Inhalt

LG Landshut, Endurteil v. 10.08.2022 – 55 O 458/22
Titel:

(Keine) sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines Opel-Diesel-Fahrzeugs (hier: mehrere Opel Zafira 1.6)

Normenketten:
BGB § 199 Abs. 1 Nr. 2, § 826, § 852
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Vgl. zu Diesel-Fahrzeugen von Opel: OLG München BeckRS 2021, 52557; BeckRS 2021, 52562; OLG Bamberg BeckRS 2021, 52538; OLG Schleswig BeckRS 2022, 8917; OLG Frankfurt BeckRS 2022, 10556; OLG Köln BeckRS 2022, 12855; OLG Koblenz BeckRS 2022, 10605; LG Landshut BeckRS 2021, 53844; LG Memmingen BeckRS 2022, 12853. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB stützenden Feststellungen zum EA 189 von VW gelten für den von Opel entwickelten Motor ebenfalls. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch der Käufer eines Opel-Fahrzeugs hätte spätestens im Jahr 2016 der Frage nachgehen müssen, ob auch sein Fahrzeug vom "Diesel-Abgasskandal" betroffen ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Wird ein Fahrzeug, dessen zuvor produzierte Modelle noch eine unzulässige Abschalteinrichtung aufgewiesen haben,  bereits ab Werk mit der neuesten, vom KBA freigegebenen Softwareversion ausgestattet, entsteht dem Käufer kein Schaden. (Rn. 44 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Opel, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Software-Update, Verjährung, grob fahrlässig, Restschadensersatz, Nutzungsentschädigung, Gewinn
Fundstelle:
BeckRS 2022, 20025

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 21.624,22 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.12.2021 zu zahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung der Fahrzeuge Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr. … und Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr. …
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagtenseite mit der Rücknahme der Pkws Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr. … und Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr. … in Annahmeverzug befindet.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtstreits haben die Klägerin 2/3 und die Beklagte 1/3 zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 60.896,85 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten „Abgasskandal“.
2
Die Klägerseite erwarb durch Kaufverträge die nachstehend benannten Fahrzeuge:
1. Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr.: …
EG-Typgenehmigung: e4*2007/46*0204*28
Kaufpreis: 16.250,49 €
Kaufdatum: 11.04.2017
km bei Übergabe: 0
2. Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr.: …
EG-Typgenehmigung: e4*2007/46*0204*29
Kaufpreis: 17.556,60 €
Kaufdatum: 18.07.2017
km bei Übergabe: 0
km aktuell: 143.658
3. Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr.: …
EG-Typgenehmigung: e4*2007/46*0204*22
Kaufpreis: 17.408,52 €
Kaufdatum: 06.07.2016
km bei Übergabe: 0
4. Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr.: …
EG-Typgenehmigung: e4*2007/46*0204*22
Kaufpreis: 18.559,27 €
Kaufdatum: 26.07.2016
km bei Übergabe; 0
5. Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr.: …
EG-Typgenehmigung: e4*2007/46*0204*28
Kaufpreis: 17.217,14 €
Kaufdatum: 11.04.2017
km bei Übergabe; 0
3
Die Fahrzeuge wurde der Klägerseite übergeben und sind in ihrem Besitz. In den streitgegenständlichen Fahrzeugen sind von der A1. O. AG entwickelte Motoren verbaut. Diese ist die Rechtsvorgängerin der Beklagten. Diese wurden in die Schadstoffklasse Euro 6 eingruppiert. Die beiden Fahrzeuge mit den FIN … und … waren bei Auslieferung mit der ersten Generation des Emissionskontrollsystems ausgerüstet. Die Fahrzeuge (FIN …, … und …) sind Fahrzeuge der neuen Generation. Das Kraftfahrtbundesamt hat im Oktober 2018 einzelne Parameter des Emissionskontrollsystems des Fahrzeugtyps der ersten Generation beanstandet. Die Klägerin ist vorsteuerabzugsberechtigt.
4
Die Klägerin behauptet, dass bei den Fahrzeugen, die von der A1. O. AG in Verkehr gebracht wurden, mittlerweile vier unzulässige Abschalteinrichtungen detektiert werden konnten. Die Klägerseite bestreitet, dass bei Auslieferung die unzulässigen Abschalteinrichtungen bereits beseitigt gewesen seien. Die Fahrzeuge Nr. 3 und 4 entsprächen dem Baujahr 2016, so dass dies auch vom Rückruf durch das KBA wegen des Vorliegens unzulässiger Abschalteinrichtungen (ein unzulässiges Thermofenster, eine Prüfstandserkennung und eine unzulässige Adblue-Dosierstrategie) umfasst seien, die dem KBA eben nicht offengelegt worden seien. Es wird mit Nichtwissen bestritten, dass Fahrzeuge ab 31.07.2016 mit aktualisierter Software ausgestattet worden und die streitgegenständlichen nicht vom Rückruf umfasst seien. Das streitgegenständliche Modell stimme mit dem zurückgerufenen überein. Hilfsweise beruft sich die Klägerseite auf einen Anspruch auf einen Minderwert. Dieser sei im Hauptanspruch als Minus enthalten.
5
Die Klägerin beantragt zuletzt.
1. Die Beklagten Seite wird verurteilt an die Klägerseite für die Fahrzeuge mit den FIN:
einen Betrag in Höhe von 57.613,46 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.12.2021 zu zahlen, Zugum-Zug gegen Herausgabe und Übereignung der Fahrzeuge.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagtenseite mit der Rücknahme der im Klageantrag zu Ziffer 1. genannten Pkws in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagtenseite wird verurteilt, an die Klägerseite die außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 4.564,40 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
6
Die Beklagte beantragt zuletzt,
die Klage abzuweisen.
7
Die Beklagte behauptet, dass das Emissionskontrollsystem der streitgegenständlichen Fahrzeuge keine Prüfzyklus- oder Prüfstandserkennung enthalten würden. Es sei nicht mit dem Emissionskontrollsystems des VolkswagenMotors EA189 und dessen „Umschaltlogik“ vergleichbar. Die Beklagte bestreitet die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Kilometerstände. Hilfsweise beruft sie sich auf Verjährung. Die streitgegenständlichen Fahrzeuge würden nicht zwischen dem Betrieb auf dem Prüfstand und auf der Straße unterscheiden. Der Vorwurf der Klägerin, in ihren ehemaligen Fahrzeugen sei ein unzulässiges „Thermofenster“ enthalten gewesen, sei demgegenüber nicht geeignet, einen Schadensersatzanspruch zu begründen. Drei der fünf streitgegenständlichen Fahrzeuge (FIN …, … und …) (nachfolgend „Fahrzeuge der neusten Generation“) seien bereits ab Werk mit der neusten Softwareversion zur Optimierung und Verbesserung der Emissionsminderungsleistung ausgestattet gewesen, die vom Kraftfahrt-Bundesamt nach intensiven Verifizierungsprüfungen als gesetzeskonform bestätigt und genehmigt worden seien. Diese Fahrzeuge yyüßjen keinem Rückruf unterliegen. Auch für die beiden anderen Fahrzeuge mit den FIN … und …, die bei Auslieferung mit der ersten Generation des Emissionskontrollsystems ausgerüstet waren und mittels Software-Update im Jahr 2019 auf den emissionstechnisch neusten Stand gebracht worden seien (nachfolgend „Fahrzeuge der ersten Generation“), ergebe sich nichts anderes. Die Beklagtenseite bestreitet mit Nichtwissen, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Rechnung in Höhe von 4.564,40 € ausgestellt habe. Sie geht insoweit davon aus, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin von vornherein Klageauftrag hatte, sodass der Klägerin Gebühren für eine vorgerichtliche Anwaltstätigkeit nicht entstanden seien.
8
Eine Beweisaufnahme wurde nicht durchgeführt.
9
Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.07.2022 wird Bezug genommen. Zur Ergänzung des Tatbestands wird ferner auf alle gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst ihren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10
1) Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
11
2) Die Klagepartei hat einen Anspruch auf Rückübertragung der PKWs Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr.: … und Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr.: … abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von insgesamt 14.343,57 € aus § 852 BGB gegen die Beklagte in Bezug auf die streitgegenständlichen Fahrzeuge mit der FIN … und … Zur Begründung wird vollumfänglich auf das Urteil das OLG München vom 20.09.2021, Az. 17 U 3123/21, Be zug genommen: (…)
12
1. Die Klagepartei hat keinen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB gegen die Beklagte.
13
a) Vertragliche Ansprüche sind mangels Kaufvertrags zwischen den Parteien nicht gegeben.
14
b) Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Verordnungen zur Regelung des Abgasverhaltens (EG-FGV, VOEG 715/07) entfallen mangels Schutzgesetzeigenschaft (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798, 2799f., Randziffern 11, 13 und 15; Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20, WM 2021, 50, 52, Randziffer 20; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, WM 2021, 652, 653, Randziffer 10 - nach juris; Urteil vom 08.03.2021, VI ZR 505/19, Randziffer 37 - nach juris; s.a. Urteil vom 21.03.2021, VI ZR 1180/20, WM 2021, 986, 988, Randziffer 19).
15
c) Es kann dahinstehen, ob Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB  i. V. m. § 263 Abs. 1 StGB bestehen (was im Hinblick auf die Stoffgleichheit auch bei einem Neufahrzeug zweifelhaft sein könnte: vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798, 2801f., Randziffern 24 bis 26; Urteil vom 08.12.2020, VI ZR 244/20, WM 2021, 50, 52, Randziffer 20; Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, WM 2021, 652, 653, Randziffer 10; s.a. Urteil vom 21.03.2021, VI ZR 1180/20, WM 2021, 986, 988, Randziffer 19).
16
d) Jedenfalls hat der Kläger zunächst einmal grundsätzlich in Übereinstimmung mit dem Urteil des BGH vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19, WM 2020, 1078) einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB. Die dort für den BGH bindenden Feststellungen der vorausgegangenen Tatsacheninstanz gelten im vorliegenden Fall ebenfalls.
17
e) Dieser ist jedoch verjährt (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB):
18
aa) Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus (BGH, Urteil vom 04.07.2019, III ZR 202/18, WM 2019, 1441, 1442, Randziffer 15). Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt nur vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung („Verschulden gegen sich selbst“) vorgeworfen werden können, weil sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben, er davor aber letztlich die Augen verschlossen (BGH, Urteil vom 28.02.2012, VI ZR 9/11, NJW 2012, 1789, 1791, Randziffer 17; s.a. BGH, Urteil vom 25.10.2018, III ZR 122/17, WM 2018, 2271, 2272, Randziffer 14), und er leicht zugängliche Informationen nicht genutzt hat (BGH, Urteil vom 03.11.2016, 111 ZR 84/15, WM 2016, 2342, 2343, Randziffer 23). Sein Verhalten muss schlechthin unverständlich beziehungsweise unentschuldbar sein. Hierbei unterliegt die Feststellung, ob die Unkenntnis des Gläubigers von verjährungsauslösenden Umständen auf grober Fahrlässigkeit beruht, als Ergebnis tatrichterlicher Würdigung einer Überprüfung durch das Revisionsgericht dahingehend, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denkgesetze, allgemeine Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften gewürdigt worden ist, und ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grads des Verschuldens wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (BGH, Urteil vom 23.03.2017, III ZR 93/16, WM 2017, 799, 799f., Randziffer 8; Urteil vom 20.07.2017, III ZR 296/15, WM 2017, 1702, 1705, Randziffer 24; Urteil vom 04.07.2019, 111 ZR 202/18, WM 2019, 1441, 1442, Randziffer 15; s.a. BGH, Urteil vom 25.10.2018, III ZR 122/17, WM 2018, 2271, 2272, Randziffer 13). Hierbei trifft den Gläubiger generell keine Obliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben; vielmehr muss das Unterlassen von Ermittlungen nach Lage des Falles als geradezu unverständlich erscheinen, um ein grob fahrlässiges Verschulden des Gläubigers bejahen zu können (BGH, Urteil vom 28.02.2012, VI ZR 9/11, NJW 2012, 1789, 1791, Randziffer 17; s.a. BGH, Urteil vom 25.04.2012, GRUR 2012, 1279, 1284, Randziffer 55; Urteil vom 08.05.2014, WM 2014, 1284, 1288, Randziffer 39 s.a. Urteil vom 11.09.2014, III ZR 217/13, WM 2015, 445, 447, Randziffer 16; Urteil vom 02.07.2015, III ZR 149/14, WM 2015, 1413, 1414, Randziffer 11; Urteil vom 17.03.2016, VI ZR 47/15, WM 396 2016, 732, 733, Randziffer 11). Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt dabei für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes persönliches Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einhergeht. Vielmehr ist ein solcher Vorwurf nur dann gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (BGH, Urteil vom 25.10.2018, III ZR 122/17, WM 2018, 2271, 2273, Randziffer 14).
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bb) Beginnend mit der ersten Adhoc-Mitteilung der Beklagten am 22.09.2015 setzte ein wahrer Sturm in den Medien mit Berichten über den Dieselskandal ein, wie der Kläger in seiner Berufungsbegründung selbst vorträgt, der zur Überzeugung des Senats auch dem Kläger nicht entgangen sein kann. Dann wäre es aber für den Kläger innerhalb weniger Minuten mühelos feststellbar gewesen, ob sein Fahrzeug hiervon betroffen war. Das dem der Kläger nicht wenigstens 2016 nachgegangen ist, erscheint dem Senat schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar, weil es geradezu auf der Hand lag.
20
cc) Die Einwände des Klägers hiergegen helfen ihm nicht weiter: Durchsetzbar waren die Ansprüche des Klägers nicht erst mit dem Urteil des BGH vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19, WM 2020, 1078). Gerade das dieser Entscheidung zugrunde liegende Verfahren beweist das Gegenteil. Die Hinweise in den Medien waren nach Ansicht des Senats so eindeutig, dass Klageerhebung spätestens 2016 zumutbar war. Im Übrigen liefe die Vorschrift des § 199 Abs. 1 BGB faktisch leer, wenn immer erst auf eine Grundsatzentscheidung des BGH gewartet werden könnte. Es handelt sich hier nicht um eine Konstellation, wie sie vielleicht gegenüber der A2. AG bei einem EA 189-Motor angenommen werden könnte: Hier war der Hersteller des Motors und des Fahrzeugs in einer (juristischen) Person vereint. Irgendjemand bei der Beklagten, sei es im Vorstand (§ 31 BGB), sei es unterhalb dieser Entscheidungsebene (§ 831 BGB), musste den Einbau dieses Motors angeordnet haben. Der Kläger selbst, als Partei vernommen, hat eingeräumt, 2015 oder 2016 vom Dieselskandal erfahren und dann das Schreiben der Beklagten (von 2016) erhalten zu haben. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern der Kläger diesbezüglich die Unwahrheit gesagt haben sollte. Damit war eine Klage 2016 vielleicht nicht risikolos (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17.12.2020, VI ZR 739/20, WM 2021, 135, 135f., Randziffer 8), aber eben ohne Weiteres für den Kläger möglich. Ein Neuanlauf der Verjährungsfrist aufgrund Aufspielens des Softwareupdates als Anerkenntnis nach § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Beklagte dieses nicht aus allein eigenem Antrieb, sondern ganz wesentlich aufgrund entsprechenden Bescheides des Kraftfahrtbundesamtes veranlasst hat.
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f) Keinen Schadensersatzanspruch hat der Kläger wegen vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit dem Aufspielen des Softwareupdates: Denn damit könnte, die Richtigkeit des klägerischen Vortrags einmal unterstellt, der Kläger allenfalls einen gesonderten Entschädigungsanspruch bzw. gegebenenfalls ein Entfernen des Softwareupdates erreichen, nicht aber, was sein Klageziel ist, so gestellt zu werden, wie er vor Kauf des Kraftfahrzeugs stünde. Denn das Aufspielen des Softwareupdates hat mit dem Kauf des Kraftfahrzeugs nichts zu tun und kann daher nicht zur „Quasirückabwicklung“ des Kaufs führen.
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2. Der Kläger hat jedoch einen Schadensersatzanspruch als Bereicherungsanspruch gegen die Beklagte nach § 852 Satz 1 BGB n. F.:
23
a) Nicht ganz verständlich ist die Einwendung der Beklagten, dem Kläger sei gar kein Schaden entstanden. Die ständige Rechtsprechung des BGH steht dem entgegen (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 575/20, ZIP 2021, 1922, 1923, Randziffer 17 mit weiteren Nachweisen). Warum dies bei § 852 BGB anders sein sollte, ist nicht recht einsichtig. Der Vermögensverlust findet sich hier in der Hingabe des Kaufpreises (weil der Wert des Kraftfahrzeugs hierbei gerade nicht gegengerechnet werden darf). Im Übrigen wäre, Richtigkeit des Vortrags der Beklagten hierzu unterstellt, das Urteil des BGH vom 17.12.2020 (VI ZR 739/20, WM 2021, 135, 139, dort insbesondere Randziffer 29) unverständlich.
24
b) Ziel des § 852 BGB ist es, dem Schädiger das nicht zu belassen, womit er aufgrund seiner vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung noch bereichert ist (Palandt-Sprau, 80. Auflage, § 852 Randziffer 2).
25
c) Es handelt sich dabei um eine Rechtsfolgenverweisung, wobei Erlangtes als jedweder Zufluss materieller oder immaterieller Art zu verstehen ist (6eck-Online Großkommentar, Stand: 01.06.2021, § 852 BGB Randziffer 17).
26
d) Der Anspruch wird der Höhe nach durch den Ursprungsanspruch (vor Verjährung) nach §§ 826, 249 Abs. 2 Satz 1 BGB begrenzt.
27
e) Außerdem muss dabei berücksichtigt werden, dass eigener üblicher Wareneinsatz, Personalkosten usw. abzuziehen sind. Das hat nichts mit der Frage der Entreicherung zu tun, da diese Kosten gerade vor der sittenwidrigen Schädigung des Klägers angefallen sind.
28
f) Dem gegenüber unverständlich ist der Vortrag der Beklagten, sich auf § 818 Abs. 3 BGB berufen zu können. Die Argumentation der Beklagten würde auf den sicherlich falschen Rechtssatz hinauslaufen: „Je schwerwiegender der vorsätzliche und sittenwidrige Verstoß des Schädigers, umso mehr kann er sich auf Gutgläubigkeit im Sinne des § 819 Abs. 1 BGB berufen.“ Deshalb kann die Beklagte auch keinerlei Aufwendungen zur Schadensminimierung gegenrechnen.
29
g) Damit kann der Kläger von der Beklagten lediglich den von ihr erzielten Gewinn, bezogen auf sein Fahrzeug, herausverlangen. Nutzungsersatz ist hiervon nicht noch einmal abzuziehen, da dieser bereits in die Bestimmung der „Kappungsgrenze“ (siehe oben Ziffer B 11 5) für den Anspruch nach §§ 826, 249 Abs. 2 Satz 1 BGB eingeflossen ist.
30
h) Eine Klageänderung zum Ausgangsrechtsstreit wegen sittenwidriger Schädigung liegt in der Geltendmachung des Anspruchs nach § 852 Satz 1 BGB ebenfalls nicht (vgl. BGH, Urteil vom 16.01.1961, III ZR 204/59, VersR 1961, 326, 328 Ziffer II a; nach juris Randziffer 32).
31
i) Die Ursächlichkeit der sittenwidrigen Täuschung des Klägers über das Abgasverhalten seines erworbenen Fahrzeugs für den Kaufentschluss ist schon deshalb anzunehmen, weil ansonsten der Widerruf der Zulassung gedroht hätte. Dass er sich in dieser Kenntnis nicht auf einen entsprechenden Kauf eingelassen hätte, wie der Kläger als Partei bekundete, hält der Senat für nachvollziehbar und glaubhaft.
32
j) Unterstellt man fehlende Verjährung des Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB, hätte der Kläger einen solchen in Höhe von € 20.171,53, wobei der Senat die Nutzungsentschädigung durch lineare Abschreibung nach Kilometern bei einer durchschnittlichen Laufleistung von 250.000 km schätzt (§ 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO; vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, WM 2020, 1078, 1088, Randziffern 79f.; s.a. Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, WM 2020, 1642, 1646, Randziffer 35f.; Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 533/20, WM 2021, 1817, 1820, Randziffer 32; Urteil vom 20.07.2021, VI ZR 575/20, ZIP 2021, 1922, 1925, Randziffer 33):
Bruttoneupreis: € 26.000,00 (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.09.2021, Seite 2 = BI. 118 d. A.).
Kilometerstand am Schluss der mündlichen Verhandlung: 56.043.
Durchschnittliche Laufleistung: 250.000 km (auch wenn dem Senat bewusst ist, dass viele Fahrzeuge wesentlich mehr Kilometer erbringen, darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass bereits weit vor Erreichen dieser Laufleistung Fahrzeuge durch Unfälle oder andere Schäden zu Totalschäden werden).
Nutzungsentschädigung: 56.043 / 250.000 x € 26.000,00 = € 5.828,47.
Schaden für den Kläger: € 26.000,00 - € 5.828,47 = € 20.171,53.
33
k) Der Senat schätzt das von der Beklagte Erlangte auf € 1.536,30 (§ 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO):
34
Die absolute Obergrenze liegt bei € 20.171,53.
35
Die Beklagte hat das Rechtsgutachten von Prof. Dr. M. vom 22.10.2020 vorgelegt (vgl. Beklagtenanlageband), in dem auf Seite 62 eine Abschätzung des Instituts für Automobilwirtschaft abgedruckt ist, wonach der durchschnittliche Gewinn für ein Neufahrzeug bei 5,5% des Nettopreises liegt. Der Senat geht davon aus, dass dieser Gewinn herauszugeben ist. Da Rabatte sich im Allgemeinen negativ auf die Händlermarge auswirken, bleiben diese hier unberücksichtigt, sodass als Basis der Bruttoneukaufpreis von € 33.239,90 abzüglich 19% Umsatzsteuer, also € 27.932,69 zugrunde zu legen sind. Der Kläger hat auf den Schriftsatz der Beklagten vom 11.02.2021, mit dem diese das Rechtsgutachten von Prof. Dr. M. vorlegte, hierzu konkret nichts vorgetragen. Auch wenn das Institut für Automobilwirtschaft als Teil der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen möglicherweise der kraftfahrzeugherstellenden Industrie nahe stehen könnte (dem Senat ist hierzu allerdings nichts bekannt), erscheint die Gewinnabschätzung doch im Hinblick auf diese konkrete prozessuale Situation im vorliegenden Rechtsstreit nicht von Beklagtenseite Interessengeleitet, zumal die Gewinnschätzung nicht für die Fragen des § 852 BGB angefertigt worden sein dürfte, so dass der Senat der Überzeugung ist, dass die Aufstellung als Schätzgrundlage tauglich ist. Der herauszugebende Gewinn der Beklagten beläuft sich daher auf geschätzt 5,5% von € 27.932,69, ergibt € 1.536,30.
36
3. Keinen Anspruch hat der Kläger hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Klägervertreterin:
37
a) Bei Beauftragung der Klägervertreterin bestand noch kein Verzug (vgl. Schreiben Klägervertreterin vom 10.11.2020, Anlage K 2). Speziell bei verjährten Ansprüchen im Rahmen des sogenannten Dieselskandals war von vorneherein klar, dass sich die Beklagte auf keinerlei vorgerichtliche Regulierungen oder vergleichsweise Einigungen einlassen würde, weshalb das Schreiben der Klägervertreterin vom 10.11.2020 sinnlos war und damit deren vorgerichtliche Tätigkeit nicht ersatz fähig ist.
38
b) Zudem sind diese abhängig von der Hauptsacheforderung, also dem Schadensersatzanspruch wegen sittenwidriger Schädigung, der zunächst vom Kläger geltend gemacht wurde. Da dieser aber verjährt ist, muss dies auch für den Nebenanspruch vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten gelten.
39
4. Da die Forderung im Schreiben der Klägervertreterin vom 10. 11.2020 (Anlage K 2) viel zu hoch war, ist nach Auffassung des Senats dadurch kein Verzug eingetreten (vgl. BGH, Urteil vom 05.10.2005, X ZR 276/02, NJW 2006, 769, 771, Randziffer 24), sodass lediglich Rechtshängigkeitszinsen geschuldet sind.
(…)
40
Diese Begründung zu eigen gemacht, folgt daraus folgende Schadensberechnung für das hier geltend gemachte Klagebegehren. Die Klägerin ist vorsteuerabzugsberechtigt.
41
Bei unterstellter fehlender Verjährung des Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB:
1. Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr. …
Nettokaufpreis; 17.408,52 €
Kilometerstand am Schluss der mündlichen Verhandlung; 107.248 km
Durchschnittliche Laufleistung: 250.000
Nutzungsentschädigung: 17.408,52 X 107.248 km; 250.000 = 7468,11 €
Schaden für den Kläger: 17408,52 - 7468,11 € = 9.940,41 €
2. Opel Zafira 1.6, Fahrzeugidentifikations-Nr.: …
Nettokaufpreis 18.559,27 €
Kilometerstand am Schluss der mündlichen Verhandlung; 92.615 km
Durchschnittliche Laufleistung; 250.000 km
Nutzungsentschädigung: 18.559,27 € X 92.615 km; 250.000 € = 6.875,46 €
Schaden für den Kläger: 18.559,27 € - 6.875, 46 € = 11.683,81 €
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Das Gericht geht aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Lichtbilder (Anlage Protokoll 05.07.2022) von den der Klägerseite vorgelegten aktuellen Kilometerständen aus. Das Gericht geht angesichts der eingeschränkten Haltedauer der Fahrzeuge bei der Klägerin von einer durchschnittlichen Laufleistung von 250.000 km aus.
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3. Aufgrund des Bestehens der Hauptforderung in Höhe von 21.624,22 € steht der Klägerseite ein Anspruch auf Zahlung von Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.12.2021 zu nach §§ 286, 288 Abs. 2 BGB. Die Klägerseite führte mit Schriftsatz vom 14.07.2022 aus, dass es ein anwaltliches Forderungsschreiben mit Fristsetzung zum 28.12.2021 gegeben habe. Dies wird von der Beklagtenseite nicht bestritten, sodass dies nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt.
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3) Die streitgegenständlichen Fahrzeuge mit den FIN …, … und … sind bereits ab Werk mit der neuesten Softwareversion ausgestattet. Dies ergibt sich nach Ansicht des Gerichts aus dem Freigabebescheid für das Software-Update vom 16. Februar 2018 (Anlagenkonvolut AOG-11) sowie aus den Übereinstimmungsbescheinigungen dieser drei Fahrzeuge (Anlagenkonvolut AOG-17). Dem ist die Klägerseite auch nicht mit ihrem Schreiben vom 27.06.2022 entgegengetreten.
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Dieses Softwareupdate entspricht mithin der erteilten Typengenehmigung und kann uneingeschränkt genutzt werden. Es hat keinen relevanten Einfluss auf die zertifizierten Werte zum Kraftstoffverbrauch und zu den CO₂ Emissionen. Auch wurde dieses Update von dem KBA freigegeben (AOG 11). Insbesondere hat die Klägerseite einen noch bestehenden Rückruf durch das KBA nicht substantiiert dargelegt. Es wird nicht dargelegt, weswegen dennoch ein Schaden vorliegen sollte. Insofern kommt der Kläger seiner Darlegungs- und Beweislast nicht nach. Somit liegt schon kein Schaden vor.
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a) Ein Anspruch nach § 826 BGB besteht für den Kläger nicht. Ein Vertragsabschluss war für die Klagepartei nach der Verkehrsanschauung gerade nicht unvernünftig und nachteilig. Es ist für das Gericht nicht ersichtlich, wie man unter Zugrundelegung eines subjektbezogenen Schadensbegriffs in Anbetracht des unstreitigen Prüfungsergebnisses des KBA über die Nachrüstung mittels der aufgespielten Software vor dem Kaufvertragsschluss des streitgegenständlichen PKW, den Nachweis eines Schadens auf Klägerseite begründen möchte. Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachhaltig ansieht (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, VI ZR 252/19-, Rn. 46, juris). Doch an solchem Nachweis fehlt es gerade. Die Klagepartei kann in Anbetracht der Tatsache, dass zu keinem Zeitpunkt nach dem Aufspielen der hiesigen Software die Gefahr einer Betriebsuntersagung bestand. Die Klägerpartei kann vorliegend gerade nicht den Nachweis führen, dass der Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs für die Klagepartei nach dem Aufspielen der Software unvernünftig und nachteilig war.
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b) Ebenso wenig bestehen Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem EG-FGV bzw. § 263 StGB. Der Kläger kann den geltend gemachten Anspruch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG herleiten, da den Vorschriften bereits der Schutzcharakter fehlt (OLG München, Beschluss vom 10.01.2020- 3 U 5980/19). Überdies liegt nach dem oben Gesagten schon kein Schaden vor.
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4) Der Klägerseite steht kein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu. Die Klägerseite kommt diesbezüglich ihrer Darlegungs- und Beweislast nicht nach, da die Beklagtenseite mit Schreiben vom 03.05.2022 diese wirksam mit Nichtwissen bestritten hat (BI. 83 d.A.) und die Klagepartei dem nicht fristgerecht entgegengetreten ist. Die Nebenforderung teilt das Schicksal der Hauptforderung.
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5) Mangels nachweislicher Manipulation der Motorsteuerung hinsichtlich der streitgegenständlichen Kfz mit den FIN …, … und … kommt es daher auch nicht darauf an, ob die Richtlinie drittschützende Wirkung hat oder nicht. Eine Aussetzung des Verfahrens ist daher entbehrlich.
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6) Die Kostenfolge ergibt sich aus § 92 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus § 709 ZPO. Der Streitwert folgt der Klageforderung.