegenstand. Maßstab für den Detaillierungsgrad ist, dass für die Beteiligten hinreichend deutlich erkennbar ist, welche Tatsachen für die Entscheidung erheblich sein könnten, sodass sie ihre Stellungnahme sachgerecht vornehmen können (vgl. Schneider in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 2. EL April 2022, VwVfG § 28 Rn. 40 m.w.N.).
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So ist die zwar relativ knapp gehaltene, aber doch hinreichend bestimmten Beschreibung des dem Antragsteller vorgeworfenen Fehlverhaltens im Schreiben vom 18. März 2022 durchaus ausreichend.
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Die Schule muss auch nicht ausdrücklich zu einer konkreten Ordnungsmaßnahme anhören, da eine solche erst nach Entscheidung durch den Disziplinarausschuss feststehen kann. Durch den Hinweis, dass eine Maßnahme in Betracht kommt, die nicht alleine der Schulleiter verhängen kann, wurde deutlich, dass eine schwerere Ordnungsmaßnahme im Raum stand (vgl. BayVGH, B.v. 18.5.2009 - 7 ZB 08.1801 - juris Rn. 9).
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d) Auch die Nichtteilnahme des Antragstellers und seiner Erziehungsberechtigten am Disziplinarausschuss begründet nach Auffassung des Gerichts im vorliegenden Fall keinen durchgreifenden formellen Fehler.
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aa) Die von Amts wegen vorzunehmende Anhörungspflicht aus Art. 88 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 BayEUG wurde hierdurch nicht verletzt, denn die Mutter des Antragstellers äußerte sich schriftlich und der Antragsteller konnte sich persönlich im Gespräch mit dem stellvertretenden Schulleiter äußern. Da weder Art. 88 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 BayEUG noch Art. 28 BayVwVfG Formvorschriften zur Anhörung enthalten, sind die so erfolgten Anhörungen für Art. 88 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 BayEUG ausreichend. Im Übrigen wurden die Stellungnahmen des Antragstellers und seiner Mutter ausweislich das Sitzungsprotokolls auch durch den Disziplinarausschuss gewürdigt.
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bb) Soweit antragstellerseits gerügt wird, dass es dem Antragsteller und seiner Mutter, die mit Antwortschreiben vom 23. März 2022 mitgeteilt hatte, sich persönlich vor dem Disziplinarausschuss am 29. März 2022 äußern zu wollen, aufgrund der krankheitsbedingten Absage nicht möglich gewesen sei, von ihrem Teilnahmerecht (vgl. Art. 88 Abs. 3 Satz 3 BayEUG) Gebrauch zu machen, liegt darin ebenfalls kein formeller Fehler. Zum einen ist es bereits fraglich, ob sich die Mutter auf eine etwaige Verletzung dieses Rechts überhaupt berufen kann, nachdem sie selbst gar nicht erkrankt war und demzufolge an der Sitzung des Disziplinarausschusses hätte teilnehmen können.
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Zum anderen ist die unterbliebene Beteiligung heilbar gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG (BayVGH und Lindner/Stahl) und vorliegend durch die Äußerung im Widerspruchs- und gerichtlichem Verfahren geheilt.
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Insoweit enthält das BayEUG keine Spezialvorschrift, die die Anwendbarkeit des BayVwVfG ausschließen würde (vgl. BayVGH, B. v. 12.12.2000 - 7 ZS 00.3088 - juris Rn 7). Nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG ist die Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die den Verwaltungsakt nicht nach Art. 44 BayVwVfG nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird; die Nachholung ist gemäß Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG deshalb auch im Schulrecht bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich (vgl. BayVGH, a.a.O.). Art. 88 Abs. 3 Satz 3 BayEUG enthält eine Anhörungsvorschrift. Deshalb ist auch insofern eine Heilung nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG möglich (Linder/Stahl, BayEUG, Stand: 1.6.2022, Rn. 5.4 zu Art. 88).
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Spätestens mit dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers im Widerspruchs- und vorliegenden gerichtlichem Verfahren und der damit verbundenen Stellungnahme auch im Namen des Antragstellers sind etwaige Anhörungsmängel geheilt worden (Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG; VG München, B.v. 12.3.2018 - M 3 S 17.5918 - juris Rn. 56). Der Antragsteller hat bisher nicht geltend gemacht, dass er sich bei Teilnahme an der Sitzung des Disziplinarausschusses dort in anderer Weise geäußert hätte, als in dem Vorbringen seines Prozessbevollmächtigten.
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Zudem ist vorliegend dem Schüler sowie der Erziehungsberechtigten gemäß Art. 88 Abs. 3 Nr. 2 BayEUG Gelegenheit zur Äußerung vor der Anwendung der Ordnungsmaßnahmen gegeben worden (s.o.). Auch mit Blick auf den erzieherischen Charakter schulischer Ordnungsmaßnahmen bietet diese Anhörung des betroffenen Schülers sowie der Erziehungsberechtigten bereits die Möglichkeit, auf die individuelle, auch familiären, Situation des Schülers einzugehen und eine pädagogisch geeignete Erziehungsmaßnahme zu finden (vgl. z.B. VG Ansbach, B.v. 14.11.2018 - AN 2 S 18.02197 - juris Rn. 11; B. v. 3.6.2013 - AN 2 S 13.01000 - juris Rn. 18).
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Sowohl der Antragsteller selbst wie auch seine Mutter haben dazu vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids die Möglichkeit gehabt und davon auch Gebrauch gemacht.
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Da bereits die Ergebnisse dieser Anhörungen in der Sitzung des Disziplinarausschusses erörtert worden sind und weder vorgetragen noch - zumindest im Rahmen der summarischen Prüfung im Eilverfahren - ersichtlich ist, inwieweit die Anwesenheit des Antragstellers in der Sitzung zu einem abweichenden Beratungsergebnis hätte führen können, wäre der Verstoß, selbst ohne der hier angenommenen Heilung, zumindest gem. Art. 46 BayVwVfG unbeachtlich (VG München B.v. 14.9.2000 - M 3 S 00.3377). Auch der Sinn und Zweck des Art. 88 Abs. 3 Satz 3 BayEUG, der als weitere Anhörung im Vorfeld der Ordnungsmaßnahme dient, war deshalb im vorliegenden Fall bereits durch die erfolgten Anhörungen gewahrt. Zudem ist ergänzend anzumerken, dass ausweislich des Sitzungsprotokolls und des Bescheids selbst, die Einlassungen des Antragstellers zu seinen Gunsten berücksichtigt worden sind. Demnach zeige sich der Antragsteller als „einsichtig“. Zumindest unter Berücksichtigung der Vernehmungsprotokolle der Ermittlungsakte scheint diese Bewertung für das Gericht wohlwollend.
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2. Die Entscheidung des Disziplinarausschusses ist voraussichtlich auch in materieller Hinsicht rechtmäßig.
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a) Dass die Entlassung auf einem unzutreffenden, nicht hinreichend ermittelten Sachverhalt beruht, ist nicht ersichtlich. Die hinreichende Sachverhaltsermittlung, insbesondere ob die Schule ihre Entscheidung auf Tatsachen und Feststellungen gestützt hat, die einer sachlichen Überprüfung standhalten, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Falls ein Schüler die Feststellung, auf denen die Entscheidung beruht, bestreitet, hat das Gericht dem nachzugehen (BayVGH, U.v. 13.6.2012 - 7 B 11.2651 - juris Rn. 20). Eine ordnungsgemäße Sachverhaltsaufklärung ist vorliegend erfolgt. Laut Vortrag des Bevollmächtigten des Antragstellers sei es unzutreffend, dass der Antragsteller den Unterricht einer benachbarten Schule gestört und dort die Toilette mit antisemitischen Parolen beschmiert habe. Der Inhalt der Beschriftung der Wände ergibt sich mit dem dargestellten Umfang jedoch eindeutig aus den Lichtbildern der Ermittlungsakte. Dort findet sich auch die polizeiliche Vernehmung, in der der Antragsteller seine Beteiligung bestätigt. Aus dem Protokoll des Disziplinarausschusses (sowie dem Bescheid) geht hervor, dass sich die Aussage des Antragsstellers bei der Polizei auf den Schriftzug „Pablo Escobar“ bezog. Das lediglich pauschale Abstreiten bereits zugegebenen Sachverhalts begründet keine Zweifel an der Richtigkeit der Sachverhaltsermittlung.
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Der Vortrag nicht abgeschlossener Ermittlungen erschließt sich dem Gericht nicht. Die Schule hat ausweislich ihrer Akten, in denen sich auch Aktennotizen zu den Gesprächen mit der Polizei und den Schülern befinden, den Sachverhalt soweit als möglich aufgeklärt. Soweit keine zweifelsfreie Klärung möglich war, hat die Schule dies berücksichtigt (Urheberschaft der Beschriftung der eigenen, schulischen Toilette) und ihre Entscheidung nur auf die entsprechenden Anhaltspunkte gestützt. Gegen ein solches Vorgehen gibt es nichts einzuwenden, insbesondere darf die Schule auch eine Ordnungsmaßnahme treffen, wenn für sie aufgrund entsprechender Anhaltspunkte ein Fehlverhalten feststeht, solange sie die verbliebenen Aufklärungslücken berücksichtigt.
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Dass die Entlassung auf einem unzutreffenden, nicht hinreichend ermittelten Sachverhalt beruht, ergibt sich also nicht.
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b) Die Voraussetzungen für den Erlass der Ordnungsmaßnahme der Entlassung lagen vor, insbesondere sind sowohl ein schulischer Bezug als auch eine schulische Gefährdung i.S.v. Art. 86 Abs. 2 Nr. 10 und Nr. 6 BayEUG gegeben.
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aa) Ein schulischer Bezug liegt ohne Weiteres vor.
41
Zur Sicherung des Bildungs- und Erziehungsauftrags oder zum Schutz von Personen und Sachen können, soweit andere Erziehungsmaßnahmen nicht ausreichen, nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit förmliche Ordnungsmaßnahmen gegenüber einzelnen Schülern getroffen werden (Art. 86 Abs. 1 BayEUG), wobei ein außerschulisches Verhalten dafür nur Anlass sein darf, soweit es die Verwirklichung der Aufgabe der Schule gefährdet (Art. 86 Abs. 3 Nr. 5 BayEUG).
42
Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung nicht jedes Verhalten, das sich außerhalb der Unterrichtszeit und außerhalb des Schulgeländes abspielt, bereits ein „außerschulisches“ Verhalten. Entscheidend für die Qualifizierung als schulischer Vorfall ist, ob dieser einen engen Bezug zur Schule hat. Einen solchen engen Schulbezug hat das erkennende Gericht z.B. dann bejaht, wenn ein Vorgang in engem räumlichem, zeitlichem oder personellen Zusammenhang mit Schule und Unterricht steht (VG München, U.v. 26.2.2019 - M 3 K 18.2544; U.v. 14.2.2017 - M 3 K 15.979; U.v. 17.3.2015 - M 3 K 13.1778; U.v. 11.7.2011 - M 3 K 09.5679; B.v. 5.7.2010 - M 3 E 10.3206). Denn der Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schulen hat keine geografischen Grenzen; vielmehr kommt es darauf an, ob das Fehlverhalten störend in den Schulbetrieb hineinwirkt. Schulbezogenes Verhalten ist daher nicht ausschließlich räumlich und zeitlich, sondern auch inhaltlich bestimmt (vgl. VG München, U.v. 21.4.2021 - M 3 K 17.5634 - juris Rn. 27).
43
Der Schulbezug zur die Ordnungsmaßnahme verhängenden Schule besteht vorliegend auch für die Vorfälle an der benachbarten Schule. Zum einem normiert bereits Art. 56 Abs. 4 Satz 5 BayEUG, dass die Schülerinnen und Schüler alles zu unterlassen haben, was den Schulbetrieb oder die Ordnung der von ihnen besuchten Schule oder einer anderen Schule stören könnte, woraus sich die Intention des Gesetzgebers ergibt, vorliegend auch das Verhalten an der benachbarten Schule mit zu umfassen. Zum anderem ist auch eine negative Rückwirkung auf den eigenen Schulalltag anzunehmen, wenn Schüler der eigenen Schule durch Fehlverhalten an anderen Schulen auffallen.
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bb) Eine schulische Gefährdung im Sinne von Art. 86 Abs. 2 Nr. 10 BayEUG liegt vor.
45
Nach der Legaldefinition in Art. 86 Abs. 2 Nr. 6 BayEUG ist eine schulische Gefährdung die Gefährdung von Rechten Dritter oder der Aufgabenerfüllung der Schule durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten. Die Schulen haben insbesondere die Aufgabe, zu verantwortlichem Gebrauch der Freiheit, zu Toleranz, friedlicher Gesinnung und Achtung vor anderen Menschen zu erziehen (Art. 2 Abs. 1 BayEUG). Gem. Art. 56 Abs. 4 Satz 1 BayEUG haben alle Schülerinnen und Schüler sich so zu verhalten, dass die Aufgabe der Schule erfüllt und das Bildungsziel erreicht werden kann. Die Schülerinnen und Schüler haben alles zu unterlassen, was den Schulbetrieb oder die Ordnung der von ihnen besuchten Schule oder einer anderen Schule stören könnte (Art. 56 Abs. 4 Satz 5 BayEUG).
46
Vorliegend ist die großflächige Verunstaltung zweier Toilettenanlagen an sich bereits ein schweres Fehlverhalten. Erschwerend kommt der Inhalt der Parolen hinzu. Weiterhin handelt es sich beim Antragsteller aufgrund seine vorangegangenen, mit Ordnungsmaßnahmen belegten Verhaltens auch um ein wiederholtes Fehlverhalten.
47
c) Die vom Disziplinarausschuss getroffene pädagogische Ermessensentscheidung ist nicht zu beanstanden und verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Schule hat ihre Entscheidung bezogen auf den konkreten Einzelfall nachvollziehbar dargestellt und begründet. Es sind keinerlei Anzeichen dafür erkennbar, dass sachfremde Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen sein könnten. Die Ermessensentscheidung hinsichtlich der Wahl der Ordnungsmaßnahme ist im Wortlaut des Bescheides ausreichend dargelegt, aus den dargestellten Erwägungen ergibt sich, dass die konkrete Maßnahme der Entlassung diskutiert wurde und eine mildere Ordnungsmaßnahme - auch angesichts der vorangegangenen Ordnungsmaßnahmen - als nicht ausreichend angesehen wurde.
48
Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers wurde eine negative Außenwirkung seines Verhaltens nicht als Erwägungsgrund herangezogen. Diese wurde nur festgestellt, bei den Erwägungen aber nicht berücksichtigt. Berücksichtigt wurde dort lediglich eine negative Vorbildwirkung auf Mitschüler, wohingegen nichts eingewendet wurde und auch nicht einzuwenden ist.
49
Auch wenn Art. 86 Abs. 2 BayEUG die Ordnungsmaßnahmen ihrer Eingriffsintensität nach aufzählt, besteht keine Rangfolge zwischen den einzelnen Ordnungsmaßnahmen in dem Sinn, dass eine schwerere Ordnungsmaßnahme erst verfügt werden dürfte, wenn bereits eine mildere Ordnungsmaßnahme vorausgegangen wäre (BayVGH, B. v. 5.9.2018 - 7 CS 18.869 - juris Rn. 5; BayVGH, B. v. 14.6.2002 - 7 CS 02.776 - juris Rn. 33; BayVGH, B. v. 28.1.2008 - 7 CS 07.3380 - juris Rn. 21). Es liegt im pädagogischen Ermessen der Schule, eine geeignete und angemessene Ordnungsmaßnahme zu verhängen. Mit der Ordnungsmaßnahme der Entlassung als der schwersten Maßnahme, die von der Schule selbst verhängt werde kann, hat die Schule zwar eine harte Maßnahme getroffen, jedoch einen angemessenen Maßstab angelegt und dabei den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht verletzt. Aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens und des erheblichen Angriffs auf die Wertegemeinschaft der Schule hat die Schule zum Schutz ihrer Schülerinnen und Schüler diese Maßnahme getroffen. Es kann nicht beanstandet werden, dass sich die Schule im Hinblick auf die unbeeinträchtigte Erfüllung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags dazu entschlossen hat, eine Entlassung von der Schule zu verfügen, um dem Schüler in dieser Deutlichkeit und Konsequenz vor Augen zu führen, dass sein Verhalten nicht geduldet werden kann.
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Die getroffene Maßnahme stellt im Übrigen keine übermäßige, in krassem Missverhältnis zu dem angestrebten Zweck stehende Belastung des Antragstellers dar, zumal ihm (noch) nicht die Möglichkeit genommen wurde, seine bisherige Schullaufbahn an einer anderen Schule dieser Schulart fortzusetzen.
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Aus den dargestellten Gründen war der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog.