Titel:
Kein Anspruch auf Rückabwicklung eines Kaufvertrages wegen Verwendung unzulässiger Abschaltvorrichtungen aus § 823 Abs. 2 BGB
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsatz:
Selbst wenn die Verordnung (EG) 715/2007 dem Schutz der Käufer eines Fahrzeugs vor Verstößen des Herstellers gegen seine Verpflichtung, neue Fahrzeug in Übereinstimmung mit ihrem genehmigten Typ bzw. den für ihren Typ geltenden Rechtsvorschriften in den Verkehr zu bringen, dienen sollte, besagt dies nichts für die Frage, ob damit auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein soll. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckt hat und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hat knüpfen wollen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rückabwicklung, Abschaltvorrichtung, Selbstbestimmungsrecht, Schutzzweck
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 18.02.2022 – 81 O 2461/21 Die
Fundstelle:
BeckRS 2022, 20454
Tenor
1. Der Antrag der Klagepartei auf Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 18.02.2022, Aktenzeichen 81 O 2461/21 Die, wird zurückgewiesen.
3. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags, wenn nicht die Beklagtenpartei zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 45.530,64 € festgesetzt.
Gründe
1
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die die Klagepartei gegen die Beklagte wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend macht.
2
Die Klagepartei hat mit Kaufvertrag vom 29.06.2016 einen Audi A4 Sport Avant 3.0 TDI Quattro mit der Motorkennungsbuchstaben ... als Neufahrzeug zu einem Kaufpreis in Höhe von 61.492,51 € erworben. Das Fahrzeug ist mit einem Motor der Baureihe EA 897 (EURO 6) ausgestattet. Ein amtlicher Rückruf des KBA existiert für diesen Motor nicht.
3
Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
4
Die Klagepartei begehrt in der Hauptsache Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt die Klagepartei ihr erstinstanzliches Klageziel weiter.
5
Die Klagepartei beantragt:
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Schadenersatz i.H.v. 45.530,64 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.08.2021 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs Audi A4 mit der FIN ….
- 2.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs Audi A4 mit der FIN … seit dem 10.08.2021 im Annahmeverzug befindet.
- 3.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei die durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.013,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.08.2021 zu zahlen.
6
Die Beklagte beantragt:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
7
Ergänzend wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 19.05.2022 Bezug genommen werden.
8
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
9
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 19.05.2022 Bezug genommen.
10
Im Hinblick auf das weitere Vorbringen der Klagepartei mit Schriftsatz vom 10.06.2022 ist Folgendes zu bemerken:
1. Ein auf Rückabwicklung des streitgegenständlichen Kaufvertrags gerichteter Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 der Verordnung (EG) 715/2007 kommt weiterhin nicht in Betracht.
Der Bundesgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 72 ff., BGHZ 225, 316; Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 Rn. 10 ff., ZIP 2020, 1715; vgl. auch Beschluss vom 10. Februar 2022 - III ZR 87/21 Rn. 8 ff, juris) davon aus, dass die Rechtslage im Hinblick auf § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV von vornherein eindeutig („acte clair“, vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs 283/81, NJW 1983, 1257, 1258; BVerfG, NVwZ 2015, 52 Rn. 35) ist. Zuletzt hat er dies im Beschluss vom 4. Mai 2022 - VII ZR 656/21 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das den Gegenstand der Schlussanträge des Generalanwalts … vom 02.06.2022 bildende Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Ravensburg ausgesprochen.
Selbst wenn die Verordnung (EG) 715/2007 dem Schutz der Käufer eines Fahrzeugs vor Verstößen des Herstellers gegen seine Verpflichtung, neue Fahrzeug in Übereinstimmung mit ihrem genehmigten Typ bzw. den für ihren Typ geltenden Rechtsvorschriften in den Verkehr zu bringen, diente, besage dies nichts für die Frage, ob damit auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein solle. Es seien keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetz- und Verordnungsgeber mit den genannten Vorschriften (auch) einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Käufer bezweckt habe und an die (auch fahrlässige) Erteilung einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags hätte knüpfen wollen (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2022 - VII ZR 656/21 -, Rn. 3, juris).
2. Die Schlussanträge des Generalanwalts … vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 geben keine Veranlassung, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Schlussanträge den Europäischen Gerichtshof nicht binden. Auch wenn der Europäische Gerichtshof ihnen in der Regel folgt, haben die Schlussanträge keinerlei Außenwirkung.
Darüber hinaus schlägt der Generalanwalt inhaltlich zwar vor, die erste und zweite Vorlagefrage so zu beantworten, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 dahin auszulegen sind, dass sie die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist (IV B. 50 der Schlussanträge vom 02.06.2022). Hinsichtlich der Vorlagefragen 3-6 beschränkt sich der Antrag jedoch auf die Feststellung, dass ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen einen Hersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist. Es sei jedoch Sache der Mitgliedstaaten die Regeln für die Art und Weise der Berechnung des Ersatzes des Schadens, der dem Erwerber entstanden ist, festzulegen, sofern dieser Ersatz in Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes dem erlittenen Schaden angemessen ist (IV C 65 der Schlussanträge vom 02.06.2022). Damit stünde es den Mitgliedstaaten, selbst wenn der Europäische Gerichtshof den Anträgen des Generalanwalts folgen sollte, weiterhin frei, einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages wegen einer Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts zu verneinen. Ein solcher ist aber Gegenstand der vorliegenden Berufung.
3. Vor diesem Hintergrund ist für die beantragte Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO im Hinblick auf das genannte Verfahren C-100/21 kein Raum.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
12
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO, § 711 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.