Titel:
Verpflichtung eines Beamten zur Vorlage qualifizierter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
Normenketten:
BayBG Art. 65 Abs. 2 S. 1, Art. 95
UrlMV § 16 Abs. 2
BayVwVfG Art. 28, Art. 35 S. 1
VwGO § 44a
Leitsätze:
1. Bei der Verpflichtung eines Beamten zur Vorlage von amtsärztlichen Krankschreibungen und der Verpflichtung zur Vorlage von polizeiärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ab dem ersten Krankheitstag handelt es sich mangels unmittelbarer Außenwirkung nicht um Verwaltungsakte. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sowohl das Verlangen der Vorlage eines Attests zu einem früheren als dem in § 16 Abs. 2 S. 1 UrlMV vorgesehenen Zeitpunkt als auch die Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Zeugnisses stehen im Ermessen des Dienstherrn. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Zweifel, die die Weisung zur Beibringung eines amtsärztlichen Zeugnisses ab dem ersten Krankheitstag voraussetzt (§ 16 Abs. 2 S. 2 UrlMV), müssen zwar einerseits nicht gravierend sein, dürfen aber andererseits auch nicht aus der Luft gegriffen, sondern müssen durch konkrete Umstände veranlasst sein. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Grundsätze, die die Rechtsprechung in den Fällen einer Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung nach Art. 65 Abs. 2 S. 1 BayBG entwickelt hat (BVerwG BeckRS 2012, 53130), sind auf die Weisung zur Vorlage (amts-)ärztlicher Atteste im Krankheitsfall nicht übertragbar. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (erfolglos), Dienstliche Weisung, Beibringung eines amtsärztlichen Zeugnisses, Beibringung eines amtsärztlichen Zeugnisses ab dem ersten Krankheitstag, Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, amtsärztliche Untersuchung, Krankheitsfall, erster Krankheitstag, dienstliche Weisungen
Fundstelle:
BeckRS 2022, 20157
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller (geboren 1963) steht als Polizeihauptkommissar (Besoldungsgruppe A 12) in Diensten des Beklagten. Die konkrete Dienstverrichtung erfolgt als Fahndungsgruppenleiter bei der Grenzpolizeiinspektion ... .
2
Der Antragsteller hatte im Kalenderjahr 2018 96 Krankheitstage, im Kalenderjahr 2019 141 Krankheitstage, im Kalenderjahr 2020 91 Krankheitstage und im Kalenderjahr 2021 bis zum … Juli 2021 74 Krankheitstage.
3
Mit Schreiben vom ... Juni 2020 ordnete das Polizeipräsidium ..., aufgrund der weit überdurchschnittlichen Fehlzeiten des Antragstellers, eine polizeiärztliche Begutachtung für den … Juni 2020 an, bei welcher festgestellt wurde, dass der Antragsteller zum Untersuchungszeitpunkt dienstfähig war. Das Ergebnis der polizeiärztlichen Untersuchung wurde dem Antragsteller am … Juli 2020 mitgeteilt.
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Das Polizeipräsidium ... ordnete mit Schreiben vom … Juni 2021 gegenüber dem Antragsteller an, ab sofort anstatt privatärztlichen Krankschreibungen ein amtsärztliches Zeugnis beizubringen.
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Am … Juli 2021 wurde der Antragsteller erneut polizeiärztlich begutachtet. Als Ergebnis der Begutachtung stellte die Amtsärztin fest, dass der Antragsteller - entgegen den privatärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung - für eine Tätigkeit im Innendienst, ohne Führen von Dienstwaffen, zum Untersuchungszeitpunkt dienstfähig war.
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Das Polizeipräsidium ... ordnete mit Schreiben vom ... August 2021 gegenüber dem Antragsteller weiter an, eine polizeiärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits ab dem ersten Krankheitstag vorlegen zu müssen. Dies sei aufgrund der weiterhin signifikant erhöhten Dienstausfallzeiten aus polizeiärztlicher Sicht sinnvoll und notwendig.
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Mit Schreiben vom ... November 2021 forderte die Antragstellerpartei den Antragsgegner auf, die Anordnungen bis zum … November 2021 zurückzunehmen.
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Mit Schriftsatz vom 8. November 2021, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat der Bevollmächtigte des Antragstellers für diesen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München beantragt,
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der Antragsteller wird vorläufig von der Verpflichtung zur Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses anstatt ärztlichen Krankschreibungen aufgrund der Anordnung des Antragsgegners vom … Juni 2021 und von der Verpflichtung zur Vorlage einer polizeiärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Krankheitstag aufgrund der Anordnung des Antragsgegners vom ... August 2021 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens über die Feststellung der Verpflichtung des Antragstellers, die Anordnungen des Antragsgegners zu befolgen, freigestellt.
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Die Anordnung vom … Juni 2021 sei ermessensfehlerhaft und somit rechtswidrig. In der Anordnung vom … Juni 2021 sei bereits zweifelhaft, ob ein Hinweis auf überdurchschnittlich hohe Krankheitszeiten generell ausreichend sei, um Zweifel an der Dienstunfähigkeit des Antragstellers zu begründen. Der Antragsgegner habe sich in keiner Weise mit den privatärztlichen Bescheinigungen des Antragstellers auseinandergesetzt. Insbesondere würde die Anordnung nicht erkennen lassen, aus welchen Gründen der Antragsgegner Zweifel an der Richtigkeit der privatärztlichen Krankschreibungen habe. Auch eine Anhörung des Antragstellers vor Erlass der verfahrensgegenständlichen Anordnungen sei nicht erfolgt. Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner die ihm bekannten Umstände ausreichend gewürdigt habe und bei seiner Ermessensentscheidung berücksichtigt habe.
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Auch die Anordnung vom ... August 2021 sei ermessensfehlerhaft und somit rechtswidrig. Der Antragsgegner habe keine eigenen Ermessenserwägungen angestellt, sondern habe vielmehr die polizeiärztliche Einschätzung vom … Juli 2021 übernommen. Die Anordnung vom ... August 2021 würde keine Ausführung zur Notwendigkeit der getroffenen Anordnung enthalten. Auch das aufgrund der amtsärztlichen Untersuchung vom … Juli 2021 erstellte Gesundheitszeugnis sei widersprüchlich. Zum einen setze es sich nicht mit den privatärztlich getroffenen Feststellungen, die dem Antragsteller eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigen, auseinander. Zum anderen sei es in sich widersprüchlich, da der Antragsteller für dienstfähig befunden werde, andererseits aber eine stationäre psychiatrische Behandlung des Antragstellers für angezeigt gehalten werde, um so seine Dienstfähigkeit wiederherzustellen.
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Auch ein Anordnungsgrund sei gegeben, da dem Antragsteller nicht zuzumuten sei, bei jeder krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit ein amtsärztliches Zeugnis am ersten Tag beizubringen, da dies im Vergleich zur Beschaffung eines privatärztlichen Attestes einen höheren Aufwand für den Antragsteller bedeuten würde. Zudem würde die Gefahr bestehen, dass der Antragsteller, zu Vermeidung von disziplinarrechtlichen Folgen, für die Dauer des Hauptsacheverfahrens auf Kosten seiner Rest-Gesundheit Dienst leiste.
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Das Polizeipräsidium ... hat für den Antragsgegner mit Schriftsatz vom 26. November 2021 beantragt,
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die Anträge abzuweisen.
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Die Anträge seien bereits unzulässig, da eine Vorwegnahme der Hauptsache vorliegen würde, da das Ziel des vorläufigen Rechtsschutzes identisch mit dem Ziel der Hauptsacheklage sei. Darüber hinaus seien die Anträge unbegründet. Es sei kein Anordnungsgrund ersichtlich, da die Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses bereits ab dem ersten Krankheitstag keinen deutlich erhöhten Mehraufwand für den Antragsteller darstellen würde. Sowohl die Örtlichkeiten für die polizeilichen Untersuchungen, als auch die Praxis des Privatarztes des Antragstellers würden sich in M. befinden. Bei divergierenden privat- und amtsärztlichen Gutachten zur Frage der Dienstfähigkeit eines Beamten würde der medizinischen Beurteilung eines Amtsarztes wegen dessen dienstrechtlicher Stellung und seiner besonderen Kenntnis der Belange der öffentlichen Verwaltung gegenüber privatärztlichen Bescheinigungen Vorrang zukommen. Auch würden die materiell rechtlichen Voraussetzungen zur Vorlagepflicht amtsärztlicher Zeugnisse ab dem ersten Krankheitstag vorliegen, sodass auch ein Anordnungsanspruch nicht gegeben sei. In die Ermessensentscheidung seien die seit mehreren Jahren überdurchschnittlich häufigen Krankheitstage mit einbezogen worden. Zudem sei auf das Gesundheitszeugnis vom … Juli 2021 verwiesen worden.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
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1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts der Antragspartei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung - vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen - notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, das heißt ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtschutzes in Form der Gefährdung eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch voraus, das heißt die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Die Antragspartei hat die hierzu notwendigen Tatsachen glaubhaft zu machen.
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2. Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist statthaft. Denn weder bei der Verpflichtung zur Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses anstatt privatärztlichen Krankschreibungen aufgrund der Anordnung des Antragsgegners vom … Juni 2021 noch bei der Verpflichtung zur Vorlage einer polizeiärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Krankheitstag aufgrund der Anordnung des Antragsgegners vom ... August 2021 handelt es sich um Verwaltungsakte im Sinne des Art. 35 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG).
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Bei den Anordnungen handelt es sich um dienstliche Weisungen ohne unmittelbare rechtliche Außenwirkung (BVerwG, B.v. 19.6.2000 - 1 DB 13/00 - juris Rn. 25; BayVGH, B.v. 22.4.2005 - 15 CS 05.806 - juris Rn. 13; VG Augsburg, U.v. 1.2.2006 - Au 2 K 04.716 - juris Rn. 13; VG Bayreuth, B.v. 13.3.2015 - B 5 E 15.35 - juris Rn. 23; VG München, B.v. 10.8.2016 - M 5 E 16.2120 - juris Rn. 21; B.v. 29.11.2019 - M 5 E 19.3624 - juris Rn. 38; a.A. Baßlsperger in: Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: September 2021, Art. 95 BayBG, Rn. 33; VG Düsseldorf, B.v. 15.7.2014 - 2 L 951/14 - juris Rn. 5; VG Aachen, B.v. 24.2.2016 - 1 L 70/16 - juris Rn. 5).
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3. Der Antrag ist auch sonst zulässig.
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Insbesondere ist auf solch dienstliche Weisungen die neue Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der eine Untersuchungsanordnung zur Feststellung der Dienstfähigkeit eines Beamten im Rahmen eines Zurruhesetzungsverfahrens als behördliche Verfahrenshandlung gem. § 44a VwGO nicht isoliert gerichtlich angreifbar ist (B.v. 14.3.2019 - 2 VR 5/18 - juris Rn. 16 ff.), nicht anwendbar. Denn sie ergeht nicht als ein Schritt in einem gestuften Verfahren, sondern hat für sich eigenständige Bedeutung. Sie ist gegenüber einer Untersuchungsanordnung ein „aliud“ (VG München, B.v. 29.11.2019 - M 5 E 19.3624 - juris Rn. 44).
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Eine der Zulässigkeit des Eilantrags entgegenstehende Vorwegnahme der Hauptsache liegt nicht vor. Die begehrte vorläufige Entscheidung kommt faktisch nicht einer endgültigen Entscheidung gleich. Die vorläufige Aussetzung einer belastenden Maßnahme - wie sie vorliegend begehrt wird - kann bei entsprechendem Ausgang des Hauptsacheverfahrens wieder in Geltung gesetzt werden. Die bloße Tatsache, dass die vorübergehende Aussetzung als solche nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, macht die vorläufige Regelung in einem solchen Fall nicht zu einer faktisch endgültigen (vgl. zum Ganzen: BVerfG, B.v. 31.3.2003 - 2 BvR 1779/02 - NVwZ 2003, 1112, juris Rn. 4).
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4. Der zulässige Antrag ist jedoch unbegründet.
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a) Der Antragsteller hat bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, weil die streitgegenständlichen dienstlichen Weisungen voraussichtlich rechtmäßig ergangen sind.
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aa) Rechtsgrundlagen für die Anordnung, bei einem krankheitsbedingten Fernbleiben vom Dienst bereits ab dem ersten Krankheitstag ein die Dienstunfähigkeit bestätigendes amtsärztliches Zeugnis beizubringen, sind Art. 95 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) und § 16 Bayerische Urlaubs- und Mutterschutzverordnung (UrlMV). Nach Art. 95 Abs. 1 Satz 2 BayBG ist eine Dienstunfähigkeit wegen Krankheit auf Verlangen nachzuweisen. Sind Beamte mehr als drei Kalendertage dienstunfähig erkrankt, ist spätestens am darauffolgenden Arbeitstag ein ärztliches Zeugnis vorzulegen, wenn die Dienstunfähigkeit fortbesteht (§ 16 Abs. 2 Satz 1 UrlMV). Der Dienstvorgesetzte kann die Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses auch früher verlangen oder die Beibringung eines amtsärztlichen Zeugnisses anordnen, § 16 Abs. 2 Satz 2 UrlMV. Sowohl das Verlangen der Vorlage eines Attests zu einem früheren Zeitpunkt als auch die Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Zeugnisses stehen im Ermessen des Dienstherrn (Baßlsperger, a.a.O., Art. 95 BayBG Rn. 33).
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bb) Tatbestandlich setzt die Weisung zur Beibringung eines amtsärztlichen Zeugnisses ab dem ersten Krankheitstag voraus, dass der Beamte nach eigener Einschätzung infolge Krankheit dienstunfähig ist und dass der Dienstherr Zweifel an dieser (Selbst-) Einschätzung hat. Die Anordnung der Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses nach § 16 Abs. 2 Satz 2 UrlMV wurzelt in der Gehorsams- und Treuepflicht des Beamten. Sie setzt voraus, dass Tatsachen vorliegen, die zu Zweifeln an privatärztlichen Gutachten Anlass geben, wobei diese nicht sehr gravierend sein müssen (VG Bayreuth, B.v. 13.3.2015 - B 5 E 15.35 - juris Rn. 30). Diese Zweifel dürfen nicht aus der Luft gegriffen, sondern müssen durch konkrete Umstände veranlasst sein (BVerwG, B.v. 23.3.2006 - 2 A 12/04 - juris Rn. 3; B.v. 28.5.1984 - 2 B 205.82 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.7.2008 - 3 ZB 07.2138 - juris Rn. 4; VG München, B.v. 10.8.2016 - M 5 E 16.2120 - juris Rn. 23).
28
Ein Widerspruch zwischen amtsärztlichen Feststellungen und privatärztlichen Bescheinigungen kann ausreichend Anlass sein, an einer privatärztlich bescheinigten Dienstunfähigkeit zu zweifeln und einen Nachweis in entsprechender Form zu fordern (vgl. BVerwG, B.v. 23.3.2006 - 2 A 12/04 - juris Rn. 3). Daneben liegen konkrete Umstände, die die oben dargestellten Zweifel begründen können, in der Regel bereits bei einer überdurchschnittlichen Erkrankungshäufigkeit oder ein Erkranken zu bestimmten Konstellationen nach dem Kalender vor (vgl. Baßlsperger, a.a.O., Art. 95 BayBG Rn. 32 f).
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cc) Solche Weisungen liegen hier vor. Der Antragsteller wurde mit Schreiben vom … Juni 2021 und vom … August 2021 angewiesen, ab dem ersten Tag des Eintretens einer zur Dienstunfähigkeit führenden Erkrankung ein amtsärztliches Zeugnis beizubringen. Damit liegen zwei Weisungen vor, die auch entsprechend der Antragsschrift selbständig benannt und zu überprüfen sind.
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(1) Beide Anordnungen sind in formaler Hinsicht rechtmäßig.
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Hinsichtlich des gerügten Anhörungserfordernisses ist festzustellen, dass mangels Verwaltungsaktqualität der Maßnahme Art. 28 BayVwVfG nicht unmittelbar anzuwenden ist. Bei anderen Formen des schlichten Verwaltungshandelns kann eine Anhörung jedoch ggf. verfassungsrechtlich geboten sein. Voraussetzung ist jedoch, dass eine solche Maßnahme in vergleichbarer Weise wie ein Verwaltungsakt unmittelbar in den Rechtskreis der Betroffenen einzugreifen droht. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gebietet in diesen Fällen eine Anhörung. Für den Fall der Umsetzung eines Beamten hat dies die Rechtsprechung angenommen (ThürOVG, B.v. 5.12.1996 - 2 EO 426/95 - ThürVBl 1997, 133, juris).
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Ob eine Anordnung zur Vorlagepflicht einer polizeiärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Krankheitstag ähnlich tiefgreifend in den Rechtskreis des Beamten eingreift und sich aus der Fürsorgepflicht eine Anhörungspflicht des Dienstherrn ergibt, kann dahingestellt bleiben, da jedenfalls eine möglicherweise bestehende Anhörungspflicht in entsprechender Anwendung des Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG nachgeholt wurde.
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Nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die einen Verwaltungsakt nicht nach Art. 44 BayVwVfG nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Nach Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG ist die Nachholung im Verwaltungsverfahren sowie bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich.
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Die nachzuholende Anhörung besteht darin, dass dem Beteiligten Gelegenheit gegeben wird, sich zu den für die Entscheidung wesentlichen Tatsachen zu äußern. Mit Schreiben vom ... November 2021 hat das Polizeipräsidium … die Antragstellerpartei, auf deren Schreiben vom ... November 2021 hin, gebeten, auszuführen, warum die Anordnungen aus Sicht der Antragstellerpartei nicht den rechtlichen Vorgaben entsprächen. Bereits am … September 2021 (Bl. 29 der Behördenakte) hat die Antragstellerpartei darauf hingewiesen, dass beide Weisungen nach ihrer Auffassung nicht den rechtlichen Vorgaben entsprechen würden. Die Antragstellerpartei hat somit Gelegenheit bekommen, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, sodass eine möglicherweise erforderliche Anhörung jedenfalls nachgeholt wurde.
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(2) Die Weisungen entsprechen auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen. Der Antragsgegner durfte nach den vorliegenden amtsärztlichen Gesundheitszeugnissen und der Anzahl der krankheitsbedingten Fehltage des Antragstellers berechtigte Zweifel an der - auf privatärztliche Atteste gestützten - (Selbst-) Einschätzung des Antragstellers hinsichtlich dessen Dienstunfähigkeit haben.
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Im Rahmen der polizeiärztlichen Begutachtung vom … Juni 2020 wurde festgestellt, dass der Antragsteller zum Untersuchungszeitpunkt dienstfähig war. Im Zeitraum nach der Begutachtung vom … Juni 2020 bis zum … Juli 2021 hatte der Antragsteller 108 Krankheitsfehltage auf Grund von privatärztlichen Krankschreibungen. Diese überdurchschnittliche Erkrankungshäufigkeit gibt bereits ausreichend Anlass dafür, dass der Dienstherr Zweifel an der (Selbst-) Einschätzung des Antragstellers hinsichtlich dessen Dienst(un) fähigkeit hat. Diese Zweifel sind nicht „aus der Luft gegriffen“, sondern durch die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Antragstellers untermauert.
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Daneben besteht ein offensichtlicher Widerspruch zwischen der amtsärztlichen Bescheinigung der Dienstfähigkeit und den dennoch erfolgten privatärztlichen Krankschreibungen. Dieser Widerspruch zwischen der amtsärztlichen Feststellung vom … Juni 2020 sowie vom … Juli 2021 und den privatärztlichen Bescheinigungen gibt - neben den auf Grund der hohen Fehlzeiten bestehenden Zweifeln - ausreichend Anlass, an einer privatärztlich bescheinigten Dienstunfähigkeit zu zweifeln und einen Nachweis in entsprechender Form zu fordern (vgl. BVerwG, B.v. 23.3.2006 - 2 A 12/04 - juris Rn. 3).
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Auf die Einwände der Antragstellerpartei, dass sich die amtsärztlichen Gutachten nicht mit den privatärztlichen Bescheinigungen des Antragstellers auseinandersetzen und nicht erkennen lassen, aus welchen Gründen Zweifel an der Richtigkeit der privatärztlichen Krankschreibungen herrühren, kommt es vorliegend nicht an. Tatbestandsvoraussetzung für die Anordnung der Weisungen sind lediglich Zweifel und nicht der Beweis des Dienstherrn an der Dienstfähigkeit. Der Dienstherr stützt seine Zweifel in der Anordnung vom … Juni 2020 sowie in der Anordnung vom … Juli 2021 maßgeblich auf die signifikant erhöhten Krankheitsfehlzeiten sowie daneben auf das Auseinanderfallen der amtsärztlichen Gutachten zu den privatärztlichen Gutachten. Einen Vorrang in Form eines erhöhten Beweiswertes der amtsärztlichen Gutachten spricht er in beiden Anordnungen den amtsärztlichen Gutachten gerade nicht zu. Ob den amtsärztlichen Feststellungen vom … Juni 2020 sowie vom … Juli 2021 ein höherer Beweiswert zukommen kann, als den privatärztlichen Bescheinigungen, kann somit dahinstehen. Jedenfalls dürften die Grundsätze, die die Rechtsprechung in den Fällen einer Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung nach Art. 65 Abs. 2 Satz 1 BayBG entwickelt hat (vgl. BVerwG, U.v. 26.4.2012 - 2 C 17/10 - juris), auf die Weisung zur Vorlage (amts-)ärztlicher Atteste im Krankheitsfall wohl nicht direkt übertragbar sein. Die weitgehenden, besonderen Anforderungen begründen sich mit den dem Beamten drohenden erheblichen Nachteilen, da er im Falle dauernder Dienstunfähigkeit durch den Dienstherrn in den Ruhestand versetzt werden kann. Dem steht gegenüber, dass dem Beamten bei der vorliegend streitgegenständlichen Weisung keine derart schwerwiegenden Nachteile drohen (vgl. VG München, B.v. 10.8.2016 - M 5 E 16.2120 - juris Rn. 27).
39
Es wurden zudem keine durchgreifenden Bedenken gegen die Qualifikation der Amtsärztin vorgetragen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Amtsärztin von einer unzutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen wäre. Sie bewertet diese lediglich anders als die privatärztlichen Gutachten.
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(3) Als Ermessensentscheidung sind die Weisungen entsprechend § 114 Satz 1 VwGO durch das Gericht nur eingeschränkt auf Ermessensfehler hin überprüfbar, welche vorliegend nicht ersichtlich sind. Ob die Behörde tatsächlich einen bestehenden Ermessensspielraum verkannt hat, muss anhand einer Auslegung ihrer Bescheide ermittelt werden (Rennert in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 18). Auch wenn die Behörde in ihrer Begründung keine Ermessenserwägungen mitgeteilt oder angegeben hat, kann sich aus dem Gesamtzusammenhang dennoch ergeben, dass sie eine Ermessensentscheidung getroffen und welche Ermessenserwägungen sie angestellt hat (BVerwG, B.v. 15.1.1988 - 7 B 182/87 - NVwZ 1988, 525, juris).
41
Der Dienstherr ging - wie oben dargestellt - sowohl bei der Weisung vom … Juni 2021 als auch bei der Weisung vom ... August 2021 von einem zutreffenden Sachverhalt aus.
42
Der Dienstherr hat die Weisung vom … Juni 2021 unter Darstellung seiner Zweifel hinsichtlich der Divergenz der 108 Krankheitstage, die seit der letzten amtsärztlichen Untersuchung am … Juni 2020 aufgetreten sind, und der amtsärztlich festgestellten Dienstfähigkeit, dargestellt, ohne den amtsärztlichen Gutachten einen Vorrang im Beweiswert einzuräumen.
43
Auch die Weisung vom … August 2021 ist ermessensfehlerfrei ergangen. Der Dienstherr stellt dar, dass die signifikant erhöhten Dienstausfallzeiten aus polizeiärztlicher Sicht nicht nachvollzogen werden können. Weiter wurde ausgeführt, dass bei einer amtsärztlichen Untersuchung am … Juli 2021 festgestellt wurde, dass die derzeitigen privatärztlichen Krankschreibungen nicht mitgetragen werden und der Antragsteller zum Untersuchungszeitpunkt dienstfähig für eine Tätigkeit im Innendienst ohne Führen von Dienstwaffen war. Ein Vorrang im Beweiswert hat der Dienstherr der amtsärztlichen Untersuchung auch hier nicht eingeräumt.
44
Es ist rechtlich nichts dagegen zu erinnern, dass der Antragsgegner seine Ermessenserwägungen und die Frage der Notwendigkeit der Anordnung auf die polizeiärztliche Einschätzung vom … Juli 2021 stützt und die polizeiärztliche Einschätzung übernommen hat.
45
Entgegen der Auffassung der Antragstellerpartei ist es nicht widersprüchlich, wenn der Antragsgegner im Schreiben vom ... August 2021 ausführt, dass ein Fernbleiben vom Dienst nur akzeptiert werde, wenn unverzüglich eine stationäre Behandlung begonnen werde, um auf diese Weise die Dienstfähigkeit schnellstmöglich wiederherzustellen, da dies in Zusammenhang mit den ebenfalls im Schreiben vom ... August 2021 getroffenen Feststellungen zu lesen ist, dass zwar eine Dienstfähigkeit festgestellt wurde, jedoch mit der Einschränkung auf den Innendienst ohne Führen von Dienstwaffen. Die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit ist somit auf die volle Dienstfähigkeit, ohne die Einschränkungen auf den Innendienst sowie das Führen von Dienstwaffen in Bezug zu setzen.
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c) Auch eine dem Verwaltungsgericht im Rahmen einer Entscheidung nach § 123 Abs. 1 VwGO zustehende Interessenabwägung fällt vorliegend nicht zu Gunsten des Antragstellers aus. Die Weisungen zur Beibringung eines amtsärztlichen Zeugnisses ab dem ersten Krankheitstag bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache nachzukommen, stellen keine für den Antragsteller unzumutbaren Belastungen dar, insbesondere da sich sowohl die privatärztliche als auch die amtsärztliche Praxis in München befinden.
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5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
48
6. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG), wobei im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nur die Hälfte des Wertes eines Hauptsacheverfahrens festzusetzen ist. Vorliegend allerdings gesondert für jede der beiden angegriffenen Anordnungen.