Titel:
Herkunft aus dem Iran – Konversion zum christlichen Glauben und psychische Erkrankung
Normenketten:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5, § 4, § 28 Abs. 1a
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Es gibt keine Erkenntnisse, wonach allein wegen einer religiösen Betätigung im Ausland oder wegen eines bloß formalen Glaubenswechsels einem zum Christentum übergetretenen iranischen Staatsangehörigen bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine asylrechtlich relevante Verfolgung drohen könnte. (Rn. 26, 32) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine paranoide Schizophrenie ist in Teheran sowohl in psychotherapeutischer als auch in medikamentöser Hinsicht grundsätzlich behandelbar. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylbewerber aus dem Iran, Keine Vorverfolgung durch die iranische Polizei (kein Verfolgungsgrund, im Übrigen unglaubhaft), Kein Nachfluchtgrund wegen Konversion zum christlichen Glauben mangels identitätsprägender Bedeutung, Kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG für an paranoider Schizophrenie erkrankten Kläger, da im Iran ausreichende und zugängliche Behandlungsmöglichkeiten für psychische Erkrankungen existieren, Herkunftsland Iran, Verfolgungsgrund, Repressalien durch iranische Polizei, Konversion zum christlichen Glauben, Nachfluchtgrund, identitätsprägende Bedeutung, psychische Erkrankung, paranoide Schizophrenie, Behandlungsmöglichkeit
Fundstelle:
BeckRS 2022, 20399
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz und weiter hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten in Bezug auf den Iran.
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Der Kläger ist eigenen Angaben nach am … 1987 in … im Iran geboren und iranischer Staatsangehöriger. Für ihn wurde mit Beschluss des Amtsgerichts … vom 23. Juni 2021 (Az. …*) zunächst bis 14. Juni 2024 eine Betreuerin bestellt. Mit Beschluss ebenfalls des Amtsgerichts … vom 29. Juni 2021 (Az. …*) wurde die Unterbringung des Klägers durch seine Betreuerin in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 14. September 2021 genehmigt.
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Eigener Aussage nach verließ der Kläger am 17. Juni 2015 sein Heimatland Iran und reiste über die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn am 23. Juli 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 2. November 2015 einen förmlichen Asylantrag. Im Iran leben noch seine Mutter und zwei Schwestern. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt nach § 25 AsylG am 30. November 2016 gab der Kläger zunächst an, dass er im Iran das Abitur abgelegt und auf Montage bei seinem Bruder …, der Häuser gebaut habe, gearbeitet und monatlich etwa 700.000 Toman, was ca. 250,00 EUR entspreche, verdient habe. Zu seinem Verfolgungsschicksal trug der Kläger vor, dass er am 6. März 2015 fälschlicherweise von der Polizei festgenommen und geschlagen worden sei. Er sei für eine Nacht dortbehalten und am nächsten Tag gefesselt vor das Gericht gestellt worden. Der Richter habe gesagt, dass er auf Kaution wieder frei gelassen werde bis zum Gerichtstermin. Während dieser Sache habe er das Land verlassen. Auf Nachfrage zu den Gründen seiner Festnahme führte der Kläger aus, dass die Polizei behauptet habe, er habe Behörden beleidigt. Er habe aber nichts gemacht. Die Polizei habe ihn so viel geschlagen und er habe trotzdem niemanden beleidigt. Er habe eine schwere Kopfwunde gehabt und heute noch Schmerzen. Schließlich habe er seinen Brüdern wegen der Sache Bescheid gesagt und versucht, ein Visum für Jerusalem zu erhalten, was er aber nicht geschafft habe. Warum er fälschlicherweise beschuldigt worden sei, könne er nicht sagen. Ein Rechtsanwalt hätte ihm nicht helfen können. Politisch sei er selbst nicht aktiv gewesen, jedoch sein Bruder … Dieser habe auch für zwei Jahre im Gefängnis in … gesessen nach der Wahl 2009, anlässlich derer er, der Bruder, auf der Straße demonstriert habe. Davon abgesehen habe es keine Probleme mit staatlichen Behörden gegeben. Zu seinem religiösen Bekenntnis gab der Kläger an, dass er schon im Iran Katholik und seine Mutter Christin gewesen sei. Hier in Deutschland habe er das auch gesagt und der Pastor habe gesagt, es sei alles derselbe Gott und das sei in Ordnung. Daher sei er hier evangelisch getauft worden. In … seien eine Schwester und zwei Brüder seiner Mutter umgebracht worden, da sie Missionare des assyrischen christlichen Glaubens gewesen seien. Daher habe ihm seine Mutter gesagt, dass er sich nicht taufen lassen dürfe. Sie habe ihm auch nicht erlaubt, in die Kirche zu gehen. In Deutschland gehe er regelmäßig in die Kirche und helfe dort. Ein echter Christ sei einer, der den richtigen Weg zum Leben zeige. An Unterschieden zwischen dem katholischen und dem evangelischen Glauben könne er benennen, dass die Katholiken sehr religiös seien und die Evangelischen eher weniger. In seiner Kirche lebe er wie Schwester und Bruder mit den Leuten dort, diese seien sehr nett. In den Iran wolle er nicht zurück, da er dort im Gefängnis landen und seiner Familie schaden würde. In den Akten des Bundesamtes befindet sich zusätzlich eine Taufbescheinigung der Freien evangelischen Gemeinde … für den Kläger mit Taufdatum 5. Juni 2016 und dem Taufspruch „Jesus sagt: Ich versichere euch: Wer an mich glaubt, wird dieselben Dinge tun, die ich getan habe, ja noch größere“ sowie weiterhin eine Bescheinigung dieser Gemeinde vom 29. November 2016, dass der Kläger seit Dezember 2015 regelmäßig donnerstags und sonntags an den Veranstaltungen der Kirchengemeinde teilnehme. Er nehme auch an einem Bibelkreis in Farsi teil. Darüber hinaus habe er an einem dreimonatigen Grundkurs über den christlichen Glauben teilgenommen. Der Kläger besuche die Gemeinde, beteilige sich an den Aktivitäten, kümmere sich um andere Menschen und bekenne seinen christlichen Glauben freimütig. Die Gemeinde habe ihn als Menschen kennengelernt, der mehr über den christlichen Glauben lernen und sein Leben nach christlichen Prinzipien gestalten wolle.
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Mit Bescheid vom 13. März 2017 erkannte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Ziffer 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 4) und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bescheidsbekanntgabe oder im Falle einer Klageerhebung binnen 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, andernfalls er nach Iran abgeschoben würde (Ziffer 5). Schließlich befristete das Bundesamt das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6). Zur Begründung führte das Bundesamt aus, dass sich dem Vorbringen des Klägers selbst bei wohlwollender Beurteilung keine konkrete Handlung entnehmen lasse, die bezwecke, ihn gezielt in einem der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG abschließend aufgeführten Verfolgungsgründe Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu treffen. Zudem stelle die einmalige Verhaftung auch keine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen dar, die erst zum Flüchtlingsschutz führen könnte. Aus seinem Vortrag sei auch nicht ersichtlich, weshalb er fälschlicherweise verhaftet worden sein will. Zudem habe er nach seiner Verhaftung noch einen Monat unter seiner Adresse gelebt und in dieser Zeit seien keine Nachstellungen, Beobachtungen oder anderweitige Kontaktaufnahmen seitens der iranischen Behörden bekannt. Schließlich sei der Kläger auch auf Kaution entlassen worden, was ein Indiz dafür sei, dass er keiner maßgeblichen Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG ausgesetzt sei. Auch hinsichtlich seiner Glaubenszugehörigkeit und der Taufe im Bundesgebiet sei der Asylantrag nicht erfolgreich. Iranische Staatsangehörige seien alleine aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur christlichen Glaubensüberzeugung oder der Manifestation dieser Überzeugung keinen flüchtlingsrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt. Angehörige der Buchreligionen seien keiner Verfolgung ausgesetzt, solange sie den Machtanspruch der Muslime respektieren und keine Missionierung unter ihnen betreiben. Christen seien im öffentlichen Leben zwar Benachteiligungen ausgesetzt und der Eintritt in staatliche Ämter sei ihnen verwehrt. Der Kläger sei schon im Iran Christ gewesen, auch wenn seine Mutter ihm das öffentliche Ausleben des Glaubens untersagt habe. Die Verfolgung, auf die sich die Mutter stütze, beziehe sich auf missionierende Christen.
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Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 20. März 2017 Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach erheben. Zur Begründung führt er aus, dass sich die Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG aus der Tatsache ergebe, dass gegen die Menschenrechte nach Art. 3 EMRK verstoßen worden sei. Der Kläger sei im Iran von der Polizei festgenommen und auf den Kopf geschlagen worden, wobei er eine schwere Kopfwunde erlitten habe. Seither leide er an Vergesslichkeit. Es sei dem Kläger nicht zumutbar gewesen, zur Verteidigung seiner Rechte einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen. Es liege auch ein Verfolgungsgrund nach § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG vor, da der Kläger aufgrund seiner Glaubenszugehörigkeit zum christlichen Glauben verfolgt worden sei. Bei einer Rückkehr in den Iran drohte dem Kläger eine strafrechtliche Verfolgung und staatliche Repressionen. Die Taufe in Deutschland sei aus inneren religiösen, persönlichkeitsprägenden Beweggründen erfolgt. Der regelmäßige Besuch von Veranstaltungen in der Freien evangelischen Gemeinde in … werde durch die vorgelegte Bescheinigung bestätigt. Die Situation des Klägers sei nicht anders als die eines Konvertiten zu beurteilen, da er durch die Taufe öffentlich kundgetan habe, dass er dem christlichen Glauben angehöre.
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Im vorbereitenden Verfahren trug die Klägerseite mit Schriftsätzen vom 16. April 2021 (mit Anlagen), vom 16. August 2021 (mitsamt den Beschlüssen des AG … vom 23.6.2021 zur Bestellung einer gesetzlichen Betreuerin für den Kläger und vom 29.6.2021 bzgl. der Unterbringung des Klägers in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis 14.9.2021, Az. …*), vom 27. August 2021 (mitsamt eines fachärztlichen Gutachtens des Dr. med. … vom 15.6.2021: Diagnose paranoide Schizophrenie, F.20.0 und einer Stellungnahme der Bezirksklinik … vom 9.8.2021), vom 17. September 2021 (mitsamt vorläufigem Entlassungsbericht des Bezirksklinikums vom 23.8.2021 und Betreuerausweis des AG …*) und schließlich vom 29. November 2021 (mitsamt Schreiben der Betreuerin des Klägers vom 25.11.2021 und Schreiben der AOK Bayern vom 5.10.2021 bezüglich der täglichen häuslichen Krankenpflege für den Kläger über die Diakonie insbesondere zur Gewährleistung der Medikamenteneinnahme) eine psychische Erkrankung sowie eine rechtliche Betreuung des Klägers und eine damit einhergehende besondere Hilfs- und Betreuungsbedürftigkeit vor. Auf den Inhalt der einzelnen Schriftsätze mitsamt Anhängen wird verwiesen.
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den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. März 2017 aufzuheben.
- 2.
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die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, hilfsweise den subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen und weiter hilfsweise festzustellen, dass die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung und führt ergänzend aus, dass psychische Erkrankungen im Iran stationär und ambulant behandelt werden könnten. Außerdem habe der Kläger im Iran noch Verwandte, daher sei davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr nicht auf sich allein gestellt wäre, sondern auf die Unterstützung seiner Familie zurückgreifen könnte. Schließlich gehe aus der ärztlichen Stellungnahme vom 9. August 2021 hervor, dass eine weitere beschützte Unterbringung und stationäre Behandlung nicht mehr erforderlich und der Kläger nicht arbeitsunfähig sei.
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In der mündlichen Verhandlung gab der Kläger erstmals an, im Iran nicht Katholik, sondern Moslem gewesen und erst in Deutschland zum Christentum konvertiert zu sein. Nach Auskunft der ebenfalls in der mündlichen Verhandlung anwesenden gesetzlichen Betreuerin sind die bereits in der Gerichtsakte befindlichen medizinischen Gutachten und Atteste aktuell und es liegen keine neueren vor. Der Kläger bekomme zweimal täglich über einen Fahrdienst Medikamente, da er selbst nicht in der Lage sei, diese einzunehmen (Risperidon und Biperiden). Eine ärztliche Behandlung erfolge wegen der Sprachbarriere nicht. Der Kläger gab weiter auf entsprechende Frage des Gerichts an, dass er nicht mehr in der Kirchengemeinde aktiv sei aufgrund seiner Erkrankung. Er könne sich deshalb auch nicht mehr mit dem christlichen Glauben beschäftigen oder in die Kirche gehen. Kontakt mit seiner Mutter im Iran bestehe zweimal pro Woche per Telefon. Die Betreuerin des Klägers gab schließlich an, wie sie diesen erlebe, nämlich als sehr unselbstständig. Er sei nicht in der Lage, Geld selbst einzuteilen. So sei die Sozialhilfe, die am 30. eines Monats komme, meist schon am selben Tag vollständig abgehoben und der Kläger könne keine Angaben zum Verbleib des Geldes machen. Daher drohe ihm auch die Gefahr zu verhungern. Angebote zur Essenversorgung, wie etwa eine Suppenküche, könne er faktisch nicht wahrnehmen, aus Antriebsschwäche oder sonstigen Gründen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene elektronische Akte des Bundesamtes verwiesen. Der Ablauf der mündlichen Verhandlung am 27. Mai 2022 ergibt sich aus der Sitzungsniederschrift.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagte ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
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Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
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Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG und insbesondere nicht auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Auch im Übrigen stößt der angegriffene Bescheid auf keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3a Abs. 3 AsylG muss die Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1, Abs. 2 AsylG an eines der flüchtlingsrelevanten Merkmale anknüpfen, die in § 3b Abs. 1 AsylG näher beschrieben sind, wobei es nach § 3b Abs. 2 AsylG ausreicht, wenn der betreffenden Person das jeweilige Merkmal von ihren Verfolgern zugeschrieben wird. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung vom Staat (§ 3c Nr. 1 AsylG), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG).
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Maßstab für die Beurteilung der Furcht des Klägers vor Verfolgung als begründet im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist das Vorliegen einer tatsächlichen Gefahr („real risk“) der Verfolgung. Erforderlich ist insoweit, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer ange-nommenen Rückkehr Verfolgung droht (BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 33/18 - NVwZ 2020, 161 Rn. 15; BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - NVwZ 2013, 936 Rn. 32; BVerwG, U.v. 22.11.2011 - 10 C 29/10 - NVwZ 2012, 1042 Rn. 23 ff.; BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - NVwZ 2011, 51 Rn. 22). Die Bejahung einer solchen beachtlichen Wahrscheinlichkeit der Verfolgung setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 33/18 - NVwZ 2020, 161 Rn. 15; BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - NVwZ 2013, 936 Rn. 32).
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Diesbezüglich gewährt Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Anerkennungs-RL) eine Beweiserleichterung: Für Vorverfolgte wird vermutet, dass ihre Furcht vor Verfolgung begründet ist. Die Vermutung ist widerleglich. Hierfür sind stichhaltige Gründe erforderlich, die dagegensprechen, dass dem Antragsteller eine erneute derartige Verfolgung droht (BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 33/18 - NVwZ 2020, 161 Rn. 16).
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Das Gericht muss in Asylstreitsachen die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals erlangen (BVerwG, B.v. 29.11.1996 - 9 B 293/96 - juris Rn. 2), wobei allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat angemessen zu berücksichtigen und deshalb den glaubhaften Erklärungen des Asylsuchenden größere Bedeutung beizumessen ist, als dies sonst in der Prozesspraxis bei Parteibekundungen der Fall ist (BVerwG, B.v. 29.11.1996 - 9 B 293/96 - juris Rn. 2 f.). Dem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung kommt eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 109.84 - juris Rn. 16). Der Schutzsuchende hat sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen (VGH BW, U.v. 27.8.2013 - A 12 S 2023/11 - juris Rn. 35; HessVGH, U.v. 4.9.2014 - 8 A 2434/11.A - juris). Er hat die Gründe für seine Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat bzw. Staat des gewöhnlichen Aufenthalts Verfolgung droht (BVerwG, B.v. 26.10.1989 - 9 B 405/89 - juris). Von dem Asylsuchenden kann verlangt werden, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, B.v. 19.3.1991 - 9 B 56/91 - juris). Erhebliche Widersprüche und Unstimmigkeiten im Vorbringen können dem entgegenstehen, es sei denn, diese können überzeugend aufgelöst werden (BVerwG, B.v. 21.7.1989 - 9 B 239/89 - juris, U.v. 23.2.1988 - 9 C 273/86 - juris). An der Glaubhaftmachung fehlt es auch, wenn der Schutzsuchende sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere, wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät ins das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.8.2013 - A 12 S 2023/11 - juris Rn. 35).
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Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes ist das Gericht zum maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) nicht davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr nach Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht.
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a) Der Kläger ist nach Überzeugung des Einzelrichters bereits unverfolgt aus dem Iran ausgereist.
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Aus seinem Vortrag ist schon nicht ersichtlich, dass die Festnahme und Misshandlung durch die iranische Polizei - einmal als wahr unterstellt - gemäß § 3a Abs. 3 AsylG mit einem asylrelevanten Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG verknüpft war, insbesondere nicht mit einer politischen Überzeugung. Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potentiellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Der Kläger hat jedoch vor dem Bundesamt selbst angegeben, nicht politisch aktiv gewesen zu sein und im Übrigen, dass die Polizei anlässlich seiner Festnahme und Misshandlung gesagt habe, er habe Behörden beleidigt. In einer Beleidigung einer Behörde bzw. deren Mitarbeitern liegt jedoch ohne zusätzliche Anhaltspunkte keine Kundgabe einer politischen Überzeugung. Dafür spricht auch, dass der Kläger eigenen Angaben vor dem Bundesamt nach am nächsten Tag auf Kaution bis zum Gerichtstermin wieder freigelassen wurde. Davon abgesehen erscheint der Vortrag der unberechtigten Festnahme und Misshandlung durch die Polizei als potentieller Verfolgungshandlung § 3a Abs. 1, Abs. 2 AsylG zu blass und detailarm und damit unglaubhaft sowie unstimmig im Abgleich mit den übrigen Aussagen. Der Kläger ist nämlich nach der behaupteten willkürlichen Festnahme und Misshandlung am 6. März 2015 noch gut drei Monate im Iran verblieben, gab aber vor dem Bundesamt gleichzeitig an, dass er deswegen das Land verlassen habe. Wenn aber tatsächlich eine wie vom Kläger beschrieben massive Misshandlung durch die Polizei stattgefunden haben soll, wäre zu erwarten gewesen, dass der Kläger früher flieht bzw. innerhalb des Iran einen anderen, sicheren Ort aufsucht. Dazu tritt, dass er in der Zeit zwischen der Festnahme und der Ausreise nicht erneut von den iranischen Sicherheitsbehörden kontaktiert oder gar angegriffen wurde und im Übrigen eigener Aussage nach keine anderweitigen Probleme mit den Behörden gehabt hat. Nach einer Gesamtschau erscheint es dem Einzelrichter daher trotz der Tatsache, dass willkürliche Verhaftungen im Iran durchaus stattfinden (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Länderinformation der Staatendokumentation: Iran, Version 5, Stand 23.5.2022, S. 24) wenig plausibel, dass der Kläger überhaupt, gleichsam wie aus dem Nichts, verhaftet und misshandelt wurde.
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Hinsichtlich der Religion hat der Kläger selbst angegeben, erst in Deutschland konvertiert zu sein bzw. anfangs vor dem Bundesamt, dass er schon im Iran Katholik und seine Mutter Christin gewesen sei. Selbst wenn man letzteres als wahr zugrunde legt, müsste eine Vorverfolgung ausscheiden, da ethnischen Christen im Iran kaum Behinderung oder Verfolgung droht, wenn sie die Ausübung ihres Glaubens ausschließlich auf die Angehörigen der eigenen Gemeinde beschränken (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Iran, Version 5, Stand 23.5.2022, S. 46 ff.). Anderes hat der Kläger für sich selbst nicht vorgetragen, lediglich, dass eine Schwester und zwei Brüder seiner Mutter wegen missionierender Tätigkeit umgebracht worden seien.
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Der Einzelrichter geht nach demnach davon aus, dass der Kläger den Iran unverfolgt verlassen hat und Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU der Anerkennungs-RL keine Anwendung findet.
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b) Der Kläger kann sich hinsichtlich der vorgetragenen Konversion zum Christentum in Deutschland auch nicht gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf einen beachtlichen Nachfluchtgrund berufen. Nach § 28 Abs. 1a AsylG kann die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.
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Gegen eine Konversion zum Christentum als Nachfluchtgrund spricht schon, dass der Kläger im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt angegeben hat, im Iran - wie seine Mutter - katholischer, assyrischer Christ gewesen zu sein, was nur so verstanden werden kann, dass er bereits im Iran ethnischer Christ war. Ausweislich der Auskunftslage ist davon auszugehen, dass den historisch im Iran ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden - insbesondere die armenische, die assyrische und die chaldäische Kirche - eine besondere Stellung zuerkannt wird. Soweit ethnische Christen die Ausübung ihres Glaubens ausschließlich auf die Angehörigen der eigenen Gemeinden beschränken, werden sie kaum behindert oder verfolgt (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Iran, Version 5, Stand 23.5.2022, S. 46; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Iran vom 16.2.2022, S. 9 ff.). Selbst wenn man aber zugunsten des Klägers zugrunde legen würde, dass er - wie erstmals in der mündlichen Verhandlung geäußert - im Iran noch Moslem gewesen und erst in Deutschland zum Christentum konvertiert sei, könnte er diesbezüglich keinen Nachfluchtgrund im Sinne des § 28 Abs. 1a AsylG geltend machen:
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Den Ausländer trifft in Fällen einer Konversion erst im Aufnahmestaat nämlich eine erhebliche Plausibilisierungslast insbesondere mit Blick auf den Anlass und den Verlauf des Konversionsprozesses, die Bedeutung der Religion für das Leben des Betroffenen und dessen Überlegungen für den Fall eines Bekanntwerdens des Glaubenswechsels im sozialen Umfeld und Herkunftsland des Betroffenen (Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 11. Ed. 15.4.2022, § 3b AsylG Rn. 12). Für den Iran kommt es hinsichtlich der Verfolgungsgefahr aufgrund einer Konversion darauf an, ob im Falle einer Rückkehr einer konvertierten Person davon auszugehen ist, dass diese ihren neu aufgenommenen Glauben und die damit verbundene Abkehr vom Islam aktiv im Iran ausüben oder nur erzwungener Maßen, unter dem Druck drohender Verfolgung, auf eine Glaubensbetätigung verzichten wird (BayVGH, U.v. 25.2.2019 - 14 B 17.31462 - juris Rn. 24). Es gibt keine Erkenntnisse dahingehend, dass allein wegen einer bisherigen religiösen Betätigung im Ausland oder in Deutschland oder gar schon wegen eines bloß formalen Glaubenswechsels einem Übergetretenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran eine asylrechtlich relevante Verfolgung drohen könnte - selbst unter dem Recht der Scharia (BayVGH a.a.O. Rn. 25; s.a. BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Iran, Version 5, Stand 23.5.2022, S. 52, zumindest für rückkehrende Konvertiten, die keine Aktivitäten mehr in Bezug auf das Christentum entfalten oder den Behörden vor Ausreise unbekannt waren). Da demnach die Verfolgung aufgrund einer Konversion im Iran nicht ausschließlich an die formale Kirchenzugehörigkeit anknüpft, ist bei der Beurteilung der Schwere einer drohenden Verletzung der Religionsfreiheit des Betroffenen zu prüfen, ob die Verfolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis für diesen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Nachdem bereits der unter dem Druck drohender Verfolgung erzwungene Verzicht auf eine Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG erreichen kann, ist für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund drohender religiöser Verfolgung in diesem Fall maßgeblich, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BayVGH a.a.O. Rn. 26; BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - NVwZ 2015, 1678 Rn. 11 m.w.N.; nachfolgend BVerfG, B.v. 3.4.2020 - 2 BvR 1838/15 - NVwZ 2020, 950 Rn. 26 ff.).
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Diese Voraussetzungen sind in der Person des Klägers jedoch nicht erfüllt. Der Einzelrichter konnte nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Kläger aus ernsthafter, fester Überzeugung im Bundesgebiet zum christlichen Glauben übergetreten ist und dieser eine besondere, identitätsprägende und unverzichtbare Bedeutung für ihn hat.
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Eine ernsthafte Hinwendung des Klägers zum christlichen Glauben lässt sich insbesondere nicht alleine aus dem formalen Akt der Taufe am 5. Juni 2016 in der Freien evangelischen Gemeinde …, der durch eine entsprechende Taufbescheinigung nachgewiesen ist, entnehmen. Diese bestätigt zwar für das Verwaltungsgericht bindend die Wirksamkeit einer nach kirchenrechtlichen Vorschriften vollzogenen Taufe und damit die Mitgliedschaft des Asylbewerbers in der Kirchengemeinschaft. Davon zu trennen ist jedoch - weil es eben keine eigene Angelegenheit der Kirchen oder Religionsgemeinschaften im Sinne des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV darstellt - ob und gegebenenfalls welche Aspekte der Glaubensüberzeugung oder Glaubensbetätigung in einer die Furcht vor Verfolgung begründenden Intensität für die religiöse Identität des Asylbewerbers prägend sind oder nicht (BVerfG, B.v. 3.4.2020 - 2 BvR 1838/15 - NVwZ 2020, 950 Rn. 29 f.; BVerwG, B.v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - juris Rn. 9 ff.).
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Auch den Aussagen des Klägers im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt lässt sich keine identitätsprägende Bedeutung des Christentums für ihn entnehmen. Es handelt sich entweder um nichtssagende Allgemeinplätze wie „Ein echter Christ zeigt den richtigen Weg zum Leben“ und dass er mit Leuten von der Kirche wie Brüder und Schwestern lebe und diese sehr nett seien oder um Aussagen ohne jede theologische Fundierung - „Katholiken sind sehr religiös und die Evangelischen eher weniger“. Daran vermag auch die Bescheinigung des Pastors … der Freien evangelischen Gemeinde … vom 29. November 2016 nichts zu ändern, die dem Kläger seit Dezember 2015 eine regelmäßige Teilnahme an den Veranstaltungen der Kirchengemeinde donnerstags und sonntags sowie einem Bibelkreis in Farsi und einem dreimonatigen Grundkurs über den christlichen Glauben bescheinigt. Weiter kümmere sich der Kläger um andere Menschen und bekenne seinen christlichen Glauben freimütig. Die Gemeinde hätten den Kläger als Menschen kennengelernt, der mehr über den christlichen Glauben lernen und sein Leben nach den christlichen Prinzipien gestalten wolle. Wenn der Kläger tatsächlich seit Dezember 2015 all die beschriebenen Veranstaltungen und Kurse besucht hätte, wäre in der Anhörung vor dem Bundesamt knapp ein Jahr später, am 30. November 2016, zu erwarten gewesen, dass er wenigstens in Ansätzen seine Verwurzelung im Christentum beschreiben kann.
30
Davon einmal abgesehen hat der Kläger in der (letzten) mündlichen Verhandlung, welche den für den Einzelrichter gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AsylG maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt markiert, angegeben, dass er, wenn auch krankheitsbedingt, nicht mehr in seiner Kirchengemeinde aktiv sei und sich wegen der vielen Medikamente nicht mehr mit dem Christentum beschäftigen könne.
31
Nach alldem ist nicht davon auszugehen, dass eine verfolgungsträchtige christliche Glaubensbetätigung für den Kläger nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist.
32
Allein durch die Asylantragstellung und die behauptete Konversion zum Christentum in Deutschland hat der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran keine Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten. Es gibt keine Erkenntnisse dahingehend, dass allein wegen einer bisherigen religiösen Betätigung im Ausland oder in Deutschland oder gar wegen eines bloß formalen Glaubenswechsels zum christlichen Glauben einem Übergetretenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Iran eine asylrechtlich relevante Verfolgung droht (BayVGH, U.v. 25.2.2019 - 14 B 17.31462 - juris Rn. 25; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Iran, Version 5, 3.5.2022, S. 52 f.).
33
Bei der Rückkehr in den Iran kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen, insbesondere zu Kontakten während dieser Zeit. Bislang ist kein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte darüber hinaus staatlichen Repressionen ausgesetzt waren oder im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden (BFA a.a.O, S. 93 f.).
34
e) Nachdem die Gewährung des Flüchtlingsstatus nach § 3 AsylG ausscheidet, kommt auch keine Anerkennung als Asylberechtigter i.S.d. Art. 16 a GG in Betracht.
35
2. Dem Kläger steht unter diesen Umständen auch kein Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG zu. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Hierfür ist angesichts des nicht glaubhaften bzw. unschlüssigen Asylvorbringens nichts ersichtlich. Auch die Nr. 3 des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG ist unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnismittel nicht einschlägig.
36
3. Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
37
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist, was insbesondere bei einem drohenden Verstoß gegen Art. 3 EMRK der Fall ist.
38
Ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK kann sich aus einer medizinischen Notsituation ergeben, wenn der Ausländer schwer erkrankt ist und im Zielstaat eine erhebliche, schnelle und irreversible Verschlechterung des Gesundheitszustandes verbunden mit akuten körperlichen und/oder geistigen Leiden oder einer Verringerung der Lebenserwartung drohen, da dort keine medizinische Versorgung oder Unterstützung durch Familienangehörige verfügbar und zugänglich ist (EGMR, U.v. 13.12.2016 - 41738/10, Paposhvili/Belgien - NVwZ 2017, 1187 Rn. 183 ff. für einen an lymphatischer Leukämie erkrankten Kläger; EGMR, U.v. 2.5.1997 - 30240/96 u.a., D./Vereinigtes Königreich - NVwZ 1998, 161 Rn. 50ff. für einen tödlich an AIDS erkrankten Kläger). Jenseits medizinischer Notsituationen können ausnahmsweise auch schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielland nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ein Abschiebungsverbot rechtfertigen. Denn Art. 3 EMRK kann, so der EGMR, nicht dahin ausgelegt werden, dass er die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen eine Unterkunft oder finanzielle Unterstützung zu gewähren, damit sie einen gewissen Lebensstandard haben (EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien u. Griechenland, 30696/09 - NVwZ 2011, 413 Rn. 249; s.a. BVerwG, B.v. 8.8.2018 - 1 B 25/18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 10). Gleichwohl ist eine Verantwortlichkeit nach Art. 3 EMRK nicht ausgeschlossen, wenn eine vollständig von staatlicher Unterstützung abhängige Person, die behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist (EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien u. Griechenland, 30696/09 - NVwZ 2011, 413 Rn. 253). Zudem muss die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ein Mindestmaß an Schwere erreichen. Dessen Beurteilung ist relativ und hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, etwa der Dauer der erniedrigenden Behandlung, ihren physischen und psychischen Wirkungen, sowie von Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Ausländers (EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien u. Griechenland, 30696/09 - NVwZ 2011, 413 Rn. 219; s.a. EGMR, U.v. 13.12.2015 - Paposhvili/Belgien, 41738/10 - NVwZ 2017, 1187 Rn. 174). Dieser Maßstab ist auch für Abschiebungen in Staaten, die wie Iran nicht zu den Unterzeichnern der EMRK gehören, anzuwenden (EGMR, U.v. 28.6.2011 - Sufi u. Elmi/Vereinigtes Königreich, 8319/07 - NVwZ 2012, 681; instruktiv VG München, U.v. 9.4.2020 - M 6 K 17.32718 - ZAR 2020, 381 m.Anm. Achatz). In örtlicher Hinsicht ist bei der Prüfung einer Verletzung von Art. 3 EMRK grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet, also regelmäßig der Herkunftsregion (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris Ls. 2 und Rn. 26; OVG NW, U.v. 28.8.2019 - 9 A 4590/18.A - juris Rn. 175). Dies ist für den Kläger Teheran, die Hauptstadt des Iran; dort hat er vor der Ausreise gewohnt und insofern ist von einer Rückkehr dorthin auszugehen.
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Für die Beurteilung, ob dem Kläger im Falle einer Abschiebung ein Verstoß gegen die Garantien des Art. 3 EMRK droht, ist erneut der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Erforderlich aber auch ausreichend ist daher die tatsächliche Gefahr („real risk“) einer unmenschlichen Behandlung (BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - NVwZ 2011, 51 - juris Rn. 22). Eine solche droht dem Kläger hier trotz seiner psychischen Erkrankung nicht.
40
Was zunächst die humanitären und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Iran anbelangt, ist ausweislich der vorliegenden Erkenntnismittel zwar von einer angespannten wirtschaftlichen Situation insbesondere in Folge der Sanktionen der USA und des Währungsverfalls auszugehen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Iran, Version 5, 23.5.2022, S. 85 ff.). Gleichwohl gewährleistet der Iran auch für Rückkehrer eine Grundversorgung, zu der neben staatlichen Hilfen auch das islamische Spendensystem beiträgt. Im Übrigen gibt es soziale Absicherungsmechanismen wie Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Spezielle Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind allerdings nicht bekannt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Iran (Stand 23.12.2021), vom 16.2.2022, S. 20). Die medizinische Versorgung ist im Allgemeinen auf ausreichendem Niveau gewährleistet (BFA a.a.O., S. 90 ff.).
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Zwar leidet der Kläger nach Überzeugung des Gerichts, die sich insbesondere auf das fachärztliche Attest des Herrn Dr. med. … vom 15. Juni 2021 sowie die durch das Amtsgericht … mit Beschluss vom 23. Juni 2021 angeordnete Betreuung und die durch das Amtsgericht … genehmigte Unterbringung in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 14. September 2021 stützt, an einer paranoiden Schizophrenie, die mindestens medikamentös behandelt werden muss. Jedoch ist es zum einen so, dass neben der im Allgemeinen ausreichenden medizinischen Versorgung im Iran, die in Teheran in allen Fachdisziplinen sogar auf relativ hohem Niveau gewährleistet ist (BFA a.a.O. S. 91), auch im Speziellen eine paranoide Schizophrenie gerade in der Hauptstadt Teheran behandelbar ist und zwar in psychotherapeutischer, aber auch medikamentöser Hinsicht. In Teheran besteht sowohl die Möglichkeit einer stationären als auch ambulanten Behandlung durch Psychiater sowie sind, wenn auch teils mit Lieferverzögerungen, mehrere Antipsychotika, unter anderem Risperidon, verfügbar (EASO, MedCOI vom 17.7.2021: „The patient suffers from paranoid schizophrenia (F.20.0)“). Das iranische Gesundheitssystem ist laut WHO flächendeckend, 98% aller Iraner haben Zugang zu ärztlicher Versorgung. Die Krankenversicherung erfolgt entweder über den Arbeitsplatz oder eine private Versicherung. Um Beamte und alle Personen, die nicht von einer anderen Versicherungsorganisation berücksichtigt wurden, zu versichern, wurde 1994 die Organisation für die Versicherung medizinischer Dienste gegründet. Daneben kümmern sich Wohltätigkeitsorganisationen, u.a. die Imam Khomeini Stiftung, um nicht versicherte Personen, etwa im Fall von Mittellosigkeit (BFA a.a.O. S. 92). Der Zugang zum Gesundheitssystem unterliegt in der Praxis zwar gewissen Beschränkungen. So sind noch immer sog. out-of-pocket-Zahlungen von eigentlich versicherten Personen üblich und verwendet der Iran interne Referenzpreise für Arzneimittel zur Erstattung. Die Patienten können zwar teurere Arzneimittel kaufen, bekommen aber nur den Referenzpreis erstattet (BFA a.a.O. S. 91 f.). Für den Kläger ist jedoch davon auszugehen, dass er entweder mit Unterstützung seiner noch im Iran lebenden Familienmitglieder, insbesondere der Mutter und zwei Schwestern, oder bei familienübergreifender Mittellosigkeit jedenfalls durch Wohltätigkeitsorganisationen oder Armenstiftungen einen ausreichenden Zugang zum Gesundheitssystem erhalten wird. Schließlich kann die vom Klägerbevollmächtigten als problematisch erachtete Sicherung der tatsächlichen Einnahme der Medikation ebenfalls durch familiäre Unterstützung gewährleistet werden. Insofern droht dem Kläger bei einer Rückkehr in den Iran keine erhebliche, schnelle und irreversible Verschlechterung des Gesundheitszustandes verbunden mit akuten körperlichen und/oder geistigen Leiden oder gar einer Verringerung der Lebenserwartung. In diesem Zusammenhang ist ergänzend anzumerken, dass die Betreuerin des Klägers in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass der Kläger in Deutschland zwar medikamentös behandelt werde, aber eine ärztliche bzw. therapeutische Behandlung aufgrund der Sprachbarriere nicht möglich sei. Angesichts des knapp sieben Jahre währenden Aufenthalts des Klägers in Deutschland und wegen der krankheitsbedingten Einschränkungen ist auch nicht mehr mit dem Erlernen eines für eine therapeutische Behandlung ausreichenden deutschen Sprachniveaus mehr zu rechnen. Insofern ist bei einer Rückkehr in den Iran umgekehrt mit einer Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten zu rechnen, da die Sprachbarriere wegfiele und der Kläger sich ohne weiteres mit einem Arzt oder Therapeuten verständigen könnte.
42
Im Übrigen ist zwar wegen der Erkrankung des Klägers derzeit nicht davon auszugehen, dass dieser im Iran eigenständig durch eine Erwerbstätigkeit sein Existenzminimum erwirtschaften könnte. Gleichwohl droht ihm keine mit der Menschenwürde unvereinbare ernsthafte Armut und Bedürftigkeit, da zum einen mit der Unterstützung durch den im Iran verbliebenen Familienverband zu rechnen ist und zum anderen im Iran soziale Absicherungsmechanismen wie insbesondere das islamische Spendensystem und die Armenstiftungen sowie soziale Einrichtungen wie etwa Behindertenheime existieren. Auch gibt es die Möglichkeit über die Wohlfahrtsorganisation „TAMIN EJTEMAEI“ eine Sozialversicherung zu beantragen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Iran, Version 5, 23.5.2022, S. 89).
43
b) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Zielstaat erwarten - insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage - kann Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beansprucht werden, wenn nämlich der Ausländer bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Rückführungsstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Der erforderliche hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies bedeutet nicht, dass im Fall der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.2018 - 13a B 17.31960 - juris Rn. 60 ff.; BVerwG, U.v. 29.9.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 21 ff.).
44
Unter Berücksichtigung dessen und der aktuellen Erkenntnismittel sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Fall des Klägers nicht gegeben. Insoweit wird auf die Ausführungen unter Punkt 3. a) der Entscheidungsgründe verwiesen. Insbesondere sind hinsichtlich allgemeiner Gefahren im Zielstaat die Anforderungen in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (eine mit hoher Wahrscheinlichkeit drohende Extremgefahr) höher als jene in § 60 Abs. 5 AufenthG (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 - 1 B 42.18 - juris Rn. 13), so dass im Lichte des Nichtvorliegens eines Abschiebungsverbots aus Art. 60 Abs. 5 AufenthG erst recht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nicht gegeben sind (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris).
45
Eine erhebliche konkrete Gefahr kann sich im Übrigen auch aus gesundheitlichen Gründen ergeben, jedoch gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. In diesem Zusammenhang ist es nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG. Angesichts des unter 3.a) zu § 60 Abs. 5 AufenthG Ausgeführten besteht keine wesentliche Verschlechterungsgefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG, da dem Kläger im Iran Behandlungsmöglichkeiten für eine paranoide Schizophrenie prognostisch zur Verfügung stehen und dort auch keine Sprachbarriere besteht.
46
4. Auch die in Ziffer 5 des Bescheides vom 13. März 2017 enthaltene Ausreiseaufforderung mit-samt Abschiebungsandrohung in den Iran begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG liegen vor. Insbesondere ist die Verbindung der ablehnenden Asylentscheidung mit dem Erlass der Abschiebungsandrohung als Rückkehrentscheidung europarechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden (EuGH, U.v. 19.6.2018 - Gnandi, C 181/16 - NVwZ 2018, 1625). Allerdings muss nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Lichte der RL 2008/115/EG (Rückführungs-RL) und der Asylverfahrensrichtlinie (heute RL 2013/32/EU) sowie des Grundsatzes der Nichtzurückweisung und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) durch das nationale Recht gewährleistet sein, „dass alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ausgesetzt werden, dass der Antragsteller während dieses Zeitraums in den Genuss der Rechte aus der RL 2003/9/EG [heute: RL 2013/33/EU] des Rates vom 27.1.2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten kommen kann und dass er sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände berufen kann, die im Hinblick auf die RL 2008/115/EG und insbesondere ihren Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben kann; dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts“ (EuGH, U.v. 19.6.2018 - Gnandi, C 181/16 - NVwZ 2018, 1625 Rn. 67). Dem ist das Bundesamt durch die § 38 Abs. 1 Satz 2 AsylG entsprechende Bedingung, dass im Falle einer Klageerhebung die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens endet, nachgekommen. Die im Übrigen durch den EuGH formulierten Bedingungen sind erfüllt bzw. führt deren Nichtbeachtung nicht zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung (s. VG Ansbach, U.v. 18.8.2020 - AN 17 K 20.30137 - juris Rn. 51 ff.).
47
5. Die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung unterliegt keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Befristung steht im Ermessen der Behörde gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG und wird vom Gericht in zeitlicher Hinsicht nur auf - hier nicht vorliegende - Ermessensfehler hin überprüft (§ 114 Satz 1 VwGO).
48
Die nicht dem heutigen Wortlaut des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, der einen behördlichen Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbots fordert, entsprechende Formulierung der Ziffer 6 im Bescheid vom 13. März 2017 („gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot“) ist insoweit unschädlich. Die nunmehr geforderte Einzelfallentscheidung über die Verhängung eines Einreiseverbots von bestimmter Dauer ist regelmäßig in einer behördlichen Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu sehen (BVerwG, B.v. 13.7.2017 - 1 VR 3.17 - juris Rn. 72; s.a. BVerwG, U.v. 21.8.2018 - 1 C 21/17 - NVwZ 2019, 483 Rn. 25).
49
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.