Titel:
Erweiterte Gewerbeuntersagung wegen gewerberechtlicher Unzuverlässigkeit
Normenkette:
GewO § 35 Abs. 1
Leitsätze:
1. Maßgeblich für das Vorliegen der Zuverlässigkeit eines Gerwerbetreibenden – hier unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit – ist der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Untersagungsbescheids. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es obliegt dem Gewerbetreibenden (durch seinen Geschäftsführer) und nicht der Behörde, Umstände vorzutragen, die den Schluss zulassen, dass Eintragungen im Schuldnerverzeichnis von Anfang an unzutreffend oder im maßgeblichen Zeitpunkt – insbesondere wegen späterer Gläubigerbefriedigung – überholt waren. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
erweiterte Gewerbeuntersagung gegenüber einer GmbH, Eintragung im Schuldnerverzeichnis, Zurechnung von Handlungen des Geschäftsführers, erweiterte Gewerbeuntersagung, Unzuverlässigkeit, Zurechnung, Handlungen, Geschäftsführer, Eintragung, Schuldnerverzeichnis, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, maßgeblicher Zeitpunkt
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 08.10.2021 – M 16 K 20.936
Fundstelle:
BeckRS 2022, 19904
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin, eine GmbH, wendet sich gegen eine erweiterte Gewerbeuntersagung.
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Die Beklagte untersagte der Klägerin mit Bescheid vom 22. Januar 2020 gem. § 35 Abs. 1 GewO die Ausübung ihres Gewerbes und erweiterte die Untersagung auf die Ausübung jeglicher Tätigkeit im stehenden Gewerbe. Der Klägerin wurde eine Frist zur Einstellung ihrer Tätigkeit gesetzt; anderenfalls werde die Gewerbeausübung durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs verhindert. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin seit dem 18. April 2018 - also nach ihrer Anhörung zu einer Gewerbeuntersagung - mit „Nichtabgabe der Vermögensauskunft“ (§ 882c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) im Vollstreckungsportal eingetragen sei. Zudem sei sie bei der Industrie- und Handelskammer mit Beiträgen in Höhe von 775,00 € im Rückstand. Ferner bediene sich die Klägerin eines unzuverlässigen Geschäftsführers. Dieser sei seit dem 29. September 2017 im Vollstreckungsportal mit „Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen“ (§ 882c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) eingetragen. Des Weiteren sei gegen ihn am 9. August 2017 ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Verletzung der Buchführungspflicht in zwei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Bankrott (Strafmaß: Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 40,00 €) ergangen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 22. Januar 2020 verwiesen.
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Mit weiterem Bescheid vom 22. Januar 2020 sprach die Beklagte auch gegen den Geschäftsführer der Klägerin eine erweiterte Gewerbeuntersagung aus (vgl. Verfahren 22 ZB 22.291).
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Die Klägerin erhob gegen den sie betreffenden Bescheid vom 22. Januar 2020 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München. Mit Urteil vom 8. Oktober 2021, den Klägerbevollmächtigten zugestellt am 5. Januar 2022, wies das Verwaltungsgericht die Klage ab.
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Mit am 29. Januar 2022 beim Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom gleichen Tag beantragte die Klägerin die Zulassung der Berufung. Sie begründete diesen Antrag mit Schriftsatz vom 4. März 2022, eingegangen beim Verwaltungsgerichtshof am gleichen Tag.
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Die Beklagte ist dem Antrag auf Zulassung der Berufung entgegengetreten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die Behördenakten verwiesen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
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Die Klägerin hat keinen Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 VwGO bezeichnet; der Sache nach macht sie ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen in der Antragsbegründung (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) ergeben sich solche Zweifel jedoch nicht.
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1. Ernstliche Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 - 2 BvR 2426.17 - juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 - juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.).
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2. Keine derartigen Zweifel ergeben sich aus den Einwänden der Klägerin hinsichtlich der Eintragung im Schuldnerverzeichnis (§ 882b ZPO) und des (Nicht-) Bestehens von Schulden (Antragsbegründung unter Nr. 1 und Nr. 2).
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Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen (UA Rn. 24), dass die Eintragung der Klägerin im Schuldnerverzeichnis mit „Nichtabgabe der Vermögensauskunft“ (vgl. § 882c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) für ihre mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit spreche. Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit der Klägerin habe die Beklagte auch zu Recht wegen der persönlichen Unzuverlässigkeit ihres Geschäftsführers angenommen (UA Rn. 25 ff.), welche der Klägerin zuzurechnen sei (UA Rn. 22). Dessen Unzuverlässigkeit ergebe sich ebenfalls aus der genannten Eintragung im Schuldnerverzeichnis, wobei erschwerend hinzu komme, dass die Eintragung kurz nach der Anhörung der Klägerin im Gewerbeuntersagungsverfahren erfolgt sei.
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Die Klägerin macht hierzu geltend, sie habe den von der Beklagten festgestellten Eintragungen widersprochen und die Beklagte wiederholt vergeblich aufgefordert, ihr mitzuteilen, weshalb die Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen sein und sie eine Vermögensauskunft erteilen solle; ihrer Kenntnis nach gebe es keine Schulden (mehr). Ohne Mitwirkung der Beklagten sei sie nicht imstande, die Eintragungen im Schuldnerverzeichnis zur Löschung zu bringen. Sie habe bei früheren Gläubigern intensiv darauf hingewirkt, entsprechende Erklärungen abzugeben. Mehr als den jeweiligen Zahlungsnachweis zu erbringen, könne die Klägerin nicht unternehmen.
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Maßgeblich für das Vorliegen der Zuverlässigkeit der Klägerin - hier unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit - ist der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Untersagungsbescheids (BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6.14 - juris Rn. 15 f. m.w.N.). Die Antragsbegründung lässt bereits nicht erkennen, dass zu diesem Zeitpunkt keine Schulden mehr bestanden haben sollen. Ebenso wenig legt die Klägerin dar, dass sie zu diesem Zeitpunkt Zahlungsnachweise erbracht hatte; offen bleibt zudem, wem gegenüber sie solche Nachweise vorgelegt hat. Sollten der Klägerin Angaben über offene Forderungen und geleistete Zahlungen nicht möglich sein, spräche dies eher gegen ihre gewerberechtliche Zuverlässigkeit (vgl. BayVGH, B.v. 19.10.2021 - 22 ZB 21.1862 - juris Rn. 19). Es obliegt auch der Klägerin (durch ihren Geschäftsführer) und nicht der Beklagten, Umstände vorzutragen, die den Schluss zuließen, dass Eintragungen im Schuldnerverzeichnis von Anfang an unzutreffend oder im oben genannten Zeitpunkt - insbesondere wegen späterer Gläubigerbefriedigung - überholt waren. Die Behauptung der Klägerin, sie habe den Eintragungen widersprochen, ist unsubstantiiert geblieben. Sofern der Schuldner bereits die Anordnung einer Eintragung im Schuldnerverzeichnis für unzutreffend hält, stehen ihm Rechtsbehelfe zur Verfügung (§ 882d Abs. 1, Abs. 2 ZPO; vgl. auch § 882e Abs. 4 ZPO), über die er mit Bekanntgabe der Eintragungsanordnung zu belehren ist (§ 882d Abs. 3 ZPO); eine vorzeitige Löschung von Eintragungen kann gem. § 882e Abs. 3 ZPO erreicht werden, insbesondere bei Nachweis der vollständigen Gläubigerbefriedigung (§ 882e Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Was die Klägerin in diese Richtung unternommen hat, lässt sich der Antragsbegründung nicht konkret entnehmen; auch erschließt sich nicht, weshalb sie für eine Löschung der Eintragungen einer Mitwirkung der Gewerbebehörde bedurft hätte.
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3. Die Klägerin wendet ferner ein (Antragsbegründung unter Nr. 3), dass das Verwaltungsgericht mit der Zahlungsunfähigkeit einer anderen von ihrem Geschäftsführer vertretenen Firma im Jahre 2017 einen Umstand herangezogen habe, den die Beklagte ihrem Bescheid nicht zu Grunde gelegt habe.
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Die entsprechende Passage des Urteils (UA Rn. 28) ist allerdings nicht isoliert zu betrachten; sie steht im Zusammenhang mit der Erörterung des gegen den Geschäftsführer der Klägerin u.a. wegen Insolvenzverschleppung ergangenen Strafbefehls (UA Rn. 27 ff.). Dieser wurde auch im streitgegenständlichen Bescheid berücksichtigt (S. 3 und S. 6 f.).
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4. Hinsichtlich dieses Strafbefehls wendet die Klägerin ein (Antragsbegründung unter Nr. 4), dass die abgeurteilten Tatbestände mehr als fünf Jahre zurücklägen. Es sei unzulässig, „sie (gemeint: ihren Geschäftsführer) nach der Devise,einmal straffällig, immer straffällig‘ vorzuverurteilen“. Auch die Beklagte habe bei einer Vorsprache des Geschäftsführers der Klägerin für die in Aussicht gestellte Aussetzung des Gewerbeuntersagungsverfahrens nicht auf frühere Verurteilungen abgestellt.
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Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen der gebotenen Einzelfallbetrachtung (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2022 - 22 ZB 21.229 - juris Rn. 21 m.w.N.) näher begründet, weshalb dem Geschäftsführer der Klägerin seine strafrechtliche Verurteilung im Rahmen des Untersagungsverfahrens entgegengehalten werden konnte, obwohl die Taten bereits mehrere Jahre zurücklagen (UA Rn. 29). Mit diesen Erwägungen setzt sich die Klägerin nicht, wie erforderlich (vgl. oben 1.), auseinander. Auch ergibt sich zu Gunsten der Klägerin nichts daraus, dass der Strafbefehl im Rahmen der vom Geschäftsführer der Klägerin mit der Beklagten erörterten Aussetzung des Gewerbeuntersagungsverfahrens nicht erwähnt worden ist. Dass der Strafbefehl gegen die Zuverlässigkeit des Geschäftsführers und damit auch der Klägerin selbst sprach, war ihr im Anhörungsschreiben der Beklagten vom 7. Februar 2018 mitgeteilt worden. Nachdem der Geschäftsführer der Klägerin die von der Beklagten im Rahmen seiner persönlichen Vorsprache am 27. Februar 2018 gestellten Forderungen (schriftlicher Nachweis über die Begleichung der Forderungen, die zu dem Eintrag in das Schuldnerverzeichnis geführt hatten [Bestätigung des Gerichtsvollziehers]) - überdies über fast zwei Jahre - nicht erfüllt hatte, konnte kein Zweifel daran bestehen, dass der Umstand seiner strafrechtlichen Verurteilung im Rahmen des Untersagungsverfahrens weiter berücksichtigt werden konnte (vgl. auch Schreiben der Beklagten an den Geschäftsführer der Klägerin vom 28.2.2018, S. 1 letzter Absatz).
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 54.2.1 und Nr. 54.2.2 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).