Titel:
Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen den Nachbarn
Normenketten:
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 1, S. 2, Art. 76 S. 2, S. 3
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3, Nr. 5
Leitsätze:
1. Ein Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten erfordert, dass er durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt ist, und dass das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde auf Null reduziert ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nachbarschutz kommt im Außenbereich nach § 35 BauGB grundsätzlich nur bei Verstößen gegen das Gebot der Rücksichtnahme in Betracht (vgl. BVerwG BeckRS 1999, 30068538). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Von einer aus mehreren, in deutlichem Abstand voneinander stehenden Holzpfählen errichteten Befestigung geht keine gebäudeähnliche Wirkung aus. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abstandsflächen, Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten (verneint), Einstweilige Anordnung, Gebot der Rücksichtnahme, bauaufsichtliches Einschreiten, Nutzungsuntersagung, Lärm, Abstand, gebäudeähnliche Wirkung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 01.12.2022 – 1 CE 22.1943
Fundstelle:
BeckRS 2022, 20644
Tenor
I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird auf 11.250,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, bauaufsichtlich gegenüber den Beigeladenen einzuschreiten.
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Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 556/1 Gem. … Das Grundstück ist in dessen nördlichen Teil mit einem Einfamilienhaus bebaut, in dem die Antragstellerin mit ihrem Sohn wohnt. Die Beigeladenen sind Miteigentümer des unmittelbar nördlich angrenzenden Grundstücks FlNr. 556 Gem. … (Vorhabensgrundstück). Für das Gebiet besteht kein Bebauungsplan.
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Mit Bescheid vom 21. April 2020 erteilte der Antragsgegner den Beigeladenen eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Wirtschaftsgebäudes zur Nebenerwerbsimkerei bestehend aus Schleuderraum, Honiglager, Wachsraum und Lagerraum auf dem südöstlichen Teil des Vorhabensgrundstücks.
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Auf dem südlichen Teil des Vorhabensgrundstücks - unmittelbar südlich der Zufahrt zum Vorhabensgrundstück und zum Wohnhaus der Antragstellerin - befinden sich an der Grenze zum Grundstück der Antragstellerin mehrere Holzpfähle. Am oberen Ende der Holzpfähle sind diese durchgehend mit Fahnen behangen, sodass sie miteinander verbunden sind. Ferner ist der Bereich hinter den Holzpfählen mit verschiedenen Gewächsen bewachsen. Für die Zufahrts straße ist zugunsten der Antragstellerin ein Geh- und Fahrtrecht bestellt.
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Mit am 24. Januar 2022 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz ihres Bevollmächtigten beantragt die Antragstellerin wörtlich,
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den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung zu verpflichten,
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1. bezüglich des durch Baugenehmigung des Landratsamts R. an die Beigeladenen vom 21.04.2020 genehmigten Bauvorhabens Nebenerwerbsimkerei gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB gegenüber den Beigeladenen anzuordnen, die Nutzung als Wochenendhaus insbesondere durch Bewohnen, durch Halten und Betreiben einer Wohnküche und durch Abhalten von Einladungen innerhalb und außerhalb des Imkereigebäudes und außerdem die Nutzung des Grundstücks der Beigeladenen FlNr. 556 Gem. … für Zu- und Abfahrten mit landwirtschaftlichen Kraftfahrzeugen und mit Baumaschinen für andere Zwecke als für den Betrieb der Nebenerwerbsimkerei erforderlich vorläufig für die Dauer von zunächst 2 Jahren zu unterlassen,
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2. bezüglich der in west-östlicher Richtung verlaufenden ungenehmigten Einfriedung auf dem Grundstück FlNr. 556 der Beigeladenen gegenüber der Grenze des Grundstücks FlNr. 556/1 der Antragstellerin anzuordnen, dass die Beigeladenen von dem Antragsgegner unverzüglich schriftlich aufgefordert werden, über die Gemeinde … beim Landratsamt R. nachträglich die Baugenehmigung für die in westöstlicher Richtung verlaufende Einfriedung einzuholen und anzuordnen, dass die Entscheidung über den gestellten Baugenehmigungsantrag binnen 3 Monaten seit Eingang des Baugenehmigungsantrags beim Landratsamt R. erfolgt,
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3. bezüglich der vorgenannten Einfriedung anzuordnen, dass die auf der Einfriedung befindlichen Rosenhecken, Brombeerstauden und Zypressengewächse in regelmäßigen Abständen von längstens 3 Monaten so zurückgeschnitten werden, dass sie nicht in die in westöstlicher Richtung verlaufende Fahr straße so hineinragen, dass sie die Ausübung des dinglichen Geh- und Fahrrechts der Antragstellerin behindern.
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Die Beigeladenen hätten in den wärmeren Jahreszeiten wiederholt Einladungen auf der Terrasse und im Inneren des Holzhauses abgehalten. Die Gäste würden die Auffahrt benutzen, die unmittelbar neben dem Wohnhaus der Antragstellerin verlaufe. Diese werde von den Beigeladenen auch mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen intensiv genutzt, an den Wochenenden fänden dreißig bis vierzig Fahrbewegungen statt. Die Beigeladenen hätten entlang der westlich-östlichen Grenze zum Grundstück der Antragstellerin im Jahre 2019 ohne Baugenehmigung eine Einfriedung errichtet. Diese sei mit Rosenhecken, Brombeerstauden und Zypressengewächsen bepflanzt worden. Die auf den Weg hineinragenden Äste beeinträchtigten die Ausübung des Geh- und Fahrrechts der Antragstellerin. Die Antragstellerin berufe sich auf die Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme und auf die Verletzung der natürlichen Eigenschaft und des Landschaftsbildes. Der Antragstellerin sei nicht zuzumuten, bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens zu warten.
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Mit Schriftsatz vom 16. März 2022 beantragt der Antragsgegner sinngemäß,
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den Antrag abzulehnen.
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Es liege keine Verletzung von drittschützenden Belangen der Antragstellerin vor. Es sei bereits im Jahr 2015 ein Antrag auf Genehmigung einer Einfriedung beim Antragsgegner eingereicht worden. Das Verfahren sei bislang nicht abgeschlossen. Das Geh- und Fahrtrecht sei eine privatrechtliche Vereinbarung, deren mögliche Beeinträchtigung auf dem privatrechtlichen Weg zu klären sei.
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Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom ... Februar 2022 beantragen die Beigeladenen ebenfalls sinngemäß,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Anträge seien bereits unzulässig. Die Antragstellerin behaupte nicht schlüssig einen Anordnungsanspruch. Die Anträge seien auch unbegründet. Die Antragstellerin mache weder einen Anordnungsgrund noch einen Anordnungsanspruch glaubhaft. Die behaupteten Nutzungen würden nach dem Vortrag der Antragstellerin bereits seit 2020 ausgeübt. Die Antragstellerin werde durch die Nutzung des Grundstücks der Beigeladenen auch nicht in ihren drittschützenden Rechten verletzt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
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Die in Antragshäufung erhobenen Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO sind zulässig, bleiben in der Sache aber ohne Erfolg.
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Eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht in Bezug auf den Streitgegenstand auch schon vor Klageerhebung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
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1. Der Antrag in Ziffer 1. ist zulässig, aber unbegründet. Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, § 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO.
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Unabhängig von der Frage, ob die Antragstellerin mit der Auffassung des Bevollmächtigten der Beigeladenen bereits keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat, weil die Beigeladenen die Nutzung bereits 2020 aufgenommen haben, hat die Antragstellerin jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
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Der Antragstellerin steht kein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten in Form der Nutzungsuntersagung des Gebäudes auf dem Grundstück der Beigeladenen für andere Zwecke als zum Betrieb der Nebenerwerbsimkerei zu.
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Rechtsgrundlage für ein bauaufsichtliches Einschreiten ist vorliegend Art. 76 Satz 2 BayBO, wonach die Nutzung von Anlagen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden, untersagt werden kann.
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Ein Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten erfordert zum einen, dass er durch die bauliche Anlage in nachbarschützenden Rechten verletzt ist, zum anderen, dass das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde auf Null reduziert ist. Liegt eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, hat der Kläger lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein bauaufsichtliches Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde sowie über Art und Weise des Einschreitens (BayVGH, B.v. 4.7.2011 - 15 ZB 09.1237 - juris Rn. 11; B.v. 7.9.2018 - 9 ZB 16.1890 - juris Rn. 6). Dabei gelten für die Ermessensausübung der Bauaufsichtsbehörde die allgemeinen Grundsätze (BayVGH, U.v. 4.12.2014 - 15 B 12.1450 - juris Rn. 21).
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Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Es ist schon nicht ersichtlich, dass der Betrieb der Beigeladenen abweichend von der erteilten Baugenehmigung ausgeübt wird (a)). Ferner wird die Antragstellerin selbst bei unterstellten Verstößen gegen die Baugenehmigung nicht in ihren nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Rechts verletzt (b)).
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Zunächst kann dahinstehen, ob die Antragstellerin durch die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 21. April 2020 in ihren nachbarschützenden Rechten verletzt wird. Die Antragstellerin hat es unterlassen, diese Baugenehmigung zu beklagen, sodass sie mittlerweile bestandskräftig ist. Die mit einer bestandskräftigen Baugenehmigung verbundene umfassende Feststellung der Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit dem einschlägigen öffentlichen Recht, sog. Legalisierungswirkung, schließt eine nachgelagerte Überprüfung im Rahmen des repressiven Verfahrens auf bauaufsichtliches Einschreiten dem Grunde nach aus. In Betracht käme allenfalls die Überprüfung der Vereinbarkeit des Vorhabens mit solchen nachbarschützenden Vorschriften, die nicht von der Legalisierungswirkung der Baugenehmigung umfasst sind. Diesbezüglich ist hier jedoch nichts ersichtlich. Dass die Antragstellerin durch die Baugenehmigung in ihren Rechten verletzt ist, behauptet sie im Übrigen selbst nicht.
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a) Es ist nicht ersichtlich, dass das Grundstück der Beigeladenen abweichend von der Baugenehmigung genutzt wird. Nach dem Vortrag des Bevollmächtigten der Antragstellerin hätten die Beigeladenen auf der Westseite des Gebäudes eine Außenterrasse eingerichtet, auf die sie Gartenmöbel gestellt hätten. In den wärmeren Jahreszeiten hätten wiederholt Einladungen mit mehreren Gästen auf der Außenterrasse und im Inneren des Gebäudes stattgefunden, beispielhaft werde der 21. Juni 2021 genannt. Es finde eine Umnutzung im Sinne einer Wohnnutzung statt. Diese, vom Bevollmächtigten der Beigeladenen in Zweifel gezogenen, Behauptungen belegen nach Ansicht der Kammer keinen von der Baugenehmigung abweichenden Betrieb durch die Beigeladenen. Die Behauptungen blieben vage und bezogen sich auf lediglich pauschale und vereinzelt gebliebene Vorfälle.
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Selbiges gilt für etwaigen landwirtschaftlichen Zu- und Abfahrtsverkehr. Soweit die Antragstellerpartei vorträgt, dass die Hauptauffahrt an den Wochenenden dreißig bis vierzig Mal durch landwirtschaftliche Fahrzeuge wie Kleinsttraktor und Teleskoplader benutzt würde, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg des Antrags. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin behauptet einerseits auch diese Fahrzeugbewegungen lediglich pauschal, andererseits, dass diese Bewegungen nicht der saisonalen Imkerei der Beigeladenen zugerechnet werden könnten, da sie auch im Winter stattfänden. Damit ist indes nicht nachgewiesen, dass die Fahrzeugbewegungen nicht auf bestimmungsgemäßem Betrieb durch die Beigeladenen beruhen. Die Kammer weist insoweit darauf hin, dass die Baugenehmigung u.a. die Errichtung eines Wachs- und Schleuderraums beinhaltet. Die Herstellung anderer Produkte als Honig - etwa Kerzen aus Bienenwachs - und damit verbundener Fahrzeugverkehr auch im Winter ist daher nicht von vornherein ausgeschlossen.
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b) Selbst bei Unterstellen der von der Antragstellerpartei vorgetragenen Fahrzeugbewegungen wird die Antragstellerin nicht in ihren nachbarschützenden Rechten verletzt.
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Die Grundstücke der Antragstellerin und der Beigeladenen liegen unstreitig allesamt im bauplanungsrechtlichen Außenbereich gemäß § 35 BauGB, sodass sich der Nachbarschutz nach den dazu aufgestellten Grundsätzen richtet. Nachbarschutz kommt im Außenbereich nach § 35 BauGB grundsätzlich nur bei Verstößen gegen das Gebot der Rücksichtnahme in Betracht (BVerwG, B.v. 28.7.1999 - 4 B 38/99 - juris Rn. 5).
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Ein Verstoß gegen das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB, liegt nicht vor.
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Das Maß der gebotenen Rücksichtnahme hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Bei der in diesem Zusammenhang anzustellenden Interessenabwägung ist ausschlaggebend, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem zur Rücksichtnahme Verpflichteten nach der jeweiligen Situation, in der sich die betroffenen Grundstücke befinden, im Einzelfall zuzumuten ist. Im Rahmen einer Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen (BVerwG, B.v. 10.1.2013 - 4 B 48/12 - juris Rn. 7). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (BVerwG, B.v. 10.1.2013 a.a.O.; BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 40). Die Bewertung der Zumutbarkeit richtet sich danach ausschließlich nach den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit. Diese Umstände müssen im Sinne einer „Güterabwägung“ in eine wertende Gesamtbetrachtung einfließen (BVerwG, B.v. 10.1.2013 a.a.O Rn. 7).
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Danach verletzt der Betrieb auf dem Grundstück der Beigeladenen nicht das Gebot der Rücksichtnahme. Er führt selbst bei in dem Maße der von der Antragstellerpartei vorgetragenen genehmigungsabweichenden Nutzung nicht zu unzumutbaren Beeinträchtigungen, insbesondere durch Licht- oder Lärmimmissionen.
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Bei der Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen, insbesondere von Lärmimmissionen, ist grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen und die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts zurückzugreifen. Das Bundesimmissionsschutzgesetz legt diese Grenze und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereiches grundsätzlich allgemein fest (BVerwG, U.v. 23.9.1999 - 4 C 6/98 - juris Rn. 22). Was die Zumutbarkeit von Lärmimmissionen anbetrifft, können anerkanntermaßen die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA Lärm - bzw. die darin enthaltenen Immissionsrichtwerte herangezogen werden. Die TA Lärm gehört zu den normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften, welche vorbehaltlich abweichender Erkenntnisse im Regelfall der gerichtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden.
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Die TA Lärm sieht für Gebiete, für die keine Festsetzungen in Bebauungsplänen bestehen - wozu der Außenbereich zuzuordnen ist -, in Ziffer 6.6 Satz 2 TA Lärm vor, dass diese nach Ziffer 6.1 TA Lärm entsprechend der Schutzbedürftigkeit zu beurteilen sind. Da die im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiert zulässigen Vorhaben (land- und forstwirtschaftliche Betriebe, ortsgebundene Gewerbebetriebe, Windenergieanlagen etc.) typischerweise emissionsträchtig sind, wird allgemein angenommen, dass einer Wohnbebauung im Außenbereich in Anlehnung an die für Kern-, Dorf- oder Mischgebiete festgelegten Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 c) TA Lärm regelmäßig Lärmbeeinträchtigungen mit einem Lärmpegel von 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts zuzumuten sind (BayVGH, U.v. 8.9.1998 - 27 B 96.1407 - juris; BVerwG, B.v. 14.9.2017 - 4 B 26/17 - juris Rn. 6 f.)
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Eine Überschreitung dieser zugrunde zu legenden Richtwerte hat die Antragstellerpartei nicht substantiiert dargelegt. Es bestehen keine Anhaltspunkte für ein Überschreiten der maßgeblichen Werte durch genehmigungsabweichende Nutzung des Grundstücks der Beigeladenen.
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Der Antrag hat auch insoweit keinen Erfolg, als der Bevollmächtigte der Antragstellerin unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Februar 1977, Az. IV C 22/75, geltend macht, dass die Baugenehmigung bzw. ihre Ausnutzung zu einer Wertminderung des Grundstücks der Antragstellerin führen. Die dortige Konstellation ist schon nicht mit der hiesigen vergleichbar, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts befasste sich mit von einem Schweinemastbetrieb ausgehenden Geruchsimmissionen. Ferner handelte es sich dort um die Anfechtung einer Baugenehmigung durch einen Nachbarn. Die Antragstellerin hat es indes unterlassen, ihre nachbarschützenden Belange im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung geltend zu machen.
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Sofern die Antragstellerpartei die Verletzung der natürlichen Eigenart der Landschaft und des Landschaftsbilds rügt, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg des Antrags. Die Vorschrift des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB vermittelt keinen Nachbarschutz (BayVGH, B.v. 25.8.2004 - 14 CS 04.2315 - juris Rn. 14).
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2. Der Antrag in Ziffer 2. ist zulässig, aber ebenfalls unbegründet. Die Antragstellerin hat auch insoweit keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, § 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO.
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Der Antragstellerin steht kein Anspruch auf Aufforderung zur Stellung eines Bauantrags bezüglich der in west-östlicher Richtung verlaufenden Holzpfähle an der Grenze zum Grundstück der Antragstellerin und Verbescheidung eines solchen Bauantrags innerhalb von drei Monaten nach Eingang beim Antragsgegner zu.
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a) Es erscheint bereits zweifelhaft, ob ein Nachbar bauaufsichtliches Einschreiten nach Art. 76 Satz 3 BayBO in Form der Aufforderung zur Stellung eines Bauantrags verlangen kann. Grundvoraussetzung für einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten ist, dass der Nachbar durch die Anlage in seinen Rechten verletzt wird. Dies setzt grundsätzlich einen materiellen Verstoß voraus; eine rein formelle Illegalität verletzt einen Nachbarn grundsätzlich nicht in eigenen Rechten.
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Letztlich kann dies jedoch, ebenso wie die Frage, ob ein solcher Antrag bereits gestellt wurde, bislang vom Antragsgegner jedoch noch nicht verbeschieden worden ist, dahinstehen. Die von der Antragstellerpartei durch Fotos dokumentierten Holzpfähle (Anlage A 13) verletzen die Antragstellerin jedenfalls nicht in ihren nachbarschützenden Rechten.
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b) Sie verstoßen nicht gegen das Abstandsflächenrecht, Art. 6 BayBO.
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Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO gilt dies entsprechend für andere Anlagen, von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, gegenüber Gebäuden und Grundstücksgrenzen.
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Die Holzpfähle stellen bereits kein Gebäude im Sinne des Art. 6 BayBO dar. Nach der Definition in Art. 2 Abs. 2 BayBO sind Gebäude selbständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können. Dies trifft hier nicht zu.
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Von den Holzpfählen gehen auch keine Wirkungen wie von Gebäuden aus, Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO. Entscheidend für die Einstufung als gebäudeähnliche Anlage ist, ob die Errichtung oder Nutzung der Anlage die Zielsetzungen des Abstandsflächenrechts, nämlich Belichtung und Belüftung der Nachbargebäude, den Wohnfrieden oder die Ziele des Brandschutzes, ebenso beeinträchtigen kann wie ein Gebäude. Dies lässt sich nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall bestimmen. Von Bedeutung ist nicht nur die Größe der Anlage, sondern etwa auch das Material, aus dem sie besteht und ihre Zweckbestimmung (BayVGH, B.v. 12.11.2001 - 2 ZB 99.3484 - juris Rn. 11).
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Ausgehend davon geht von den Holzpfählen keine gebäudeähnliche Wirkung aus. Dabei handelt es sich um eine aus mehreren, in deutlichem Abstand voneinander stehenden Holzpfählen errichtete Befestigung. Sie weist keine gebäudetypischen Eigenschaften auf, ist nicht massiv, verrückbar und vollständig licht- und luftdurchlässig. Sie bezweckt ferner nicht die Verringerung der Einsichtsmöglichkeit auf das Grundstück der Beigeladenen, sondern allenfalls die Markierung der Grundstücksgrenze. Der Hauptzweck der Vorschrift des Art. 6 BayBO, ausreichende Belichtung und Belüftung der Nachbargrundstücke sicherzustellen (König in Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 4. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 2), wird nicht beeinträchtigt, zumal die von der Antragstellerpartei vorgelegten Fotos, die in den Akten befindlichen Lagepläne sowie die Karten des Programms „BayernAtlas“ nahelegen, dass das Gebäude der Antragstellerin möglicherweise seinerseits unter Verstoß gegen die Vorschriften des Abstandsflächenrechts errichtet wurde, weshalb ihr ein Berufen auf die Nichteinhaltung der Abstandsflächen nach Treu und Glauben ohnehin verwehrt sein könnte.
48
Sofern die Antragstellerin die Nichteinhaltung des Grenzabstands durch die nicht abstandsflächenrechtlich relevanten Pfähle beanstandet, kann sie zudem auf den Zivilrechtsweg und die dortige Geltendmachung von Ansprüchen, etwa nach dem AGBGB bezüglich der Bepflanzung, verwiesen werden.
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c) Die Holzpfähle verstoßen ferner nicht gegen das im Außenbereich in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme.
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Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kann etwa in Betracht kommen, wenn durch die Anlage das Wohngebäude des Nachbarn „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von der konkreten Situation im Einzelfall ab. Eine erdrückende Wirkung auf das Nachbargrundstück kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 - 4 C 1/78 - juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 - 4 C 34.85 - juris Rn. 15: Drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen).
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Unabhängig davon, ob es sich bei den Holzpfählen überhaupt um eine bauliche Anlage i.S.v. § 29 Abs. 1 BauGB handelt, von der eine erdrückende Wirkung ausgehen kann, ist es fernliegend, dass sie tatsächlich eine derartige erdrückende Wirkung auf das Grundstück der Antragstellerin hervorrufen. Insoweit wird auf die vorgelegten Fotos (Anlage A 13) verwiesen.
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3. Schließlich ist auch der Antrag in Ziffer 3. mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs unbegründet, § 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO.
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Der Antragstellerin steht kein Anspruch auf Anordnung des Rückschnitts der an den Holzpfählen befindlichen Rosenhecken, Brombeerstauden und Zypressengewächse in regelmäßigen Abständen von längstens 3 Monaten zu, soweit sie in die in westöstlicher Richtung verlaufende Fahr straße hineinragen und die Ausübung des dinglichen Geh- und Fahrrechts der Antragstellerin behindern.
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Durch die Holzpfähle wird die Antragstellerin bereits nicht in ihren öffentlich-rechtlichen, nachbarschützenden Rechten verletzt, s.o. Selbiges gilt für die dort befindlichen Gewächse. Ferner haben die Antragstellerin und die Beigeladenen nach den Angaben des Bevollmächtigten der Antragstellerin im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens bereits eine Regelung zum Zurückschneiden des Überwuchses der Bepflanzung auf den Holzpfählen getroffen. Danach sei ab 2020 jährlich bis spätestens 30. April ein Zurückschneiden der Pflanzen durchzuführen. Damit ist die Ausübung des Geh- und Fahrtrechts der Antragstellerin hinreichend zivilrechtlich gesichert. Auch insoweit kann sie folglich auf den Zivilrechtsweg und die Geltendmachung von Ansprüchen nach dem AGBGB, etwa Art. 47 Abs. 1 AGBGB, der als Minus zum Beseitigungsanspruch auch einen Anspruch auf Rückschnitt beinhaltet (Lüke in Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, 3. Aufl. 2020, Rn. 351a), verwiesen werden. Jedenfalls stellt diese Möglichkeit, Ansprüche vor den Zivilgerichten geltend zu machen, im Rahmen des Ermessens einen beachtlichen Gesichtspunkt dar (BVerwG, B.v. 10.12.1997 - 4 B 204/97 - juris Rn. 2), der einem Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten hier entgegensteht.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entsprach der Billigkeit, dass die Antragstellerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt, da diese einen Antrag stellten und sich somit einem Prozessrisiko aussetzten.
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5. Die Streitwertfestsetzung für die in Antragshäufung erhobenen Anträge beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 9.7.1, 1.5, 1.1.1 des Streitwertkatalogs. Es erscheint angemessen, den für eine Hauptsache anzunehmenden Streitwert von EUR 7.500,00 je Antrag - mithin insgesamt EUR 22.500,00 - im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.