Titel:
Eilantrag des Nachbarn gegen Änderung der Betriebsweise einer Pferdekoppel
Normenketten:
BauGB § 34
BImSchG § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1
Leitsätze:
1. Wird ein Rücksichtnahmeverstoß aufgrund von Immissionsbelastungen geltend gemacht, ist zur Konturierung der Zumutbarkeitsschwelle auf die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts, also auf die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen iSv § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 BImSchG zurückzugreifen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Gebot der Rücksichtnahme verleiht einem Nachbarn grundsätzlich kein Recht, den Bauherrn auf einen alternativen Standort zu verweisen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Pferdehaltung im Innenbereich, Gebot der Rücksichtnahme, Lärmimmissionen, Geruchsimmissionen, schädliche Umwelteinwirkungen, alternativer Standort, Abstand
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 03.05.2022 – AN 3 S 22.1039
Fundstelle:
BeckRS 2022, 19865
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Antragstellerin wendet sich als Eigentümerin eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks (FlNr. … Gemarkung U* …*) gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die geänderte Betriebsweise einer bestehenden Pferdekoppel mit Unterstand und Heulager auf einem an der gemeinsamen Erschließungsstraße (* … Straße) gegenüberliegenden Grundstück (FlNr. … derselben Gemarkung).
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Die der Beigeladenen ursprünglich erteilte Baugenehmigung vom 7. September 2016 enthielt u.a. Nebenbestimmungen zum Immissionsschutz. Danach durften auf der Koppel maximal drei Pferde gehalten werden. Die dauerhafte Unterbringung war nur in den Monaten November bis Februar gestattet. Außerhalb dieses Zeitraums durfte die tägliche Unterbringungszeit fünf Stunden nicht überschreiten. Kot war regelmäßig zu entfernen und musste außerhalb des Baugrundstücks gelagert werden.
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Auf Antrag der Beigeladenen, die auf dem Baugrundstück auch ihre Tierarztpraxis betreibt, erteilte das zuständige Landratsamt die Änderungsgenehmigung vom 23. November 2021, die die immissionsschutzrechtlichen Nebenbestimmungen der ursprünglichen Baugenehmigung ausdrücklich neu fasst und bestimmt, dass die Pferdekoppel im Rahmen der tierärztlichen Tätigkeit zur Einstellung und Beobachtung von Patientenpferden sowie durch Dritte als Wechselkoppel genutzt werden darf. Es dürfen maximal fünf Pferde gehalten werden. Kot ist täglich zu entfernen. Zudem wurden Zeiten festgelegt, in denen die An- und Abtransporte der Pferde mit Kraftfahrzeugen und Anhängern stattzufinden haben.
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Am 22. Dezember 2021 erhob die Antragstellerin gegen die Änderungsgenehmigung Klage (Az. AN 3 K 21.02266), über die noch nicht entschieden ist. Ihren Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen und die Bauausführung zu stoppen, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 3. Mai 2022 abgelehnt. Die Antragstellerin könne keinen Gebietserhaltungsanspruch geltend machen. Ihr Grundstück befinde sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 12, der ein allgemeines Wohngebiet festsetze, während das Baugrundstück im unbeplanten Innenbereich liege, der wohl einem Misch- oder Dorfgebiet entspreche. Das Vorhaben verstoße auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Abgesehen davon, dass in Anbetracht der aneinandergrenzenden Baugebietstypen hier auch eine Mittelwertbildung in Betracht komme, bestünden bei der geringen Anzahl von Tieren und im Hinblick darauf, dass nächtliche An- und Abtransporte nicht erlaubt seien, keine Anhaltspunkte für die Überschreitung der „Lärmgrenzwerte“ eines allgemeinen Wohngebiets nach der hier jedenfalls als Orientierungshilfe anwendbaren TA Lärm. In Bezug auf Geruchsimmissionen sei nach der Ausarbeitung des Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ (Stand 12/2015) bei 5,5 GV an Pferden und einem Abstand von über 40 m zwischen einem Emissionsschwerpunkt und dem regelmäßigen Aufenthaltsort von Menschen in einem Wohngebiet von einer zumutbaren Situation auszugehen. Das Vorhaben mit einem Abstand zwischen Unterstand und Wohnhaus der Antragstellerin von ca. 40 m sei somit im Grenzbereich zwischen zu vermutender Unbedenklichkeit und erforderlicher Einzelfallprüfung anzusiedeln. Es seien hier aber keine Besonderheiten des Einzelfalls greifbar, die das Hervorrufen von erheblichen Geruchsbelästigungen plausibel erscheinen ließen. Hinsichtlich der Lage des östlich benachbarten Grundstücks der Antragstellerin in einer Westwindzone sei zu berücksichtigen, dass erst unter einem Abstand von 20 m erhebliche Geruchsbelästigungen stets zu vermuten und Pferdehaltungen nach der Ausarbeitung des Arbeitskreises grundsätzlich positiv bezüglich Sauberkeit zu bewerten seien. Überdies sei keine Mistlagerung auf dem Grundstück zulässig. Eventuell komme auch eine Vorbelastung durch die nahegelegene Reithalle in Betracht. Eine von der Antragstellerin vorgetragene Erkrankung und Schwerbehinderung oder Verstöße gegen die Baugenehmigung in der Vergangenheit seien nicht relevant.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Die Änderungsgenehmigung verletze das Gebot der Rücksichtnahme. Es könne dahinstehen, ob die Grundstücke von Antragstellerin und Beigeladener im Geltungsbereich desselben Bebauungsplans lägen. Das Vorhaben füge sich mit seiner Größe jedenfalls nicht in die nähere Umgebung ein, da diese, insbesondere in der unmittelbaren Nachbarschaft, von Wohnbebauung geprägt sei. Die zu erwartenden Geruchs- und Geräuschimmissionen seien unzumutbar. Das Verwaltungsgericht sei in Bezug auf die Geruchsbelastung fehlerhaft von einem Abstand von 40 m zum Unterstand ausgegangen. Maßgeblich sei dagegen die Entfernung der Pferdekoppel zum Grundstück der Antragstellerin von nur 18 m. Die Tiere hielten sich auf der gesamten Koppelfläche auf; der Unterstand werde nur untergeordnet genutzt. Es seien die vorherrschende Westwindlage und die Schwerbehinderung der an COPD erkrankten Antragstellerin zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Lärmbelastung verkenne das Erstgericht, dass es sich bei dem Betrieb der Beigeladenen um eine Tierarztpraxis handele. Pferde würden aus medizinischen Gründen zu allen Zeiten gebracht. Verstorbene Tiere könnten jederzeit abzuholen sein. Fahrzeuge parkten dann unmittelbar vor dem Grundstück der Antragstellerin. Die Einhaltung der der Änderungsgenehmigung beigefügten Nebenbestimmungen sei nicht realistisch und könne nicht überwacht werden. In der Vergangenheit habe es vielfach Verstöße gegen die ursprüngliche Baugenehmigung gegeben. Da das Grundstück der Beigeladenen 2.000 m² groß sei, sei zudem ein anderer Vorhabenstandort möglich.
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Die Antragstellerin beantragt,
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unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 3. Mai 2022 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 23. November 2021 anzuordnen und der Beigeladenen einstweilen aufzugeben, die Bauarbeiten sofort einzustellen und alle Maßnahmen zur Ausführung des Bauvorhabens zu unterlassen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Er verteidigt den angefochtenen Beschluss.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die fristgerecht dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung der gerichtlichen Entscheidung.
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Entgegen der Bewertung des Verwaltungsgerichts sieht der Senat die Erfolgsaussichten der anhängigen Anfechtungsklage gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung nach Aktenlage als offen an, weil noch Aufklärungsbedarf hinsichtlich des im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigenden Sachverhalts zur Geruchsbelastung der Antragstellerin besteht. Bei der mithin vorzunehmenden allgemeinen Interessenabwägung (vgl. BayVGH, B.v. 23.2.2021 - 15 CS 21.403 - juris Rn. 55) müssen die Interessen der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem Vollzugsinteresse der Beigeladenen aber hintanstehen. Dies führt ebenfalls zur Unbegründetheit des Eilantrags, sodass sich die mit der Beschwerde angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis als richtig erweist.
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1. Nicht durchzudringen vermag die Antragstellerin mit ihrem Beschwerdevorbringen, das Bauvorhaben füge sich angesichts seiner Größe nicht in die durch Wohnbebauung geprägte nähere Umgebung ein.
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Soweit sie sich damit auf einen Gebietserhaltungsanspruch beruft, stellt sie nicht in Frage, dass das Grundstück der Beigeladenen im unbeplanten Innenbereich liegt und nicht, wie das Grundstück der Antragstellerin, im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 12 (s. auch Bl. 66 der VG-Akte). Sie legt außerdem auch nicht substantiiert dar, dass die beiden Grundstücke ein und demselben faktischen Wohnbaugebiet angehören könnten (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2019 - 9 CS 19.1468 - juris Rn. 18). Maßstabsbildend für das Einfügen nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist die Umgebung, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (BVerwG, B.v. 13.5.2014 - 4 B 38.13 - juris Rn. 7 m.w.N.). Die Eigenart der näheren Umgebung wird dabei grundsätzlich durch dasjenige bestimmt, was auf dem Baugrundstück selbst und in der näheren Umgebung tatsächlich vorhanden ist (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.2016 - 4 C 7.15 - juris Rn. 10; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2021, § 34, Rn. 35 f.).
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Die Antragstellerin begründet nicht, wieso die nähere Umgebung des Baugrundstücks, zu der ihr benachbartes Grundstück mit seiner Lage an der gemeinsamen Erschließungsstraße zu rechnen sein könnte, trotz der grundsätzlich bestandsgeschützten Pferdekoppel auf dem Baugrundstück selbst und einer im Süden nahe gelegenen Reithalle sowie weiterer baulicher Anlagen eines Reitvereins nur relevante Nutzungen aufweisen sollte, die in einem (allgemeinen) Wohngebiet zulässig sind (vgl. BayVGH, B.v. 13.2.2006 - 15 ZB 05.3383 - juris Rn. 5). Das Landratsamt ist im Genehmigungsverfahren von einem Dorfgebiet ausgegangen bzw. hat eine „durch Großtierhaltung mitgeprägte Gemengelage“ angenommen. Gegenüber dem Verwaltungsgericht, das seiner Entscheidung ein Misch- oder Dorfgebiet zugrunde gelegt hat, hat es zudem auf Einzelhandels- und Handwerksbetriebe, eine Kfz-Werkstatt, eine Tankstelle sowie Landwirtschaft und Wohnen im Quartier zwischen … Straße und … Straße hingewiesen. Hierauf geht das Beschwerdevorbringen nicht ein.
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2. Die Antragstellerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme wegen Lärmbeeinträchtigungen durch das Bauvorhaben berufen.
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Wird - wie vorliegend - ein Rücksichtnahmeverstoß aufgrund von Immissionsbelastungen geltend gemacht, ist zur Konturierung der Zumutbarkeitsschwelle auf die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts, also auf die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen i.S. von § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 BImSchG zurückzugreifen (vgl. BayVGH, B.v. 22.4.2022 - 15 CS 22.873 - juris Rn. 33; B.v. 21.1.2022 - 1 CS 21.2866 - juris Rn. 14). Das Verwaltungsgericht hat danach unzumutbare Geräuschbelastungen unter Berücksichtigung der Immissionsrichtwerte für ein allgemeines Wohngebiet nach der TA Lärm verneint (vgl. auch BayVGH, U.v. 16.10.2013 - 15 B 12.1808 - juris Rn. 21). Dabei hat es sowohl der zulässigen Anzahl der Tiere als auch insbesondere dem Umstand Bedeutung beigemessen, dass deren An- und Abtransport mit Kraftfahrzeugen in der Nacht nicht erlaubt ist. Soweit die Antragstellerin die Möglichkeit der Einhaltung dieses Verbots im Hinblick auf die Einstellung von Patientenpferden bezweifelt, übersieht sie, dass unaufschiebbare tierärztliche Maßnahmen auf dem Grundstück der Beigeladenen und damit ggf. verbundene An- und Abtransporte in Nacht- oder Ruhezeiten nicht der Pferdekoppel, sondern der hier nicht streitgegenständlichen Tierarztpraxis zuzuordnen wären. Durch die angefochtene Baugenehmigung hat sich an der insoweit bestehenden (baurechtlichen) Situation nichts geändert. Im Übrigen war das Einstellen von Patientenpferden mangels betreffender Einschränkungen auch schon nach der bisherigen Baugenehmigung zulässig.
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3. Die Antragstellerin kann das Bauvorhaben auch nicht erfolgreich mit der Argumentation abwehren, dass die streitgegenständlichen „neuen“ Nebenbestimmungen nicht überwacht werden könnten. Solches ist mit dem Hinweis auf Verstöße in der Vergangenheit nicht nachvollziehbar dargelegt (vgl. auch BayVGH, B.v. 5.5.2022 - 9 CS 22.793 - juris Rn. 27 m.w.N.). Außerdem verleiht das Gebot der Rücksichtnahme einem Nachbarn grundsätzlich auch kein Recht, den Bauherrn auf einen alternativen Standort zu verweisen (vgl. BayVGH, B.v. 21.2.2005 - 2 CS 04.2721 - juris Rn. 5; B.v. 22.3.2021 - 1 CS 20.2787 - juris Rn. 7).
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4. Im vorliegenden summarischen Verfahren kann allerdings nicht mit der erforderlichen Sicherheit prognostiziert werden, ob die Hauptsache im Hinblick auf die vom Bauvorhaben ausgehende Geruchsbelastung erfolglos oder erfolgreich sein wird. Hierzu bedarf es noch weiterer Sachverhaltsaufklärung.
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Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf abgestellt, dass für die Beurteilung von Gerüchen - jedenfalls zum für die gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses, vor Neufassung der TA Luft zum 1. Dezember 2021 - nicht auf allgemein gültige Regelungen, sondern im Rahmen tatrichterlicher Bewertung nur auf diverse Regelwerke als unverbindliche Orientierungshilfe zurückgegriffen werden konnte. Zu diesen zählen die Arbeitspapiere des Bayerischen Arbeitskreises „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ (vgl. BayVGH, B.v. 27.4.2022 - 9 ZB 21.3227 - juris Rn. 6 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, B.v. 28.7.2010 - 4 B 29.10 - juris Rn. 3). Die Heranziehung als Orientierungshilfe befreit nicht von der Verpflichtung, die Schwelle der Erheblichkeit von Geruchsbelästigungen nach Maßgabe der tatsächlichen und rechtlichen Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit im Einzelfall zu beurteilen (vgl. VGH BW, B.v. 25.4.2016 - 3 S 1784/15 - juris Rn. 25).
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Die genannten Arbeitspapiere enthalten unter Kap. 3.3.2 „Pferdehaltungen“ (Stand 12/2015) Diagramme, aus denen sich ablesen lässt, bei welchen Abständen im Verhältnis zur GV-Zahl schädliche Umwelteinwirkungen bereits zu vermuten sind, ausgeschlossen werden können oder aber eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist. Dabei ist hinsichtlich des Ausgangspunkts der Emissionen auf geruchsintensivere Funktionsbereiche wie Ställe oder Mistlager abzustellen. Als Immissionsort kommt in erster Linie ein nächstgelegenes Wohnhaus (Fenster, Tür, ggf. Terrasse), als für einen dauernden Aufenthalt der Bewohner bestimmt, in Betracht (vgl. Kap. 3.3.1 „Gerüche, Grundsätzliches“, Stand 10/2013; vgl. auch VGH BW, B.v. 25.4.2016 - 3 S 1784/15 - juris Rn. 28 m.w.N.; BayVGH, B.v. 23.2.2021 - 15 CS 21.403 - juris Rn. 89 m.w.N.).
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Die Koppelfläche von 520 m², die bisher in Bezug auf die von ihr ausgehende Immissionsbelastung nicht gesondert beurteilt wurde, ist voraussichtlich zwar nicht als geruchsintensiverer Funktionsbereich bzw. Emissionsschwerpunkt, sondern als eine dem Auslauf dienenden Freifläche im Sinne der VDI-RL 3894 Blatt 1 anzusehen. Als solche dürfte sie aber nach Kap. 3.3.2 („Pferdehaltungen“, am Ende) einer Einzelfallprüfung hinsichtlich der erforderlichen Abstände zur Wohnnutzung nach Kap. 3.3.3 („Auslaufflächen“, Stand 10/2013) zu unterziehen sein. Nach der derzeitigen Aktenlage spricht wenig dafür, dass einerseits der vorhandene Unterstand, der möglicherweise nur einen Wetterschutz bildet, wie ein Stall als ein Emissionsschwerpunkt zu behandeln, andererseits aber die Koppelfläche völlig zu vernachlässigen sein könnte. Da der Arbeitskreis zu Auslaufflächen keinen Mindestabstand angibt, sondern aus den im Kap. 3.3.3 genannten, nachvollziehbaren Gründen auf die Verhältnisse im Einzelfall abzustellen empfiehlt, können unzumutbare Geruchsbeeinträchtigungen am Wohnhaus der Antragstellerin somit gegenwärtig nicht völlig ausgeschlossen werden. Überdies ist auch zweifelhaft, ob bei nach den Gesamtumständen zutreffender alleiniger Berücksichtigung des Unterstands im Hauptsacheverfahren auf eine abschließende Bestimmung des der Antragstellerin zukommenden Schutzniveaus und je nach Ergebnis auf eine Einzelfallprüfung verzichtet werden könnte. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass bei 5,5 GV erst bei einem Abstand von über 40 m zur Wohnbebauung in einem Wohngebiet schädliche Umwelteinwirkungen auch ohne Einzelfallprüfung als ausgeschlossen gelten können. Dieser Abstand, dessen Maßgeblichkeit in Betracht kommt, wird nach überschlägiger Messung anhand des Katasterplans oder unter Zuhilfenahme des Messinstruments des Bayernatlas wohl nicht ganz erreicht.
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5. Sind die Erfolgsaussichten der Klage offen, ist über den Antrag aufgrund einer (reinen) Interessenabwägung zu entscheiden. Diese fällt hier zu Lasten der Antragstellerin aus.
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Bei der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass die Anfechtungsklage der Antragstellerin nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 212a Abs. 1 BauGB von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hat. Hierdurch werden in gewisser Weise die Gewichte bei der Interessenabwägung zugunsten des Bauherrn verschoben, was aber nicht bedeutet, dass sich das Vollzugsinteresse gegenüber dem Aufschubinteresse automatisch durchsetzt (vgl. BayVGH, B.v. 5.5.2022 - 9 CS 22.3 - juris Rn. 31 m.w.N.). Die Belange eines Dritten haben bei der Abwägung umso mehr Gewicht, je schwerer die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt (vgl. BayVGH, B.v. 23.2.2021 - 15 CS 21.403 - juris Rn. 58).
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Vorliegend spricht danach für die Beibehaltung der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheids, dass ein Erfolg der Antragstellerin in der Hauptsache trotz des Erfordernisses weiterer Aufklärung des Sachverhalts nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht naheliegt. Die geringste Entfernung der Pferdekoppel zum Wohnhaus der Antragstellerin beträgt nach überschlägiger Messung über 20 m. Sie entspricht damit in etwa dem Abstand, der nach Kap. 3.3.2 („Pferdehaltungen“) bei maximal 5,5 GV sogar von einem Emissionsschwerpunkt wie einem Stall oder einer Dungstätte zu Wohnhäusern in einem Dorfgebiet einzuhalten wäre, um auch ohne Einzelfallprüfung schädliche Geruchsweinwirkungen ausschließen zu können. Auf der 520 m² großen Koppelfläche können sich die maximal zulässigen fünf Pferde aber frei verteilen. In den am weitesten vom Wohnhaus der Antragstellerin entfernten Bereichen der Koppel beträgt der Abstand über 40 m. Ein Stall für 5,5 GV wäre bei dieser Entfernung zu einem Wohnhaus sogar in einem faktischen (reinen oder allgemeinen) Wohngebiet hinsichtlich der von ihm ausgehenden Gerüche unbedenklich (vgl. Kap. 3.3.2 „Pferdehaltungen“, Bild 1). Die Koppelfläche ist überdies unbefestigt und täglich von Kot zu reinigen, was nach Kap. 3.3.3 („Auslaufflächen“) auf eher geringe Emissionen schließen lässt. In Anbetracht des Umstands, dass das Grundstück der Antragstellerin am Rande des Bebauungsplangebiets in einer Umgebung des Baugrundstücks liegt, die wohl nicht als faktisches Wohngebiet eingestuft werden kann und jedenfalls durch Tierhaltungsanlagen, wie etwa die streitgegenständliche, bestandskräftig genehmigte Pferdehaltung, zumindest mitgeprägt wird (vgl. BayVGH, B.v. 2.9.2010 - 14 ZB 10.604 - juris Rn. 16 m.w.N.; OVG LSA, B.v. 8.7.2020 - 2 M 41/20 - juris Rn. 21), bestehen derzeit keine greifbaren Anhaltspunkte für die Wahrscheinlichkeit unzumutbarer Geruchsbelästigungen. Dies gilt auch im Hinblick auf die von der Antragstellerin vorgetragene vorherrschende Westwindlage. Zu der Lungenkrankheit der Antragstellerin hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass sich diese auf die Beurteilung der Zumutbarkeit nicht auswirken kann (vgl. BVerwG, B.v. 5.10.2005 - 4 BN 39.05 - juris Rn. 2 m.w.N.).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene, die sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert hat, trägt danach ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs. Sie entspricht der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).