Titel:
Zurückstufung wegen sexuell anzüglicher Bemerkungen und Belästigung gegenüber Anwärterinnen
Normenketten:
BeamtStG § 33 Abs. 1 S. 3, § 34 Abs. 1 S. 3, § 35 Abs. 2, § 47 Abs. 1 S. 3
BayDG Art. 10, Art. 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1
StGB § 184 i
AGG § 2 Abs. 1 Nr. 2, § 3 Abs. 4
Leitsätze:
1. Bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ist eine Regeleinstufung nicht angezeigt. Die Variationsbreite sexueller Zudringlichkeiten im Dienst ist zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf Achtung und Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden könnten. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Polizeivollzugsbeamter als Fahrausbilder handelt nicht nur mit Vorbildfunktion für die Anwärterinnen und Anwärter, sondern auch vergleichbar einer Vorgesetztenfunktion, weil die Anwärterinnen vom Erfolg ihrer Ausbildungsfahrt abhängig sind. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Disziplinarklage, Zurückstufung um mehrere Stufen, Innerdienstliche sexuelle Belästigung und sexuelle anzügliche Bemerkungen, innerdienstliche Pflichtverletzung, sexuell anzügliche Bemerkungen, sexuelle Belästigung, Gleichbehandlung, Verurteilung, Geldstrafe, Dienstvergehen, innerdienstlich, Pflicht zur Beachtung der Gesetze, Pflicht zur Befolgung dienstlicher Anordnungen, Pflicht zu ansehens- und vertrauenswürdigem Verhalten, Vorgesetzteneigenschaft, Vorbildfunktion, Anwärterin, Fahrausbilder, Verhältnismäßigkeit
Fundstelle:
BeckRS 2022, 20149
Tenor
I. Der Beklagte wird in das Amt eines Polizeiobermeisters (A8) zurückgestuft.
II. Die Beförderungssperre nach Art. 10 Abs. 3 Satz 1 BayDG wird auf 3 Jahre verkürzt.
III. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt im Wege der Disziplinarklage die Zurückstufung des Beklagten aufgrund von innerdienstlichen Dienstpflichtverletzungen durch sexuelle anzügliche Bemerkungen gegenüber Anwärtinnen bei Fahrten im Rahmen der Fahrausbildung bis hin zu einer sexuellen Belästigung.
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1. Der am ... Oktober 1972 geborene Beklagte ist nach verschiedenen vorangegangenen Ausbildungen und Tätigkeiten, hinsichtlich deren Einzelheiten auf die Disziplinarklage sowie die beigezogene Personalakte Bezug genommen wird, seit … Januar 1999 im Dienst der ... Polizei, seit ... März 2002 als Beamter auf Lebenszeit. Zum ... März 2018 wurde er zur ... Bereitschaftspolizei versetzt und war dort Polizeiausbilder im Bereich der Fahrausbildung. Seit Juni 2019 ist er beim Sachgebiet Polizeitechnik eingesetzt. Er erhält als Polizeihauptmeister (AZ) eine Besoldung aus der Besoldungsgruppe A9+Z. In der letzten periodischen Beurteilung im Jahre 2017 erhielt der Beklagte das Gesamtprädikat 13 Punkte. Der Beklagte ist geschieden und Vater dreier Kinder. Über ein Persönlichkeitsbild vom … Dezember 2019 hinaus wurde zuletzt ein aktuelles Persönlichkeitsbild vom ... Juli 2022 vorgelegt. Danach verhalte sich der Beamte mittlerweile sehr kooperativ und einsichtig. Das schwebende Disziplinarverfahren belaste ihn zunehmend. Sein direkter Vorgesetzter bestätige seine anstandslose Arbeitsleistung. Die Übernahme von Verantwortung als auch Eigeninitiative zeugten inzwischen von einer hohen Motivation. Das Verhalten gegenüber Vorgesetzten, seinem kollegialen Umfeld sowie Kunden und Dritten gäben keinen Anlass zur Kritik. Der Beamte begegne seinem Gegenüber mit Respekt und der gebotenen Höflichkeit. Hinsichtlich der zukünftigen Verwendung könnten keine negativen Anzeichen wahrgenommen werden. Ein Abebben des derzeitigen Engagements sei nicht zu erwarten. Im Interesse aller Beteiligten sei ein zeitnaher Abschluss des Disziplinarverfahrens wünschenswert. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Persönlichkeitsbild Bezug genommen.
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Der Beamte ist disziplinarrechtlich und strafrechtlich mit Ausnahme des im vorliegenden Disziplinarverfahren gegenständlichen strafrechtlichen Vorwurfs nicht vorbelastet. Insoweit wurde er mit Urteil des Amtsgerichts M... vom 27.11.2018 - Az. … Ds … Js … - wegen sexueller Belästigung gemäß § 184i Abs. 1 und 3 StGB verurteilt. Nach auf den Rechtsfolgenausspruch beschränktem Rechtsmittel wurde er mit Urteil des Landgerichts M. ... vom 30. April 2019 - … Ns … … … - zur einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Ein Strafverfahren in Bezug auf weitere strafbare sexuelle Belästigungen hinsichtlich der damaligen Anwärterinnen W..., C... und N... wurde mit Verfügung des Staatsanwaltschaft M. ... vom … September 2018 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
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2. Mit Verfügung vom … April 2018 leitete das Präsidium der ... Bereitschaftspolizei bezugnehmend auf ein Strafverfahren gegen den Beamten ein Disziplinarverfahren gemäß Art. 19 Bayerisches Disziplinargesetz (BayDG) ein und setzte dieses für die Dauer des Strafverfahrens gemäß Art. 24 Abs. 3 BayDG aus. Nach Fortsetzung und Ausdehnung gemäß Art. 21 Abs. 1 BayDG am … Juli 2019 und Übernahme des Verfahrens durch das Polizeipräsidium M. … als Disziplinarbehörde wurde der Beklagte am … Februar 2020 abschließend gemäß Art. 32 BayDG angehört. Eine Äußerung des Beklagten im Disziplinarverfahren unterblieb.
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3. Am 22. April 2020 hat das Polizeipräsidium M. … daraufhin Klage mit dem Ziel der Zurückstufung des Beklagten erhoben. Auf die Klagebegründung und die Angaben in der mündlichen Verhandlung am 19. Juli 2022 wird Bezug genommen.
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Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zurückzustufen.
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Der Beklagte hat keinen eigenen Antrag gestellt,
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aber mit Schriftsatz vom 15. Juni 2020 sowie in der mündlichen Verhandlung zur Klage erwidert. Dabei hat er in der mündlichen Verhandlung insbesondere die ihm zur Last gelegten Vorwürfe eingestanden, so dass die Einvernahme der Zeuginnen unterbleiben konnte.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, insbesondere die Disziplinarklage, die Erwiderung vom 15. Juni 2020 und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 19. Juli 2022, sowie die beigezogene Disziplinarakte des Polizeipräsidiums … als auch die Personalakte des Beklagten Bezug genommen. Zudem lag im Verfahren die Strafakte … Js … der Staatsanwaltschaft M... ... vor.
Entscheidungsgründe
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Auf die Disziplinarklage des Klägers hin wird auf die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung um zwei Stufen in das Amt als Polizeiobermeister in der Besoldungsgruppe A8 erkannt. Der Beklagte hat ein schweres Dienstvergehen begangen, indem er innerdienstlich eine Anwärterin im Rahmen der Ausbildung sexuell belästigte und sich weiteren Anwärterinnen im Rahmen der Ausbildung gegenüber durch sexuell anzügliche Bemerkungen verbal unangemessen und so unter Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz erheblich vertrauens- und ansehenschädigend verhielt.
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I. Formelle Mängel des Disziplinarverfahrens sind weder i.S.v. Art. 53 Abs. 1 BayDG innerhalb der gesetzlichen Frist geltend gemacht noch von Amts wegen ersichtlich. Insbesondere ist dem Beklagten jeweils Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt worden.
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II. Dem disziplinarischen Vorwurf gegenüber dem Beklagten liegt gemäß der Disziplinarklage vom 22. April 2020 Folgendes zugrunde:
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Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im April 2017 befand sich der Beklagte in seiner Funktion als Fahrausbilder der Polizeischüler der VI. BPA D... gemeinsam mit der damaligen PM-Anw.in (jetzt PMin) J... H... auf einer Ausbildungsfahrt im Stadtgebiet von M... Während der Fahrt gab er wiederholt sexuell anzügliche Äußerungen von sich. Unter anderem teilte er PM-Anw.in H... mit, dass er ein „Meister des Schleckens“ sei und fragte sie, wie es „mit ihnen beiden wäre“. PM-Anw.in H..., für die diese Äußerungen - wie für den Beklagten erkennbar - unangenehm waren, ging darauf nicht ein.
Als der Beklagte und PM-Anw.in H... nach einer Einparkübung aus dem Dienstfahrzeug ausstiegen, trat der Beklagte hinter PM-Anw.in H..., berührte ihren Nacken mit seinem Mund und leckte sie dort ab, wobei er vorsah, oder zumindest billigend in Kauf nahm, dass sich PM-Anw.in H... durch diese sexuell bestimmte Berührung belästigt fühlte.
Obgleich PM-Anw.in H... den Beklagten wegdrückte und ein Stück von ihm wegging, folgte er ihr und berührte sie nochmals mit den Lippen auf dem Nacken. Auch hierbei sah der Beklagte wiederum voraus und nahm zumindest billigend in Kauf, dass sich PM-Anw.in H... durch diese sexuell bestimmte Berührung belästigt fühlte.
Im Rahmen des gegen den Beklagten geführten Strafverfahrens wurde er zunächst vom zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 60,00 € verurteilt. Das Urteil ist seit dem 23.04.2019 hinsichtlich des Schuldspruchs rechtskräftig.
Auf die Berufung des Beklagten hin wurde das obige Urteil durch Berufungsurteil des Landgerichts M... I (Az.: … … … Js …...) vom 30.04.2019, rechtskräftig seit 08.05.2019, hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruches abgeändert. Durch das Berufungsurteil wurde der Beklagte rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 60,00 € verurteilt.
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Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Mai 2017 führte die damalige PM-Anw.in (jetzt PMin) J... W... mit dem Beklagten als Fahrausbilder eine Übungsfahrt in einem VW Bus durch.
Während der Fahrt erzählte der Beklagte ihr, dass er mit seiner Freundin Schwierigkeiten hätte, und dass er „untervögelt“ sei. Zudem sagte er: „Ich habe zwar einen kleinen Schwanz, aber er ist der Teufel im Loch.“ Weiter stellte der Beklagte PM-Anw.in W... Fragen wie z.B. „Brauchst du’s etwas härter oder nicht so hart?“
Nachdem PM-Anw.in W... dem Beklagten u.a. durch die Aussage: „Ich glaube nicht, dass das hierhin gehört“, zu verstehen gab, dass ihr dieses Gespräch unangenehm war, führte er dennoch weiter aus und sprach über Intimfrisuren. Dabei tätigte der Beklagte u.a. die Aussage: „Ich mag es, wenn Frauen rasiert sind.“ Zudem äußerte er gegenüber PM-Anw.in W..., dass die Fahrausbildung erst dann erfolgreich absolviert bzw. bestanden sei, wenn ein „Schuhabdruck auf dem Dachhimmel des Fahrzeugs“ sei. Anschließend fragte er PM-Anw.in W... nach ihrer Schuhgröße.
PM-Anw.in W... nahm die Aussagen des Beklagten schweigend hin, da sie der Situation in dem Fahrzeug nicht entkommen konnte und Nachteile bezüglich ihrer Ausbildung fürchtete. Insbesondere aufgrund der Aussage des Beklagten hinsichtlich des Schuhabdrucks am Autodachhimmel befürchtete sie den benötigten Berechtigungsschein anderenfalls nicht zu erhalten.
Aus Sorge vor negativen Konsequenzen für ihre weitere Ausbildung und Karriere, sowie einer möglichen Gegenanzeige seitens des Beklagten wegen Verleumdung meldete PM-Anw.in W... diese Vorkommnisse zunächst nicht.
Im Rahmen der Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht M ... am 30.04.2019 hat sich der Beklagte bei der dort anwesenden Zeugin W... mündlich entschuldigt, diese nahm seine Entschuldigung jedoch nicht an.
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Ebenfalls auf einer Ausbildungsfahrt zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Frühling 2017, an der der Beklagte als Ausbilder mit PM-Anw.in (jetzt PMin) F... C... teilnahm, gab dieser wiederholt anzügliche und sexuell bestimmte Äußerungen von sich. Unter anderem erzählte er, dass seine damals aktuelle Partnerin ihn „nicht ran lasse“. Weiter äußerte er: „Ich bin wie ein Gecko, ich brauche zwei Weibchen, weil eins würde ich aufarbeiten.“ Daraufhin gab PM-Anw.in C... an, einen Freund zu haben, der Beklagte erwiderten darauf hin, dass ihn dieser Umstand nicht stören würde, eine junge, sportliche Frau wäre auch etwas für ihn.
PM-Anw.in C... hatte dabei keine Gelegenheit, der Situation zu entkommen und war im Rahmen ihrer Ausbildung darauf angewiesen, die Fahreinweisung zu bestehen. Aufgrund des zwischen dem Beklagten und PM-Anw.in C... bestehenden Über-/Unterordnungsverhältnisses, ließ PM-Anw.in C... die Äußerungen des Beklagten über sich ergehen und hatte vielmehr Angst vor negativen Konsequenzen, sodass sie den Vorfall zunächst nicht meldete.
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Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Herbst 2016 führte die damalige PM-Anw.in (jetzt PMin) E... N... mit dem Beklagten als Fahrausbilder eine Übungsfahrt in einem VW Bus durch. Während der Fahrt tätigte der Beklagte ihr gegenüber anzügliche Äußerungen. Unter anderem fragte er PM-Anw.in N..., auf welche Männer und auf „was sie so im Bett“ stehen würde. Des Weiteren äußerte er gegenüber PM-Anw.in N...: „Ich glaube, ich sollte dir mal zeigen, wie man eine Frau richtig/ordentlich leckt.“ Zudem gab er an, dass er gerne mit einer wie ihr „auch mal was haben wollen“ würde und erzählte PM-Anw.in N... von seinen sexuellen Vorlieben.
Durch diese Fragen und Äußerungen rief der Beklagte, wie er wusste, bei PM-Anw.in N... Verunsicherung und Schamgefühle hervor, da es ihr nicht möglich war, der Situation in dem Auto auszuweichen und sie sich des zwischen den beiden bestehenden Über-/Unterordnungsverhältnisses bewusst war. PM-Anw.in N... meldete den Vorfall zunächst nicht, da sie negative Auswirkungen auf ihre weitere Ausbildung und Karriere befürchtete.“
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Der dem Beamten zur Last gelegte Sachverhalt steht hinsichtlich Nr. 1 aufgrund der tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts M... vom 27. November 2018 gemäß Art. 25 Abs. 1 BayDG fest.
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Der dem Beklagten unter Nr. 2 bis 4 zur Last gelegte Sachverhalt, die damaligen Anwärterinnen W..., C... und N... betreffend, ergibt sich aus den Aussagen der betroffenen Zeuginnen bei deren polizeilichen Vernehmungen am ... Mai 2018 und … Mai 2018, die gemäß Art. 26 Abs. 2 BayDG verwertet werden können, sowie der beigezogenen Strafakte im Übrigen. Dahinstehen kann daher, dass sich auch im Urteil des Landgerichts M... ausdrücklich tatsächliche Feststellungen unter III. 2. Sachverhalt finden („Der Angeklagte belästigte im Jahr 2017 während dienstlicher Übungsfahrten, bei denen er als Ausbilder fungierte, verbal auch die weiblichen Fahrprüflinge W..., C... und N... mit derben Äußerungen über seine sexuellen Vorlieben.“), denen aber wohl noch keine Bindungswirkung, ggf. Indizwirkung zukommen dürfte. Schließlich hat der Beklagte den ihm zur Last gelegten Sachverhalt (letztlich) in der mündlichen Verhandlung eingestanden, so dass eine Beweisaufnahme nach Art. 56 BayDG durch Einvernahme der Zeuginnen unterbleiben konnte.
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III. Der Beklagte hat durch das ihm zur Last gelegte Verhalten ein innerdienstliches Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen.
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Durch die strafbare sexuelle Belästigung bezüglich der Anwärterin H. hat der Beamte innerdienstlich gegen die Pflicht zur Beachtung der Gesetze gemäß § 33 Abs. 1 Satz 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) gemäß § 184i StGB sowie § 3 Abs. 4, § 2 Abs. 1 Nr. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßen. Auf die Ausführungen des ... Verwaltungsgerichtshofs im Urteil vom 16. Februar 2022 zur Dienstpflichtwidrigkeit durch sexuelle Belästigungen i.S.v. § 3 Abs. 4 AGG wird Bezug genommen (BayVGH, U.v. 16.2.2022 - 16b D 19.316 - beck-online Rn.37). Zudem verstieß der Beklagte gegen die Pflicht zur Befolgung dienstlicher Anordnungen nach § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG angesichts der jährlichen Belehrungen bezüglich „Hinweis zum Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (AGG) - Benachteiligungsverbot und Schutz vor Diskriminierung“. Darin wird i.S.e. verbindlichen Vorgabe und Richtlinie gemäß Art. 35 Satz 2 BeamtStG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sexuelle und andere diskrimierende Belästigungen gegen das Benachteiligungsverbot des AGG verstoßen, dass auch „anzügliche“ Witze diskriminierenden Charakter haben und ein solcher Verstoß gleichzeitig einen Verstoß gegen beamtenrechtliche Pflichten darstellt (vgl. die Ausführungen des PP M... in der Disziplinarklage). Damit handelte der Beklagte auch der Pflicht nach § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG zu ansehens- und vertrauenswürdigem Verhalten zuwider.
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Soweit sich der Beamte gegenüber den Anwärterinnen W..., C... und N... mangels Berührungen nicht strafbar verhielt, vgl. insoweit die strafrechtliche Einstellungsverfügung gemäß § 170 Abs. 2 StPO, verstieß er jedoch innerdienstlich gegen die Pflicht zu ansehens- und vertrauenswürdigem Verhalten sowie ebenso die - bereits zuvor dargestellte - Pflicht zur Beachtung des AGG und der innerdienstlichen Vorgaben.
22
Der Beklagte handelte jeweils schuldhaft und ohne Schuldausschließungs- oder Rechtsfertigungsgründe.
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IV. Das Dienstvergehen wiegt sehr schwer i.S.v. Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG. Im Rahmen der Berücksichtigung der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild und dem bisherigen dienstlichen Verhalten des Beklagten als Gesichtspunkte der Maßnahmebemessung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG ist eine Zurückstufung um zwei Stufen aber noch ausreichend, jedoch auch erforderlich.
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1. Den Ausgangspunkt der Maßnahmebemessung nach Art. 14 BayDG bildet die Schwere des Dienstvergehens, wobei von der schwersten Dienstpflichtverletzung auszugehen ist.
25
a) Bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz ist eine Regeleinstufung nicht angezeigt (BayVGH, U.v. 16.2.2022 - 16b D 19.316 - beck-online Rn. 51 sowie U.v. 13.7.2011 - 16a D 10.565 - beck-online Rn. 64; s.a. OVG Lüneburg, U.v. 12.1.2010 - 20 LD 17/08). Die Variationsbreite sexueller Zudringlichkeiten im Dienst ist zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf Achtung und Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden könnten (BayVGH a.a.O.). Stets sind die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgebend. In schweren Fällen innerdienstlicher sexueller Belästigung, insbesondere wenn der Beamte unter Ausnutzung seiner Vorgesetzteneigenschaft versagt und dadurch nicht nur seine Integrität in der Dienststelle weitgehend eingebüßt, sondern auch sein Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn schwer erschüttert ist, kann sich grundsätzlich die Frage seiner weiteren Tragbarkeit im öffentlichen Dienst stellen, während in minderschweren Fällen eine mildere Disziplinarmaßnahme verhängt werden kann (BVerwG, U.v. 29.7.2010 - 2 A 4/09 - beck-online Rn. 199 m.w.N.; BVerwG, B.v. 16.7.2009 - 2 AV 4.09 - beck-online; BayVGH je a.a.O. m.w.N.).
26
b) Während verbale Belästigungen häufig im unteren Bereich möglicher sexueller Belästigungsformen anzusiedeln seien (vgl. BVerwG, U.v. 7.5.2020 - 2 WD 13.19 - beck-online Rn. 37) und ohne Ausnutzung einer Vorgesetztenstellung noch eine Gehaltskürzung angemessen sein könne (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2002 - 1 D 30.01 - beck-online), ist vorliegend in einem Fall durch die körperliche Berührung die Schwelle zur Strafbarkeit i.S.d. § 184i StGB überschritten, was erschwerend wirkt. Auch nach der Rechtsprechung des ... Verwaltungsgerichtshofs ist das Ausmaß der Missachtung der körperlichen Integrität zu beachten (vgl. BayVGH, U.v. 13.7.2011 - 16a D 10.565 - beck-online Rn. 66). Allerdings handelte es sich durch die Berührungen des Nackens mit Mund und Zunge um eine sexuelle Belästigung im unteren Bereich im Vergleich möglicher Handlungsformen.
27
c) Allerdings handelte der Beklagte als Fahrausbilder nicht nur mit Vorbildfunktion für die Anwärtinnen und Anwärter, sondern auch vergleichbar einer Vorgesetztenfunktion, waren die Anwärterinnen doch vom Erfolg ihrer Ausbildungsfahrt abhängig.
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Der Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts hat bei sexuellen Belästigungen von Untergebenen durch Vorgesetzte im Dienst regelmäßig entschieden, dass eine nach außen sichtbare (vielfach sogenannte „reinigende“) Maßnahme, also eine Herabsetzung im Dienstgrad, Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen sei (BVerwG, U.v. 13.2.2014 - 2 WD 4.13 - beck-online Rn. 72 m.w.N.).
29
d) Dem Strafrahmen und der konkreten Strafzumessung mit (nur) 90 Tagessätzen für die sexuelle Belästigung der Anwärterin H. kommt vorliegend im Gegensatz zu außerdienstlichen Dienstvergehen jedoch keine vergleichbar indizierende Wirkung zu. Allerdings sind regelmäßig auch die Strafzumessungserwägungen des Strafgerichts hinsichtlich des Tatvorwurfs auch im Disziplinarverfahren von Relevanz.
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Angesichts eines durchgeführten Täter-Opfer-Ausgleichs hat das Strafgericht einen milderen Strafrahmen angenommen. Zu Lasten des Beklagten wurde gewertet, dass er nicht nur während seiner dienstlichen Tätigkeit als Polizeibeamter, sondern zugleich in seiner Funktion als Vorgesetzter und dies während einer dienstlichen Prüfungsfahrt gehandelt habe, bei der es der Geschädigten nicht möglich gewesen sei, sich dem Geschehen zu entziehen. Die dem sexuellen körperlichen Kontakt vorangegangenen belästigenden Äußerungen seien erheblich gewesen. Zu seinen Lasten sei ferner zu berücksichtigen, dass es sich um keine „einmalige Entgleisung“ gehandelt habe.
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e) Diese Aspekte fallen auch vorliegend ins Gewicht. Der Beklagte hat nicht nur im Dienst gegen seine Kernpflichten als Polizeibeamter mit der Aufgabe der Verhütung und Verfolgung von Straftaten verstoßen, sondern zudem im Kernbereich seiner Ausbildungstätigkeit bei der Polizei versagt. Es ist zu wiederholten verbalen Übergriffen gekommen. Dabei konnten sich die Betroffenen der Situation im Auto nicht entziehen. Zum einen waren sie von dem Beklagten bzw. seiner Entscheidung hinsichtlich der Ausbildungsfahrt abhängig; er hatte in den betroffenen Situationen faktisch eine überlegene (Macht) Stellung, die er ausnutzte. Zudem konnten sie den verbalen Anspielungen räumlich im Auto nicht entgehen.
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Durch die Zeugenaussagen ist auch deutlich geworden, dass sie als Anwärterinnen befürchteten, sich nicht zur Wehr setzen zu können und eine erhebliche Schädigung der Polizeiausbildung verursacht wurde. Die Beeinträchtigung des Vertrauens in eine vor Diskriminierung und sexueller Belästigung geschützte Ausbildung bei der Polizei und damit auch des Betriebsfriedens bei der Fahrausbildung der ... Bereitschaftspolizei fällt daher vorliegend ebenso ins Gewicht.
33
Während das Strafgericht bei der Strafzumessung von einer ernsthaft drohenden Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ausging, haben sowohl der Dienstvorgesetzte als auch die Disziplinarbehörde im Verfahren hingegen deutlich zum Ausdruck gebracht, dass einer weiteren Verwendung des Beklagten im jetzigen Bereich „nichts entgegenstünde“.
34
Im Rahmen der gebotenen Einzelfallwürdigung der Schwere des Dienstvergehens ist vor dem Hintergrund der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung daher nicht mehr von der Höchstmaßnahme, aber dennoch von einer Zurückstufung bis ins Eingangsamt auszugehen.
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2. Einer Zurückstufung bis in das Eingangsamt stehen jedoch auch mildernde Gesichtspunkte gegenüber.
36
Während eine ansonsten pflichtgemäße Dienstausübung und durch die dienstlichen Beurteilungen bewerteten Leistungen eines Beamten für sich an sich (noch) nicht geeignet sind, einen gravierenden Pflichtenverstoß in einem milderen Licht erscheinen zu lassen (BayVGH, U.v. 16.2.2022 - 16b D 19.316 - beck-online Rn- 52, BVerwG, B.v. 12.2.2019 - 2 B 6.19 - juris Rn. 4), sind dennoch die (besonders) gute Beurteilung aus dem Jahre 2017 einerseits sowie das aktuelle Persönlichkeitsbild zugunsten des - disziplinarisch und strafrechtlich im Übrigen nicht vorbelasteten - Beklagten zu werten.
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Insbesondere hat sich der Beklagte jedoch zuletzt geständig und einsichtig gezeigt, was bereits das Persönlichkeitsbild bemerkt, und dadurch den Zeuginnen ihre Einvernahme in der mündlichen Verhandlung ersparte.
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Dass das Disziplinarverfahren bereits - erfolgreich - pflichtenmahnenden Charakter beim Beklagten hatte, belegen die Ausführungen im Persönlichkeitsbild ebenfalls. Auch auf die Ausführungen des Bevollmächtigten des Beamten kann insoweit verwiesen werden. Der Beklagte hat sich danach augenscheinlich insbesondere auch im Verhalten und in seiner Haltung Kolleginnen gegenüber angemessen zurückgenommen und verändert.
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3. Aufgrund der dennoch bestehenden Schwere des innerdienstlichen Dienstvergehens, das zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Ansehens und Vertrauens insbesondere bezüglich der Anwärterausbildung führte, ist eine Zurückstufung um zwei Stufen angemessen, aber auch erforderlich. Sie entspricht zudem Verhältnismäßigkeitserwägungen.
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Sexuellen Belästigungen im Dienst, insbesondere bei der Ausbildung gegenüber Anwärterinnen und Anwärtern, ist mit sehr deutlichen Disziplinarmaßnahmen nicht nur zur jeweiligen Pflichtenmahnung, sondern auch zur Wahrung bzw. Wiederherstellung des Ansehens des Berufsbeamtentums im Allgemeinen und der Ausbildung im Speziellen zu begegnen.
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Einer Zurückstufung bis ins Eingangsamt bedarf es unter Würdigung der Einzelfallumstände nicht.
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V. Angesichts dessen, dass das bereits am … April 2018 eingeleitete Disziplinarverfahren, dem - auch vor dem Hintergrund der Aussetzung während des Strafverfahrens - jedoch noch keine derart lange Dauer zukommt, dass die Dauer als eigenständig mildernder Aspekt zu berücksichtigen wäre, nach den Ausführungen im Persönlichkeitsbild erkennbar bereits pflichtenmahnenden Charakter, aber auch entsprechende Belastung entfaltet hat, hat das Gericht unter Berücksichtigung der besonderen Einzelfallumstände von der Möglichkeit der Verkürzung der Beförderungssperre nach Art. 10 Abs. 3 Satz 2 BayDG Gebrauch gemacht.
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VI. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.
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Aufgrund des im Anschluss an die Urteilsverkündung in der Sitzung am 19. Juli 2022 zur Niederschrift gegebenen Rechtsmittelverzichts ist das Urteil rechtskräftig.