Inhalt

VG München, Beschluss v. 18.03.2022 – M 9 SN 21.1088
Titel:

Erfolgloser Eilantrag im baurechtlichen Nachbarstreit hinsichtlich einer Baugenehmigung für ein Einfamilienhaus

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a
BauGB § 9
Leitsatz:
Das Gebot der Rücksichtnahme wird nicht verletzt. Dass durch die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Gefahr von Hochwasser für das Grundstück der Antragsteller besteht, erschließt sich nach den örtlichen Begebenheiten hier nicht.  (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fehlende Nachbarschaft bei trennender Straße, Gebot der Rücksichtnahme durch Starkregen nicht verletzt, baurechtlicher Nacharstreit, Einfamilienhaus, kein Gebietserhaltungsanspruch, keine drohende Gebietsveränderung durch Art der Nutzung, keine Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme, Starkregen, Überschwemmungsgefahr, Einbeziehungssatzung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 20639

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die Baugenehmigung, die einem Nachbarn auf der gegenüberliegenden Straßenseite erteilt wurde.
2
Der Antragsteller ist Eigentümer der FlNr. 213/2, die getrennt von der Mühlfeld straße nördlich des Vorhabensgrundstücks FlNr. 123/6 (Valley) liegt. Das Vorhabensgrundstück grenzt südlich an die Straße an und liegt im Bereich der Einbeziehungssatzungsatzung „Unterdarching, Mühlfeld straße“ vom 15. Dezember 2020; das erweiterte Satzungsgebiet gilt für drei Einfamilienhäuser als Neubauten an der Südseite der Mühlfeld straße, Teilfläche der FlNr. 123. Das Grundstück des Klägers ist ebenso wie die anderen an die Mühlfeld straße angrenzenden Grundstücke mit einem Wohnhaus bebaut.
3
Die Beigeladenen beantragten am 20. Oktober 2020 eine Baugenehmigung für ein Einfamilienhaus mit Garage unter Befreiung von der Einbeziehungssatzung für eine Höhe der Oberkante Fußboden von 46 Zentimeter statt der in § 3 Abs. 3 der Satzung vorgesehenen 17 Zentimeter wegen des Gefälles und dem festgesetzten Überschwemmungsgebiet (HQ100), das bis zur westlichen Grundstücksgrenze reiche.
4
Das gemeindliche Einvernehmen und die beantragte Befreiung wurden mit Beschluss vom 1. Dezember 2020 erteilt. Das Vorhaben befinde sich innerhalb der Baugrenzen der Einbeziehungssatzung. Eine Befreiung sei wegen der unterschiedlichen Höhenlage ausgehend von der Straße nötig. Die Baugrundstücke lägen nicht im Überschwemmungsgebiets des Dorfbachs.
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Das Landratsamt erteilte am 8. Februar 2021 die beantragte Baugenehmigung mit der beantragten Befreiung.
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Der Bevollmächtigte des Klägers erhob mit Schriftsatz vom 22. Februar 2021 Klage (M 9 K 21.1087) und beantragte mit Schriftsatz vom 22. Februar 2021 gemäß § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO:
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Die Vollziehung der Baugenehmigung des Landratsamtes vom 8. Februar 2021 ist aufzuheben und die bereits begonnenen Baumaßnahmen sind einzustellen.
8
Die Einbeziehungssatzung sei rechtswidrig, da bereits früher eine Abrundungssatzung erlassen wurde; jetzt sei aus diesem Grund eine Bebauungsplanänderung notwendig, da es sich um eine unzulässige Kettenänderung handele. Das Planungsgebiet sei bei HQ100 bis zu 25 Zentimetern überflutet. Das Wasser fließe dann über die Straße auf das Grundstück des Klägers, da die Oberkante Fußboden des Bauvorhabens um 30 bis 45 Zentimeter höher sei. Das Wohngebiet auf Klägerseite werde durch die Satzung in ein Mischgebiet einbezogen. Das Bauvorhaben füge sich wegen der erhöhten Errichtung der Fußbodenoberkante nicht ein. Bis zum Inkrafttreten der Ergänzungssatzung am 15. Dezember 2020 habe das Baugrundstück noch im Außenbereich gelegen. Insgesamt sei das Bauvorhaben wegen der Erhöhung des Fußbodens und der Überschwemmungsfläche rücksichtslos.
9
Der Antragsgegner beantragte mit Schreiben vom 16. März 2021
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Antragsablehnung.
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Die Einbeziehungssatzung vom 15. Dezember 2021 habe bei Erteilung der Baugenehmigung vorgelegen. Die Erteilung des Einvernehmens durch die Gemeinde sei unabhängig davon notwendig, ob die Satzung damals schon in Kraft war oder es sich um ein Außenbereichsgrundstück gehandelt habe. Der Dorfbach sei 85 Meter entfernt. Das Grundstück der Bauherren läge ebenso wie das Grundstück des Antragstellers außerhalb des festgesetzten Überschwemmungsgebiets HQ100 und HQextrem. Im Hinblick auf die Befreiung sei kein Nachbarschutz erkennbar, da die Festsetzung der Höhenlage nach dem Katalog des § 9 BauGB nur eine städtebauliche Festsetzung sei. Die Höhenlage des Erdgeschossfußbodens habe keine Auswirkungen auf die Wasserverdrängung durch die Baumaßnahme und orientiere sich an der Straßenoberkante. Die Einbeziehungssatzung regle nicht die Gebietszugehörigkeit oder eine Einstufung als Wohngebiet oder Mischgebiet.
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Der Bevollmächtigte nahm zuletzt mit Schriftsatz vom 9. April 2021 Stellung zu vergangenen Hochwasserereignissen in anderen Gebieten Oberbayerns und zu Starkregenereignissen im Gemeindegebiet.
13
Der Termin zur mündlichen Verhandlung des Klage- und des Eilverfahrens wurde wegen Verhinderung des Bevollmächtigten abgesetzt. Eine mündliche Verhandlung des Eilverfahrens ist nach der Sach- und Rechtslage nicht erforderlich und die Verfügung wird aufgehoben. Das hier vorliegende Verfahren wurde lediglich aus organisatorischen Gründen zur Beschleunigung mitgeladen.
14
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte sowie die Akten im Verfahren M 9 K 21.1087 Bezug genommen.
II.
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Der Antrag hat keinen Erfolg.
16
Zugunsten des Antragstellers wird von der Zulässigkeit der Klage und des Antrags nach § 80a i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ausgegangen. Im vorliegenden Fall ist der Antragsteller kein Grundstücksnachbar, da es keine gemeinsame Grundstücksgrenze gibt und das Straßengrundstück dazwischenliegt. Beide Grundstücke liegen nach der Umgebungsbebauung in einem Wohngebiet. Beide Grundstücke liegen nicht in dem festgesetzten Überschwemmungsgebiet HQ 100 und HQ extrem. Sonstige bau- und nachbarrechtlich relevante Umstände sind weder vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich. Unter Berücksichtigung dessen, dass der Kläger ausführlich zu Starkregenereignissen und Überschwemmungssituationen vorgetragen hat, wird zu seinen Gunsten nicht von einer offensichtlichen Unzulässigkeit ausgegangen.
17
Die Klage eines Dritten hat ebenso wie ein Antrag nach § 80 Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO nur Erfolg, wenn gegen drittschützende Vorschriften, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, verstoßen wird. In Betracht kommen hier allenfalls der bauplanungsrechtliche Gebietswahrungsanspruch und das Gebot der Rücksichtnahme.
18
Der Gebietswahrungsanspruch ist nicht verletzt. Der Vortrag, das Wohngrundstück des Antragstellers werde durch die Einbeziehungssatzung in ein Mischgebiet mit einbezogen, trifft nach Aktenlage nicht zu. Auf beiden Seite der Straße stehen Wohnhäuser und die Einbeziehungssatzung gilt ausdrücklich für drei Wohngrundstücke, die mit Einfamilienhäusern bebaut werden sollen. Es besteht damit aufgrund der Art der Nutzung keine drohende Gebietsveränderung, die losgelöst von der Nachbarschaft zu einem Abwehranspruch führen kann. Auf die Wirksamkeit der Einbeziehungssatzung kommt es dafür nicht an, da auch südlich der Mühlfeld straße auf dem Vorhabensgrundstück ein Wohnhaus genehmigt wurde.
19
Das Gebot der Rücksichtnahme. § 15 BauNVO, wird ebenfalls nicht verletzt. Soweit der Antragsteller vortragen lässt, dass durch die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für sein Grundstück die Gefahr von Hochwasser besteht, erschließt sich dies nicht. Beide Grundstücke liegen nach Aktenlage außerhalb des Überschwemmungsgebiets HQ 100 und HQ extrem. Nach den Höhenangaben im Absteckplan vom 17.2.2021 (Blatt 66 Bauakte) liegt die Mühlfeld straße mit 656,72 ü.NN im Westen und 656,57 ü.NN im Osten (südlicher Straßenrand) unwesentlich niedriger als die OK FFB EG des Bauvorhabens mit 656,73 ü.NN sowie des Vorhabensgrundstücks, dass an der Straßenseite eine Höhe von 657,00 ü.NN bis 656,32 ü.NN hat. Dies bedeutet, dass eine Aufschüttung ausgehend vom Niveau der Straße nicht dazu führt, dass der im Westen bestehende Bereich HQ 100 oder HQ extrem in Richtung Osten und in Richtung Norden über die Straße hinaus erweitert wird. Eine Erhöhung des Fussbodens im Erdgeschoß um 30 bis 45 Zentimeter als Folge der Begradigung des Baugrunds führt nicht dazu, dass die Straße und das Grundstück des Klägers durch aufgestautes Wasser überflutet wird, da die Hochwassergrenze des Überschwemmungsgebiets weiter im Westen endet. Es ist nicht ersichtlich, welche Auswirkungen die Höhenlage des Erdgeschossfußbodens auf eine Wasserverdrängung haben sollte, wenn sich wie hier die Höhe an der Straßenoberkante orientiert.
20
Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers sich auf Starkregenereignisse beruft, ist dies nicht schlüssig, da der Regen unabhängig von der Bebauung beide Seiten der Straße betrifft. Nach dem vorgelegten Foto wird die Straße nicht von Süden aus überflutet, sondern der Regen hat die in etwa gleich hohen Grundstücke nördlich und südlich der Straße einschließlich des Straßengrundstücks unter Wasser gesetzt.
21
Soweit die Unwirksamkeit der Einbeziehungssatzung, die Errichtung im Außenbereich, Fehler bei der Einvernehmungserteilung und ein Verstoß das Gebot des Einfügens geltend gemacht wird, handelt es sich dabei nicht um Umstände, die nachbarschützend sind. Es fehlt deshalb an einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
22
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selber tragen, da diese keinen Antrag gestellt haben. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Streitwertkatalog.