Titel:
Teilnahme von Gewerkschaftsbeauftragten an Betriebsratssitzungen
Normenketten:
BetrVG § 2 Abs. 2, § 31, § 33
ZPO § 935, § 940
Leitsätze:
1. Die Regelung des § 31 BetrVG ist eine Ausnahmebestimmung zu § 33 Abs. 1 BetrVG. Entgegen dem sonst herrschenden Mehrheitsprinzip soll das Teilnahmerecht der Gewerkschaft an Betriebsratssitzungen bereits von einer qualifizierten Minderheit des Betriebsrats herbeigeführt werden können. § 31 BetrVG ist also eine Sonderregelung zu § 33 Abs. 1 BetrVG, dagegen nicht zu § 2 Abs. 2 BetrVG (Anschluss an BAG BeckRS 1990, 46523). (Rn. 23 und 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Jedenfalls dann, wenn der Betriebsrat mit Mehrheitsbeschluss für die Teilnahme mehrerer Gewerkschaftssekretäre gestimmt hat, besteht keine Veranlassung, mögliche Teilnahmebeschränkungen des § 31 BetrVG auch bei Mehrheitsentscheidungen anzuwenden. Es bleibt daher offen, ob der Wortlaut der Bestimmung, nach der ein Beauftragter einer im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaft an den Sitzungen beratend teilnehmen kann, dahin zu verstehen ist, dass das Teilnahmerecht auf eine Person beschränkt ist. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gewerkschaftssekretär, Zutritt Betrieb, Betriebsratssitzung, Minderheit, Mehrheitsprinzip
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg vom -- – 7 TaBVGa 1/22
Fundstelle:
BeckRS 2022, 20081
Tenor
Der Beteiligten zu 2 wird aufgegeben, den Gewerkschaftssekretären der Beteiligten zu 1, Herrn M. S. und Herrn S. F., am 24.02.2022 in der Zeit von 10 Uhr bis 13 Uhr den Zugang zum Standort der Beteiligten zu 2 in M. zum Zweck der Teilnahme an der Betriebsratssitzung zu gewähren.
Gründe
1
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Beteiligten zu 2 (nachfolgend: Arbeitgeberin), zwei Gewerkschaftssekretären der Beteiligten zu 1 (nachfolgend: Gewerkschaft) den Zutritt zum Betrieb zur Teilnahme an einer Betriebsratssitzung zu gewähren.
2
Die Arbeitgeberin betreibt in der Oberpfalz an den Standorten E., M., T., W. und W. Autohäuser mit insgesamt ca. 170 Beschäftigten. Sie hat einen Händlervertrag mit Volkswagen. Bei ihr wurde am 20.01.2022 ein Betriebsrat gewählt, dessen Vorsitzender Herr T. S. ist. Herr S. ist zudem Mitglied der antragstellenden Gewerkschaft.
3
Der Betriebsrat beschloss in seiner Sitzung vom 18.02.2022, dass an seiner Sitzung am 24.02.2022, die ab 10:00 Uhr am Standort in M. stattfindet, die Gewerkschaftssekretäre S. und F. von der Gewerkschaft teilnehmen werden (Bl. 11 d. A.).
4
Herr S. ist der örtliche Betreuer des Betriebsrats und war in die Betriebsratsgründung von Anfang an involviert. Herr F. ist bei der Vorstandsverwaltung der IG Metall tätig und dort u.a. im Bundesfachausschuss für Volkswagen tätig ist. Er hat über den Gesamtbetriebsrat von Volkswagen ein Complianceverfahren angestoßen, nachdem es im Zusammenhang mit der durchgeführten Betriebsratswahl zu gerichtlichen und außergerichtlichen Streitigkeiten gekommen ist.
5
Herr S. teilte dem Geschäftsführer der Arbeitgeberin mit E-Mail vom 15.02.2022 mit, dass er und ein Kollege an der Betriebsratssitzung am 18.02.2022 teilnehmen werden. Der Geschäftsführer antwortete und gestattete die Anwesenheit einer Person. Eine weitere Person lehne er ab.
6
Auch der Aufforderung des Prozessbevollmächtigen der Gewerkschaft vom 18.02.2022, beiden Personen Zutritt zu gewähren, begegnete die Arbeitgeberin abschlägig.
7
Die Gewerkschaft ist der Auffassung, dass § 31 BetrVG nur das Recht einer Minderheit auf Hinzuziehung von Gewerkschaftsvertretern zu Betriebsratssitzungen regele. Über den Wortlaut der Bestimmung hinaus könne auch der Betriebsrat durch Beschluss die Teilnahme von Beauftragten einer im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaft zulassen. Zudem beschränke § 31 BetrVG das Teilnahmerecht nicht auf eine Person.
8
Die Teilnahme von Herrn F. und Herrn S. sei auch im Interesse einer sachgerechten Beratung des Betriebsrats. Herr F. könne Spezialwissen auf dem Bereich des Kfz-Handwerks beisteuern, aber auch den Umgang mit Compliancethematiken, insbesondere mit Blick auf Volkswagen als Vertragspartner der Arbeitgeberin, erläutern. Die Teilnahme von Herrn S. an der Betriebsratssitzung als Betriebsratsbetreuer sei für die weitere Zusammenarbeit und Koordinierung relevant. Herr S. sei nicht darauf angewiesen, im Nachgang vom Hörensagen Informationen von Herrn F. oder dem Betriebsrat zu erhalten.
9
Die Gewerkschaft beantragt im Wege der einstweiligen Verfügung,
die Beteiligte zu 2 dazu zu verpflichten, den Gewerkschaftssekretären der Beteiligten zu 1, Herrn M. S. und Herrn S. F., am 24.02.2022 in der Zeit von 10:00 Uhr bis 13:00 Uhr Zugang zum Standort der Beteiligten zu 2 in M. zum Zweck der Teilnahme an der Betriebsratssitzung zu gewähren.
10
Die Arbeitgeberin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
11
Sie ist der Ansicht, § 31 BetrVG verlange vom Arbeitgeber nur einem Gewerkschaftsmitglied Zutritt zu gewähren. Dies ergebe die Auslegung der Bestimmung. Schon der Wortlaut sei eindeutig und sehe vor, dass „ein Beauftragter“ ein Teilnahmerecht ausüben könne, nicht „mehrere Beauftragte“. Der Gesetzgeber habe an anderer Stelle auch den Plural des Begriffes benutzt, etwa bei § 46 BetrVG, wonach „Beauftragte“ an Betriebsoder Abteilungsversammlungen teilnehmen können. Wenn der Gesetzgeber zwischen dem Singular und Plural eines Begriffes unterschieden habe, sei davon auszugehen, dass er dies bewusst gemacht habe. Im Übrigen verfolge § 31 BetrVG das Ziel, gewerkschaftliche Minderheiten im Betriebsrat zu schützen, nicht einer beliebigen Anzahl von Gewerkschaftsvertretern ein Teilnahmerecht an Betriebsratssitzungen zu verschaffen.
12
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 23.02.2022 Bezug genommen.
13
1. Der Antrag ist zulässig.
14
Der Rechtsweg zu den Gerichten der Arbeitsgerichtsbarkeit ist gegeben (§ 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG).
15
Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts W. folgt aus § 82 Abs. 1 Satz 1 ArbGG.
16
Die Möglichkeit, Rechte auch im Beschlussverfahren im Wege der einstweiligen Verfügung zu verfolgen, wird durch die §§ 85 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 935, 940 ZPO eröffnet.
17
Im Übrigen begegnen der Zulässigkeit des Antrags keine Bedenken.
18
2. Der Antrag ist auch begründet.
19
Nach §§ 935, 940 ZPO sind einstweilige Verfügungen auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung dafür ist, dass die antragstellende Gewerkschaft einen Verfügungsanspruch sowie einen Verfügungsgrund schlüssig darlegt und glaubhaft macht.
20
Das ist vorliegend geschehen.
21
a) Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus § 2 Abs. 2 BetrVG. Demnach ist zur Wahrnehmung der in diesem Gesetz genannten Aufgaben und Befugnisse der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften deren Beauftragten nach Unterrichtung des Arbeitgebers Zugang zum Betrieb zu gewähren. Die Teilnahme an Betriebsratssitzungen kann zu diesen Aufgaben gehören. Die in § 2 Abs. 2 BetrVG genannten Einschränkungen liegen offensichtlich nicht vor und wurden auch von der Arbeitgeberin im Verfahren nicht vorbracht.
22
Dem Verfügungsanspruch steht § 31 BetrVG nicht entgegen. Das Bundesarbeitsgericht führt in seinem Urteil vom 28.02.1990, 7 ABR 22/89 zur weitgehend inhaltsgleichen Vorgängerregelung des § 31 BetrVG aus.
23
Das Gesetz regelt in § 31 BetrVG im Interesse des Minderheiten- und Gruppenschutzes nur einen Sonderfall der Teilnahme von Gewerkschaftsbeauftragten an Betriebsratssitzungen. Im Dritten Abschnitt des Betriebsverfassungsgesetzes, der sich mit der Geschäftsführung des Betriebsrats befasst, findet sich einerseits keine Vorschrift, die ausdrücklich bestimmt, dass der Betriebsrat mit einfacher oder absoluter Mehrheit die Teilnahme von Gewerkschaftsbeauftragten an Betriebsratssitzungen beschließen kann. Das Gesetz enthält andererseits auch kein entsprechendes Verbot. Die Vorschrift des § 31 BetrVG stellt insoweit eine Ausnahmeregelung dar, als bereits einer Minderheit des Betriebsrats … in Abweichung von der nach § 33 BetrVG für Betriebsratsbeschlüsse erforderlichen einfachen … Mehrheit das Recht eingeräumt wird, die Unterstützung der im Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften in Anspruch zu nehmen. Für die Annahme, dass dem Betriebsrat als Organ geringere Rechte im Hinblick auf eine Hinzuziehung von Gewerkschaftsbeauftragten zu seinen Sitzungen zustehen sollen als den in § 31 BetrVG erwähnten Teilen des Betriebsrats, bietet das Gesetz keine Anhaltspunkte. Die Vorschrift des § 31 BetrVG hat keinen abschließenden Charakter in dem Sinne, dass hier umfassend die Teilnahmerechte der Gewerkschaften an Betriebsratssitzungen geregelt werden. Diese Bestimmung ist lediglich Ausdruck des dort verankerten Minderheiten- und Gruppenschutzes. Sie stellt jedoch keine Norm dar, die eine Begrenzung der Kompetenzen des Gesamtorgans bezweckt.
24
Dieser Auslegung schließt sich die erkennende Kammer an. Bereits die Stellung des § 31 BetrVG im Gesetz macht deutlich, dass sie eine Ausnahmebestimmung zu § 33 Abs. 1 BetrVG darstellen soll. Entgegen dem sonst herrschenden Mehrheitsprinzip soll das Teilnahmerecht der Gewerkschaft an Betriebsratssitzungen bereits von einer qualifizierten Minderheit des Betriebsrats herbeigeführt werden können. § 31 BetrVG ist also eine Sonderregelung zu § 33 Abs. 1 BetrVG, dagegen nicht zu § 2 Abs. 2 BetrVG.
25
Unabhängig davon, ob man einem beachtlichen Teil der Kommentarliteratur (Fitting, § 31 Rn. 19; GK-Raab, § 31 Rn. 16; Erf, § 31 Rn. 1) folgen will, die ablehnt, das Teilnahmerecht aus § 31 BetrVG auf eine Person zu beschränken, ergibt sich das Zutrittsrecht beider Gewerkschaftssekretäre aus dem Beschluss des Betriebsrats vom 18.02.2022. Jedenfalls dann, wenn der Betriebsrat mit Mehrheitsbeschluss für die Teilnahme der Gewerkschaftssekretäre gestimmt hat, besteht keine Veranlassung, mögliche Teilnahmebeschränkungen des § 31 BetrVG auch bei Mehrheitsentscheidungen anzuwenden. Das Bundesarbeitsgericht führt in der oben zitierten Entscheidung zu dieser Thematik aus:
26
Der Zweck des § 31 BetrVG besteht … nicht in der Abwehr von betriebsfremden Einflüssen auf die vom Betriebsrat im Rahmen der Betriebsverfassung wahrzunehmenden Aufgaben. Für eine derartige Zielsetzung, die eine restriktive Auslegung der Vorschrift gebieten könnte, bietet der Inhalt des § 31 BetrVG keine Anhaltspunkte. Das im Interesse des Minderheiten- und Gruppenschutzes geschaffene Antragsrecht ist vom Gesetzgeber nicht als Abwehrrecht, sondern vielmehr als ein positives Recht ausgestaltet worden, das zum Ziel hat, die Unterstützungsfunktion der Gewerkschaften auch Minderheiten bei der Betriebsratsarbeit zugutekommen zu lassen.
27
b) Der Verfügungsanspruch liegt vor. Die Eilbedürftigkeit der Entscheidung ergibt sich aus der unmittelbar bevorstehenden Betriebsratssitzung.