Titel:
Polizeiliche Sicherstellung von Bargeld bei Verkehrskontrolle
Normenketten:
PAG Art. 25 Abs. 1 Nr. 1 lit. a
ERMK Art. 6 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4 S. 6
GG Art. 14 Abs. 1
Leitsätze:
1. Werden bei einer Verkehrskontrolle in dem kontrollierten Fahrzeug 93.350 EUR vorgefunden, sprechen der hohe Bargeldbetrag und die milieutypische Stückelung im Rahmen der durchzuführenden Gefahrenprognose für die geplante Verwendung des Geldes für Drogengeschäfte. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Unschuldsvermutung in Art. 6 Abs. 2 EMRK betrifft lediglich das strafprozessuale Verfahren und gerichtliche Entscheidungen, die an den Ausgang des Strafverfahrens anknüpfen, aber Maßnahmen der Gefahrenabwehr, denen in aller Regel eine Prognose über die künftige Entwicklung anhand eines Wahrscheinlichkeitsmaßstabs zugrunde liegt. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Mit zunehmendem Ausmaß eines möglichen Schadens gilt ein abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Sicherstellung des Bargeldbetrages erweist sich nicht als unverhältnismäßig, wenn es nicht darum geht, das Inverkehrbringen von Drogen bspw. durch andere Abnehmer, sondern vielmehr den Einsatz für Betäubungsmittelgeschäfte zu verhindern. (Rn. 15 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Polizeirecht, Polizeiliche Sicherstellung von Bargeld, Gefahrenprognose, Verwendung von Bargeld für Zwecke des Drogenhandels, Unschuldsvermutung, Verhältnismäßigkeit, Sicherstellung von Bargeld, Wahrscheinlichkeitsmaßstab, milieutypische Stückelung
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 27.07.2021 – W 9 S 21.939
Fundstelle:
BeckRS 2022, 19866
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 46.675,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (W 9 K 21.937) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24. Juni 2021 weiter. Mit diesem Bescheid wurde unter Anordnung der sofortigen Vollziehung Bargeld im Gesamtwert von 93.350 Euro gemäß Art. 25 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a PAG sichergestellt, das bei einer Verkehrskontrolle im Fahrzeug des Antragstellers gefunden worden war.
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Mit dem angefochtenen Beschluss vom 27. Juli 2021 hat das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt.
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung.
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Das Verwaltungsgericht hat in seiner eingehenden und alle Gesichtspunkte abwägenden Begründung zutreffend festgestellt, dass die Klage gegen den Sicherstellungsbescheid vom 24. Juni 2021 mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Sache keinen Erfolg haben dürfte, weil der Bescheid zu Recht auf Art. 25 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a PAG gestützt werden konnte. Die Umstände sprächen nach vorläufiger Beurteilung dafür, dass das sichergestellte Bargeld für den Drogenhandel eingesetzt werden sollte. Die Gefahrenprognose in Bezug auf eine gegenwärtige Gefahr hat das Verwaltungsgericht dabei - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (BayVGH, U.v. 22.5.2017 - 10 B 17.83 - juris Rn. 24 ff.; BayVGH, B.v. 17.9.2015 - 10 CS 15.1435, 10 C 15.1434 - juris Rn. 22; siehe dazu Senftl in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Stand 1.3.2022, PAG Art. 25 Rn. 52 mit Nachweisen der Rechtsprechung; Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, 5. Aufl. 2020, PAG Art. 25 Rn. 51) - insbesondere auf folgende tatsächliche Anhaltspunkte gestützt: Neben dem hohen Geldbetrag spreche die für das Drogenmilieu typische Stückelung des aufgefundenen Bargelds, nämlich die auffällige Häufigkeit von 50-Euro-Scheinen (861 Scheine), für eine geplante Verwendung für Drogengeschäfte. Weiter ergebe sich dies aus dem Transport des größten Teils des Bargelds in Verstecken im Fahrzeug; der Antragsteller habe hierfür keine glaubhafte Begründung geben können und unterschiedliche Angaben zum Einbau des Bargelds in das Fahrzeug gemacht. Auch habe der Antragsteller die Herkunft des aufgefundenen Bargelds nicht nachweisen können; er habe hierzu mehrere abgewandelte Versionen vorgetragen, nachdem die ursprüngliche Version sich als nachweislich falsch herausgestellt habe. Schließlich habe ein sog. Drogenwischtest Spuren von Kokain am Lenkrad und neben einem der Bargeldverstecke im Fahrzeug ergeben. Die Sicherstellung erweise sich auch nicht als ermessensfehlerhaft.
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Abgesehen davon spreche auch eine reine Interessenabwägung für die Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs. Den Interessen des Antragsgegners sei der Vorrang einzuräumen, weil bei einer „vorläufigen“ Auszahlung des sichergestellten Bargelds ein erneuter präventiv-polizeilicher Zugriff bei Abweisung der Anfechtungsklage praktisch nicht mehr möglich wäre.
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In der Beschwerdebegründung kann der Antragsteller hiergegen keine durchgreifenden Argumente vortragen.
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Der Antragsteller geht schon nicht auf die selbständig tragende Begründung des Verwaltungsgerichts ein, unabhängig von den Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache spreche auch eine reine Interessenabwägung für die Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs (BA S. 19, Tz. 2.2.2. „Abgesehen davon …“). Bei kumulativer Begründung des angefochtenen Beschlusses durch das Verwaltungsgericht hat die Beschwerdebegründung jedoch auf alle selbständig tragenden Gründe der Entscheidung argumentativ einzugehen, um den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO zu entsprechen (vgl. Kaufmann in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2020, § 146 Rn. 14 mit Nachweisen der Rechtsprechung). Daher kann die Beschwerde schon aus diesem Grund keinen Erfolg haben.
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Im Übrigen greifen aber auch die gegen die Würdigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorgetragenen Einwendungen nicht durch.
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Der Antragsteller verweist zunächst darauf, dass die zuständige Staatsanwaltschaft keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Straftat in Bezug auf das sichergestellte Bargeld gesehen habe; es würde die rechtsstaatlich verankerte Unschuldsvermutung „geradezu ad absurdum führen“, wenn die Polizei an die Stelle dieser Einschätzung ihre eigene setzen und hieraus eine Prognose zukünftiger Delinquenz von Personen stützen dürfte. Der Verweis auf die Unschuldsvermutung (siehe Art. 6 Abs. 2 EMRK) verfängt schon deshalb nicht, weil die Unschuldsvermutung lediglich das strafprozessuale Verfahren und gerichtliche Entscheidungen betrifft, die an den Ausgang des Strafverfahrens anknüpfen, aber keine Aussage über die Zulässigkeit von Maßnahmen der Gefahrenabwehr trifft, denen in aller Regel eine Prognose über die künftige Entwicklung anhand eines Wahrscheinlichkeitsmaßstabs zugrunde liegt (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, B.v. 25.3.2019 - 6 B 163.18 - juris Rn. 9; BayVGH. B.v. 8.2.2021 - 10 ZB 20.340 - juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 29.10.2014 - 10 ZB 14.1355 - juris Rn. 7 m.w.N.).
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Soweit der Antragsteller geltend macht, bei dem versteckten Transport des Bargelds in einem Pkw handle es sich um ein rechtlich nicht zu beanstandendes Verhalten, für das der Antragsteller einen nachvollziehbaren Grund dargelegt habe, gilt Vergleichbares. Ihm wird nicht der versteckte Transport des Bargelds im Fahrzeug als solches vorgeworfen, sondern in der Zusammenschau mit weiteren tatsächlichen Umständen für eine Prognose künftiger Entwicklungen herangezogen. Auch hat der Antragsteller das Verstecken des Bargelds durch Einbau in Hohlräume im Fahrzeug nicht nachvollziehbar begründet; das Verwaltungsgericht hat zutreffend auf unterschiedliche Angaben hierzu sowie auf den Umstand, dass für die beabsichtigte Verwendung des Bargelds (Kauf mehrerer Lkw in Griechenland) keinerlei Belege vorliegen, hingewiesen (BA S. 18 oben).
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Weiter macht der Antragsteller geltend, dass angesichts des hohen Geldbetrages der Grundrechtseingriff für ihn besonders schwer sei, weshalb besonders hohe Anforderungen an die Gefahrenprognose zu stellen seien; das Verwaltungsgericht habe dies verkannt, indem es die große Menge des sichergestellten Geldes als Begründung für das Erfordernis eines geringeren Maßes an Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts verwendet habe. Derartige Erwägungen sind dem Beschluss des Verwaltungsgerichts jedoch nicht zu entnehmen. Den „hohen Geldbetrag“ hat es zwar als Anhaltspunkt der Gefahrenprognose für die Herkunft des Bargelds aus und die Verwendung für den illegalen Drogenhandel verwendet, ihm für sich allein aber erkennbar kein größeres Gewicht beigemessen (BA S. 16 oben). In Bezug auf den sog. differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab hat es zutreffend darauf abgestellt, dass mit zunehmendem Ausmaß eines möglichen Schadens ein abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gilt (BA S. 15 Mitte). Insoweit geht es um den möglichen Schaden für Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, hier infolge der drohenden Verwendung eines hohen Bargeldbetrags für den illegalen Drogenhandel, nicht aber um den durch die Sicherstellung des Bargelds beim Antragsteller verursachten „Schaden“; dieser ist im Rahmen der Ermessens- und Verhältnismäßigkeitsprüfung zu würdigen.
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Soweit der Antragsteller darauf hinweist, dass er noch nie wegen Taten im Rahmen des illegalen Betäubungsmittelhandels strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, ist dies zwar zutreffend, wiederlegt die Gefahrenprognose jedoch nicht. Im Übrigen geht er auch nicht darauf ein, wie es zu den bei den Drogenwischtests festgestellten Spuren von Kokain am Lenkrad und neben einem der Bargeldverstecke im Pkw gekommen sein könnte.
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Die umfangreichen Ausführungen zu Art. 25 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b PAG sind nicht entscheidungserheblich. Weder hat die Polizei ihren Bescheid auf diese Rechtsgrundlage gestützt noch hat das Verwaltungsgericht sie herangezogen.
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Soweit sich der Antragsteller darauf beruft, dass sich die Abschöpfung von Taterträgen nach den vorrangigen strafrechtlichen Vorschriften der §§ 73 ff. StGB richte und eine Anwendung der polizeirechtlichen Sicherstellungsvorschriften damit gesperrt sei, ändert dies nichts an der Rechtmäßigkeit der hier streitgegenständlichen polizeirechtlichen Sicherstellung. Der Senat hat bereits wiederholt auf die unterschiedliche Zielrichtung der Regelungen in §§ 73 ff. StGB einerseits und der ordnungsrechtlichen polizeilichen Eingriffsermächtigungen zur Sicherstellung, Verwahrung und Verwertung aufgrund des landesrechtlichen Polizeiaufgabengesetzes hingewiesen (vgl. U.v. 22.5.2017 - 10 B 17.83, Rn. 34; BayVGH, U.v. 15.11.2016 - 10 BV 15.1049 - juris Rn. 49, mit weiteren Nachweisen). Beim Antragsteller wird nicht Vermögen „abgeschöpft“. Vielmehr ist Zweck und Zielrichtung dieser präventiven polizeilichen Sicherstellung die - unter Umständen auch dauerhafte - Verhinderung, dass er das bei ihm sichergestellte Bargeld alsbald nach der Herausgabe für Drogengeschäfte verwendet.
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Schließlich trägt der Antragsteller noch vor, die Sicherstellung des Bargelds sei auch unverhältnismäßig. Selbst wenn man unterstelle, dass es zum Ankauf von Betäubungsmitteln verwendet werden solle, werde durch die Sicherstellung des Geldes nicht verhindert, dass die Drogen in den Verkehr gelangen. Da er aber kein Drogenhändler sei, ergebe sich ein ganz erheblicher Eingriff in seine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Interessen, weil er das Geld nicht mehr nutzbringend für seinen Gewerbebetrieb einsetzen könne. Lege man die Gefahrenprognose des Antragsgegners zugrunde, werde ihm werde das Eigentum an dem Geld dauerhaft entzogen und dieses vernichtet werden müssen.
16
Mit diesem Vorbringen kann der Antragsteller die Bewertung des Verwaltungsgerichts, die Sicherstellung erweise sich bei summarischer Prüfung im Rahmen eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO als nicht ermessensfehlerhaft, insbesondere nicht als unverhältnismäßig (BA S. 19), nicht durchgreifend in Frage stellen. Insbesondere ist die Maßnahme auch nicht ungeeignet zur Erreichung ihres Zwecks (vgl. Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 PAG). Denn bei der Sicherstellung des Bargelds geht es nicht darum, das Inverkehrbringen von Drogen beispielsweise durch andere Abnehmer zu verhindern; verhindert werden soll vielmehr konkret der Einsatz des streitgegenständlichen Bargelds für Betäubungsmittelgeschäfte. Auch aus der Höhe des Geldbetrags ergibt sich keine Unverhältnismäßigkeit im Sinn des Art. 4 Abs. 2 PAG. Denn steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der (gesamte) Geldbetrag für die Beteiligung am illegalen Betäubungsmittel- bzw. Drogenhandel eingesetzt werden sollte, ist es angemessen, auch den gesamten Betrag sicherzustellen, auch wenn dem Antragsteller dadurch (nach Eintritt der Bestandskraft) ein erheblicher Geldbetrag entzogen wird.
17
Ob und in welcher Weise das sichergestellte Bargeld nach Eintritt der Bestandskraft verwertet wird, wenn eine Herausgabe nicht in Betracht kommt (Art. 28 Abs. 2 Satz 3 PAG) ist letztlich nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Eine Vernichtung ist jedenfalls nicht zwingend (Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, PAG/POG, 5. Aufl. 2020, PAG Art. 25 Rn. 54).
18
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 3 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).