Inhalt

VG München, Urteil v. 29.06.2022 – M 9 K 19.371
Titel:

Beseitigungsanordnung für einen Wintergarten

Normenketten:
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 3, Art. 76 S. 1
BauGB § 30 Abs. 1, § 34 Abs. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Die in einem Bebauungsplan festgesetzte Größe für einen Wintergarten für einen bestimmten Reihenmittelhaustyp gehört zu den Grundzügen der Planung. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein in seinen Ausmaßen in der maßgeblichen Umgebung beispielloser Wintergarten fügt sich nicht nach dem Maß der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung ein. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigungsanordnung, Bebauungsplan, Innenbereich/Einfügen, Abstandsflächen, Wintergarten, überbaubare Grundstücksfläche, Maß der baulichen Nutzung, Abstandsfläche
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 09.01.2024 – 2 ZB 22.1945
Fundstelle:
BeckRS 2022, 20152

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Aufhebung einer Beseitigungsanordnung für einen Wintergarten sowie die Verpflichtung des Beklagten, dem Kläger die beantragte Genehmigung zur Errichtung eines Wintergartens zu erteilen bzw. hilfsweise unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu über den Antrag zu entscheiden.
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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. …, T. … (i.F. Vorhabensgrundstück). Das Grundstück ist mit einem Wohnhaus bebaut und Teil einer aus 5 Häusern bestehenden Reihenhausgruppe, welche südlich der B. … straße errichtet wurde. Das Vorhabensgrundstück liegt im Geltungsbereich des rechtswirksamen Bebauungsplans Nr. … * „… …, Süd“ (1984) und der 1. Änderung zum Bebauungsplan Nr. … * „Südlich … …“ (1995).
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Veranlasst durch eine Mitteilung der Gemeinde sowie Nachbarbeschwerden im November 2013 wurde im Dezember 2013 bzw. Januar 2014 durch den Beklagten auf dem streitgegenständlichen Grundstück eine Ortseinsicht durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, dass ein Wintergarten ohne Genehmigung errichtet worden war (zu den bei der Ortseinsicht ermittelten Maßen vgl. Bl. 25 ff. BA). Um die bauliche Anlage nachträglich zu legalisieren, ersuchte der Kläger am 8. August 2014 um Erteilung der bauaufsichtlichen Genehmigung für einen Wintergarten, südlich des Reihenhauses, welcher entsprechend den vorgelegten Plänen und Vermaßungen jeweils an den Grenzen zu den Nachbargrundstücken FlNrn. …192 und …190 mit ca. 3,50 m Tiefe x 2,62 bzw. 2,92 m Höhe x ca. 5,50 m Breite (inkl. Dämmung) die gesamte Südseite des Vorhabensgrundtücks entlang errichtet wurde. Die zuständige Gemeinde versagte mit Stellungnahme vom 29. April 2013 das erforderliche Einvernehmen für das streitgegenständliche Bauvorhaben (Bl. 18 ff. BA). Ein seitens des Klägers angestrebtes Verfahren zur Änderung des Bebauungsplans Nr. 11a (Bl. 43 ff. BA) wurde mit Beschluss des Gemeinderates vom 17. September 2015 abgelehnt (Bl. 55).
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Mit Schreiben vom 22. Juli 2016 wurde der Kläger zur geplanten Ablehnung sowie zur Beseitigung des streitgegenständlichen Bauvorhabens angehört (Bl. 57 ff. BA). Der Klägervertreter trug im Wesentlichen vor, dass der maßgebliche Bebauungsplan unwirksam sei, eine Genehmigung deshalb zu erteilen sei und eine Beseitigung zu unterbleiben habe. Mit Bescheid vom 3. Januar 2019 wurde der Bauantrag für das streitgegenständliche Bauvorhaben abgelehnt und die Beseitigung des Wintergartens inklusive Zwangsgeldandrohung angeordnet (Bl. 89 ff. BA).
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Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, dass der Bebauungsplan Nr. … „… …, Süd“ nebst 1. Änderung „Südlich … …“ rechtswirksam sei. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit richte sich deshalb nach § 30 Abs. 1 BauGB. Der beantragte Wintergarten widerspreche den Festsetzungen des maßgeblichen Bebauungsplans. Gemäß Festsetzung Nr. A.2 des Bebauungsplans Nr. 1 a „Südlich … …“ seien Wintergärten mit einer maximalen Grund-/Geschossfläche von 20 m2 zulässig, wobei die Überschreitung von bestehenden Baugrenzen nur entsprechend der planerischen Darstellungen im Bebauungsplan zulässig sei. Diese werde mit dem Wintergarten jedoch nicht eingehalten, da die zulässige Tiefe der erdgeschossigen Wintergärten für den Haustyp F - Mittelhaus, von 1,80 m über eine Breite von mind. 2,40 m und einer Tiefe von 3 Metern über eine Breite von 3,10 m durch die beantragte Tiefe 3,50 m auf die gesamte Hausbreite überschritten werde. Daraus ergebe sich dann eine entsprechende Überschreitung der Baugrenze sowie der festgelegten Grund- und Geschossfläche für die Wintergärten. Im Übrigen widerspreche das beantragte Vorhaben der Festsetzung Nr. 8 des Bebauungsplans Nr. … „Südlich … …“. Danach seien für Grenzanbauten Brandwände, ausgeformt als verputzte Wandscheiben mit einem Überstand von 0,15 m und einer Blechabdeckung erforderlich. Dies sei in der eingereichten Planung nicht vorgesehen. Die Erteilung einer Befreiung komme für die hier vorhandenen Abweichungen nicht in Betracht. Denn durch eine solche würden die Grundzüge der Planung berührt. Ziel des Plangebers sei es gewesen, Wintergärten, angepasst an die jeweiligen Haupthäuser in der Siedlung unter Erweiterung der übrigen Baugrenze von 1 m zu ermöglich. Durch eine Befreiung würden städtebauliche Spannungen ausgelöst. Bezugsfälle seien die Folge. Im Übrigen widerspreche das Vorhaben Art. 6 BayBO. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO sei nicht einschlägig. Der im Bebauungsplan festgesetzte Bereich für Wintergärten werde nicht eingehalten. Der Anbau sei demnach abstandsflächenpflichtig. Die Abstandsflächen würden durch den Grenzbau jedoch nicht eingehalten. Eine Abweichung komme nicht in Betracht. Dies schon nicht mit Blick auf die nachbarlichen Belange. Die Baubeseitigung haben angeordnet werden können. Der Wintergarten sei ohne die erforderliche Genehmigung errichtet worden und verstoße gegen bauplangsrechtliche und bauordnungsrechtliche Vorschriften. Es entspreche auch pflichtgemäßem Ermessen, die Beseitigung anzuordnen. Eine Duldung scheide schon deshalb aus, weil die betroffenen Nachbarn wiederholt ihre Nachbarrechtsverletzung gegenüber dem Beklagten geltend gemacht hätten.
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Mit Schriftsatz vom 24. Januar 2019, eingegangen bei Gericht am 25. Januar 2019, hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage erhoben und beantragt,
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1. Der Bescheid des Landratsamtes … vom 03.01.2019, Aktenzeichen: …V, wird aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird verpflichtet, den Antrag des Klägers vom 08.08.2014 auf Errichtung eines Wintergartens auf dem Grundstück FlNr. …191 der Gemarkung T. … zu genehmigen.
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Hilfsweise zu 2:
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Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers vom 08.08.2014 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden.
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Zur Begründung führte der Kläger im Wesentlichen aus, dass das Vorhaben nach § 34 Abs. 2 BauGB genehmigungsfähig sei, da der zugrundeliegende Bebauungsplan Nr. … „Ortsteil … …“, 1984 als auch der hierauf aufbauende Bebauungsplan Nr. … „Südlich … …“, 1995, unwirksam seien. Die Unwirksamkeit des ursprünglichen Bebauungsplans ergebe sich aus dessen mangelnder Bestimmtheit sowie einem erheblichen Verfahrensmangel. Die Art der baulichen Nutzung sei schon nicht hinreichend bestimmt festgesetzt. Darüber hinaus seien die im Bebauungsplan in Bezug genommenen DIN-Vorschriften nicht entsprechend dem Publizitätsgebot veröffentlicht oder öffentlich ausgelegt worden. Darüber hinaus entspreche die bekannt gemachte Fassung nicht der genehmigten Fassung. Ein erheblicher Bekanntmachungsfehler liege demnach vor. Auch der Bebauungsplan Nr. … * „Südlich … …“ sei unwirksam. Die Festsetzung A.2 sowie die Festsetzung A.3 und A.9 seien zu unbestimmt. Die Festsetzung A. 5 sei unwirksam, da insoweit wiederum ein Verstoß gegen das Publizitätsgebot vorliege. Im Übrigen liege ein beachtlicher Mangel im Abwägungsergebnis vor, da das Konzept der Planung nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimme. Auf die umfangreichen Ausführungen im Schriftsatz vom 28. August 2019 wird Bezug genommen. Nachdem der Bebauungsplan unwirksam sei, beurteile sich das Vorhaben nach § 34 Abs. 2 BauGB. Das Vorhaben füge sich ein, da in der Umgebung diverse Wintergärten vorhanden seien. Das Vorhandensein von Wintergärten mit exakt den gleichen Maßen in der Umgebung sei für das Einfügen nicht erforderlich. Insoweit seien auch Wintergärten von Eckgebäuden heranzuziehen. Selbst wenn der Bebauungsplan nebst Änderung wirksam sein sollte, bestehe ein Anspruch auf Befreiung von den Festsetzungen. Ziel des Bebauungsplans sei gewesen, Wintergärten innerhalb der bestehenden Trennwände zuzulassen. Dieses Ziel werde durch den streitgegenständlichen Wintergarten nicht verletzt. Der Intention des Plangebers werde weiterhin entsprochen, auch wenn die im Bebauungsplan festgelegten Maße nicht eingehalten würden. Nachbarliche Belange würden nicht verletzt. Gerade für den Fall, dass lediglich die 1. Änderung unwirksam sein sollte, bestehe ein Anspruch auf Befreiung von den Baugrenzen, da zwischenzeitlich diverse Wintergärten errichtet worden seien.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Klage sei zwar zulässig, jedoch unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. Die Baubeseitigungsverfügung sei im Übrigen rechtmäßig. Der Beklagte trägt im Wesentlichen vor, dass eine positive Entscheidung im vorliegenden Fall schon deshalb nicht habe getroffen werden können, weil die Gemeinde das Einvernehmen verweigert habe und dies nicht zu Unrecht geschehen sei. Das Vorhaben widerspreche den Festsetzungen im maßgeblichen Bebauungsplan Nr. … * „… …, Süd“ sowie der 1. Änderung zum Bebauungsplan Nr. … „Südl. … * … … * … Der Wintergarten halte insbesondere nicht die festgesetzten Maße für ein Mittelhaus des Haustyps F ein. Zudem werde die festgesetzte Baugrenze überschritten. Auch eine bebauungsplankonforme Brandwand sei nicht vorgesehen. Der Bebauungsplan sei im Übrigen entgegen der Auffassung des Klägervertreters wirksam, sei hinreichend bestimmt, verstoße nicht gegen das Publizitätsgebot und leide auch sonst weder an einem Bekanntmachungsfehler noch an einem erheblichen Abwägungsmangel. Auf die umfangreichen Ausführungen im Schriftsatz vom 14. Juni 2022 wird Bezug genommen. Das Vorhaben könne auch nicht unter Gewährung von Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugelassen werden. Der Plangeber habe mit den in Rede stehenden Bebauungsplanfestsetzungen ein konkretes Konzept verfolgt und für bestimmte Haustypen mögliche Varianten einer Wintergartenbebauung definiert. Diesen Wintergartenvarianten für den vorliegenden Haustyp entspreche der streitgegenständliche Wintergarten nicht. Den Plandarstellungen im Bebauungsplan lasse sich auch nicht entnehmen, dass sich die Gemeinde bei der Festsetzung der Tiefe der Wintergärten an den Trennwänden orientiert habe. Auch die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen seien verletzt. Eine Abweichung komme nicht in Betracht, da nachbarliche Rechte verletzt würden. Auch die Baubeseitigungsanordnung sei unter Berücksichtigung der dargestellten Ausführungen rechtmäßig und ermessensgerecht. Auf die Ausführungen im Schriftsatz vom 14. Juni 2022 wird im Übrigen Bezug genommen.
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Die Kammer hat Beweis erhoben durch die Einnahme eines Augenscheins. Zu den Feststellungen wird auf die Niederschrift vom 29. Juni 2022 über den Augenschein Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Behördenakte und auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 3. Januar 2019, Baubeseitigungsanordnung nebst Zwangsgeldandrohung, ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung für den streitgegenständlichen und beantragten Wintergarten bzw. Neuverbescheidung zu (§ 113 Abs. 5 VwGO).
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I. Die rechtmäßige Baubeseitigung beruht auf Art. 76 Satz 1 BayBO. Werden Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert, so kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung der Anlagen anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.
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1. Der streitgegenständliche, von der Baubeseitigung erfasste Anbau wurde trotz Genehmigungspflichtigkeit (Art. 55 Abs. 1 BayBO) ohne Baugenehmigung errichtet und steht schon deswegen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Ein die Verfahrensfreiheit begründender Tatbestand gemäß Art. 57 BayBO liegt nicht vor. Das Vorhaben entspricht auch nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans, sodass auch ein Fall des Art. 58 BayBO - unabhängig vom Nichtvorliegen der übrigen Voraussetzungen - von vornherein ausscheidet. Das Vorhaben ist bereits formell illegal.
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2. Es konnten vorliegend insofern auch nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden. Zwar wurde die nachträgliche Legalisierung des streitgegenständlichen Anbaus am 8. August 2014 beantragt. Jedoch wurde der Bauantrag zurecht mit Bescheid vom 3. Januar 2019 abgelehnt, da öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO, Art. 59 Satz 1 BayBO (s.u.). Der der Baubeseitigungsanordnung zugrundeliegende Wintergartenanbau ist materiell rechtswidrig, da er nach §§ 29 Abs. 1, 30 Abs. 1 BauGB bzw. § 34 Abs. 2, 1 BauGB bauplanungsrechtlich und im Übrigen mit Blick auf Art. 6 BayBO bauordnungsrechtlich unzulässig ist.
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a. Das Vorhaben befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … … … Süd“ sowie der 1. Änderung zum Bebauungsplan Nr. … „Südl* … * … … * …“. Die Wirksamkeit der Festsetzungen als gegeben unterstellt, widerspricht der streitgegenständliche Anbau unstreitig mit Blick auf seine Ausmaße den im Bebauungsplan festgesetzten Größen für den hier vorliegenden Mittelhaus-Haustyp F. Der vorliegende Anbau weist entsprechend den eingereichten Bauplänen Außenmaße von ca. 3,50 m Tiefe x ca. 5,50 m (gesamte Hausbreite) auf. Festgesetzt nach Bebauungsplan ist für diesen Haustyp eine Wintergartenvariante mit den Maßen 1,80 Tiefe auf ca. 2,40 m Breite bzw. in einer Tiefe von 3 m auf einer Breite von ca. 3,10 m. Der streitgegenständliche Wintergarten widerspricht diesen Maßen sowohl in der Tiefe (hier Tiefe 3,50 m) als auch in der Breite (Wintergarten erstreckt sich in einer Tiefe von 3,50 m durchgehend über die gesamte Hausbreite über ca. 5,50 m). Der Wintergarten ist insoweit bereits bauplanungsrechtlich unzulässig, mithin materiell illegal. Ein Anspruch auf Befreiung besteht nach Auffassung des Gerichts nicht, denn eine solche würde die Grundzüge der Planung berühren und im Übrigen eine erhebliche Anzahl von Bezugsfällen mit sich bringen. Der Plangeber hat sich im Rahmen der maßgeblichen Bebauungsplanfestsetzungen, insbesondere mit Blick auf die 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. … „Südl. … * … … * …“, ausführlich und erkennbar eindeutig Gedanken speziell mit Blick auf die Maße der jeweiligen Wintergartenvarianten gemacht. Die Maße ergeben sich ausdrücklich aus den Planzeichnungen. Dass nicht die ausdrücklich angeführten und ausgewiesenen Maße,
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sondern vielmehr vordringlich die sich zwischen den Reihenhausgrundstücken befindenden Trennwände mit Blick auf die Anordnung, Gestaltung und Größe der Wintergärten maßgeblich sein sollten, ergibt sich aus den Bebauungsplänen nicht und würde die ausdrückliche Ausweisung von spezifischen Maßen in den Planzeichnungen im Bebauungsplan nicht erklären. Es handelt sich also bei der Vermaßung der Wintergartenvarianten um einen Grundzug der Planung, welcher im Falle einer Befreiung in Folge der sich anschließenden Bezugsfälle berührt würde. Mit nachbarlichen Belangen wäre eine Befreiung für einen Grenzanbau diesen Ausmaßes im Übrigen nicht vereinbar. Die angrenzenden Nachbarn haben im Übrigen insofern auch nicht sämtlich zugestimmt.
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Ob der Bebauungsplan Nr. … * „… …, Süd“ sowie die 1. Änderung zum Bebauungsplan Nr. … „Südl. … * … … * …“ wirksam sind, muss nach Auffassung der Kammer nicht abschließend entschieden werden. Denn selbst wenn man mit dem Klägervertreter von der Unwirksamkeit der Festsetzungen ausgeht, kommt die Kammer nach Durchführung des Augenscheins, der mündlichen Verhandlung sowie den örtlichen Verhältnissen vor Ort zu der Überzeugung, dass sich an der materiellen Illegalität des streitgegenständliches Anbaus nichts ändert. Denn die Unwirksamkeit der Festsetzungen im Bebauungsplan unterstellt, fügt sich das streitgegenständliche Vorhaben mit Blick auf die überbaubare Grundstücksfläche sowie das Maß der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung ein, § 34 Abs. 1 BauGB. Im unbeplanten Innenbereich ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Hinsichtlich der Grundstücksfläche fügt sich das streitgegenständliche Vorhaben nicht in die nähere Umgebung ein. Beim Zulässigkeitsmerkmal der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, wird auf die in den Begriffsbestimmungen von § 23 BauNVO bezeichnete Baulinie, Baugrenze und Bebauungstiefe zurückgegriffen (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2009 - 2 CS 09.2222 - juris Rn. 6). Die „nähere Umgebung” ist insoweit zu berücksichtigen, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und zudem insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Dabei ist die nähere Umgebung für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Bezugsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil diese jeweils eine Prägung mit ganz unterschiedlicher Reichweite und Gewichtung entfalten können (BVerwG, B.v. 13.5.2014 - 4 B 38/13 - juris). Bezüglich des Merkmals der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, mit dem die konkrete Größe der Grundfläche der baulichen Anlage und insbesondere auch ihre räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung gemeint ist, ist die nähere Umgebung im Regelfall enger als z.B. beim Merkmal der Art der baulichen Nutzung zu bemessen. Denn die von den überbauten Grundstücksflächen ausgehende Prägung bleibt in ihrer Reichweite im Allgemeinen hinter den von der Art der baulichen Nutzung ausgehenden Wirkungen zurück. Maßgeblich ist jedoch auch hierbei, wie weit die wechselseitigen Auswirkungen im Verhältnis von Vorhaben und Umgebung im Einzelfall reichen (VG München, B.v. 24.11.2004 - M 11 SN 04.5640 - juris Rn. 21). Eine wechselseitige Prägung kann vorliegend nur entlang der B. … straße im südlichen Bereich in Sichtbeziehung zum Vorhabengrundstück gegeben sein (Hausnummern 153 - 161). Bauliche Anlagen in anderen Straßen, welche vom Vorhabengrundstück nicht mehr wahrnehmbar sind, haben keine prägende Wirkung auf das Vorhabengrundstück und die dort überbaubare Fläche (vgl. in diesem Zusammenhang auch VG München, U.v. 12.10.2020 - M 8 K 18.3817 - juris; OVG NW, U.v. 19.6.2008 - 7 A 2053/07 - juris Rn. 23).
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Wie der Augenschein ergeben hat, entspricht die bauliche Umgebung mit Blick auf das Maß der baulichen Nutzung und überbaubare Grundstücksfläche, konkret die Bebauungstiefe, vorliegend weitgehend exakt den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … * „… …, Süd“ sowie der 1. Änderung zum Bebauungsplan Nr. … „Südl. … * … … * … Der streitgegenständliche Wintergarten ist in seinen Ausmaßen in der maßgeblichen Umgebung, welche das Gericht in der Bebauung südlich der B. … straße sieht, beispiellos. Die das Vorhabensgrundstück in Sichtbeziehung umgebenden Nachbargrundstücke weisen ausweislich des Ergebnisses des Augenscheins keine Anbauten dieser Art auf. Die prägende, nähere Umgebung, die geschlossene Reihenhausbebauung entlang der B. … straße, weist vorliegend eine hintere, zackenförmig verlaufende Baugrenze auf, welche durch den streitgegenständlichen Anbau unterbrochen würde. Die seitens des Klägervertreters angeführten Beispielsfälle von Pergolen nördlich der B. … straße sind zum einen schon nicht Teil der maßgeblichen Umgebungsbebauung. Zum anderen sind sie nicht ausreichend substantiiert worden. Mit Blick auf die Beispiellosigkeit des Anbaus auf dem Vorhabensgrundstück ist auch das Maß der baulichen Nutzung betreffend die Grundfläche innerhalb der prägenden Umgebung überschritten. Die Zulassung eines Vorhabens dieser Art hätte entsprechende Bezugsfälle und damit städtebauliche Spannungen zur Folge. Ein Einfügen kann mithin nicht bejaht werden.
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Ergänzend und selbstständig tragend ist das Gericht nach Durchführung des Augenscheins unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort der Überzeugung, dass es sich bei dem in Rede stehenden Anbau ohnehin nicht um einen Wintergarten handelt. Vielmehr teilt das Gericht die in der mündlichen Verhandlung geäußerte Auffassung des Beklagten, dass es sich baulich um eine Erweiterung des Hauptgebäudes und damit um eine Wohnraumerweiterung des Wohnzimmers handelt. Bauliche Ausführung und Nutzung des Anbaus haben dies vor Ort bestätigt. Die Ausführungen des Klägers sowie seines Bevollmächtigten, der Wintergarten sei aufgrund des laufenden Verfahrens nicht vollendet bzw. nicht fertig gebaut worden, kann nicht überzeugen. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb, sollte ein Wintergarten tatsächlich beabsichtigt gewesen sein, die hierfür erforderliche Abtrennung zum Haupthaus, wie auch in den Eingabeplänen dargestellt, nicht von Anfang so gebaut ist. Das Gericht geht nach dem Ergebnis des Augenscheins baulich von einer Erweiterung des Hauptgebäudes im Erdgeschossbereich aus, was in diesem Ausmaß in jedem Fall und unstreitig sowohl den Festsetzungen des Bebauungsplans mit Blick auf die maßgeblichen Baugrenzen widerspricht als auch im Falle der Unwirksamkeit etwaiger Festsetzungen ein Einfügen des Vorhabens mit Blick auf das Maß der baulichen Nutzung sowie die überbaubare Grundstücksfläche innerhalb der maßgeblichen Umgebung ausschließt, § 34 Abs. 1 BauGB. Die maßgebliche Umgebung entlang der B. … straße ist mit Blick auf die überbaubare Grundstücksfläche weitgehend homogen und ist ausweislich des Ergebnisses des Augenscheins sowie der Pläne aus dem Bayernatlas Ergebnis der dort seit Jahrzehnten geltenden Bebauungspläne. Ein Vorhaben wie das streitgegenständliche in Form der Erweiterung des Hauptgebäudes hätte erhebliche Bezugsfallwirkung und städtebauliche Spannungen zur Folge. Mangels Einfügen ist die materielle Illegalität des streitgegenständlichen Anbaus auch deshalb gegeben.
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Darüber hinaus hält der streitgegenständliche Anbau vorliegend sowohl im Falle der Wirksamkeit des Bebauungsplans Nr. … sowie der 1. Änderungen als auch im Fall der Unwirksamkeit die Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO nicht ein. Nach planungsrechtlichen Vorschriften kann unter den oben dargestellten Umständen nicht in diesem Ausmaß an die Grenze gebaut werden. Das Vorhaben fügt sich nicht ein (s.o.). Der Anbau verstößt gegen Abstandsflächenrecht. Auch hieraus ergibt sich dessen materielle Illegalität (vgl. in diesem Zusammenhang BayVGH, U.v. 15.4.1992 - 14 B 90.856 - juris Rn. 17; U.v. 10.11.1998 - 14 B 96.2645 - juris Rn. 33 ff.; VG München, B.v. 14.3.2018 - M 8 SN 18.877). Eine Abweichung kommt nicht in Betracht.
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b. Die Inanspruchnahme des Klägers als Bauherrn, Verhaltensstörer sowie Grundstückseigentümers begegnet keinen rechtlichen Bedenken, Art. 9 Abs. 1 LStVG. Die nach § 114 Satz 1 VwGO durch das Gericht nur eingeschränkt überprüfbare Ermessensentscheidung zur Anordnung der Baubeseitigung ist ermessensfehlerfrei.
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Gegen die Zwangsgeldandrohungen bestehen insbesondere mit Blick auf die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes (2.500 Euro) keine rechtlichen Bedenken.
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II. Die Klage ist demnach auch mit Blick auf das Verpflichtungsbegehren des Klägers unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung für den beantragten Wintergarten zu. Die bauplanungsrechtlichen sowie bauordnungsrechtlichen Voraussetzungen liegen insoweit unabhängig von der Frage der Wirksamkeit der Bebauungsplanfestsetzungen nicht vor (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 lit.a und b BayBO i.V.m. §§ 29 ff. BauGB).
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1. Die Wirksamkeit der Bebauungsplanfestzungen unterstellt, hält der beantragte Wintergarten nicht die in den Festsetzungen vorgesehenen Maße mit Blick auf den hier vorliegenden Haustyp F ein (s.o.). Ein Anspruch auf Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans (§ 31 Abs. 2 BauGB) scheidet aus (s.o.).
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2. Auf die Wirksamkeit der Bebauungsplanfestsetzungen kommt es jedoch nach Auffassung der Kammer, wie bereits oben dargestellt, nicht entscheidungserheblich an. Denn die Unwirksamkeit unterstellt, scheidet eine bauplanungsrechtliche sowie bauordnungsrechtliche Zulässigkeit des Wintergartenanbaus gleichwohl aus.
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a. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der auf dem streitgegenständlichen Grundstück beantragten Änderung des Bestandsgebäudes beurteilt sich hinsichtlich der Art der Nutzung nach § 34 Abs. 2 und im Übrigen, d.h. hinsichtlich des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundfläche, die überbaut werden soll, nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB (s.o.).
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Die vom Kläger zur Genehmigung gestellte Wintergartenerweiterung seines Reihenmittelhauses findet hinsichtlich der Bebauungstiefe sowie der Grundfläche unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und des Ergebnisses des Augenscheins kein Vorbild in der maßgeblichen näheren Umgebung (s.o.).
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b. Überdies ergibt sich mangels bauplanungsrechtlicher Zulässigkeit des beantragten Wintergartenanbaus ein Verstoß gegen die Vorschriften des Abstandsflächenrechts, Art. 6 BayBO. Der Wintergartenanbau fügt sich nicht in die nähere Umgebung ein (s.o.). Nach bauplanungsrechtlichen Vorschriften darf somit weder im Falle der Wirksamkeit noch der Unwirksamkeit der Bebauungsplanfestsetzungen an die Grenze, wie vorliegend, ohne Einhaltung jeglicher Abstandsflächen zu den westlichen und östlichen Nachbargrundstücken gebaut werden (vgl. in diesem Zusammenhang BayVGH, U.v. 15.4.1992 - 14 B 90.856 - juris Rn. 17; U.v. 10.11.1998 - 14 B 96.2645 - juris Rn. 33 ff.; VG München, B.v. 14.3.2018 - M 8 SN 18.877).
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Die Klage ist damit auch im Hilfsantrag unbegründet.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich damit nicht in ein Kostenrisiko begeben. Es entspricht daher der Billigkeit, dass diese ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1, 2 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.