Titel:
Erfolgloser Eilrechtsschutz gegen bauaufsichtliche Betretensanordnung zur Baukontrolle
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 146
BayBO Art. 54 Abs. 2 S. 4
GG Art. 13 Abs. 7
Leitsätze:
1. Eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zum Betreten eines Grundstücks durch die Baubehörde kann angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass an Gebäuden oder Nebengebäuden erhebliche bauliche Veränderungen oder Erweiterungen stattgefunden haben und der Vollzug des Baurechts gewährleistet werden muss. (Rn. 8 – 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die bauaufsichtliche Betretensbefugnis setzt nicht voraus, dass ein Verstoß gegen baurechtliche Vorschriften vorliegt, sondern es reicht schon die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines solchen Verstoßes und zuvor vergebliche Versuche, einen Augenscheinstermin zu vereinbaren. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Störerauswahl ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Behörde eine Anordnung gegen denjenigen richtet, der sich immer wieder als der maßgebliche Verfügungsberechtigte oder wirtschaftlich Verantwortliche gerierte, so dass die Behörde den Eindruck gewinnen konnte, durch die Maßnahmen ihm gegenüber würde die öffentliche Ordnung am wirksamsten wiederhergestellt. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Duldungsanordnung zum Betreten eines Grundstücks, Erforderlichkeit der Duldungsanordnung, Eilrechtsschutz, Beschwerdeverfahren, summarische Prüfung, Bauordnungsrecht, Baukontrolle, Betretensanordnung, dringende Gefahr, bauliche veränderungen, Störerauswahlermessen, Handlungsstörer
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 11.05.2022 – M 11 S 22.2471
Fundstelle:
BeckRS 2022, 19834
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die zuletzt mit Bescheid vom 22. April 2022 ergangene bauaufsichtliche Anordnung, das Betreten des im Miteigentum mit zwei weiteren Personen stehenden Grundstücks zur bauaufsichtlichen Überprüfung der nördlichen Nebengebäude sowie der Versiegelungen im Zufahrtsbereich durch Vertreter der Bauaufsichtsbehörde zu gewähren und zu dulden.
2
Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der hiergegen erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Beschluss vom 15. Februar 2022 (M 11 S 22.610), der zu einer früheren Betretungsanordnung ergangen ist, abgelehnt. Auch die verfahrensgegenständliche Betretungsanordnung sei rechtmäßig. Ergänzend wurde ausgeführt, dass die Zeitspanne zwischen dem Erlass des Bescheids und festgesetztem Termin nicht unverhältnismäßig kurz sei, insbesondere da der Antragsteller sich auch vertreten lassen könne. Das Landratsamt habe auch nicht den Ausgang des früheren Beschwerdeverfahrens abwarten müssen. Aufgrund der vorliegenden Luftbilder bestehe ein hinreichend sachlicher Grund für die Durchführung der Baukontrolle. Auch sei aufgrund der etwaigen Baurechtswidrigkeit der Nebengebäude und des Zufahrtsbereichs eine dringende Gefahr gegeben. Ein „drastisches Vorgehen“ der Behörde sei im Hinblick auf die vergeblichen Bemühungen des Landratsamts, einen einvernehmlichen Termin zu vereinbaren, nicht erkennbar. Auch das besondere Vollziehungsinteresse sei angesichts möglicher Baueinstellungsverfügungen und Nutzungsuntersagungen gegeben und ausreichend begründet worden.
3
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Rechtsschutzbegehren weiter.
4
Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
5
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakten verwiesen.
6
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
7
Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers zu Recht abgelehnt. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung wird die Klage des Antragstellers gegen die (weitere) Betretungsanordnung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben, sodass das Interesse an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegenüber dem Vollzugsinteresse der angefochtenen Betretungsanordnung nachrangig ist.
8
1. Nach Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO i.V.m. Art. 13 Abs. 7 GG sind die mit dem Vollzug der Bayerischen Bauordnung beauftragten Personen berechtigt, in Ausübung ihres Amtes Grundstücke und Anlagen einschließlich Wohnungen zu betreten, wenn eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht. Eine konkrete Gefahr wird nicht vorausgesetzt (vgl. BVerwG, B.v. 7.6.2006 - 4 B 36.06 - BauR 2006, 1460; BayVGH, B.v. 16.8.2021 - 15 CS 21.2022 - juris Rn. 11).
9
Eine solche Gefahr kann beispielsweise angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass an Gebäuden oder Nebengebäuden erhebliche bauliche Veränderungen oder Erweiterungen stattgefunden haben und der Vollzug des Baurechts gewährleistet werden muss. Soweit das Grundstück - wie hier - im bauplanungsrechtlichen Außenbereich (§ 35 BauGB) liegt, ist insbesondere zu besorgen, dass dadurch eine weitere Verfestigung einer Splittersiedlung zu befürchten ist (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2014 -1 ZB 13.301 - juris Rn. 6). Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass aufgrund eines entsprechenden Hinweises sowie aufgrund von Luftaufnahmen aus den Jahren 2015, 2018 und 2020 Anhaltspunkte für eine baurechtliche Überprüfung der nördlichen Nebengebäude sowie der Versiegelungen im Zufahrtsbereich bestünden. Für die Ermittlung der Bestandssituation ist jedoch das Betreten des Grundstücks erforderlich, da sich von außen keine sicheren Erkenntnisse gewinnen lassen.
10
Soweit der Antragsteller hiergegen einwendet, dass für die Betretungsanordnung kein sachlicher Grund bestehe und die zur Begründung herangezogenen Luftbilder aus Zeiträumen stammten, in welchen das Landratsamt aufgrund zweier Baukontrollen aus den Jahren 2018 und 2019 Zutritt zum Grundstück erhalten und die Situation, insbesondere im Bereich des Zufahrtsbereichs, im Blick gehabt haben dürfte, übersieht er, dass die Befugnis nach Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO nicht voraussetzt, dass ein Verstoß gegen baurechtliche Vorschriften vorliegt, sondern schon die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines solchen Verstoßes ausreicht und zuvor vergeblich versucht wurde, einen Augenscheinstermin zu vereinbaren. Die gebotene hinreichende Wahrscheinlichkeit ist darin zu sehen, dass die vorgelegten Luftbilder, insbesondere auch das Luftbild aus dem Jahr 2020, jeweils eine Veränderung gegenüber den früheren Luftbildern aufweisen. Während das Luftbild aus dem Jahr 2015 noch eine Zufahrt in Gestalt eines einfachen Feldwegs und Grünfläche ausweist, erscheint der Zufahrtsweg 2018 breiter und mit einer Zufahrt zu den Nebengebäuden versehen. 2020 lässt demgegenüber eine Vergrößerung der nördlichen Nebengebäude sowie eine weitere Befestigung des Zufahrtsbereichs erkennen. Schon allein die erforderliche Prüfung, ob die Veränderungen verfahrensfrei durchgeführt werden können und den Vorschriften entsprechen, rechtfertigt die Ausübung des Betretungsrechts. Zudem legt der Antragsteller nicht substantiiert dar, dass das Landratsamt den Zustand, der mit der Luftaufnahme aus dem Jahr 2020 belegt ist, bereits kontrolliert hat. Denn Anlass für die früheren Baukontrollen war die Feststellung der Bestandssituation im Hauptgebäude im Hinblick auf baugenehmigungspflichtige Änderungen, die zur Bauantragstellung und zur Erteilung einer Baugenehmigung nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 2 BauGB führte, sowie die Prüfung des südlichen Nebengebäudes, bei dem eine Beanstandung nicht festgestellt werden konnte. Da das Betreten des Grundstücks geeignet, erforderlich und angemessen sein muss, war es bei den früheren Baukontrollen weder erforderlich noch geboten, das gesamte Grundstück nach etwaigen weiteren Baurechtsverstößen zu besichtigen. Aber auch für den Fall, dass die früheren Kontrollen umfassend und bezogen auf das gesamte Grundstück erfolgt wären, ist zu klären, ob der Antragsteller danach Veränderungen vorgenommen hat. Es kann nicht die Rede davon sein, dass das Landratsamt die Anordnung allein aufgrund von „mehrfach unbegründeten anonymen Anzeigen“ und damit ohne sachlichen Grund getroffen hat. Der von dem Antragsteller ohne nähere Darlegung in den Blick genommene Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 16. August 2021 (15 CS 21.2022), der sich dazu nicht äußert sowie die angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. April 2008 (8 B 5.08) zum Beweiswert von Zeugen vom Hörensagen sind nicht geeignet, die Auffassung des Antragstellers zu bekräftigen. Im Übrigen ist auch ein wiederholtes Betreten für eine umfassende Sachverhaltsermittlung oder bei zwischenzeitlichen Veränderungen zulässig (vgl. BayVGH, B.v. 16.8.2021 - 15 CS 21.2022 - juris Rn. 12; B.v. 16.1.2014 - 1 ZB 13.301 - juris Rn. 6).
11
Dass nach der letzten Betretungsanordnung vom April 2022 keine weiteren Anordnungen erfolgten, ist erkennbar den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs im Einstellungsbeschluss vom 13. Mai 2022 (1 CS 22.461) zur Auslegung der Betretungsanordnung vom 27. Januar 2022 sowie dem Abwarten einer gerichtlichen Überprüfung geschuldet und lässt das besondere Vollziehungsinteresse nicht entfallen.
12
2. Auch soweit der Antragsteller die Störerauswahl beanstandet, bleibt der Antrag nach summarischer Prüfung erfolglos. Zwar ist grundsätzlich richtig, dass der Handlungsstörer vor dem Zustandsstörer heranzuziehen ist. Mit der Beschwerde wird aber nicht ansatzweise dargelegt, dass der Antragsteller als Handlungsstörer nicht in Betracht kommt (vgl. BayVGH, U.v. 3.7.2018 - 1 B 16.2374 - juris Rn. 16; B.v. 28.5.2001 - 1 ZB 01.664 - juris Rn. 5).
13
Dass er nicht im Anwesen wohnt, macht selbst der Antragsteller nicht geltend. Er ist zudem bereits im Rahmen der früheren Betretungsanordnung aus dem Jahr 2018 als sog. Doppelstörer aufgetreten und muss sich deshalb an dem hierdurch hervorgerufenen Anschein seiner (Mit-)Verantwortung solange festhalten lassen, als dieser Anschein gegenüber der Bauaufsichtsbehörde aufrechterhalten bleibt (vgl. VGH BW, U.v. 26.11.1980 - 3 S 2005/80 - NJW 1981, 1003). Dies entspricht den sicherheitsrechtlichen Grundsätzen der Störerhaftung. Es ist daher nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Behörde eine Anordnung gegen denjenigen richtet, der sich immer wieder als der maßgebliche Verfügungsberechtigte oder wirtschaftlich Verantwortliche gerierte, so dass die Behörde den Eindruck gewinnen konnte, durch die Maßnahmen ihm gegenüber würde die öffentliche Ordnung am wirksamsten wiederhergestellt. Der Antragsteller zeigt auch nicht auf, dass seine Inanspruchnahme nicht erforderlich gewesen wäre, um eine effektive Besichtigung des Grundstücks zur Klärung eines etwaigen bau- und ordnungswidrigen Zustands des nördlichen Nebengebäudes und des Zufahrtsbereichs zu erreichen. Er hat vielmehr im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgetragen, dass er ein besonderes Interesse besitze, an dem Termin teilzunehmen. Aufklärungsmaßnahmen des Landratsamts zur Störerauswahl waren vorliegend nicht veranlasst. Die nicht näher dargelegte Behauptung, das Landratsamt habe den „Weg des geringsten Widerstands“ gewählt, geht daher ins Leere.
14
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
15
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).