Titel:
Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines Opel-Diesel-Fahrzeugs (hier: Opel Insignia ST)
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 5 Abs. 2
AEUV Art. 267
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 522 Abs. 2
VwVfG § 24 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu Diesel-Fahrzeugen von Opel: OLG München BeckRS 2021, 52557; BeckRS 2021, 52562; BeckRS 2022, 29314; OLG Bamberg BeckRS 2021, 52538; BeckRS 2022, 19980; BeckRS 2023, 3040; BeckRS 2023, 3006; OLG Schleswig BeckRS 2022, 8917; OLG Frankfurt BeckRS 2022, 10556; OLG Koblenz BeckRS 2022, 10605; OLG Köln BeckRS 2022, 12858; OLG Nürnberg BeckRS 2022, 29322; LG Landshut BeckRS 2021, 53844; BeckRS 2022, 20735; BeckRS 2022, 22852; LG Memmingen BeckRS 2022, 12853; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2022, 29316; BeckRS 2022, 29310; LG Kempten BeckRS 2022, 29315. (redaktioneller Leitsatz)
2. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass Opel das KBA im Typgenehmigungsverfahren über bestimmte Tatsachen im Zusammenhang mit der Abgasreinigung getäuscht haben könnte. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das (abstrakte) Risiko eines Widerrufs kann mit Null bezeichnet werden, wenn die zuständige Behörde nach (mehrfacher) tatsächlich durchgeführter, sorgfältiger Prüfung keine unzulässige Abschaltvorrichtung festzustellen vermag. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
4. Selbst wenn die RL 2007/46/EG (auch) das Interesse des individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen sollte, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, handelt es sich bei den zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen § 6 und § 27 EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Opel, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, KBA, Thermofenster, (kein) Rückruf, Typgenehmigungsverfahren, (keine) Täuschung, Schlussanträge des Generalanwaltes
Vorinstanz:
LG Memmingen, Urteil vom 21.04.2022 – 24 O 1938/21
Fundstelle:
BeckRS 2022, 20001
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 21.04.2022, Az. 24 O 1938/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
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Der Kläger erwarb laut Rechnung vom 25.09.2018 bei der einen Gebrauchtwagen Opel Insignia ST mit einer Laufleistung von 24.884 km, Erstzulassung: 20.03.2017, zum Kaufpreis von 16.725 €. In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor der Abgasnorm Euro 6 verbaut. Das Fahrzeug hatte am 31.03.2022 eine Laufleistung von 69.307 km.
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Der Kläger hat im Verfahren vor dem Landgericht Memmingen geltend gemacht, das Fahrzeug sei mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen. Das Landgericht hat die auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt der Kläger seine Anträge aus dem erstinstanzlichen Verfahren weiter.
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Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
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Zu Recht hat das Landgericht Memmingen Schadensersatzansprüche abgewiesen. Solche ergeben sich aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV, §§ 826, 31 BGB, § 831 BGB nicht.
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1. Ein Anspruch des Klägers aus § 826 BGB (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung) besteht nicht.
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschlüsse vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19 ‒ juris Rn. 13 bis 19, vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20 ‒ juris Rn. 27 f. und vom 29.09.2021 - VII ZR 126/21, BeckRS 2021 33038 Rn. 18 sowie Urteile vom 13.07.2021 - VI ZR 128/20 ‒ juris Rn. 10 ff. und vom 16.09.2021 - VII ZR 190/20, VII ZR 286/20, VII ZR 321/20 und VII ZR 322/20) wäre Voraussetzung für einen Anspruch des Klägers aus § 826 BGB, dass die Beklagte in Fahrzeugen des vom Kläger erworbenen Typs eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut und diesen Umstand dem KBA als für die Typgenehmigung zuständiger Behörde verschwiegen hat, um sich die begehrte Typgenehmigung zu erschleichen. Selbst wenn die Beklagte also in den Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine nach Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut haben sollte, genügte dies nicht dafür, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 826 BGB bestehen. Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems („Thermofenster“) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt war. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit wäre nur gerechtfertigt, wenn weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Annahme objektiver Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Für diese Voraussetzung trägt nach den allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchsteller die Beweislast
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b) Der Kläger behauptet eine Manipulation der Abgasreinigung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in mehrfacher Hinsicht, belegt diese aber lediglich mit Entscheidungen und Gutachten aus anderen Verfahren, ohne einen hinreichenden Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug herzustellen. Außerdem fehlt es an ausreichendem Vortrag zu einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten. Taugliche Anhaltspunkte, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich.
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Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte das KBA im Typgenehmigungsverfahren über bestimmte Tatsachen im Zusammenhang mit der Abgasreinigung getäuscht haben könnte. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass und welche Angaben die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren zur Ausgestaltung von Abschalteinrichtungen gegenüber dem KBA nicht oder in unzureichender Weise gemacht habe. Aus einer etwaigen unterbliebenen Offenlegung der genauen Wirkungsweise der - hier unterstellt unzulässigen - Abschalteinrichtungen gegenüber dem KBA folgen keine Anhaltspunkte, dass für die Beklagte tätige Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Selbst wenn die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren - erforderliche - Angaben zu den Einzelheiten der Abgasrückführung unterlassen haben sollte, wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG gehalten gewesen, diese zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung zu prüfen (BGH, Beschluss vom 29.09.2021 - VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038 Rn. 20). Entsprechende Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 Rn. 24, ZIP 2021, 297), sind nach Auffassung des Senats aber nicht dargelegt.
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c) Dem Kläger kommt insoweit auch nicht das Institut der sekundären Darlegungslast entgegen. Wie der Bundesgerichtshof im Urteil vom 08.03.2021 (VI ZR 505/19 ‒ juris Rn. 27 ff.) ausgeführt hat, führt das Institut der sekundären Darlegungslast weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des in Anspruch Genommenen; eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen, die auf eine Kenntnis ihrer verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen schließen lassen sollen, setzt jedenfalls voraus, dass das (unstreitige oder nachgewiesene) Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (Rn. 27 f.). Genau in diesem Punkt unterscheidet sich der vorliegende Fall von der Problematik des Motors EA 189. Dort stand, so der Bundesgerichtshof (a.a.O., Rn. 29) weiter, fest dass im Unternehmen der dortigen Beklagten sittenwidrig gehandelt worden war, weil die grundlegende strategische Entscheidung getroffen worden war, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter arglistiger Täuschung des KBA eine illegale Motorsteuerung zu entwickeln und diese dann in Verkehr zu bringen. Vorliegend gibt es jedoch kein unstreitiges oder nachgewiesenes Vorbringen des Klägers, das eine solche ‒ für einen Anspruch aus § 826 BGB unabdingbare ‒ arglistige Täuschung des KBA nahelegte. Diese Auffassung hat der Bundesgerichtshof zuletzt im Urteil vom 29.09.2021 (VII ZR 126/21 ‒ BeckRS 33038 Rn. 21) bekräftigt.
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Der Kläger verweist auf eine Verurteilung der Beklagten durch das OLG Naumburg vom 18.09.2020 - 8 U 8/20 (Berufungsbegründung Seite 18 f. d. A.). Dieses Urteil betrifft einen GLK 220 CKI 4Matic von 2013, der mit einem Motor des Typs OM 651, Schadstoffklasse EU 5, ausgestattet ist. Diese Entscheidung, die nicht rechtskräftig ist, unterscheidet sich von der vorliegenden Sachlage schon hinsichtlich des Fahrzeugmodells, Fahrzeugtyps und der Schadstoffklasse.
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d) Auch das Vorbringen in der Berufungsbegründung enthält keine greifbaren Anhaltspunkte für ein vorsätzliches sittenwidriges Handeln verantwortlicher Mitarbeiter der Beklagten im Sinn des § 826 BGB in Bezug auf das klägerische Fahrzeug. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Erstgericht zutreffend festgestellt hat, dass das streitgegenständliche Fahrzeug entgegen der Behauptung des Klägers nicht von einem amtlichen Rückruf des Kraftfahrtbundesamts wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen ist (vgl. Seite 9 des Urteils). Der Kläger konnte einen solchen nicht belegen.
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Das Baujahr des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist unstreitig 2017 und die Erstzulassung erfolgte am 20.03.2017. Soweit der Kläger mit der Berufungsbegründung (Seite 19/20) die „Formulierung des Kraftfahrt-Bundesamtes“ zu einem Rückruf zitiert und weiterhin behauptet, sein Fahrzeug sei von einem amtlichen Rückruf betroffen, ist dies nicht nachvollziehbar. Der zitierte Rückruf, den der Kläger aber nicht vorlegt, betrifft Fahrzeuge der Baujahre von 2012 bis 2016. Aus Rückrufbescheiden, die andere Modelljahre bzw. Produktionszeiträume betreffen, lassen sich keinerlei Rückschlüsse auf das streitgegenständliche Fahrzeuge ziehen. Der Umstand, dass der streitgegenständliche Fahrzeugtyp nicht von einer Rückrufaktion des KBA wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen betroffen ist, stellt aus Sicht des Senats ein ganz erhebliches Indiz dafür dar, dass die vom Kläger behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen nicht vorliegen.
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e) Das Fehlen eines Rückrufbescheids ist insbesondere auch hinsichtlich einer etwaigen Schadensfeststellung und der Feststellung eines etwaigen Schädigungsvorsatzes auf Seiten der Beklagten von Bedeutung. Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München hat dazu in seinem Urteil vom 14.04.2021 (15 U 3584/20 ‒ juris Rn. 79-81), eine vergleichbare Fallkonstellation betreffend, aus Sicht des Senats im Kern zutreffend ausgeführt wie folgt:
„Im Übrigen liegt auch kein Schaden vor. Diesen hat der BGH in den EA189-Verfahren maßgeblich auf die drohende Betriebsbeschränkung oder -untersagung aufgrund des KBA-Rückrufbescheids gestützt. Abgestellt wurde darauf, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs für die Zwecke des Käufers nicht voll brauchbar gewesen sei, weil es einen verdeckten Sachmangel aufgewiesen habe, der zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte führen können. Für einen solchen Sachmangel gibt es vorliegend jedoch gerade keine Anhaltspunkte. Wenn der Kläger behauptet, im Motor EA 288 sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, welche die erteilte Genehmigung in Frage stelle (und welche offensichtlich nach der Vorstellung des Klägers vom KBA im Rahmen der Untersuchungen stets übersehen wurde), und hierzu Sachverständigenbeweis anbietet, übersieht er, dass das KBA die für einen eventuellen Rückruf des Fahrzeugs oder Widerruf der Typengenehmigung maßgebliche Behörde ist. Das (abstrakte) Risiko eines Widerrufs kann mit Null bezeichnet werden, wenn die zuständige Behörde nach (mehrfacher) tatsächlich durchgeführter, sorgfältiger Prüfung keine unzulässige Abschaltvorrichtung festzustellen vermag.“
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Dies gilt auch im Fall des Klägers.
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2. Eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil weder eine für den Kaufentschluss ursächliche Täuschung des Klägers durch die Beklagte noch ein entsprechender Vorsatz auf der Seite der Beklagten festgestellt ist.
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3. Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 831 BGB sind nicht erfüllt, da eine unerlaubte Handlung eines Verrichtungsgehilfen nicht festgestellt werden kann.
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4. Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder i. V. m. Bestimmungen der VO (EG) 715/2007 besteht nicht. Wie der Bundesgerichtshof in seinen Urteilen vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19 ‒ Rn. 76), vom 30.07.2020 (VI ZR 5/20 ‒ Rn. 11) und vom 16.09.2021 (VII ZR 190/20, VII ZR 286/20, VII ZR 321/20 und VII ZR 322/20 - jeweils Rn. 35) ausgeführt hat, liegt das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, weder im Aufgabenbereich der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV noch des Art. 5 VO (EG) 715/2007. Sie stellen damit keine Schutzgesetze i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB dar.
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5. Daran ändern auch die Schlussanträge des Generalanwalts des EuGH (Az. C-100/21) nichts. Aus diesen folgt keine Verpflichtung der Instanzgerichte, Verfahren aus dem Bereich der sogenannten Abgasthematik bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszusetzen.
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Eine solche Verpflichtung besteht nach gefestigter Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs als auch des Bundesgerichtshofs im Falle von Vorabentscheidungsersuchen anderer nationaler Gerichte gerade nicht.
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Der Senat ist nach gefestigter Rechtsprechung nicht bereits deshalb zur Anrufung des EuGH verpflichtet, weil einzelstaatliche Gerichte in Rechtssachen, die der beim Senat anhängigen ähneln und die gleiche Problematik betreffen, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung nach Art. 267 Abs. 1 - 3 AEUV vorgelegt haben (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2015 - C-72/14, C-197/14, BeckRS 2015, 81095; BGH, NVwZ-RR 2020, 436 Rn. 51). Ebenso wenig ist der Senat verpflichtet, die Antwort auf diese Frage abzuwarten und das bei ihm rechtshängige Verfahren analog § 148 ZPO auszusetzen (vgl. EuGH, Urteil vom 09.09.2015 - C-72/14, C-197/14, BeckRS 2015, 81095; BGH, NVwZ-RR 2020, 436 Rn. 51). Der Bundesgerichtshof hat dies jüngst mit Beschluss vom 14.06.2022, VIII ZR 409/21 für eine Vorlage zum Europäischen Gerichtshof (wiederum durch das Landgericht Ravensburg) zum Verhältnis zwischen Verbraucherkreditlinie und Kilometerleasingverträgen nochmals ausdrücklich bestätigt.
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Die Schlussanträge des Generalanwalts vom 02.06.2022 erfordern ein Abwarten durch den Senat nicht. Selbst wenn entsprechend der in den Schlussanträgen (dort Rn. 50 und Rn. 78 Ziff.1) vertretenen Auffassung davon ausgegangen würde, die RL 2007/46/EG solle (auch) das Interesse des individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, handelt es sich bei den zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen §§ 6 und 27 EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Der VO (EG) Nummer 715/2007, die unmittelbar anwendbar ist, misst selbst der Generalanwalt keine Schutzwirkung zugunsten von Vermögensinteressen von Fahrzeugerwerbern zu.
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Bereits das bestehende deutsche Vertrags- und Deliktsrecht hält zahlreiche - abgestufte - Instrumente bereit, die hinreichend wirksam das Interesse eines Erwerbers schützen, nicht ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben und zugleich auch einen erheblichen Anreiz für die Hersteller von Motoren bedingen, unionsrechtliche Vorschriften einzuhalten. Vor diesem Hintergrund bedarf es in der deutschen Rechtsordnung über die bestehenden Institute des Vertrags- und Deliktsrechts hinaus nicht der Einordnung der Vorschriften der EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, um das Interesse der Käufer von Fahrzeugen, die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sind, angemessen zu schützen (im gleichen Sinne OLG Stuttgart, Urteil vom 28.06.2022, 24 U 115/22, Seite 27 ff; dort auch eingehend zu entstehenden nicht hinnehmbaren Wertungswidersprüchen, wollte man den Bestimmungen der §§ 6 und 27 EG-FGV Schutzgesetzcharakter im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB beimessen).
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6. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19, Rn. 16, 17; Urteil vom 13.07.2021, Az. VI ZR 128/20) kommt es bei Diesel-Fällen außerhalb des Motortyps EA 189 darauf an, ob die Klagepartei substantiiert behauptet hatte, dass die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren unzutreffende Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht hatte. Eine einheitliche Entscheidung zu einem bestimmten Motortyp ist demnach nicht geboten und auch gar nicht möglich, da die Entscheidung vom Vorliegen eines substantiierten Vortrags im Einzelfall abhängt.
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).