Inhalt

VG München, Beschluss v. 24.06.2022 – M 24 S 22.2328
Titel:

Erfolgloser Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz in einem ausländerrechtlichen Verfahren im Hinblick auf eine begehrte Ausbildungsduldung zum Zwecke der Aufnahme einer Ausbildung als Fachkraft im Gastgewerbe

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 88, § 123 Abs. 1
AufenthG § 60c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2, Nr. 5
Leitsatz:
Es ist Voraussetzung für die Erteilung der Ausbildungsduldung, dass der Ausländer bei Antragstellung in Besitz einer Duldung ist. Zwar ist nicht erforderlich, dass der Ausländer in Besitz einer Duldungsbescheinigung ist, auch ein materieller Duldungsanspruch aufgrund des Vorliegens eines tatsächlichen oder rechtlichen Abschiebungshindernisses wird regelmäßig ausreichend sein, um etwa Verzögerungen und Versäumnisse seitens der Behörden bei der Erteilung von Duldungen nicht zu Lasten der betroffenen Person gehen zu lassen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausbildungsduldung, Anordnung des Sofortvollzugs der Ablehnung, Einstweiliger Rechtsschutz, Statthafte Antragsart, Umdeutung, Besitz einer Duldung, Vorduldungszeiten, Vergleichbar konkrete Vorbereitungsmaßnahmen zur Abschiebung
Fundstelle:
BeckRS 2022, 20153

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz im Hinblick auf die von ihm beantragte, vom Antragsgegner aber abgelehnte Ausbildungsduldung zum Zwecke der Aufnahme einer Ausbildung als Fachkraft im Gastgewerbe.
2
1. Der Antragsteller ist pakistanischer Staatsangehöriger, geboren am … Er reiste nach eigenen Angaben am … November 2015 ohne Aufenthaltstitel oder Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am ... Juli 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag.
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Das Bundesamt lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 31. März 2017 (Bl. 63ff. der vorgelegten Behördenakte - BA) ab, erkannte Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutzstatus nicht zu und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Dem Antragsteller wurde eine Ausreisefrist von 30 Tagen gesetzt und die Abschiebung angedroht. Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgericht München mit Urteil vom … August 2021 (Az. M 5 K 17.37584, Bl. 156ff. BA) abgewiesen, der Antrag auf Zulassung der Berufung durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom … Oktober 2021 abgelehnt (Az. 6 ZB 21.31514, Bl. 151ff. BA). Bestandskraft des Bescheids des Bundesamts vom … März 2017 trat damit am … Oktober 2021 ein. Nach Ablauf der in dem Bescheid gesetzten Ausreisefrist ist der Antragsteller seit … November 2021 vollziehbar ausreisepflichtig. Seiner Pflicht zur Ausreise ist er bislang nicht nachgekommen.
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Mit Schreiben der zuständigen Ausländerbehörde des Landratsamts … vom … November 2021 (Bl. 169 BA) wurde der Antragsteller über seine Ausreisepflicht, die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung und seine Passpflicht (§ 3 Abs. 1 AufenthG) und die Mitwirkungspflichten nach § 48 AufenthG, § 15 AsylG informiert. Der Antragsteller wurde aufgefordert, bis spätestens ... Dezember 2021 einen Nationalpass vorzulegen oder bei der zuständigen Auslandsvertretung vorzusprechen, um ein gültiges Heimreisedokument zu beantragen. Er wurde zudem aufgefordert, gegebenenfalls Duldungsgründe zu benennen, ein entsprechendes Formular zur Beantragung einer Duldung wurde ihm als Anlage übermittelt. Ebenfalls wurde der Antragsteller darauf hingewiesen, dass mit der Aufenthaltsgestattung auch seine Beschäftigungserlaubnis erloschen sei und neu beantragt werden müsse.
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Am … November 2021 erklärte der damalige Arbeitgeber des Antragstellers telefonisch gegenüber der Ausländerbehörde, der Antragsteller besitze einen Nationalpass und werde diesen vorlegen (Bl. 178 BA). Auch der Antragsteller selbst erklärte am 29. November 2021 im Rahmen eines Termins bei der Ausländerbehörde, in Besitz eines Reisepasses zu sein (Bl. 188f. BA). Eine Duldung wurde von der Ausländerbehörde daher nicht erteilt, sondern ein weiterer Vorsprachetermin für den ... Dezember 2021 vereinbart. Am … November 2021 leitete die Ausländerbehörde zudem bei dem Landesamt für Asyl und Rückführungen ein Verfahren zur Beschaffung von Passersatzpapieren ein (Bl. 184 BA).
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Der Antragsteller teilte am 1. Dezember 2021 telefonisch mit, den pakistanischen Reisepass nicht mehr zu finden (Bl. 192 BA). Mit Schreiben der Ausländerbehörde vom 9. Dezember 2021 wurde der Antragsteller erneut über seine Pass- und Mitwirkungspflichten belehrt. Es erfolgte eine erneute Terminsetzung zur Vorlage des Passes bis 16. Dezember 2021 oder zur Vorsprache bei der Auslandsvertretung und Vorlage eines entsprechenden Nachweises bis spätestens 22. Dezember 2021 (Bl. 197 BA). Am … Dezember 2021 meldete der Antragsteller den Reisepass bei der Polizei als verloren (Bl. 202 BA). Am 14. Dezember 2021 wurde der Antragsteller daraufhin von der Ausländerbehörde aufgefordert, bis zum 22. Dezember 2021 den Nachweis einer Beantragung des NICOP bei der Ausländerbehörde vorzulegen und bis zum gleichen Tag Identitätsdokumente aus dem Heimatland zu beschaffen. Für die Beantragung des Reisepasses wurde eine Frist bis 14. Januar 2022 gesetzt. Erneut wurde der Antragsteller zudem darüber informiert, dass seine Beschäftigungserlaubnis erloschen sei (Bl. 203 BA).
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Am … Dezember 2021 teilte der Antragsteller per E-Mail unter Vorlage der Bestätigungsmail der pakistanischen Behörden mit, einen NICOP beantragt zu haben (Bl. 209 BA). Mit weiterer E-Mail vom 14. Januar 2022 informierte der Antragsteller die Ausländerbehörde, dass er bei den pakistanischen Behörden die Ausstellung eines Reisepasses beantragt habe (Bl. 211 BA).
8
Am … Januar 2022 ließ der Antragsteller durch seine Bevollmächtigte unter Vorlage eines Ausbildungsvertrags mit Ausbildungsbeginn ab ... Februar 2022 und einer Stellenbeschreibung die Erteilung einer Ausbildungsduldung beantragen (Bl. 218ff. BA).
9
Am 3. Februar 2022 erklärte der Antragsteller per E-Mail, er habe den Reisepass wiedergefunden (Bl. 238 BA). Am 8. Februar 2022 wurde der Reisepass sodann bei der Ausländerbehörde vorgelegt (Bl. 275 BA).
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Am 8. März 2022 hörte das Landratsamt den Antragsteller gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG zur beabsichtigten Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Ausbildungsduldung an (Bl. 278 BA). Es wurde eine Frist zur Rückäußerung bis 22. März 2022 gesetzt. Die Rückäußerung erfolgte durch Schreiben der Bevollmächtigten des Antragstellers vom 21. März 2022 (Bl. 283 BA). Auf den Inhalt wird Bezug genommen.
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2. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 19. April 2022 (Bl. 285 BA) lehnte das Landratsamt … „den Antrag vom 9. Mai 2019 auf Erteilung einer Ausbildungsduldung gemäß § 60c Abs. 1 AufenthG zur Berufsausbildung als Koch bei dem Restaurant … … …“ ab (Ziffer 1 des Bescheids). Gemeint war, wie sich aus der Bescheidsbegründung entnehmen lässt insoweit offenbar der Antrag des Antragstellers vom … Januar 2021 hinsichtlich einer Ausbildung als Fachkraft im Gastgewerbe bei der Firma … e.K.. Zudem ordnete die Ausländerbehörde den Sofortvollzug der Ziffer 1 an (Ziffer 2).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Duldung sei zunächst wegen des vorhandenen Reisepasses nicht erteilt und später trotz Übermittlung des Antragsformulars auch nicht beantragt worden. Inzwischen sei mit Vorlage des Reisepasses kein Duldungsgrund mehr gegeben. Der Antragsteller falle daher nicht in den Kreis der Berechtigten für eine Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Zudem werde vermutet, dass er den Reisepass absichtlich nicht vorgelegt habe, um einen Verbleib in Deutschland zu erreichen. Schließlich hätten nach Einleitung des Passersatzpapierbeschaffungsverfahrens am 29. November 2021 die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes des § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. d) AufenthG in Form von vergleichbar konkreten Vorbereitungsmaßnahmen zur Abschiebung vorgelegen, so dass die Ausbildungsduldung zwingend zu versagen sei. Im Hinblick auf die Anordnung des Sofortvollzugs führte das Landratsamt aus, diese sei erforderlich, weil ansonsten in Kauf genommen werden müsse, dass eine Abschiebung erst nach einem ggf. länger andauernden Hauptsacheverfahren durchgeführt werden könne.
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3. Mit Eingang bei Gericht am 26. April 2022 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben mit dem Antrag, den Beklagten unter Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids vom 19. April 2022 zu verpflichten, dem Antragsteller die begehrte Ausbildungsduldung zu erteilen (Az. M 24 K 22.2327). Zudem wurde im vorliegenden Verfahren beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Die Begründung von Klage und Antrag erfolgte am 2. Juni 2022. Die Ausnahmetatbestände des § 60c Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 5 AufenthG seien nicht gegeben. Die ungeklärte Identität sei Versagungsgrund im Sinne des § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG, zugleich sehe das Landratsamt durch die Klärung der Identität der Duldung die Grundlage entzogen. Bei diesem Rechtsverständnis habe der § 60c AufenthG letztlich keinen Anwendungsbereich und es könnte niemals eine Ausbildungsduldung erteilt werden. Der Kläger habe den Pass unmittelbar nach Erhalt bei der Behörde vorgelegt, die Vermutung des Landratsamts, der Pass sei absichtlich verspätet vorgelegt worden, entbehre jeder Grundlage.
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Der Antragsgegner legte die Behördenakten vor und erwiderte mit Schreiben vom 18. Mai 2022. Er beantragt
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den Antrag abzulehnen.
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Eine inhaltliche Begründung erfolgte bislang nicht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten, auch im Verfahren M 24 K 22.2327, und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
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Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
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1. Der Antrag des Antragstellers auf Anordnung bzw. Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung der gleichzeitig eingelegten Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO war entsprechend seinem Rechtsschutzbegehren in einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO umzudeuten (§ 122, § 88 VwGO) und ist als solcher statthaft.
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Der Rechtsschutz im Hinblick auf die Versagung der Ausbildungsduldung - die kein Aufenthaltstitel im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2, § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist - erfolgt zunächst durch die insoweit statthafte und vom Antragsteller auch bei Gericht eingereichte Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO). Der vorläufige Rechtsschutz richtet sich nach § 123 Abs. 1 VwGO (vgl. Bergmann/Dienelt/Dollinger, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 60c Rn. 58). Dies entspricht der Regelung in § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wonach nur Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung entfalten, diese hingegen nicht der Verpflichtungsklage zukommt. Der Rechtsschutzsuchende kommt nicht schon durch die Verpflichtungsklage in den einstweiligen Genuss der versagten Begünstigung. Das Vorgehen gegen den Ablehnungsbescheid bewirkt keine Erweiterung der Rechtsstellung. Die Erweiterung seines Rechtskreises muss der Rechtsschutzsuchende daher grundsätzlich mit einem Eilantrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO verfolgen (SchochKoVwGO/Schoch, 41. EL Juli 2021, VwGO § 80 Rn. 57). Bei Beantragung und Versagung einer Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG liegt auch keine von diesem Grundsatz abweichende Sonderkonstellation vergleichbar der Versagung eines beantragten Aufenthaltstitels vor, mit der zugleich auch eine etwaige Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3, Abs. 4 AufenthG entfällt, so dass Eilrechtsschutz durch Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft wäre. Die Anordnung des Sofortvollzugs durch die Ausländerbehörde war danach mangels aufschiebender Wirkung einer Versagungsgegenklage gegen den Ablehnungsbescheid nicht erforderlich. Für die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers ist vorliegend kein Raum.
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Der Antrag kann aber entsprechend dem Rechtsschutzbegehren des Antragstellers in einen statthaften Antrag nach § 123 VwGO umgedeutet werden (§ 122, § 88 VwGO). Zwar ist der Antrag des anwaltlich vertretenen Antragstellers nach seinem ausdrücklichen Wortlaut kaum auslegungsfähig. In den Blick zu nehmen ist aber unter Heranziehung der Begründung zum einen das konkrete Rechtsschutzziel des Antragstellers, der die begehrte Ausbildung aufnehmen und so auch letztlich eine drohende Abschiebung vermeiden möchte, zum anderen der Umstand, dass der Antragsteller durch die Anordnung des Sofortvollzugs im streitgegenständlichen Bescheid zu dem konkreten Antrag veranlasst wurde. Daher ist aufgrund des Gebots der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG die Umdeutung in einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung veranlasst, mit dem Inhalt der Verpflichtung des Beklagten, dem Antragsteller vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache eine Ausbildungsduldung zu erteilen.
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2. Auch der so umgedeutete Antrag nach § 123 VwGO bleibt jedoch ohne Erfolg.
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2.1. Nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragspartei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat die Antragspartei sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) zu bezeichnen und glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 1 und 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO). Der Antrag kann nur Erfolg haben, wenn und soweit sich sowohl Anordnungsanspruch als auch -grund aufgrund der Bezeichnung und Glaubhaftmachung als überwiegend wahrscheinlich erweisen (BayVGH, B.v. 16.8.2010 - 11 CE 10.262 - juris Rn. 20 m.w.N.). Maßgeblich sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
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2.2. Es kann dies zu Grunde gelegt vorliegend dahingestellt bleiben, ob ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht ist. Denn der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung glaubhaft gemacht.
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2.2.1. Nach § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ist eine Duldung im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen, wenn der Ausländer in Deutschland im Besitz einer Duldung nach § 60a AufenthG ist und eine in § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG genannte Berufsausbildung aufnimmt. Die Ausbildungsduldung kann in Fällen offensichtlichen Missbrauchs versagt werden (§ 60c Abs. 1 Satz 2 AufenthG). § 60c Abs. 2 AufenthG enthält sodann Tatbestände, bei deren Vorliegen die Ausbildungsduldung nicht erteilt werden darf.
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2.2.2. Zwar stellt die angestrebte Ausbildung zur Fachkraft im Gastgewerbe eine Ausbildung im Sinne der Vorschrift dar, die durch die Verordnung über die Berufsbildung im Gastgewerbe vom 13. Februar 1998 staatlich geregelt ist. Der Antragsteller erfüllt aber schon nicht die personellen Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung. Denn er war im Zeitpunkt der Beantragung der Ausbildungsduldung am … Januar 2022 nicht im Besitz einer Duldung.
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Wie aus dem Kontext von § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 AufenthG abzuleiten ist, ist Voraussetzung für die Erteilung der Ausbildungsduldung, dass der Ausländer bei Antragstellung in Besitz einer Duldung ist. Nicht ausreichend ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut hingegen die bloße Ausreisepflicht, hier aufgrund des bestandskräftigen negativen Abschlusses des Asylverfahrens zum 20. Oktober 2021, ohne dass zugleich Duldungsgründe bestünden (unklar insoweit Breidenbach in: BeckOK AuslR, 33. Ed., Stand 1.7.2021, § 60c AufenthG, Rn 5f.). Zwar ist nicht erforderlich, dass der Ausländer in Besitz einer Duldungsbescheinigung ist, auch ein materieller Duldungsanspruch aufgrund des Vorliegens eines tatsächlichen oder rechtlichen Abschiebungshindernisses (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) wird regelmäßig ausreichend sein, um etwa Verzögerungen und Versäumnisse seitens der Behörden bei der Erteilung von Duldungen nicht zu Lasten der betroffenen Person gehen zu lassen. Die Duldungsbescheinigung kann überdies nicht nur auf Antrag, sondern auch von Amts wegen ausgestellt werden.
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Vorliegend war zumindest vorübergehend, in den Zeiten zwischen dem Verlust des Reisepasses frühestens am … November 2021 und Wiederauffinden des Reisepasses des Antragstellers am 3. Februar 2022, ein solches Abschiebungshindernis in Form der Passlosigkeit gegeben, so dass in diesem Zeitraum materiell ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestand. Jedoch hat der Antragsteller die Ausstellung einer Duldungsbescheinigung nicht beantragt, obwohl die Ausländerbehörde ihn unter Übermittlung des Antragsformulars mehrfach hierauf hingewiesen hat. Es erscheint nicht gerechtfertigt, in solchen Fällen, in denen die Behörde von Amts wegen tätig geworden ist, der Betreffende aber entgegen seinen Mitwirkungspflichten (§ 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) und trotz des Erlöschens seiner vorherigen Beschäftigungserlaubnis offensichtlich kein Interesse an der Erteilung der Duldung zeigt, den bloßen materiellen Duldungsanspruch dem Besitz einer Duldung(sbescheinigung) gleichzustellen.
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2.2.3. Ungeachtet dessen stehen aber der Erteilung der Ausbildungsduldung Hinderungsgründe nach § 60c Abs. 2 AufenthG zwingend entgegen.
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2.2.3.1. Zunächst sind die Voraussetzungen für den Ausschlussgrund nach § 60c Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt. Danach wird die Ausbildungsduldung nicht erteilt, wenn im Fall von § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG der Ausländer bei Antragstellung noch nicht drei Monate im Besitz einer Duldung ist. Diese Frist soll der Ausländerbehörde Gelegenheit geben, Maßnahmen zur Vorbereitung der Durchsetzung der Ausreisepflicht vorzunehmen, bevor der Ausländer eine Ausbildungsduldung beantragen darf (Bergmann/Dienelt/Dollinger, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 60c Rn. 30).
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Unabhängig davon, ob alleine der materielle Rechtsanspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG für die Annahme des Besitzes einer Duldung im Sinne des § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG bereits ausreicht, ist die Vorgabe von drei Monaten Duldungsbesitz im Zeitpunkt der Antragstellung vorliegend nicht erfüllt. Der mögliche Duldungszeitraum begann frühestens am 30. November 2021. Der Antragsteller hat noch am 29. November 2021 gegenüber der Ausländerbehörde erklärt, im Besitz eines Reisepasses zu sein und diesen vorlegen zu wollen. Hierfür wurde ein weiterer Termin für den 1. Dezember 2021 vereinbart. An diesem Tag erklärte der Antragsteller telefonisch erstmals gegenüber der Ausländerbehörde, den Reisepass verloren zu haben. Erst ab dem 30. November 2021 also kann ein materieller Duldungsanspruch nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG angenommen werden. Bei Beantragung der Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG am 28. Januar 2022 bestand der Duldungsanspruch demnach knapp zwei Monate, aber nicht die gesetzlich vorausgesetzte Dauer von drei Monaten. Nichts Anderes würde sich ergeben, würde man auch die Dauer ab Ablauf der Ausreisefrist am 19. November 2021 zusätzlich zugunsten des Antragstellers berücksichtigen. Auch dann ist die gesetzlich vorgegebene Vorduldungszeit vorliegend nicht erreicht.
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2.2.3.2. Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Ausschlussgrund des § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. d) AufenthG sind vorliegend gegeben.
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Nach § 60c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG wird eine Ausbildungsduldung nicht erteilt, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung, die in einem hinreichenden sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Aufenthaltsbeendigung stehen, bevorstehen. Mit der Ausbildungsduldung, die im Gegensatz zu sonstigen Duldungen darauf angelegt ist, in einen längerfristigen Aufenthalt zu münden und letztlich vollziehbar Ausreisepflichtigen eine Brücke in die Erwerbsmigration bauen soll, sollen nicht Aufenthaltsbeendigungen verhindert werden, die in absehbarer Zeit möglich sind. In den Fällen, in denen die Abschiebung, Zurückschiebung oder Überstellung „absehbar“ ist, soll daher der Durchsetzung der Ausreisepflicht Vorrang eingeräumt werden (BT-Drs. 18/9090, S. 25). Durch die Vorlage eines Ausbildungsvertrags oder die Aufnahme einer Berufsausbildung soll eine (vorrangige) Durchsetzung der Ausreisepflicht nicht konterkariert werden (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2018 - 19 C 18.54 - juris Rn. 12).
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Konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung stehen bevor, sobald die für den jeweiligen Ausländer zuständige Ausländerbehörde erstmals zielgerichtet und konkret tätig geworden ist, um die grundsätzlich mögliche Abschiebung einzuleiten, ohne dass bereits ein bestimmter Zeitpunkt für die Abschiebung feststehen muss (zur früheren Rechtslage BayVGH, B.v. 3.9.2018 - 10 CE 18.1800 - Rn. 7), bzw. wenn sie die Abschiebung „auf den Weg gebracht“ hat (BayVGH, B.v. 20.11.2018 - 10 CE 18.2159 - juris Rn. 9; B.v. 15.12.2016 - 19 CE 16.2025 - juris Rn. 19). Das „Bevorstehen konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung“ im Sinne dieser Bestimmung erfordert nicht, dass die Abschiebungsmaßnahme selbst bereits terminiert ist oder zeitlich unmittelbar bevorsteht (vgl. BayVGH, B.v. 24.9.2018 - 10 CE 18.1825 - juris Rn. 6; NdsOVG, B.v. 30.8.2018 - 13 ME 298/18 - juris Rn. 13).
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Lediglich vorübergehend wirkende Umstände, die die Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung zwar verzögern, sie jedoch nicht in einen zeitlich nicht mehr überschaubaren, ungewissen Rahmen verlagern, was ein Bedürfnis für die vom Gesetzgeber angestrebte Rechtssicherheit für Geduldete und Ausbildungsbetriebe hervorrufen könnte, vermögen die Absehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht zu beseitigen. Der Vollzug einer Aufenthaltsbeendigung darf nicht in einen völlig ungewissen zeitlichen Rahmen verschoben werden (BayVGH, B.v. 30.1.2019 - 19 CE 18.1725, BeckRS 2019, 1663, Rn. 23, 24).
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Mit § 60 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a) bis e) AufenthG werden Konkretisierungen in Bezug auf konkret bevorstehende Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorgenommen, wobei Buchst. d) verdeutlicht, dass die Aufzählung in den Buchstaben a), b), c) und e) nicht abschließend ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen von konkret bevorstehenden Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung ist der Zeitpunkt der auf eine Ausbildungsduldung gerichteten Antragstellung (Bergmann/Dienelt/Dollinger, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 60c Rn. 41). In der Rechtsprechung war bereits im Rahmen der früheren Rechtslage vor Einführung des § 60c AufenthG anerkannt, dass auch das Ersuchen an die für die Passbeschaffung zuständige Behörde auf Einleitung des Verfahrens zur Beschaffung von Passersatzpapieren ein erster konkreter Schritt in diesem Sinn zur Durchführung der Abschiebung sein kann (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2018 - 10 CE 18.2159 - juris Rn. 12; B.v. 15.12.2016 - 19 CE 16.2025 - juris Rn. 19; vgl. auch Bergmann/Dienelt/Dollinger, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 60c Rn. 39).
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Dies zu Grunde gelegt waren zum maßgeblichen Zeitpunkt des Antrags auf eine Ausbildungsduldung am 28. Januar 2022 bereits vergleichbar konkrete Vorbereitungsmaßnahmen zur Abschiebung im Sinne von § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. d) AufenthG eingeleitet. Denn die Ausländerbehörde hatte bereits am 29. November 2021 bei dem Landesamt für Asyl und Rückführungen um Einleitung eines Verfahrens zur Beschaffung von Passersatzpapieren ersucht. Es handelt sich sachlich um einen wichtigen Schritt im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Ausreisepflicht, denn diese kann in der Regel nur bei Vorliegen eines Passes oder eines Ersatzpapiers der Heimatbehörden erfolgen. Es war vorliegend auch nicht von vorne herein bereits absehbar, dass diese Maßnahme erfolglos sein oder eine übermäßig lange Zeit in Anspruch nehmen würde, zumal der Antragsteller erklärte, einen Pass zu besitzen, bzw. besessen zu haben, und er damit den pakistanischen Behörden grundsätzlich bekannt war. Die Maßnahme stand damit auch in einem ausreichenden zeitlichen Zusammenhang mit einer derzeit grundsätzlich möglichen Abschiebung nach Pakistan und wurde nicht etwa lediglich „auf Vorrat“ von der Behörde ohne jegliche Erfolgsaussichten vorgenommen. Nicht erforderlich ist umgekehrt, dass bereits terminlich absehbar wäre, wann genau die Abschiebung erfolgen soll.
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2.2.4. Ein Anspruch auf die begehrte Ausbildungsduldung besteht nach alledem nicht. Der dahingehende Antrag des Antragstellers ist damit von der Ausländerbehörde mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 19. April 2022 im Ergebnis zurecht abgelehnt worden.
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3. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO war danach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
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4. Der Streitwertbeschluss beruht auf § 52 Abs. 1, Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 8.3, 1.5 des Streitwertkatalogs.