Titel:
Erfolgloser PKH-Antrag eines Eritreers für eine Klage auf Ausstellung eines Reiseausweises
Normenkette:
AufenthV § 5 Abs. 1
Leitsatz:
Grundsätzlich können für die Ausstellung eines Reiseausweises erfolglose Bemühungen zur Erlangung eines Nationalpasses verlangt werden; ob dies im Einzelfall zumutbar ist, ist jeweils unter Berücksichtigung etwa möglicher Gefährdung von Verwandten oder sonstiger - auch finanzieller - Konsequenzen zu beantworten. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eritrea, Reiseausweis, Zumutbarkeit, Aufbausteuer
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 25.07.2022 – 10 C 22.906
Fundstelle:
BeckRS 2022, 19859
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.
Gründe
1
Der Kläger, ein nach eigenen Angaben am ... geborener eritreischer Staatsangehöriger, begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe für seine Klage, mit der die Beklagte verpflichtet werden soll, ihm einen Reiseausweis für Ausländer auszustellen.
2
Er reiste am 13. September 2014 in die Bundesrepublik ein und stellte am 29. September 2014 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 4. März 2016 gab der Kläger an, dass er im Alter von sieben Jahren zusammen mit seinem Bruder und seiner Mutter Eritrea verlassen habe, nachdem sein Vater gestorben sei. Der Bruder sei auf dem Weg nach Äthiopien entführt worden, seine Mutter sei daran zerbrochen und auf ihm nicht bekannte Weise umgekommen. In Eritrea habe er keine Verwandten mehr. Ein Freund seines Vaters habe ihn dann in Äthiopien aufgenommen. Mit Bescheid vom 14. November 2016 erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu, lehnte den Asylantrag im Übrigen aber ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass ihm in seinem Herkunftsland Eritrea ein ernsthafter Schaden drohe.
3
Am 18. November 2016 beantragte der Kläger bei der Stadt K. die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Zunächst wurden ihm Fiktionsbescheinigungen ausgestellt. Eine befristete Aufenthaltserlaubnis wurde ihm am 18. August 2017 erteilt. Diese wurde in der Folge regelmäßig verlängert und ist derzeit bis zum 18. Juli 2022 gültig. Am 29. November 2016 beantragte er die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer.
4
Mit Schreiben vom 9. August 2018 teilte der Kläger mit, dass er bei der Botschaft von Eritrea keinen nationalen Reisepass besorgen könne. Sowohl seine Frau als auch ihre gemeinsamen Söhne seien anerkannte Flüchtlinge. Bei einer Vorsprache bei der Botschaft müsse er die Identitäten und den Aufenthaltsstatus seiner Frau und ihrer Söhne bekannt geben.
5
Die Beklagte führte mit Schreiben vom 19. Oktober 2018 aus, dass nach dem geltenden Recht eine Vorsprache bei den nationalen Behörden des Herkunftsstaates zwecks Erlangung eines Nationalpasses zumutbar sei. Eine Vorsprache seiner Ehefrau und der beiden Kinder sei nicht notwendig. Durch die Botschaft werde grundsätzlich eine Bestätigung der Passbeantragung erteilt. Bei Versagung des Passes werde eine Bescheinigung mit den Gründen der Versagung ausgestellt. Es sei somit für eritreische Staatsangehörige nicht unzumutbar, sich einen eritreischen Nationalpass zu beschaffen.
6
In der Folge legte der Kläger ein an die eritreische Botschaft in B. adressiertes Schreiben vom 29. Oktober 2018 mit mehreren Fragen zur Ausstellung eines Reisepasses vor.
7
Mit Bescheid vom 13. Dezember 2018 lehnte die Beklagte den Antrag auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer ab. Dem Kläger sei es nicht unzumutbar, sich einen Reisepass zu beschaffen. Dies sei weder vorgetragen worden, noch sei es ersichtlich, dass sich der Kläger persönlich um die Erlangung eines Passes seines Heimatstaates bemüht habe. Eine persönliche Vorsprache zur Beantragung eines eritreischen Nationalpasses bei seiner Auslandsvertretung sei bisher nicht erfolgt. Eine Vorsprache seiner Ehefrau und der beiden Kinder sei dabei nicht notwendig. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger keine Klage.
8
Mit Schreiben vom 29. April 2021 und 18. Mai 2021 bat der Kläger die Beklagte unter Verweis auf mehrere gerichtliche Entscheidungen um Überprüfung, ob er einen Reiseausweis für Ausländer erhalten könne. Er gab zudem an, dass er sich mit Schreiben vom 8. und 26. Februar 2021 erneut an die eritreische Botschaft gewandt habe. Eine Antwort habe er nicht bekommen. Er sei arbeitsunfähig und seine Familie und er erhielten aufstockend Sozialleistungen. Daher sei er nicht in der Lage, auch nur ansatzweise die sogenannte Fluchtsteuer an die Botschaft von Eritrea zu bezahlen.
9
Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 19. Juli 2021 mit, dass bei ihm für die Ausstellung eines eritreischen Nationalpasses das Generalkonsulat in F. am M. zuständig sei. Das Generalkonsulat sei derzeit aufgrund der Corona-Situation bis auf weiteres geschlossen. Anträge würden aber auf dem Postweg angenommen werden. Der Kläger solle dort schriftlich ein Antragsformular beantragen. Sollte er nicht im Besitz eines eritreischen Personalausweises sein, könne er diesen ebenfalls über das Konsulat beantragen.
10
Mit Schreiben vom 2. August 2021 teilte der Kläger mit, dass er vom Generalkonsulat das Antragsformular und weitere Unterlagen mit Informationen zu verschiedenen Gebühren erhalten habe. In seinem Fall seien die Bedingungen der Passausstellung nicht erfüllbar. Er könne keinen eritreischen Personalausweis vorlegen. Die Bearbeitungsgebühr von 3620,00 Euro könne er nicht bezahlen. Die ID-Karten seiner Mutter und seines Vaters könne er nicht vorlegen, weil sie verstorben seien.
11
Mit Bescheid vom 18. Oktober 2021, der dem Kläger am 19. Oktober 2021 zugestellt wurde, lehnte die Beklagte den Antrag auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass im Hinblick auf den mit der Ausstellung eines Passes regelmäßig verbundenen Eingriff in die Personalhoheit eines anderen Staates der Ausländer grundsätzlich zunächst auf die Möglichkeit der Ausstellung eines Passes durch seinen Heimatstaat zu verweisen und die Erteilung eines Reiseausweises erst dann in Betracht zu ziehen sei, wenn diese Bemühungen nachweislich ohne Erfolg geblieben seien. Eine Unzumutbarkeit komme nur in Ausnahmefällen in Betracht und die entsprechenden Umstände seien vom Ausländer darzulegen und nachzuweisen. Die Zuerkennung des subsidiären Schutzes vermöge auch im konkreten Fall keine Unzumutbarkeit zu begründen. Der Kläger habe in seinen Schreiben nicht substantiiert dargelegt, dass für ihn bereits eine Kontaktaufnahme mit der Auslandsvertretung Eritreas in der Bundesrepublik Deutschland unzumutbar sei. Auch sei es dem Kläger zumutbar, zunächst bei der eritreischen Auslandsvertretung zu klären, ob auch er - trotz Sozialleistungsbezugs - im Falle der Beantragung eines Nationalpasses zur Entrichtung der Aufbausteuer verpflichtet wäre. Indem der Kläger bisher nicht bei der eritreischen Auslandsvertretung vorgesprochen habe, sei er insofern untätig geblieben. Auch ergebe sich die Unzumutbarkeit nicht aus der Zahlung einer Aufbausteuer von 2%. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 und Nr. 4 AufenthV würden insbesondere die Erfüllung zumutbarer staatsbürgerlicher Pflichten und die Zahlung der vom Herkunftsstaat allgemein festgelegten Gebühren für die behördlichen Maßnahmen als zumutbar gelten. Dass der Kläger gegenüber dem Konsulat eine Reueerklärung abzugeben hätte, führe auch nicht zur Unzumutbarkeit. Das bloße Erfordernis der Unterzeichnung der Reueerklärung allein sei von vornherein nicht geeignet, eine Unzumutbarkeit der Passbeschaffung zu begründen.
12
Gegen den ablehnenden Bescheid vom 18. Oktober 2021 ließ der Kläger am 18. November 2021 Klage erheben. Für das Verfahren beantragt er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie die Beiordnung seiner Bevollmächtigten. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger nicht auf zumutbare Weise einen eritreischen Pass erlangen könne. Dem Kläger könne im vorliegenden Verfahren schon nicht vorgeworfen werden, dass er sich nicht aktiv im Vorfeld darum bemüht habe, bei der eritreischen Botschaft vorzusprechen und weitere Auskünfte einzuholen. Eine Vorsprache müsse nicht zwingend persönlich erfolgen, wenn es um die Erlangung von Auskünften gehe. Der Kläger habe sich mehrfach mit Schreiben an die Botschaft von Eritrea gewandt, um Informationen zu erhalten, wie er einen Pass erhalten könne. Dass der Kläger zunächst auf eine persönliche Vorsprache bei der Botschaft verzichtet habe, sei nicht vorwerfbar, weil er zunächst die genauen Voraussetzungen für die Passbeschaffung herausfinden habe wollen. Eine Reise zur eritreischen Botschaft sei mit Kosten verbunden, die der Kläger nicht ohne weiteres aufbringen könne. Der Kläger habe im Anhörungsverfahren detailliert nachgewiesen, dass die Anforderungen, die in dem der Beklagten vorgelegten Antragsformular gestellt werden würden, vom Kläger nicht erfüllbar seien. Aus dem Antragsformular gehe hervor, dass der Kläger unter anderem eine Kopie der eritreischen Ausweise der Eltern vorlegen müsse. Außerdem sei eine Gebühr in Höhe von 160,00 Euro für Erwachsene sowie eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 20,00 Euro für das aktuelle Jahr und 15,00 Euro monatlich für die zurückliegenden 20 Jahre zu entrichten. Dem Antragsformular sei nicht zu entnehmen, dass von der Erhebung der Gebühr in Ausnahmefällen, zum Beispiel beim Bezug von Sozialleistungen Abstand genommen werde. Die Bearbeitungsgebühr könne vom Kläger angesichts seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nicht bezahlt werden. Er sei arbeitsunfähig krank und beziehe Sozialleistungen. Bei ihm liege ein Grad der Behinderung von 40% vor. Aufgrund der Einbuße der körperlichen Beweglichkeit sei er nur eingeschränkt erwerbsfähig. Die Anforderung der Beklagten, dass der Kläger im Rahmen einer persönlichen Vorsprache hätte klären müssen, ob von der Entrichtung der Bearbeitungsgebühr abgesehen werde, sei als überzogen anzusehen, weil bereits in dem Antragsformular keinerlei Option in diese Richtung aufgezeigt werde. Von vornherein erkennbar aussichtslose Handlungen dürften dem Ausländer aber nicht abverlangt werden. Auch die Abgabe einer sogenannten Reueerklärung als Voraussetzung für die Erlangung eines Passes könne nicht gefordert werden. Das Ermessen der Beklagten sei vorliegend auf Null reduziert. Dies ergebe sich aus der Qualifikationsrichtlinie.
13
Zum Nachweis der Behinderung des Klägers mit einem Grad von 40 wurde eine Bescheinigung des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 2. März 2021 vorgelegt.
15
die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 18.10.2021, zugestellt am 21.10.2021, einen Reiseausweis für Ausländer gemäß § 5 Aufenthaltsverordnung auszustellen.
17
die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheids vom 18.10.2021 über den Antrag des Klägers auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer vom 29.4.2021 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
18
Die Beklagte beantragt,
19
Die Klage vom 18.11.2021 wird zurückgewiesen.
20
Der Kläger habe weder einen Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer, noch stehe ihm ein Anspruch auf Neuverbescheidung seines Antrags unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu. Eine Unzumutbarkeit, sich zunächst um die Ausstellung eines Nationalpasses des Heimatstaates zu bemühen, liege nicht vor. Auch einem Ausländer, der als subsidiär Schutzberechtigter anerkannt worden sei, sei eine Vorsprache bei den nationalen Behörden nicht per se unzumutbar. Dem Kläger sei es zuzumuten, bei seiner zuständigen Auslandsvertretung persönlich vorzusprechen, um dort Auskünfte einzuholen, welche Schritte er veranlassen müsse, damit er einen Nationalpass erhalten könne. Nach den Informationen der Webseite der Botschaft des Staates Eritrea müsse vor einer Terminvereinbarung bei der Botschaft ein Anmeldeformular ausgefüllt und per Post oder E-Mail an die Botschaft gesandt werden. Danach könne online ein Termin zur Vorsprache vereinbart werden. Diese zumutbare Handlung sei vom Kläger bislang nicht erfüllt bzw. nachgewiesen worden.
21
Ergänzend wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der von der Beklagten vorgelegten Behördenakte.
22
Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung konnte nicht entsprochen werden.
23
1. Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Betei ligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 - 1 BvR 1998/02 - NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (vgl. Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 166 Rn. 26).
24
2. Gemessen daran konnte dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entsprochen werden, da die vom Kläger erhobene Klage aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Nach derzeitigem Sachstand ist davon auszugehen, dass dem Kläger weder ein Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer, noch ein Anspruch auf Neuverbescheidung seines Antrags unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zusteht. Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer liegen beim Kläger voraussichtlich nicht vor.
25
a) Nach § 5 Abs. 1 AufenthV kann einem Ausländer, der nachweislich keinen Pass oder Passersatz besitzt und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen kann, nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden. Im vorliegenden Fall fehlt es nach derzeitigem Stand bereits an der Voraussetzung, dass der Kläger einen Pass nicht auf zumutbare Weise erlangen kann.
26
aa) Die Unzumutbarkeit der Erlangung eines Reisepasses ergibt sich zunächst nicht pauschal aus der Stellung des Klägers als subsidiär Schutzberechtigter (BayVGH, B.v. 17.10.2018 - 19 ZB 15.428 - juris Rn. 4). Welche konkreten Anforderungen an das Vorliegen der Unzumutbarkeit zu stellen sind, beurteilt sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei ist im Hinblick auf den mit der Ausstellung eines Passes regelmäßig verbundenen Eingriff in die Personalhoheit eines anderen Staates grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Ausländerbehörde den Ausländer zunächst auf die Möglichkeit der Ausstellung eines Passes durch seinen Heimatstaat verweist und die Erteilung eines Reiseausweises erst dann in Betracht zieht, wenn diese Bemühungen nachweislich ohne Erfolg geblieben sind (BayVGH, B.v. 17.10.2018 - 19 ZB 15.428 - juris Rn. 5; OVG NRW, B.v. 17.05.2016 - 18 A 951/15 - juris Rn. 3). In diesem Zusammenhang ist es einem subsidiär Schutzberechtigten auch unter Berücksichtigung von Art. 25 der RL 2011/95/EU und der intendierten Angleichung des subsidiären Schutzstatus an die Flüchtlingseigenschaft nicht von vornherein und per se unzumutbar, bei den nationalen Behörden zwecks Erlangung eines nationalen Passes vorzusprechen. Im Unterschied zu anerkannten Flüchtlingen stellt Art. 25 Abs. 2 der RL 2011/95/EU für subsidiär Schutzberechtigte ausdrücklich darauf ab, dass die Ausstellung von Reisedokumenten nur dann zu erfolgen hat, wenn diese Personen keinen nationalen Pass erhalten können. Die Frage, ob die Vorsprache bei der Heimatvertretung einem Ausländer zugemutet werden darf, lässt sich dabei nicht allgemeingültig, sondern nur nach Maßgabe der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilen. Im Grundsatz können aber nachweislich erfolglose Bemühungen zur Erlangung eines Nationalpasses gefordert werden (BayVGH, B.v. 17.10.2018 - 19 ZB 15.428 - juris Rn. 9). Ebenfalls zu berücksichtigen ist hierbei aber, ob nach den konkreten Umständen des Einzelfalls etwa wegen einer Gefährdung von Verwandten in Eritrea und einer möglicherweise zu leistenden Aufbausteuer die Vorsprache bei einer Auslandsvertretung zum Zwecke der Passbeschaffung unzumutbar ist.
27
bb) Dies zugrunde gelegt kann beim Kläger derzeit nicht angenommen werden,dass er nicht auf zumutbare Weise einen Pass erlangen kann, weil er keine ausreichenden erfolglosen Bemühungen zur Erlangung eines Nationalpasses nachgewiesen hat. Zunächst ist festzustellen, dass der Kläger - wie er bisher selbst eingeräumt hat - bislang nicht bei der eritreischen Botschaft in Berlin oder dem eritreischen Generalkonsulat in F. am M. persönlich vorgesprochen hat. Es sind zudem keine nachvollziehbaren Gründe ersichtlich, warum ihm diese Vorsprache nicht zumutbar sein sollte. Auch einen Vertrauensanwalt im Heimatland hat er nicht beauftragt. Darüber hinaus hat er noch nicht einmal einen eritreischen Personalausweis beantragt. Hiervon ausgehend kann im Einzelfall des Klägers derzeit noch nicht angenommen werden, dass er einen eritreischen Pass - sofern er überhaupt die eritreische Staatsangehörigkeit besitzt - nicht in zumutbarer Weise erlangen kann. Solange der Kläger noch nicht persönlich bei der Auslandsvertretung vorgesprochen und versucht hat, einen von der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in As. als zuverlässig bekannten Rechtsanwalt zu kontaktieren (siehe hierzu Botschaft der Bundesrepublik Deutschland As., Rechtsanwälte in Eritrea - Rk 521.01 - Stand: Februar 2010), kann eine Unzumutbarkeit nicht angenommen werden. Denn nach den aktuellen Erkenntnissen des Auswärtigen Amts können Personenstandsurkunden in Eritrea auch durch bevollmächtigte Personen (Verwandte, Bekannte, Rechtsanwälte) beschafft werden (Auswärtiges Amt, Amtshilfeersuchen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren vom 21.02.2020). Das Auswärtige Amt gelangt auch zu der Einschätzung, dass die Beauftragung eines Vertrauensanwalts in Eritrea zur Beschaffung von Dokumenten möglich und erfolgversprechend ist.
28
b) Ohne dass es darauf noch entscheidungserheblich ankäme, weist das Gericht ergänzend darauf hin, dass an der eritreischen Staatsangehörigkeit des Klägers aus nachfolgenden Gründen ganz erhebliche Zweifel bestehen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Kläger die äthiopische Staatsangehörigkeit besitzt und es ihm dementsprechend zumutbar ist, sich um einen äthiopischen Reisepass zu bemühen.
Die Staatsangehörigkeit eines Asylbewerbers beurteilt sich grundsätzlich nach dem jeweiligen Staatsangehörigkeitsrecht des in Frage kommenden Landes. Denn die Kriterien für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit obliegen als originäre innerstaatliche Aufgabe dem jeweiligen Staat und werden durch innerstaatliche Rechtsvorschriften geregelt. Nach Art. 3 ff. des Äthiopischen Staatsangehörigkeitsgesetzes wird die äthiopische Staatsangehörigkeit durch Abstammung erworben. Beide Eltern sowie auch der Kläger selbst sind seinen eigenen Angaben nach noch vor der staatlichen Unabhängigkeit Eritreas, die im Laufe des Jahres 1993 vollzogen wurde, geboren. Er erhielt somit bei der Geburt automatisch die äthiopische Staatsbürgerschaft und behielt diese nach dem äthiopischen Staatsangehörigkeitsrecht auch nach der Unabhängigkeit Eritreas. Dafür, dass der Kläger (oder seine Eltern) nach dem 24. Mai 1993 (Proklamation der Unabhängigkeit Eritreas) die eritreische Staatsangehörigkeit angenommen und die äthiopische Staatsangehörigkeit abgelegt hätte, bestehen keine Anhaltspunkte. Hierzu hat er bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt auch nichts vorgetragen. Er beruft sich schlicht darauf, dass er eritreischer Staatsangehöriger sei, weil er „eritreisches Blut“ habe. Wer aber die eritreische Nationalität annehmen wollte, musste am Unabhängigkeitsreferendum teilnehmen und einen eritreischen Identitätsausweis beantragen (Schweizerische Eidgenossenschaft, Bundesamt für Migration, Focus Äthiopien/Eritrea, Personen eritreischer Herkunft in Äthiopien, Bern, 19.2.2010, S. 5 m.w.N.). Wer geltend macht, aufgrund seiner Abstammung als eritreischer Staatsbürger - sei es vom eritreischen oder äthiopischen Staat - angesehen zu werden, erwirbt die eritreische Staatsbürgerschaft nur, wenn er sie aktiviert, d.h. sich als eritreischer Staatsbürger bei einem eritreischen Konsulat oder einer Botschaft hat registrieren lassen. Diesbezüglich hat der Kläger aber nichts vorgetragen. Vielmehr war er bislang nicht dazu bereit, persönlich bei der eritreischen Auslandsvertretung vorzusprechen.