Inhalt

VGH München, Beschluss v. 28.07.2022 – 13 A 21.2829
Titel:

Vollstreckung von Kosten zulasten der Ehefrau

Normenketten:
VwGO § 42 Abs. 2
FlurbG § 145
GG Art. 19 Abs. 4
Leitsätze:
1. In § 42 Abs. 2 VwGO kommt ein allgemeines Strukturprinzip des Verwaltungsrechtsschutzes zum Ausdruck, der vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG zwar nicht ausschließlich, aber in erster Linie auf den Individualrechtsschutz ausgerichtet ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die bloße Erhebung einer Verfassungsbeschwerde ändert als außerordentlicher Rechtsbehelf nichts an der Rechtskraft fachgerichtlicher Entscheidungen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorsitzendenbescheid, Klagebefugnis, Geltendmachung fremder Rechte in eigenem Namen., Geltendmachung fremder Rechte in eigenem Namen, Widerspruchsbescheid, Kosten, Verfassungsbeschwerde, Rechtskraft
Fundstelle:
BeckRS 2022, 19891

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Ein Pauschsatz für die baren Auslagen des Gerichts wird nicht erhoben. Die Gebührenpflicht wird nicht angeordnet.

Gründe

I.
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Der Kläger gehört einer Erbengemeinschaft an, die mit Einlageflächen an den Flurbereinigungsverfahren G. und R. beteiligt ist. Nachdem der Kläger zunächst mehrere Widersprüche erhoben hatte, übertrug er seinen Anteil an der Erbengemeinschaft an seine Ehefrau, die am 22. Dezember 2016 in das Grundbuch eingetragen wurde. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Beschluss des Senats vom 9. Dezember 2021 im Verfahren 13 AS 21.2830 verwiesen.
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Das vorliegende Verfahren betrifft an die Ehefrau des Klägers gerichtete Widerspruchsbescheide des Spruchausschusses beim Amt für Ländliche Entwicklung M. (ALE) vom 2. Februar 2018 (Flurbereinigungsplan Teil I im Verfahren G.) und vom 16. März 2018 (Wertermittlung im Verfahren G., Flurbereinigungsplan Teil I im Verfahren R.), mit denen deren Widersprüche zurückgewiesen und ihr die Kosten auferlegt wurden. Die gegen die Wertermittlung im Verfahren G. und den Flurbereinigungsplan Teil I im Verfahren R. gerichteten Klagen wurden mit Urteilen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Oktober 2019 (Az. 13 A 18.1023/24) abgewiesen. In den Urteilen ist unter anderem ausgeführt, dass der Kläger nach der erfolgten Übertragung seines Anteils an der Erbengemeinschaft an seine Ehefrau aus dem Verfahren ausgeschieden und nicht mehr klagebefugt ist. Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschlüssen vom 5. März 2021 (Az. 9 B 12.20, 9 B 13.20) zurück.
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Mit Schreiben vom 13. Juli 2021 forderte das ALE sodann die Ehefrau des Klägers unter Beifügung entsprechender Kostenrechnungen auf, die in den Widerspruchsbescheiden ihr gegenüber festgesetzten Kosten zu bezahlen.
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Hiergegen hat der Kläger mit Schreiben vom 3. Oktober 2021 beim Verwaltungsgericht Ansbach ausdrücklich in eigenem Namen „Feststellungs- und Vollstreckungsabwehrklage“ erhoben und im Wege eines Eilverfahrens beantragt, die (Zwangs-)Vollstreckung aus den Forderungen der Staatsoberkasse als Vollzugsorgan einstweilig einzustellen sowie die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen. Mit Beschluss vom 15. November 2021 (AN 10 E 21.1818, A 10 K 21.1819) verwies das Verwaltungsgericht Ansbach die Verfahren zuständigkeitshalber an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof - Flurbereinigungsgericht. Den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz lehnte der Senat mit Beschluss vom 9. Dezember 2021 ab (Az. 13 AS 21.2830). Vorliegend beantragt der Kläger:
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1. „Es wird gerichtlich festgestellt, dass die Zessionarin (seine Ehefrau) weder Miterbe oder Erwerber ist, noch in Angelegenheiten der Gemeinschaft der Miterben (GdME) weder aktiv noch passiv legitimiert ist und als Zessionarin einer Sicherungsabtretung keiner Haftung für die GdME oder sonstigen Verpflichtungen aus Angelegenheiten der Erbengemeinschaft unterworfen ist.
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2. Es wird festgestellt, dass der ungeteilte Gesamtnachlass der GdME … nur dinglich gesamtschuldnerisch haftet, dass eine natural-persönliche Gesamtschuldnerschaft weder für die einzelnen Miterben noch insbesondere für einen Zessionar nach BGB gesetzlich ausgeschlossen ist.
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3. Die Zessionarin steht in keinerlei Schuldverhältnis zum Beklagten, insbesondere in keinem Gesamtschuldverhältnis für die ungeteilte GdME und keine Rechtsgrundlage für Ansprüche gegen sie besteht.
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4. Das Beklagte wird verurteilt, die vorgenannten Kostenforderungen gegen die Zessionarin zurückzunehmen und Kostenerhebungen endgültig einzustellen.
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5. Die Kosten des Gesamtverfahrens wie die außergerichtlichen Kosten trägt das Beklagte (ALE) resp. die Staatskasse
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6. die Beschwerde/Rechtsbeschwerde zum BVG wird gemäß § 17a GVG zugelassen.“
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Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen vor, dass ein Miterbe zeitlebens, auch gegen seinen Willen gesetzlicher Miterbe bleibe, seine Ehefrau keine Erbin und nach den §§ 2032 ff. BGB nicht legitimiert sei, und nur eine dingliche gesamtschuldnerische Haftung des Nachlasses bestehe. Wegen der Einbeziehung der Ehefrau sei Verfassungsbeschwerde erhoben worden, die auch angenommen worden sei. Ferner seien die geforderten Kosten weder dem Grunde noch der Höhe nach nachprüfbar. Vorliegend habe eine Sicherungsabtretung stattgefunden; der Zessionar erhalte neben der Sicherung seiner Forderungen in diesem Rahmen Mitspracherechte, die aber ausschließlich auf eine Einschränkung der Verfügungsberechtigung des „Miterben/Zedenten“ begrenzt seien. Für Ansprüche gegen seine Ehefrau bestünde keine Rechtsgrundlage.
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Der Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Die Klage sei bereits unzulässig. Der Kläger sei nicht antragsbefugt, es sei auch kein Rechtsschutzbedürfnis ersichtlich. Die Aufforderung, Kosten für rechtskräftig abgeschlossene Widerspruchsverfahren zu zahlen, habe sich allein an die Ehefrau des Klägers als Widerspruchsführerin in den jeweiligen Verfahren gerichtet. In den Widerspruchsverfahren sei der Kläger jeweils als Vertreter seiner Ehefrau aufgetreten; ein Antrag des Klägers in eigenem Namen sei jedoch unzulässig. Die Frage, ob die Ehefrau des Klägers in den Flurbereinigungsverfahren zu Recht als Beteiligte behandelt worden sei, sei gerichtlich rechtskräftig bejaht und damit die Auffassung der Flurbereinigungsbehörde bestätigt worden. Gleichfalls gehe es nicht um die Rechtsstellung des Klägers in den Flurbereinigungsverfahren oder um seine Befugnisse als Mitglied der Erbengemeinschaft. Es handle sich auch nicht um eine Schuld der Erbengemeinschaft bzw. eine Forderung gegen diese, sondern um eine Schuld der allein widerspruchführenden Ehefrau des Klägers. Dass diese allein Rechte und Ansprüche der Erbengemeinschaft im Rechtsbehelfsverfahren gelten machen könne, sei in allen Instanzen bestätigt worden. Mit ergänzenden Schreiben vom 25. April 2022 führt der Beklagte aus, die Staatsoberkasse Bayern habe das ALE darüber informiert, dass die Kosten der Widerspruchsverfahren vollständig überwiesen worden seien. Da sich die streitgegenständliche Klage lediglich gegen die angekündigte Vollstreckung richte, sei Erledigung eingetreten. Die in den Widerspruchsbescheiden festgesetzten Kosten stünden unanfechtbar fest und könnten nicht mehr erneut angefochten werden. Klagegegenstand sei daher allein die angekündigte Vollstreckung der Forderung gewesen.
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Mit Schreiben vom 3. Januar 2022, per Telefax eingegangen am 26. Mai 2022, hat der Kläger eine Erledigungserklärung zurückgewiesen, weil keine Erledigung eingetreten sei. Die Zahlung sei mit Widerspruch gegen die Gebührenberechnung und ohne Rechtsanerkenntnis mit dem Vorbehalt der Rückforderung erfolgt. Grundsätzlich bleibe es aber bei der Beschuldigung gegen das ALE, die tatsächliche Rechtslage wissentlich ignoriert zu haben und aus „niederen Beweggründen“ nur beabsichtigt zu haben, ihn auszuschalten. Im Übrigen wiederholt der Kläger sein bisheriges Vorbringen, dass nicht seine Ehefrau, sondern allein er in der gesamten Flurbereinigungssache legitimiert sei. Zudem verkündet der Kläger den Streit einem namentlich genannten Notar.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorliegenden Verwaltungsakten, die Gerichtsakten sowie auf den Beschluss des Senats vom 9. Dezember 2021 im Eilverfahren (13 AS 21.2830) verwiesen.
II.
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Die Klage hat keinen Erfolg. Nach § 145 Abs. 1 FlurbG kann die Vorsitzende des Flurbereinigungsgerichts die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Bescheid abweisen, da das Sach- und Rechtsverhältnis genügend geklärt und die Klage offensichtlich erfolglos ist. Der Kläger wurde hierzu gehört.
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Eine Einstellung des Verfahrens, wie vom Beklagten angeregt, kommt nicht in Betracht, da der Kläger keine Erledigungserklärung abgegeben hat, sondern seine Sachanträge aufrechterhält.
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Ob die Anträge des Klägers wegen tatsächlicher Erledigung als unzulässig abgewiesen werden müssten, kann dahingestellt bleiben, denn eine Unzulässigkeit ergibt sich bereits aus anderen Gründen. In entsprechender Auslegung seiner Anträge gemäß § 88 VwGO wendet sich der Kläger gegen die Vollstreckung von rechtskräftig festgesetzten Kosten in Widerspruchsbescheiden, die sich gegen dessen Ehefrau richten. Die Vollstreckung sei endgültig einzustellen, da weder einer Haftung der Erbengemeinschaft noch seiner Ehefrau bestehe und diese auch nicht aktiv oder passiv legitimiert sei.
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Für sein Begehren fehlt dem Kläger jedenfalls die erforderliche Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO analog (vgl. allg. BVerwG, B.v. 4.5.2017 - 1 VR 6.16 u.a. - juris Rn. 13) schon deshalb, weil die inmitten stehenden behördlichen Kostenrechnungen unstreitig nicht an ihn, sondern an seine Ehefrau gerichtet sind. Vor diesem Hintergrund ist der Kläger nicht befugt, wie ausdrücklich im Schreiben vom 3. Oktober 2021 geschehen („Kläger: [der namentlich bezeichnete Kläger „als Miterbe“ und „Zedent der Zessionarin]“), in eigenem Namen gerichtlich gegen diese Kostenrechnungen vorzugehen, die allein seine Ehefrau betreffen. Denn in § 42 Abs. 2 VwGO kommt ein allgemeines Strukturprinzip des Verwaltungsrechtsschutzes zum Ausdruck, der vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG wenn auch nicht ausschließlich, so doch in erster Linie, auf den Individualrechtsschutz ausgerichtet ist (BVerwG, U.v. 5.4.2016 - 1 C 3.15 - BVerwGE 154, 328 - juris Rn. 12).
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Wie bereits im Eilverfahren ausgeführt, ist es zwar nicht Sinn der Klagebefugnis, ernsthaft streitige Fragen über das Bestehen eines subjektiven Rechts, von deren Beantwortung die Begründetheit der Klage abhängen kann, bereits vorab im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung zu klären (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2004 - 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152 - juris Rn. 20; vgl. zu sog. doppelt-relevanten Tatsachen auch NdsOVG, U.v. 4.9.2014 - 21 F 1/13 - DVBl 2014, 1477 - juris Rn. 25). So liegt der Fall hier jedoch nicht. Denn die vom Kläger in der Sache angesprochene Frage, ob seine Ehefrau behördlich zutreffenderweise als Beteiligte im Flurbereinigungsverfahren und damit zu Recht als Widerspruchsführerin angesehen worden ist, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinen rechtskräftigen, durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigten Urteilen unter eingehender Begründung bejaht (siehe etwa BayVGH, U.v. 15.10.2019 - 13 A 18.1023 - juris Rn. 19-24). Die betreffende Frage ist somit rechtskräftig geklärt. Vor diesem Hintergrund ist vorliegend bereits die Klagebefugnis des Klägers nach § 42 Abs. 2 VwGO analog zu verneinen.
22
Auf die Frage, ob die Ehefrau des Klägers Miterbin und in Angelegenheiten der Miterbengemeinschaft aktiv oder passiv legitimiert bzw. einer Haftung unterworfen ist (Antrag Nr. 1) kommt es mithin nicht an. Ebenso wenig ist von Bedeutung, inwieweit der Nachlass haftet und eine Haftung der einzelnen Miterben in Betracht kommt (Antrag Nr. 2). Ferner ist die Frage, ob die Ehefrau des Klägers in einem Schuldverhältnis zum Beklagten steht und eine Rechtsgrundlage für Ansprüche gegen sie besteht (Antrag Nr. 3), in vorliegendem Verfahren des Klägers nicht entscheidungserheblich. Da der Kläger keine Kostenforderungen des Beklagten gegen ihn aufzeigt, sondern sich nur auf die gegen seine Ehefrau gerichteten Forderungen beruft, bedarf es auch keiner Verurteilung der Beklagten, etwaige Forderungen gegen ihn, den Kläger, zurückzunehmen und Kostenerhebungen einzustellen (Antrag Nr. 4).
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Über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wurde bereits im Eilverfahren 13 AS 21.2830 (siehe B.v. 9.12.2021 Nr. IV) entschieden. Da die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO) wurde er abgelehnt.
24
Zum Vorbringen des Klägers hinsichtlich etwaiger Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht wurde bereits im Eilbeschluss vom 9. Dezember 2021 klargestellt, dass nach telefonischer Auskunft der Geschäftsstelle des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2021 und nochmals vom 28. Juli 2022 dort zwar eine Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. März 2021 vorliegt, über diese jedoch noch nicht entschieden worden ist. Die bloße Erhebung einer Verfassungsbeschwerde ändert als außerordentlicher Rechtsbehelf nichts an der Rechtskraft der Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, B.v. 7.11.2011 - 8 KSt 8/11 u.a. - juris Rn. 3).
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Ebenso wurde im genannten Eilbeschluss bereits darauf hingewiesen, die vom Antragsteller mit Schreiben vom 3. Dezember 2021 erklärte Streitverkündung von vornherein ins Leere geht, weil das Institut der Streitverkündung im Verwaltungsprozess keine Anwendung findet (BVerwG, B.v. 10.2.2009 - 8 B 21.09 - juris, Rn. 3). Für die hier im Schreiben vom 3. Januar 2022 erfolgte Streitverkündung an einen Notar gilt nichts anderes.
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Der Ausspruch über die Kosten richtet sich nach § 147 Abs. 1 FlurbG, § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gebührenpflicht wurde nicht angeordnet. Von der Festsetzung eines Pauschsatzes wurde abgesehen, da die baren Auslagen des Gerichts bislang gering geblieben sind. Der Kläger hat somit keine Gerichtskosten zu tragen.